“Eintracht-like”: Rode und Hasebe gebührend verabschiedet

Ehrenrunde und Abstecher in die Kurve inklusive: Die Frankfurter Publikumslieblinge Makoto Hasebe und Sebastian Rode sind am Samstag gebührend verabschiedet worden.

Bei den Fans: Sebastian Rode und Makoto Hasebe.

Bei den Fans: Sebastian Rode und Makoto Hasebe.

IMAGO/Eibner

57.500 Zuschauer bildeten eine würdige Kulisse, als auf dem Arena-Videowürfel im Frankfurter Deutsche-Bank-Park noch einmal die Karriere-Highlights der Vorzeigeprofis Makoto Hasebe und Sebastian Rode abgespielt wurden. “Ihr seid Frankfurter Legenden und könnt auf unglaubliche Karrieren zurückblicken”, kommentierte Eintracht-Sportvorstand Markus Krösche. Und Präsident Mathias Beck sagte den beiden eine lebenslange Mitgliedschaft bei der Eintracht zu.

Rode und Hasebe, die zusammen 580 Pflichtspiele für die Eintracht bestritten, bekamen in ihrem letzten Karrierespiel den gewünschten Abschluss. Beide wurden im Heimspiel gegen RB Leipzig (2:2) von Trainer Dino Toppmöller wenige Sekunden vor Abpfiff unter tosendem Jubel eingewechselt.

Ich hätte es gerne etwas ruhiger gehabt, aber es war natürlich wieder absolut Eintracht-like, bis zur letzten Sekunde kämpfen, zittern und fighten zu müssen”, sagte Rode und berichtete: “Irgendwann haben wir gehört, dass es 4:2 für Hoffenheim steht, und da war mir klar, dass wir es nicht ruhig angehen lassen können.”

Sebastian Rode und Makoto Hasebe mit seinen Kindern

Sebastian Rode und Makoto Hasebe (mit seinen Kindern) drehten eine Ehrenrunde.
IMAGO/Schüler

Mit dem Remis gegen RB sicherte die Eintracht in einer turbulenten Saison Rang sechs und damit mindestens die Teilnahme an der Europa League. Sollte der BVB das Champions-League-Finale in London gegen Real Madrid am 1. Juni gewinnen, rückt die SGE als sechster deutscher Starter sogar in der Königsklasse nach. “In zwei Wochen drücken wir selbstverständlich dem BVB die Daumen”, bestätigte Rode.

Doch zunächst genoss der 33-Jährige, der von 2010 bis 2014 und nach Abstechern zu Bayern München und Borussia Dortmund dann wieder seit 2019 insgesamt neun Jahre für die Eintracht spielte, seinen Abschied in vollen Zügen. Gemeinsam mit Hasebe drehte er eine Ehrenrunde und wurde schließlich von und in der Kurve gefeiert.

Rode: “Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen”

“Natürlich bin ich Dino dankbar, dass er uns beide noch auf den Platz geschmissen hat. Den ein oder anderen Ballkontakt mehr hätte ich gerne gehabt, aber Leipzig hat auch nicht mehr so aggressiv nach vorne gespielt, und für uns galt es, den Punkt zu sichern. Die drei Minuten, wie sie waren, waren schön”, sagte Rode und strahlte: “Alles andere, was danach kam, war sensationell – danke an die Fans, das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen.”

Auch Hasebe, der den Hessen zehn Jahre lang die Treue hielt, geriet ins Schwärmen: “Die Atmosphäre nach dem Spiel war toll im Stadion – mit Mitspielern, Staff, einfach allen. Ich bin unheimlich stolz auf meine Karriere, aber auch auf meine Teamkollegen, Mitarbeiter, alle”, sagte der 40-jährige Japaner und rief den Fans zum Abschied zu: “Die zehn Jahre in Frankfurt waren großartig.”

“Großer Zusammenhalt” – Trotz und Tränen bei Lieberknecht

Auch das vorerst letzte Bundesliga-Spiel des SV Darmstadt 98 ging klar verloren. Es war bereits die 23. Saisonniederlage. Damit sind die Lilien der fünftschlechteste Absteiger der Bundesliga-Geschichte. Und trotzdem geht man nicht völlig zerrüttet aus der komplett verkorksten Saison.

Emotional: Beim Gang in die Fankurve flossen bei Torsten Lieberknecht die Tränen.

Emotional: Beim Gang in die Fankurve flossen bei Torsten Lieberknecht die Tränen.

IMAGO/Jan Huebner

Mit dem Transparent “Danke! Ihr seid und bleibt erstklassig!” verabschiedeten sich die Spieler nach dem 0:4 bei Borussia Dortmund von den rund 6.000 mitgereisten Fans. Rund eine halbe Stunde hatte der SV Darmstadt 98 ordentlich beim Champions-League-Finalisten mitgehalten, ehe sich dessen individuelle Klasse durchsetzte.

Anders als vor Wochenfrist, als man das letzte Heimspiel desaströs gegen Hoffenheim verloren hatte, fiel die Mannschaft aber diesmal nicht auseinander, und das befürchtete Debakel blieb aus. Entsprechend war die Stimmung beim Anhang diesmal überwiegend freundlich und wohlwollend, auch lautstarke “Lieberknecht, Lieberknecht”-Sprechchöre waren zu hören.

Unterstützung der Fans als Verpflichtung

Bei Trainer Torsten Lieberknecht flossen beim Gang zu den Fans die Tränen. “Wenn man als Absteiger heute bei uns in die Kurve gegangen ist, hat man einen großen Zusammenhalt gespürt, eine große Zuneigung, die aus meiner Sicht nicht alltäglich ist im Profifußball”, sagte der emotionale Pfälzer, der die Lilien seit drei Spielzeiten betreut. Die Unterstützung der Fans sei auch eine Verpflichtung, “um irgendwann einmal wieder das zu bekommen, was wir heute hier erlebt haben”.

Lieberknecht will wieder angreifen. Auf Dauer die Top-20 des deutschen Fußballs herausfordern – das hat sich der SV Darmstadt 98 auch vor einiger Zeit selbst in sein Leitbild geschrieben. Dass die Lilien aber bereits in der kommenden Saison wieder ans Tor zur Bundesliga klopfen, scheint derzeit jedoch ziemlich unwahrscheinlich.

Vier bis sechs weitere Neuzugänge sind geplant

Zu schwach präsentierte sich die Mannschaft zuletzt, zu stark scheint die 2. Liga mit zahlreichen Schwergewichten. Zu schwer wiegen die sich abzeichnenden Abgänge der beiden besten Spieler Tim Skarke (ausgeliehen von Union Berlin) und Marvin Mehlem (Ausstiegsklausel aus dem bis 2025 laufenden Vertrag).

Und auch die beiden bislang feststehenden Neuzugänge Fynn Lakenmacher (24, TSV 1860 München) und Luca Marseiler (27, Viktoria Köln) haben ihr Können bislang nur in der 3. Liga angedeutet. Die Profile für die weiteren Neuzugänge – vier bis sechs sollen es noch werden – hat Lieberknecht mit dem neuen Sportdirektor Paul Fernie herausgearbeitet. Während sich die Spieler am Samstagabend in den Urlaub verabschiedeten, wartet auf Lieberknecht und Fernie in den kommenden Wochen also noch viel Arbeit, um diese Profile mit Leben zu füllen.

Schafft Lieberknecht den emotionalen Umschwung?

Mindestens genauso wichtig wie die personelle Blutauffrischung wird auch ein emotionaler Umschwung sei. Die Mannschaft muss nach den vielen Negativ-Erlebnissen der abgelaufenen Saison wieder an sich glauben. Dass Lieberknecht das kann, hat er in seinen ersten beiden Spielzeiten bei den Lilien gezeigt.

2021 legte die neuformierte Mannschaft – auch Corona-bedingt – einen Fehlstart hin, um dann mit teils begeisternden Leistungen bis zum letzten Spieltag um den Aufstieg mitzuspielen. Die Enttäuschung, dass dieser dann knapp verfehlt wurde, steckte die Mannschaft weg und stieg im folgenden Jahr auf. Das gibt zumindest Hoffnung für die kommende Spielzeit. Eine Garantie ist es freilich nicht.

Stephan Köhnlein

Svensson kann sich Trainerposten bei Union vorstellen

Kaum Zeit zum Durchatmen: Union Berlin sucht nach dem Klassenverbleib einen neuen Trainer. Mit Bo Svensson erfolgte bereits ein Austausch.

Eine heiße Spur bei Unions Trainersuche führt zu Bo Svensson.

Eine heiße Spur bei Unions Trainersuche führt zu Bo Svensson.

IMAGO/Steinsiek.ch

Es ist noch offen, wer bei Union Berlin in der kommenden Saison an der Seitenlinie stehen wird. Interimstrainer Marco Grote ist laut Präsident Dirk Zingler zumindest eine Option. Immerhin hat der gebürtige Bremer gemeinsam mit Co-Trainerin Marie-Louise Eta und Co-Trainer Sebastian Bönig kurz vor knapp noch den Klassenverbleib perfekt gemacht. Eine heiße Spur führt aber auch diesmal wieder zu Bo Svensson.

Sky hatte bereits berichtet, dass die Köpenicker am ehemaligen Mainz-Coach interessiert seien. Das deckt sich mit den kicker-Informationen. So sollen beiden Parteien bereits in Kontakt getreten seien und Gespräche geführt haben. Wie der kicker zudem erfuhr, könnte es sich Svensson durchaus vorstellen, nach einer nun halbjährigen Fußballpause ab der kommenden Spielzeit die Eisernen zu trainieren.

Torhüter Busk wurde verabschiedet

Und das dann in der 1. Bundesliga. Kurz vor knapp haben die Eisernen den Klassenerhalt durch das 2:1 gegen Freiburg perfekt gemacht. Daher hat die Ehrenrunde am Samstag nach der Partie ein bisschen länger gedauert als sonst. Es machte den Anschein, als hätte sich die Mannschaft am liebsten bei jedem einzelnen Zuschauer für die beeindruckende Unterstützung während dieser schwierigen Saison bedankt.

Zudem wurde Torhüter Jakob Busk, der zweitdienstälteste Spieler im Kader nach Kapitän Christopher Trimmel, gebührend gefeiert. Den Dänen zieht es zurück in die Heimat nach Dänemark. Gemeinsam mit dem 30-Jährigen haben die Spieler nach dem Klassenerhalt noch ein paar Kaltgetränke zu sich genommen. “Ich bin sehr froh, dass wir es geschafft haben. In erster Linie für alle Mitglieder, Mitarbeiter und Fans”, sagte Trimmel. “Wir können nicht sagen, dass wir allein die Saison so hinbekommen haben. Da hat der Verein insgesamt einen großen Anteil daran.”

Zu viele verrückte und wilde Phasen

Aber immerhin haben die Eisernen auf dem letzten Drücker noch die Kurve bekommen – und das mit den bekannten Union-Tugenden: Kampfgeist, Leidenschaft und Zusammenhalt. “Das war wieder typisch union-like. Wir sind nicht zerfallen, haben uns von nichts beeinflussen lassen. Das haben wir uns in den letzten zwei Wochen erarbeitet”, betonte Trimmel, der vor kurzem erst seinen Vertrag um ein weiteres Jahr verlängert hatte.

Der Österreicher blickte kurz nach Abpfiff gleich schon wieder nach vorn, zeigte sich selbstkritisch und bekräftigte, dass sich einiges ändern müsste. “Der Verein wird die Saison gut analysieren und dann müssen wir die Lehren daraus ziehen”, erklärte der 37-Jährige. Dabei dürften sich so schwache Auftritte wie in der ersten Halbzeit gegen Bochum sowie in den zweiten 45 Minuten wie in Köln nicht mehr ereignen. “In dieser Saison hatten wir zu viele Phasen, wo das Spiel ein bisschen verrückt und offen war.” Einer von vielen Aspekten, der sich in der neuen Spielzeit ändern muss.

Jannis Klimburg

Neuer fordert Neustart: “Klar, dass es so nicht weiterlaufen kann”

Ein letztes Spiel wie die gesamte Saison: Gute Phasen, unerklärliche Aussetzer, unnötige Niederlage. Mit dem 2:4 in Hoffenheim verpasste der FC Bayern auch noch die Vizemeisterschaft. Manuel Neuer fand dafür klare Worte.

Hofft, dass die kommenden Saison für den FC Bayern besser verläuft: Manuel Neuer.

Hofft, dass die kommenden Saison für den FC Bayern besser verläuft: Manuel Neuer.

IMAGO/Michael Weber

Um 18.09 Uhr, rund 45 Minuten nach Abpfiff dieser am Ende enttäuschenden Saison, war auch der letzte Münchner aus der Pre-Zero-Arena in Hoffenheim verschwunden. Nur noch weg, schien das Motto zu lauten. CEO Jan-Christian Dreesen wollte sich beispielsweise erst gar nicht äußern, begründete dies mit einem “besser so”.

Bundesliga, 34. Spieltag

“Gehen auf dem Zahnfleisch”

Das übernahm dafür Manuel Neuer, der zwar das erste Gegentor mit einem Fehlpass einleitete, sich aber spätestens in der zweiten Halbzeit einen Auftritt seiner Kollegen anschauen musste, der an Arbeitsverweigerung grenzte. “Man hat gemerkt, dass wir auf dem Zahnfleisch gehen und konnten keine richtigen Kräfte einwechseln. Der ein oder andere hatte Probleme und Schmerzen, auch wenn es keine Ausrede sein soll.”

Auffällig war dies besonders bei Dayot Upamecano, der angeschlagen oder platt war und sich durchschleppte. Trotzdem blieb offen, warum Trainer Thomas Tuchel trotz all der Personalprobleme keinem der mitgenommenen Nachwuchsspieler eine Chance gab.

Mangelnde Konstanz als größtes Problem

Ab sofort geht es ohnehin nur noch um die Zukunft und die Antworten darauf, wie der Rekordmeister an die Spitze zurückgelangen kann. “Es war eine sehr schwierige Saison für uns alle und muss für den Verein einen Neustart geben. Klar, dass es so nicht weiterlaufen kann”, sprach Neuer das Offensichtliche unmissverständlich an. Der Torhüter sah die mangelnde Konstanz als größtes Problem.

Die brachte auch der scheidende Trainer Thomas Tuchel nicht ins Team. Neuer nannte die Trennung eine “Entscheidung des Vereins, ich fand die Zusammenarbeit sehr gut”. Er habe gedacht, dass es weitergehe in der neuen Saison. Als “komplett falsch” bezeichnete der 38-Jährige jedoch Berichte, wonach er und Thomas Müller zu den Bossen gegangen seien und sich für eine weitere Zusammenarbeit ausgesprochen hätten. “So etwas liegt nicht in unserer Hand.” Sicher sei er jedoch, dass es in dieser Konstellation in der nächsten Saison gut funktioniert hätte. Generell, so Neuer, gelte: “Wir Spieler müssen als Mannschaft ein ganz anderes Gesicht zeigen, um wieder voll angreifen zu können. Jeder ist in der Pflicht, da brauche ich nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen.” Die kicker-Nachfrage, ob der Trainerverschleiß beim FC Bayern zu hoch sei, beantwortete er kurz und knapp mit “Ja!” und verließ das Stadion.

Frank Linkesch

Gruppen-Coming-Out? “Für uns ist die Aktion leider extrem hinderlich”

Ein medial angekündigtes Gruppen-Coming-Out männlicher deutscher Fußball-Profis ist ausgeblieben. Experte Christian Rudolph spricht über den Misserfolg der Kampagne und seine eigene Arbeit in diesem Bereich.

Eine Eckfahne im Regenbogen-Design im Bremer Weserstadion.

Eine Eckfahne im Regenbogen-Design im Bremer Weserstadion.

IMAGO/Noah Wedel

Christian Rudolph ist seit dem 1. Januar 2021 Ansprechpartner der Kompetenz- und Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball, einem gemeinsames Projekt des DFB und des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD). Im Interview spricht er über die Kampagne “Sports Free”, deren Initiator, der ehemalige Junioren-Nationalspieler Marcus Urban, für den 17. Mai ein Gruppen-Coming-Out männlicher deutscher Fußball-Profis angekündigt hatte, was allerdings nicht stattfand.

Herr Rudolph, das medial angekündigte Gruppen-Coming-Out deutscher Profi-Fußballer am Freitag ist ausgeblieben. Wie bewerten Sie das Projekt?

Ich stelle mir die Frage, wem es dienlich sein sollte. Das Projekt hat es nicht geschafft, ein breites Bündnis an Unterstützern zu gewinnen. Dabei gibt es genug Möglichkeiten: vorangegangene Netzwerke und Initiativen für mehr Sichtbarkeit wie #kickout mit weit über 100 Gesichtern oder die 11-Freunde-Kampagne “Ihr könnt auf uns zählen”. Auch die Sportpride und das BuNT Netzwerk wurden leider nicht aktiviert oder überhaupt angesprochen. Faninitiativen wie das Bündnis „Queer Football Fans” (QFF) oder “Unsere Kurve” wurden nicht einbezogen, sondern sind proaktiv tätig geworden. Dabei wäre es so wichtig gewesen, sich mit so einer Initiative breit aufzustellen und die Fankurven und Netzwerke mitzunehmen. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass die gesamte Bundesliga in Wort und Tat dahinersteht. Das hätte aber organsiert werden müssen – das wurde nicht getan. Auch das Datum hat mich sehr gewundert – zum Saisonabschluss, einen Tag vor dem letzten Spieltag in der Bundesliga und in einem Jahr, in dem EM und Olympia stattfinden. Da haben Sportlerinnen und Sportler einen ganz anderen Fokus als ein Coming Out.

Für uns ist die Aktion von Marcus Urban leider extrem hinderlich, weil sie viel kaputt machen kann von der Arbeit, die wir seit vielen Jahren im Hintergrund leisten.

Christian Rudolph

Was stört Sie noch an der Kampagne?

Es reicht nicht aus, eine Plattform zur Verfügung zu stellen und für einen Medienrummel zu sorgen. Das ist die große Schwierigkeit bei der Kampagne, hinter dem Wirbel steckte offensichtlich sehr wenig. Das haben wir schon öfter erlebt, zuletzt mit einem Twitter-Profil eines angeblich schwulen Bundesligaspielers. Die Idee von einem Gruppen-Coming-Out hat Marcus Urban schon lange, das fokussiert sich aber immer wieder nur auf eine kleine Gruppe und zielt zu sehr auf das Coming Out und eine vermeintliche Sensation im Männer-Profifußball ab. Damit lastet der Druck wieder nur auf den Spielern. Das ist nicht unterstützend aufgebaut, sondern es wurde nur mit einer Sensation gespielt. So stiftet es am Ende mehr Verwirrung, als dass es unterstützt. Es sollte doch um den gesamten Sport und Sportlerinnen und Sportler aus allen Bereichen gehen und nicht wieder nur um die Fußballprofis. So werden nicht alle mitgenommen und auch Erde verbrannt. Für uns ist die Aktion von Marcus Urban leider extrem hinderlich, weil sie viel kaputt machen kann von der Arbeit, die wir seit vielen Jahren im Hintergrund leisten.

Wie hätte diese Aktion aus Ihrer Sicht besser laufen können?

Es hätte im Vorfeld geholfen, noch viele weitere Sportlerinnen und Sportler als Vorbilder einzubinden, die Vertrauen schaffen und noch mal näher am aktiven Sport sind. Thomas Hitzlsperger, Svenja Huth oder Tabea Kemme aus dem Fußball zum Beispiel, die ihre Stimmen seit vielen Jahren erheben, aber nicht eingebunden waren. Auch aus anderen Sportarten hätte Marcus Urban Vorbilder in Deutschland gewinnen können, den Volleyballspieler Benjamin Patch, den Judoka Timo Cavelius oder die Triathletin Anika Timm. Wir könnten so viele wichtige und tolle Geschichten aus dem Sport erzählen, die Mut machen und einen Nährboden schaffen. Das ist etwas, was wir mit unseren Netzwerken seit Jahren aufbauen, was aber in dieser Aktion komplett gefehlt hat. Dass die Fußball-Frauen keine Beachtung gefunden haben, halte ich auch für falsch. Dabei sind sie schon den Weg gegangen und gehen ihn weiter. Inzwischen ist es fast selbstverständlich, das sind unsere Vorbilder im Fußball. Aber so selbstverständlich war es bei den Frauen im Fußball auch nicht, bis 2008 hatte keine Nationalspielerin ihr öffentliches Coming Out. Es wird wieder nur von Männern gesprochen, zu denen er indirekt Kontakt haben will. Aber was ist mit den Frauen, den anderen Sportarten, der queeren Community als ganze?

Medial und in der Öffentlichkeit haben wir ein Narrativ geschaffen, das sich nur auf die aktiven Profi-Fußballspieler fokussiert, die sich doch bitte outen sollen, um Vorbilder zu sein.

Christian Rudolph

Ist dieser erneute Fokus auf das Coming Out männlicher Profis der Sache dienlich?

Mir ist wichtig zu sagen, dass es im Sport für alle möglich sein sollte öffentlich zur eigenen sexuellen und geschlechtlichen Identität zu stehen, ganz unabhängig vom Talent, der Leistung, dem Status oder der Position. Aber ich finde es schwierig, wie wir mit dem Thema Homosexualität im Sport umgehen. Medial und in der Öffentlichkeit haben wir ein Narrativ geschaffen, das sich nur auf die aktiven Profi-Fußballspieler fokussiert, die sich doch bitte outen sollen, um Vorbilder zu sein. Auch jetzt hat sich in der medialen Berichterstattung alles nur um die Spieler im Profifußball gedreht. Wie stark sexistisch und damit auch homo- und transfeindlich der Sport und damit unsere Gesellschaft insgesamt ist, wird dabei nicht wirklich hinterfragt. Es würde helfen, wenn wir uns nicht auf diese eine Gruppe konzentrieren, sondern auf den ganzen Sport. Wir müssen auch aufhören nur von den Aktiven auf dem Platz zu sprechen. Vereine und Verbände müssen sich proaktiv beteiligen, auch monetär. Wir brauchen nicht nur am 17. Mai, sondern andauernd positive Stimmen aus dem Sport – von Prominenten, Trainerinnen und Trainern, Managerinnen und Managern. Damit sich Spielerinnen und Spieler jederzeit sicher sein können, dass sie die Unterstützung bekommen.

Wie beurteilen Sie die Aktivitäten der großen Sportvereine am Freitag?

Es gab es aus meiner Sicht kaum Unterstützung und Solidarität aus der Bundesliga und dem Breitenfußball oder anderen Sportarten. Die Vereine machen gerade am 17. Mai schon länger Regenbogen-Aktionen und zeigen sich solidarisch, an diesem Freitag gab es aber bis auf Alexander Wehrle vom VfB Stuttgart und Dirk Zingler, die beide für die Initiative im Video aufgetreten sind, kaum weitere Aussagen. Wo waren die anderen?

Was muss sich an der Basis ändern, um mögliche Coming Out zu erleichtern?

Wir müssen in den Vereinen das Klima verändern, in den Nachwuchsleistungszentren Übungsleiterinnen und Übungsleiter im Bereich der Sozialkompetenz schulen, um jungen Menschen den Weg zu ebnen, egal welcher sexuellen und geschlechtlichen Identität Erfolg im Sport haben zu können. Da geht es aber auch um alle anderen Bereiche, über die Profis über Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter, Mitarbeitende und viele mehr. Das sind die Bretter, die wir in unserer täglichen Arbeit alle zusammen außerhalb der Sensation bearbeiten.

Patrick Kleinmann

Warum sich Xhaka Sorgen um Bayers Heimflug aus Berlin macht

Nach dem Gewinn der Meisterschale attestiert Granit Xhaka Bayer 04 eine “geniale Saison”, die in der kommenden Woche in den beiden Finalspielen in der Europa League und im DFB-Pokal veredelt werden soll. Den Titel in der Liga möchte sich der Schweizer nicht schmälern lassen.

Lenker und Trainer: Granit Xhaka (li.) und Xabi Alonso.

Lenker und Trainer: Granit Xhaka (li.) und Xabi Alonso.

IMAGO/Jan Huebner

Auch wenn die ganz große Sause angesichts des Europa League-Finales am Mittwoch nach dem 2:1-Sieg gegen den FC Augsburg am Samstag nicht möglich war, musste er einfach gefeiert werden: der erste deutsche Meistertitel für Bayer 04 Leverkusen.

Auch und gerade für Granit Xhaka war die Meisterehrung und die anschließende Party in der BayArena ein besonderer Moment. “Es hat sich gegen Bremen schon gut angefühlt”, blickte der 31-Jährige auf den 14. April zurück, als Bayer mit einem 5:0-Sieg gegen Werder den Titel bereits fix gemacht hatte, “aber jetzt die Schale in der Hand zu halten, war nochmal etwas Spezielles. Wir werden den Moment genießen.”

Feiern in Maßen war angesagt vier Tage vor dem Duell mit Atalanta Bergamo im Finale der Europa League. “Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir jetzt nicht ein, zwei oder drei Getränke nehmen werden. Aber wir wissen natürlich auch, dass am Mittwoch ein großes Spiel auf uns warten”, betonte Xhaka, “wir werden alles dafür tun, dass wir den nächsten Pokal nach Leverkusen holen.”

Gelingt dies, wäre es dann das 52. Pflichtspiel in Serie ohne Niederlage für Bayer. In der Bundesliga hat man den Status als “Invincibles”, als die Unbesiegbaren, bereits als erster Klub in der 61-jährigen Geschichte sicher. “Wir haben etwas Historisches geschafft, was in der Bundesliga noch keiner geschafft hat. Ob das nochmal jemandem gelingt? Mal schauen. Wahrscheinlich nicht nächstes Jahr …”, sagte der Schweizer, der dieser außergewöhnlichen Saison einen noch außergewöhnlicheren Anstrich verpassen möchte.

Wobei Xhaka keine Zweifel daran aufkommen lassen möchte, dass Bayers Triumph in der Liga nicht an der Leistung Konkurrenz lag. Und so hielt der Sechser ein flammendes Plädoyer für seine Farben: “Man muss uns ein bisschen Respekt zollen”, forderte der Nationalspieler, “es ist nicht so, dass die Bayern eine schlechte Saison gespielt haben, sondern wir eine überragende. Vom ersten bis zum 34. Spieltag waren wir in fast jedem Spiel dominant, haben sehr wenig gegen den Ball zugelassen. Wir haben diesen Hunger gehabt, jeden dritten Tag auf dem Platz zu fighten, zu laufen, zu kämpfen, aber auch zu rotieren. Wir hatten eine Riesenkader. Wir verdienen ganz großen Respekt! Dass man nicht die anderen schwach redet, sondern sagen muss: Wir haben eine geniale Saison gespielt. Das verdient die Mannschaft.”

Dass Bayers Erfolg in der Liga ein Triumph der Stärke ist, steht außer Frage. Jetzt möchte Xhaka diesen in der Europa League und im DFB-Pokal veredeln. “Finals sind dafür da, sie zu gewinnen. Das ist einfacher gesagt, als getan. Am Mittwoch haben wir ein brutal schwieriges Spiel gegen Atalanta. Eine italienische Mannschaft, die Erfahrung hat und brutal aggressiv spielt”, warnt der Linksfuß, “aber wir wissen natürlich auch um unsere Qualitäten. Und wir wollen am Mittwoch mit einem Titel mehr weiter nach Berlin fliegen und dann den nächsten holen.”

Und obwohl Xhaka mit der Erfahrung des im Endspurt verlorenen Meistertitels mit dem FC Arsenal in der Vorsaison in diesem Jahr stets zu Demut mahnte, ist der erfahrene Profi von der Situation euphorisiert. So macht sich Xhaka Sorgen, ob die Mannschaft, die am Donnerstag nach dem Europa-League-Finale direkt von Dublin nach Berlin fliegen wird, beim Rückflug nach Köln am Sonntag Probleme mit etwaigem Übergepäck bekommen könnte.

“Wenn wir noch zwei Trophäen holen, dann müssen wir auch schauen, was für einen Flieger wir nehmen, damit es nicht zu schwer wird”, flachste der Mittelfeldspieler, um dann doch wieder in den Tunnel einzufahren, der einzig zum nächsten Spiel führt: “Aber jetzt holen wir am Mittwoch hoffentlich erstmal die zweite Trophäe und dann schauen wir weiter.”

Stephan von Nocks

“Dumm gelaufen”: Dinkci bringt sich selbst um die Europa-Chance

Der 1. FC Heidenheim, der SV Werder Bremen und der SC Freiburg lieferten sich am Samstagnachmittag einen Dreikampf um Platz acht. Mittendrin: Eren Dinkci, der bei allen drei Teams seine Aktien im Spiel hat – und aufgrund seiner eigenen Leistung den Kürzeren zieht.

Enttäuschung trotz des großen Jubels? Eren Dinkci schoss Heidenheim auf Platz acht, verlässt den Klub aber im Sommer.

Enttäuschung trotz des großen Jubels? Eren Dinkci schoss Heidenheim auf Platz acht, verlässt den Klub aber im Sommer.

IMAGO/MIS

Es dauerte noch ein paar Minuten nach Schlusspfiff, dann hatte der 1. FC Heidenheim Gewissheit. Weil der SC Freiburg in der Nachspielzeit bei Union Berlin verlor und Werder Bremen gegen Bochum nur mit drei Toren Vorsprung gewann, stand fest: Der FCH hat nach dem 4:1 gegen den 1. FC Köln den achten Platz sicher. Sollte Bayer Leverkusen am kommenden Samstag den DFB-Pokal gegen den 1. FC Kaiserslautern gewinnen, wäre der Aufsteiger bei der Qualifikationsrunde zur Conference League dabei.

Dinkci bestraft sich selbst

Ganz Heidenheim brach im Anschluss an die Partie also in Jubel aus. Ganz Heidenheim? Nein! Ein Akteur befand sich rund um die Partie in einem Zwiespalt. Eren Dinkci, der mit zwölf Toren und sechs Vorlagen einen erheblichen Anteil an der tollen Heidenheimer Saison hatte, brachte sein Team auch am Samstag mit einem frühen Doppelpack zum 2:0 auf die Siegerstraße – und sorgte damit in der Endabrechnung wohl höchstselbst dafür, im kommenden Jahr selbst ganz sicher nicht auf europäischem Parkett aufzulaufen.

Dinkci spielt schließlich nur auf Leihbasis an der Brenz und entschied sich bereits im Frühjahr gegen einen Verbleib. Nun kehrt der Stürmer allerdings nicht zu Stammverein Werder Bremen zurück, der ohne Dinkcis beide Tore aufgrund der besseren Tordifferenz auf Rang acht eingelaufen wäre, sondern wechselt zum SC Freiburg – der vor dem 34. Spieltag als Achter die beste Ausgangslage innehatte, durch die späte Niederlage aber noch abrutschte.

Ich freue mich für die Mannschaft, sie hat es absolut verdient.

Eren Dinkci

“Am Ende, muss ich sagen, ist es ein bisschen dumm gelaufen für mich”, musste der 22-Jährige bei Sky zugeben. Miese Stimmung also bei Dinkci? Nicht wirklich, wie dieser kurz darauf klarstellte: “Ich freue mich für die Mannschaft, sie hat es absolut verdient. Ich glaube, das gehört dazu. Ich habe dem Verein und jedem Einzelnen sehr viel zu verdanken. Ich glaube, das wäre nicht fair, wenn ich nicht im letzten Spiel auch zu hundert Prozent da wäre.”

Durchbruch in Heidenheim

Noch in der vergangenen Saison war Dinkci in Bremen nicht über die Rolle des Ergänzungsspielers hinausgekommen, der sich noch dazu alles andere als torgefährlich gezeigt hat. Nach seinem furiosen Bundesliga-Debüt inklusive Tor beim 1:0-Sieg in Mainz 05 in der Saison 2021/21 dauerte es bis zu seinem Wechsel im vergangenen Sommer nach Heidenheim, ehe eine weitere Torbeteiligung in der Bundesliga folgte. Der Dank des gebürtigen Bremers kommt daher nicht von ungefähr – ohne das Vertrauen der Heidenheimer Verantwortlichen wäre er wohl kaum auf dem Wunschzettel des SCF gelandet.

Dass er dort nun vorerst lediglich in Bundesliga und DFB-Pokal antreten kann, wird der Senkrechtstarter folglich verkraften können. Obwohl er gegen Köln seine Eignung einmal mehr unter Beweis gestellt hat, scheint für Partien in Europa in der Karriere des bodenständigen Offensivmanns noch genug Zeit zu bleiben.

Seoane: “Überzeugt, dass wir nächste Saison besser performen können”

Das 0:4 in Stuttgart rundete Gladbachs Saison zum Vergessen ab. Die klare Niederlage zeigte einmal mehr, warum die Fohlen nur ganz knapp an der Relegation vorbeigeschrammt sind – und dass zwingend Veränderungen notwendig sind. Auf der Trainerposition soll Kontinuität einkehren.

Kündigen nach Saisonende eine harte Analyse an: Gerardo Seoane (li.) und Julian Weigl (re.)

Kündigen nach Saisonende eine harte Analyse an: Gerardo Seoane (li.) und Julian Weigl (re.)

IMAGO/eu-images

Die Schreckenssaison endete mit einer weiteren Enttäuschung. Gegen die Überflieger aus Stuttgart waren die chancenlosen Borussen mit dem 0:4 noch gut bedient. “Uns wurden die Grenzen aufgezeigt”, brachte Julian Weigl bei Sky die 90 Minuten auf den Punkt. Kapitän Jonas Omlin meinte ebenso zutreffend: “Es war zu wenig von uns.”

Bundesliga, 34. Spieltag

Wieder einmal, müsste man hinzufügen. Denn viel zu wenig brachten die Borussen nicht nur zum Abschluss in Stuttgart, sondern in der gesamten Saison auf den Platz. Platz 14 mit gerade einmal 34 Punkten? Indiskutabel. 67 Gegentore? Eine Katastrophe. Dass man gerade so über dem Strich geblieben ist und sich vor einer Zitterpartie in der Relegation retten konnte, ist mit das Beste an dieser Saison zum Vergessen.

“Wir können erleichtert sein, dass wir nicht in die Relegation mussten. Das wäre der GAU gewesen”, sagte Weigl. “Diese Saison haben wir uns alle anders vorgestellt. Jeder muss auch für sich schauen, ob er alles gegeben hat. Wir sind weit hinter unseren Zielen geblieben, und das hat viele Gründe. Die müssen wir jetzt ausfindig machen.”

Bei Gladbach muss Vieles auf den Prüfstand

Die Zeit der Analyse hat bei der Borussia nicht erst mit dem Abpfiff in Stuttgart begonnen. Trotzdem wird man sich in Gladbach auch in den kommenden Tagen und Wochen viel Zeit nehmen müssen, um jeden Stein umzudrehen, damit der seit Jahren anhaltende Abwärtstrend nicht doch irgendwann in der 2. Liga endet.

Wir können erleichtert sein, dass wir nicht in die Relegation mussten. Das wäre der GAU gewesen.

Julian Weigl

Zu analysieren gibt es eine Menge: Das bundesliga-untaugliche Defensivverhalten der Mannschaft. Die Leistungsschwankungen des Teams, auch innerhalb der Spiele. Die Themen fehlende Physis, fehlendes Tempo, fehlende Widerstandskraft. Wer auf dem Platz eigentlich das künftige Gerüst bilden soll. Welchen Fußball man generell spielen lassen möchte. Auf welchen Positionen, neben der Defensive, dringend Verstärkungen geholt werden müssen.

Oder ob einigen langjährigen Borussen, nicht nur Florian Neuhaus oder Nico Elvedi, vielleicht mal eine Luftveränderung guttun würde. Was sportliche Leitung und das Trainerteam in ihrer Arbeit besser machen können. Und, und, und…

Seoane: “Hinterfragen, wo wir uns verbessern können”

Von Klubseite war in den Statements zuletzt mehrfach zu hören, dass Gerardo Seoanes Job nicht zur Debatte stünde. Man will endlich wieder Kontinuität in den Verein bekommen. Seoane selbst machte in Stuttgart deutlich, dass auch er bereit ist, den Weg gemeinsam weiterzugehen. “Wir sind voller Energie und überzeugt, dass wir nächste Saison besser performen können”, sagte der Trainer am Samstag und sprach dabei fürs gesamte Trainerteam.

Es stünden jetzt viele Gespräche an. “Wir werden uns die ganze nächste Woche Zeit nehmen, um uns in der Gruppe und in den verschiedenen Abteilungen zu hinterfragen, wo wir uns verbessern können und mit welchen Mitteln”, kündigte Seoane an. “Das Gleiche werde im Nachgang dann auch ich in meinem Umfeld machen – und dann den Urlaub nutzen, um am ersten Tag mit voller Energie zur Arbeit zu kommen.”

Klar ist: Die Entscheidungen, die getroffen werden, müssen sitzen. Viel weiter nach unten darf es für die Borussia nicht mehr gehen – sonst heißt die nächste Station wahrscheinlich 2. Liga.

Jan Lustig

Streich: Unnötige, kleine Delle zum Ende einer Erfolgsära

In den vergangenen Wochen erfuhr Christian Streich viel Wertschätzung, Wärme und Liebe. Das Ende seiner beeindruckenden Erfolgsära beim SC Freiburg wurde jedoch unnötigerweise etwas getrübt. Ein Kommentar von kicker-Reporter Carsten Schröter-Lorenz.

Hinterlässt ein bestelltes Feld für Julian Schuster: Christian Streich.

Hinterlässt ein bestelltes Feld für Julian Schuster: Christian Streich.

In Streichs Worten war es “gewaltig”, was in den vergangenen Wochen auf ihn einströmte. Auf emotionaler Ebene. Vor allem von Freiburger Fans blies ihm förmlich ein Sturm der Liebe entgegen. Große Wertschätzung brachte ihm am letzten Arbeitstag auch Anhänger und Protagonisten von Union Berlin entgegen. Vor lauter Geschenken, Umarmungen und warmen Abschiedsworten zum Ende seiner zwölfeinhalb Jahre währenden Ära als Freiburger Cheftrainer kann man sich vorstellen, dass es nicht leicht war, den Fokus auf das Wesentliche zu richten, den sportlichen Erfolg.

Das hatte Streich zu seinem großen Ziel erklärt, als er im März seinen Schlussstrich zum Saisonende ankündigte. Er sei längst nicht “mehr in seiner Mitte”, räumte er am Donnerstag ein, und werde deshalb auch “froh sein, wenn es rum ist“.

Am Samstag war Streich aber so gar nicht nach Frohsinn zumute. Seine Mannschaft hat auch im fünften Spiel in Serie keinen Sieg geschafft, sondern verloren und damit auch die letzte Chance auf das über Wochen auf dem Silbertablett präsentierte dritte Europacup-Ticket hintereinander verspielt. Das war unnötig und selbst verschuldet.

Schlechteste Bilanz in den vergangenen fünf Jahren

In den jüngsten Heimspielen gegen Heidenheim (1:1) und Wolfsburg (1:2) ließen die SC-Profis trotz eines jeweils großen Chancenübergewichts schon wichtige Punkte für den sicheren siebten Europacup-Rang liegen, bei abstiegsgefährdeten Unionern konnten sie auch Platz 8 nicht verteidigen, der bei einem wahrscheinlichen Leverkusener Pokalsieg in die Conference League führt.

Stattdessen wurde Freiburg noch auf Rang 10 durchgereicht. Der stand auch 2021 zu Buche, die 42 Punkte sind jedoch die schwächste Freiburger Bilanz in den vergangenen fünf Jahren. In seiner acht Partien währenden Abschiedstour reicht es nur für neun Zähler. Typisch Streich, dass er in seiner großen Enttäuschung nach dem 1:2 in Köpenick die Schuld nur bei sich und nicht bei der Mannschaft suchte.

Das greift aber zu kurz. Trotz großer Verletzungsprobleme in der Abwehr – unter anderen fehlen die Stamm-Innenverteidiger Lienhart und Ginter seit vielen Wochen – gelang es Streich, seinem Stab und dem Team, die Defensive im Saisonfinale wieder zu stabilisieren, die zu Beginn des Jahres 2024 noch von Gegentoren überschwemmt worden war. Zuletzt war es die weitgehend von Blessuren verschonte Offensivabteilung, die ihre Qualität nicht mehr ausreichend für die eigenen Ziele auf den Platz brachte, besonders in puncto Chancenverwertung. Kurz vor dem Abpfiff in Berlin schliefen dann gleich mehrere Profis beim von Janik Haberer verwandelten Elfmeter-Nachschuss.

Unter dem Strich dennoch eine starke Leistung

Dennoch ist auch diese Lesart zulässig: Trotz des über die gesamte Saison hinweg massiven Verletzungspechs – etwa fiel Kapitän Christian Günter über ein halbes Jahr aus – erreichte der SC über mitreißende Play-offs gegen Champions-League-Absteiger RC Lens erneut das Achtelfinale in der Europa League. Eine starke Leistung, zumal das Streich-Team nie in den phasenweise weitgreifenden Kampf um den Ligaverbleib verstrickt war.

Wie schon seit fünf Jahren nicht mehr. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Klubs in diesem Zeitraum teilweise lange oder bis in die Relegation im Keller mitkämpfen mussten: Wolfsburg, Gladbach, Hoffenheim und auch der aktuelle Vizemeister Stuttgart.

Das ist ein großes Verdienst innerhalb dieser Erfolgsära, an deren Ende Streich ein bestelltes Feld für Nachfolger Julian Schuster hinterlässt und verdientermaßen über Wochen emotional und stilvoll als prägende Figur der Bundesliga verabschiedet wurde. Das verpatzte letzte Saisonfinale wurmt Streich und seine Spieler, hinterlässt in der Gesamtbilanz dieses Fußballlehrer aber nur eine kleine Delle.

Weisers Challenge mit Werder: “Langfristig Champions League”

Er bleibt – und hat mit dem SV Werder Bremen noch so einiges vor. Mitchell Weiser spricht über das knapp verpasste und sein künftiges Ziel: Europa.

Bleibt Werder treu: Mitchell Weiser.

Bleibt Werder treu: Mitchell Weiser.

IMAGO/kolbert-press

Dass bei Mitchell Weiser Tränen flossen, lag nach Schlusspfiff nicht nur am Abschied von Christian Groß (“Ich musste da ziemlich heulen”) – sondern hatte auch damit zu tun, dass “ich das Ziel, das man jetzt vielleicht noch hätte erreichen können, trotzdem immer noch vor Augen hatte”. Zwei erzielte Tore fehlten dem SV Werder Bremen letztlich lediglich zu Tabellenplatz acht, der schon in dieser Saison für eine europäische Qualifikation reichen könnte – und Möglichkeiten hatte es beim 4:1-Sieg gegen den VfL Bochum dazu in Hülle und Fülle gegeben.

Auch Weiser haderte mit seiner eigenen von zahlreichen vergebenen Großchancen: “Ich weiß nicht, warum ich da so in die Mitte geschossen habe.” Jedenfalls empfand er es als “sehr ärgerlich” und “bitter”, dass es so nichts mehr geworden war mit Europa. “Aber im Endeffekt haben wir es im Laufe der Saison irgendwo liegen lassen”, so der 30-Jährige: “Ich glaube, wir hatten einige Serien, als wir nicht gewonnen haben. Und ja, da geht es für mich nächstes Jahr darum, besser zu sein.”

Weiser: “Ich liebe halt die Challenge”

Diese Herangehensweise war ja auch die Prämisse gewesen, warum der Klub am Tag vor dem letzten Heimspiel die Vertragsverlängerung von Weiser bekanntgeben konnte: Der rechte Schienenspieler, der sonst ablösefrei gewesen wäre, will mehr. Was er nun auch noch mal ziemlich konkret öffentlich untermauerte: “Ich liebe halt die Challenge”, so der U-21-Europameister von 2017: “Ich bin in der zweiten Liga hierhergekommen, dieses Jahr haben wir im Gegensatz zur letzten Saison einen Schritt nach vorne gemacht. Und das will ich einfach krönen und helfen, den Verein dahin zu bringen, wo er hingehört.”

Dass damit nur das europäische Geschäft gemeint sein konnte, war natürlich klar – doch auf Nachfrage ließ Weiser dann auch durchblicken, wie groß seine Ambitionen wirklich sind: “Der nächste Schritt für uns ist es, international zu spielen – und langfristig gesehen muss Werder in die Champions League.”

Weiser über Verbleib: “Man spielt mit mehreren Gedanken”

Auch deshalb habe er sich für einen Verbleib in Bremen entschieden, trotz einigem “hin und her” im Vorfeld: Die Unterschrift hatte sich letztlich über Wochen gezogen, zumal Weiser ursprünglich schon im vergangenen Sommer verlängern sollte. “Klar spielt man mit mehreren Gedanken”, sagte der Profi und sprach über das Interesse anderer Klubs, das es “natürlich gab, weil ich ablösefrei war – aber konkret habe ich Werder immer gesagt, dass, wenn alles passt, ich auf jeden Fall hierbleiben will”, erklärte Weiser: “Und ich bin froh, dass es dann auch so gekommen ist.”

Tim Lüddecke