Das Debakel in Elversberg markiert ein Ende mit Schrecken zwischen Darmstadt und Trainer Torsten Lieberknecht. Die aktuelle Krise des Bundesliga-Absteigers droht sich durch die überraschende Trennung eher zu verschärfen. Ein Kommentar von kicker-Reporter Thiemo Müller.
Nicht mehr länger SVD-Coach: Torsten Lieberknecht.
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Bei Darmstadt 98 eine ähnliche Ära zu begründen wie einst bei Eintracht Braunschweig, das war noch vor wenigen Wochen der gemeinsame Plan von Torsten Lieberknecht und den Lilien. Bei den Niedersachsen blieb Lieberknecht von 2008 bis 2018 als Cheftrainer im Amt, führte den Klub zwischenzeitlich in die Bundesliga und blieb auch nach dem Abstieg zunächst erfolgreich an Bord.
Hier enden an diesem Sonntag die Parallelen jäh. Nach nur vier Spieltagen der Zweitliga-Saison 2024/25 und dem 0:4-Debakel bei der SV Elversberg hat der 51-jährige Fußballlehrer kurz nach Beginn seines vierten Amtsjahres seinen Rücktritt eingereicht. Das wirkt unter vielerlei Gesichtspunkten wie eine Kurzschluss-Reaktion des Routiniers.
Nicht nur, weil die Zusammenarbeit mit einem frühzeitig bis 2027 ausgedehnten Vertrag explizit langfristig angelegt war. Sondern auch, weil Lieberknecht in diesem Sommer regelrecht sprühte vor Motivation auf den Neubeginn und die Zusammenarbeit mit dem neuen Sportdirektor Paul Fernie.
Sogar vor einer Woche noch hatte der Coach nach dem 1:1 gegen Nürnberg erklärt: “Von der Entwicklung her haben wir wirklich das Gefühl, dass etwas zusammenwächst.” Waren das alles etwa nur hohle Phrasen eines Mannes, der eigentlich immer dafür bekannt war, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen? Und der außerdem so oft betonte, nie einen Vertrag missachten zu wollen, wenn der Impuls zur Trennung nicht vom Arbeitgeber ausginge.
Es bleibt verwunderlich, dass der erfahrene Coach die Minusleistung persönlich nahm
Es gibt für den Moment immens viele offene Fragen, die nur Lieberknecht beantworten kann. Was er mit einigem Abstand auch tun sollte, im Interesse der Öffentlichkeit wie in seinem eigenen. Dass ein einziges Debakel wie das 0:4 in Elversberg am Samstag vermeintlich alles über den Haufen warf, lässt indes darauf schließen, dass es in Lieberknecht doch deutlich länger gebrodelt haben muss.
Hielt er den von Fernie verantworteten Kader letztlich nicht für gut genug, um den Anspruch zu erfüllen, eine sorgenfreie Saison zu absolvieren? War die Kooperation mit dem 14 Jahre jüngeren Chef, der vom ersten Tag an einen deutlichen Führungsanspruch und klare Vorstellungen zur Spielphilosophie mitbrachte, etwa doch nicht so harmonisch wie immer beteuert? Oder war Lieberknecht schlicht und einfach persönlich mit den Nerven am Ende nach dem teils desaströsen Scheitern in der 1. Liga und dem aktuellen Fehlstart?
Darauf deutet zumindest seine Formulierung in Elversberg hin, er fühle sich von der Mannschaft “im Stich gelassen”. Verwunderlich bleibt allemal, dass ein so gestandener Fußballlehrer die grundsätzlich durchaus erklärbare Minusleistung seiner unerfahrenen, im Umbruch befindlichen Truppe offenbar derart persönlich nimmt.
Von Newcomer Fernie wird nun schon das zweite Meisterstück verlangt
Immerhin: Sollte Lieberknecht zur Überzeugung gekommen sein, dauerhaft nicht mehr die Energie aufzubringen, um seiner Mannschaft bei ihrem naturgemäß mühseligen Entwicklungsprozess die nötige Hilfestellung zu geben, dann wäre sein Rücktritt zumindest in dieser Hinsicht konsequent.
Klar ist: Durch Lieberknechts Abschied gestaltet sich die Lage der Lilien vor dem Kellerduell mit Braunschweig in zwei Wochen noch brisanter. Mit der Auswahl des künftigen Trainers wird von Newcomer Fernie in Darmstadt schon in kürzester Zeit das zweite Meisterstück verlangt.
Bevor auch nur ansatzweise die Frage beantwortet wurde, ob das erste, nämlich der Kaderumbruch, überhaupt gelungen ist. Auf dem Spiel steht ab sofort nicht weniger als die Existenz in der 2. Bundesliga. Auch das sollte Lieberknecht mit seinem spektakulären Knall-auf-Fall-Abschied allen Beteiligten deutlich gemacht haben.