Reus‘ große Karriere – und das latente Gefühl, dass noch mehr drin gewesen wäre

Die Überraschung hält sich in Grenzen – und doch ist die Nachricht eine bedeutende: Marco Reus und Borussia Dortmund gehen nach zwölf gemeinsamen Profijahren getrennte Wege. Der große Triumph blieb ihm bislang verwehrt. Doch eine letzte Chance gibt es noch. Eine Einordnung von Matthias Dersch.

Marco Reus verabschiedet sich im Sommer aus Dortmund.

Marco Reus verabschiedet sich im Sommer aus Dortmund.

IMAGO/Sven Simon

Als Marco Reus im Sommer 2012 von Borussia Mönchengladbach zu Borussia Dortmund zurückkehrte – zu jenem Klub also, für den der gebürtige Dortmunder bereits in seiner Jugend zehn Jahre lang gekickt hatte, ehe er aufgrund seiner damals zu schmächtigen Statur aussortiert wurde -, da hätte wohl niemand geahnt, dass er zwölf Jahre lang bleiben würde. Dortmund war gerade zum zweiten Mal in Serie Deutscher Meister geworden, hatte durch einen Sieg im DFB-Pokalfinale über den FC Bayern auch noch das Double klargemacht und galt als “Europes hottest club”, der aus Talenten Stars formte und sie dann für viele Millionen in die weite Welt entließ.

Wie Shinji Kagawa, der als No-Name aus Japan gekommen war und den Reus nun ersetzen sollte, weil der Japaner fortan bei Manchester United für Furore sorgen wollte. Reus hingehen galt als Topstar von morgen, dem schon bald die Welt zu Füßen liegen dürfte, nachdem er Mönchengladbach mit 18 Toren und zwölf Assists in der Saison 2011/12 in den Europapokal geführt hatte.

Dortmund als Zwischenstation? Nicht für Reus

Dortmund als Zwischenstation? So lautete für zahlreiche Profis in den Zehner-Jahren des 21. Jahrhunderts das Karrieremotto. Nicht aber für Reus. Er blieb. Zwölf Jahre lang. Und das nicht mangels Alternativen. Der heute 34-Jährige hatte mehrfach die Gelegenheit, den berühmten nächsten Schritt zu gehen. Der FC Barcelona wollte ihn, dazu allerhand Topteams aus der Premier League. Doch egal, wer lockte: Reus wollte nicht weg von seiner Borussia, seiner Stadt, seiner Heimat.

Der Offensivspieler, der in all den zwölf Jahren, die er für das Profiteam des BVB kickte, stets der Spieler mit den meisten Trikotverkäufen war, war immer einer der größten internationalen Stars des BVB. Einer, der überall erkannt wurde. Ob in den USA oder in Asien. Doch er selbst blieb stets still, fast schüchtern. Er wollte nicht in die große weite Welt. Er wollte seine Ruhe in seinem gewohnten Umfeld. Dass ihm, der fünf Jahre lang Kapitän des BVB war, das zuweilen auch negativ ausgelegt wurde, zählt zu den üblichen Gemeinheiten der Fußballbranche, in der Vereinstreue oft gefordert wird – aber wehe, sie wird dann auch umgesetzt… Dann gilt man schnell als ambitionslos.

Reus setzt beim BVB Bestmarken

424 Pflichtspiele absolvierte Reus seit seinem Wechsel zur Saison 2012/13 für den BVB, erzielte dabei 168 Tore und bereitete 129 Treffer vor. Nur Manfred Burgsmüller (135 Tore) und Michael Zorc (131 Tore) trafen in der Liga häufiger für den BVB als Reus (118 Tore), der dabei 47 Mal die 1:0-Führung für die Borussia erzielte – Vereinsrekord. Zudem hat er die meisten Europapokaltreffer für Schwarz-Gelb geschossen (33) und – gemeinsam mit Mats Hummels – die meisten Europapokalspiele für den Klub absolviert (89 Spiele). Es sind Werte, die bleiben und die Reus zu einem der ganz großen Spieler dieses an großen Spielern nicht gerade armen Klubs machen.

Doch zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Leistungen von Reus zuletzt nicht mehr so stark waren, dass sein Vertrag hätte verlängert werden müssen. Die Trennung in beidseitigem Einvernehmen ist daher eine gesichtswahrende Lösung für beide Seiten und bietet die Chance, dem scheidenden Reus einen gebührenden Abschied zu bereiten.

Das latente Gefühl, es sei mehr drin gewesen

Neben den Bestmarken, die er in Dortmund aufstellte, gehört zu Reus‘ Karriere auch das latente Gefühl, dass sie unerfüllt blieb, weil so viel mehr möglich schien. In seiner Vita fehlen die internationalen Erfolge – auch weil ihn unmittelbar vor der WM 2014 wie so oft in seiner Karriere das Verletzungspech ereilte und er den Triumph von Rio deshalb vor dem TV erleben musste. Und es fehlt der nationale Meistertitel.

Marco Reus mit dem DFB-Pokal

Zweimal gewann Marco Reus den DFB-Pokal mit dem BVB.
imago images/Laci Perenyi

Zweimal war Reus mit dem BVB ganz nah dran. Doch weder 2019 noch 2023 schafften er und seine Mitspieler es, als Erste über die Ziellinie zu kommen. So werden am Ende lediglich zwei DFB-Pokalsiege auf seiner Habenseite stehen. Viel zu wenig Titel für einen Spieler seiner Qualität, der – wenn der Körper nicht so oft gestreikt hätte – auch deutlich mehr als jene 48 Länderspiele (15 Tore) absolviert hätte, die aktuell in seinem Arbeitszeugnis stehen.

Mit einem Sieg in Wembley würde sich ein Kreis für Reus schließen

Reus wurde in seiner Karriere oft vorgeworfen, er sei in großen Spielen nicht zu sehen. Viele Gelegenheiten, das zu widerlegen, dürften sich ihm nicht mehr bieten, auch wenn er seine Karriere andernorts noch etwas fortsetzen wird.

Doch, Moment, eine Chance gibt es ja noch für den großen Wurf. In der Champions League. Nach dem 1:0-Hinspielsieg im Halbfinale über Paris Saint-Germain hat sich der BVB jenen “kleinen Vorteil” erspielt, den sich Trainer Edin Terzic zuvor erhofft hatte. Reus kann noch aktiv mithelfen, dass der Vorsprung reicht für den Einzug ins Finale. Auf dem Rasen, aber auch abseits davon. Indem er seine Erfahrung einbringt, sich in den Dienst der Mannschaft stellt, sie positiv pusht, auch wenn er nicht eingesetzt wird. Das Finale 2024 findet in Wembley statt. Dem Ort, wo Reus 2013 in seinem ersten Profijahr beim BVB im Finale dem FC Bayern mit 1:2 unterlag. Mit einem Triumph dort würde sich für Reus ein großer Kreis schließen. Unabhängig von seiner weiteren sportlichen Zukunft: Es kann eigentlich kein größeres Ziel für ihn als Profi mehr geben.

Reus verlässt den BVB im Sommer

Im Sommer endet eine Ära bei Borussia Dortmund: Marco Reus verlässt den Klub nach zwölf Jahren – will seine Karriere aber offenbar noch nicht beenden.

Zieht das BVB-Trikot im Sommer aus: Marco Reus.

Zieht das BVB-Trikot im Sommer aus: Marco Reus.

IMAGO/Jan Huebner

Marco Reus und Borussia Dortmund haben schon einige Wochen vor dem Ende der Saison Klarheit geschaffen: Der langjährige Kapitän verlängert seinen auslaufenden Vertrag beim BVB diesmal nicht um ein weiteres Jahr, sondern verlässt den BVB im Sommer. Darauf hätten sich beide Seiten “gemeinsam verständigt”, heißt es am Freitag in einer Klubmitteilung.

“Ich bin unheimlich dankbar und stolz für diese besondere Zeit bei meinem Klub Borussia Dortmund. Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich in diesem Verein verbracht und jeden Tag genossen, obwohl es natürlich auch schwierige Momente gab. Ich weiß heute schon, dass mir der Abschied am Saisonende schwerfallen wird”, sagt Reus, der 2012 aus Gladbach zum BVB zurückgekehrt war und bis heute blieb.

Aufhören will der 34-Jährige offenbar noch nicht. “Zum Ende seiner beeindruckenden Karriere” suche er “jetzt nochmal ein neues Abenteuer”, schreibt der BVB.

Weitere Informationen folgen …

BVB-Toptalent Wätjen winkt Bundesliga-Debüt

In den Kader von Borussia Dortmund hat es Kjell Wätjen zuletzt häufiger geschafft, auf seinen ersten Einsatz für die BVB-Profis aber wartet das Toptalent noch. Im Spiel gegen Augsburg am Samstag allerdings dürfte es so weit sein.

In der U 19 überzeugt er regelmäßig - nun winkt Kjell Wätjen das Bundesliga-Debüt.

In der U 19 überzeugt er regelmäßig – nun winkt Kjell Wätjen das Bundesliga-Debüt.

IMAGO/RHR-Foto

Während Paris Saint-Germain, Dortmunds Halbfinalgegner in der Champions League, am Wochenende spielfrei hat, muss der BVB im Bundesliga-Heimspiel gegen den FC Augsburg ran. Es gibt wahrlich dankbarere Aufgaben – zumal durch die gesicherten Champions-League-Qualifikation die Luft im Alltagsgeschäft raus ist, es für die Borussia national um nichts mehr geht. Auch wenn BVB-Trainer Edin Terzic seine Spieler auf der Pressekonferenz am Freitag daran erinnerte, welche Verantwortung sie für die mehr als 81.000 Zuschauer haben, die auch gegen den FCA wieder ins Dortmunder Stadion pilgern werden: Der 41-Jährige wird die Gelegenheit am Samstag (15.30 Uhr, LIVE! bei kicker) nutzen, um vor dem Rückspiel in Paris am Dienstag die Rotationsmaschine anzuwerfen.

“Wir werden definitiv rotieren”

“Wir werden die Frische berücksichtigen und das letzte Spiel”, kündigte Terzic an und verwies darauf, dass er auch zwischen den beiden Viertelfinal-Spielen gegen Atletico Madrid seine Mannschaft auf sechs Positionen verändert habe. “Wir werden definitiv rotieren und machen uns Gedanken, wie wir Energie reingekommen. Und wir sind uns sicher, dass wir trotzdem eine gute Mannschaft auf dem Platz haben werden.”

Während Viel-Spieler wie Nico Schlotterbeck eher keine Pause benötigen, dürfte der eine oder andere Borusse ausnahmsweise froh sein, wenn er zunächst auf der Bank Platz nehmen darf. Kandidaten dafür sind insbesondere Sprinter Karim Adeyemi, Abwehr-Routinier Mats Hummels und Stürmer Niclas Füllkrug, der beim 1:0-Hinspielsieg über Paris den Treffer des Tages erzielt hatte. Auch die zentralen Mittelfeldspieler Julian Brandt und Marcel Sabitzer dürften nicht die volle Distanz über auf dem Rasen stehen.

Wätjens Bilanz: 19 Scorerpunkte in 22 Spielen

Chancen ergeben sich dafür nicht nur für zuletzt nur selten in der Startaufstellung stehende Spieler wie Youssoufa Moukoko, Marco Reus oder Niklas Süle, sondern auch für das Dortmunder Toptalent Kjell Wätjen. Dreimal stand der 18-Jährige, der Ende März einen Profivertrag bis 2028 unterschrieb, bereits im Bundesligakader, gar viermal gehörte er außerdem zum Aufgebot für die Champions League. Auf seine ersten Profi-Minuten allerdings wartet der Mittelfeldspieler noch, der normalerweise für die U 19 des BVB kickt und dort in 22 Liga-Einsätzen 19 Scorerpunkte (zehn Tore, neun Assists) sammelte.

Am Samstag nun dürfte das Warten ein Ende haben. “Ja, ist es”, antwortete Terzic, als er gefragt wurde, ob das Spiel gegen Augsburg eine Chance für Wätjen wäre, sein Debüt zu feiern. Es war eine überraschend deutliche Aussage, der der BVB-Trainer spätestens im Laufe des Spiels Folge leisten dürfte.

Haller wird gegen Augsburg geschont

Fehlen wird Terzic bei der Auswahl seines Personals dagegen Sebastien Haller. Der Stürmer, der im Hinspiel gegen Paris in den Kader nach einer Sprunggelenksverletzung zurückgekehrt war, spürte beim Warmmachen am Mittwoch eine leichte Reaktion und soll daher am Wochenende geschont werden. Ebenfalls nicht zur Verfügung stehen Terzic Ramy Bensebaini und Julien Duranville.

Matthias Dersch

Mieses Timing: Was Dortmunds Sieg für die Premier-League-Klubs bedeutet

Der Dortmunder Sieg gegen PSG hat auch Auswirkungen auf die Premier-League-Tabelle. Für England ist vor allem der Blick in die letzten Jahre bitter.

Unai Emerys und Heung-Min Sons Team balgen sich um den vierten CL-Platz der Premier League, Alejandro Garnacho (Mi.) hat mit ManUnited endgültig keine Chance mehr.

Unai Emerys und Heung-Min Sons Team balgen sich um den vierten CL-Platz der Premier League, Alejandro Garnacho (Mi.) hat mit ManUnited endgültig keine Chance mehr.

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Die Bundesliga wird mit mindestens fünf Mannschaften in der neuen Champions League dabei sein, die Serie A ebenfalls, und sogar die Ligue 1 hat womöglich mehr Starter als sonst. Nur die Premier League, die vermeintlich sportlich, ganz sicher aber finanziell stärkste Liga der Welt, profitiert nicht davon, dass die Königsklasse 2024/25 um vier Teilnehmer aufgestockt wird.

Weil Borussia Dortmund am Mittwochabend Paris Saint-Germain im Hinspiel des Champions-League-Halbfinals mit 1:0 bezwang, steht fest, dass die Bundesliga nach der Serie A den zweiten Extra-Platz in der reformierten Königklasse erhält, weil sie die laufende Europapokal-Saison als einer der zwei stärksten Verbände abschließen wird.

In sechs der letzten sieben Jahre hätte England profitiert

Dass die Premier League leer ausgeht, ist vor allem mit einem Blick zurück bitter: In sechs der vergangenen sieben Jahren waren die englischen Klubs auf europäischer Bühne mindestens am zweitbesten, in den letzten drei sogar jeweils die Nummer eins. Nur jetzt, wenn es dafür einen zusätzlichen Startplatz gibt, schaffte es überraschend nur Aston Villa in ein Halbfinale und das auch “nur” in der Europa Conference League – ein mieses Timing.

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Das heißt: Lediglich die ersten vier der Tabelle werden sich für die Champions League qualifizieren. Zwei Tickets sind dabei bereits fix an Spitzenreiter Arsenal und Titelverteidiger Manchester City vergeben, ein drittes hat der FC Liverpool praktisch sicher.

Dahinter kommt es nun zum Zweikampf: Aston Villa um Trainer Unai Emery ist bärenstarker Vierter und hat drei Spieltage vor Schluss sieben Zähler mehr als der Fünfte Tottenham – der allerdings noch zwei Nachholspiele in der Hinterhand hat, das erste an diesem Donnerstagabend (20.30 Uhr, LIVE! bei kicker) beim FC Chelsea.

Manchester United und Newcastle haben dagegen seit Mittwochabend Gewissheit, dass sie 2024/25 – anders als in dieser Saison – maximal in der Europa League spielen werden, wozu sie mit ihren vierten Plätzen in der Gruppenphase selbst beitrugen, zumal in der Bayern- respektive BVB-Gruppe.

Stockt Marseille Frankreichs Kontingent auf?

In der Ligue 1, die ebenfalls vergeblich davon träumte, die Bundesliga noch abzufangen und damit einen vierten Startplatz zu erhalten, würden sich nach jetzigem Stand neben Meister PSG die AS Monaco als Zweiter und Überraschungsklub Stade Brest als Dritter für die Königsklasse qualifizieren, wobei auch Lille OSC und OGC Nizza drei Spieltage vor dem Saisonende noch lauern.

Weil Olympique Marseille nur Siebter ist, aber im Halbfinale der Europa League steht, könnte es 2024/25 trotzdem vier französische Champions-League-Teilnehmer geben – wenn OM den Wettbewerb gewinnt. Wird PSG Champions-League-Sieger, hätte das dagegen keine Auswirkungen auf die Ligue 1, weil Luis Enriques Elf bereits über die Liga einen Champions-League-Platz sicher hat.

Wenn in Dortmund das Flutlicht angeht…

Borussia Dortmund erlebt einen weiteren stolzen Abend in der Champions League – und entfernt sich immer weiter von seinen Liga-Leistungen. Viel erinnert an eine ganz besondere Spielzeit.

Jubel über den goldenen Treffer: Niclas Füllkrug (vorne) schoss den BVB zum Hinspielsieg gegen Paris.

Jubel über den goldenen Treffer: Niclas Füllkrug (vorne) schoss den BVB zum Hinspielsieg gegen Paris.

IMAGO/Sven Simon

Der späte Sieg war Gold wert, auch wenn der Anschlusstreffer von Stefan Kohn drei Minuten vor dem Ende noch einmal Spannung in die Partie brachte. Die Tore von Stephane Chapuisat und Vladimir But hatten beim 2:1-Erfolg gegen den 1. FC Köln dafür gesorgt, dass Verfolger VfB Stuttgart auf Distanz und Rang 3 gehalten wurde, der zur erneuten Qualifikation zur Champions League berechtigte.

Erinnerungen an 1997

1997 war es, da tat sich Borussia Dortmund unter Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld im Bundesliga-Alltag etwas schwer. Nach zwei Meisterschaften in Folge standen in der Schlussabrechnung Bayern München und Bayer Leverkusen vor den Schwarz-Gelben, acht Punkte Vorsprung hatte der Meister aus dem Süden, satte neun Niederlagen sammelte der BVB in 34 Partien.

Eine Saison zum Vergessen? Nein, im Gegenteil: Der Gedanke an diesen Sommer 1997 sorgt in Dortmund heute noch für glänzende Augen und Stimmen im Ohr. “Ricken. Lupfen jetzt. Jaaaa”, hatte Marcel Reif nur wenige Tage vor dem Saisonfinale aus den Fernseh-Lautsprechern gerufen, der Youngster den Rat befolgt und sein Team zum 3:1-Sieg im Champions-League-Finale gegen Juventus Turin geschossen. Ein Moment für die Ewigkeit, eine Saison für die Ewigkeit – trotz des enttäuschenden Abschneidens in der Liga.

BVB darf weiter vom dritten Champions-League-Finale träumen

Das Szenario ist schon ein paar Jahre her, die Parallelen sind aber erkennbar. 27 Jahre später müht sich Dortmund erneut durch die Liga, der zementiert scheinende Rang 5 bedeutet das schlechteste Ergebnis seit der Saison 2014/15, nur dieses eine Mal zuvor hatte der BVB seit 2010/11 die Top-4 Deutschlands verpasst. Und doch könnte die Saison erneut in die Geschichte des Vereins eingehen. Denn was Borussia in der heimische Liga verpasste, gelang international mit Bravour: Die Mannschaft steht unter den besten Vier und nach dem wuchtigen 1:0-Sieg im Hinspiel gegen Paris St. Germain am Mittwoch sogar mit weiter ordentlichen Chancen da, zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte das Finale zu erreichen.

Wenn in Dortmund das Flutlicht angeht, sind es seit jeher besondere Abende. Gegen die mit katarischen Millionen hochgezüchtete Truppe aus Paris stemmten sich die Gastgeber mit allen Mitteln gegen den individuell natürlich besser besetzten Gegner, mit Leidenschaft, Cleverness, Aggressivität, taktischer Finesse und der größeren Effizienz. Dass in einem Champions-League-Halbfinale auch etwas Glück mitspielen muss wie in der PSG-Drangphase nach dem Seitenwechsel mit zwei Aluminium-Treffern, ist auch Teil der Geschichte.

Eine “sehr geschlossene Mannschaftsleistung”, hatte Mats Hummels nach der Partie hervorgehoben und damit wie meist in seinen Analysen recht: “Wir waren sehr erwachsen und sehr reif.” In der Saisonabschluss-Besprechung nach dem letzten Spiel – sei es im Londoner Wembley gegen Real Madrid oder in Dormund gegen Darmstadt 98 – wird die Diskrepanz zwischen den Auftritten auf europäischer Bühne und denen in der Liga ein Thema sein müssen, warum das in der Königsklasse in inzwischen elf Partien nachgewiesene  Potenzial zu selten im Alltag zu sehen war. Doch jetzt gilt aller Fokus dem Rückspiel im Prinzenpark in einer Woche.

Kobel verzichtet auf Rechenspiele

Denn der knappe Sieg im Hinspiel, so wertvoll er auch auf andere Weise für den BVB war, war nur ein Anfang. PSG wird am Dienstag kommender Woche über 90 oder 120 Minuten versuchen, die Wucht zu entwickeln, die sie nach der Pause kurz hatten.  “Wir sind sehr glücklich. Überglücklich können wir nicht sein, denn es ist nur ein 1:0”, befand Keeper Gregor Kobel, der erstaunlich selten eingreifen musste. Ein Tor ist schnell aufgeholt, ein zweites schnell nachgelegt. “Es ist schwer zu sagen, wie hoch die Prozentzahl für das Weiterkommen ist”, wollte auch Kobel gar nicht das Rechnen anfangen. Auch in Paris benötigt der BVB die Tugenden des Hinspiels, auch da über die gesamte Spielzeit. Einen kleinen Vorteil hat sich Dortmund aber erspielt, gar nicht so sehr über das knappe Ergebnis – aber über das Wissen, dass PSG verletzlich und schlagbar ist.

Anfang April 1997: Gerade hat der BVB im Halbfinal-Hinspiel Manchester United durch einen Treffer von René Tretschok 1:0 geschlagen, die Briten waren mit Stars wie Eric Cantona, David Beckham, Ryan Giggs und Roy Keane angereist. Ein knappes Ergebnis, das im Rückspiel wackelte, als sich Jürgen Kohler und Co. voller Leidenschaft und Bestimmung in die Bälle warfen. Lars Ricken erzielte den einzigen Treffer im Old Trafford, jener Ricken, der am Mittwoch einen erstaunlichen ersten Arbeitstag als Geschäftsführer Sport hatte. Das Szenario ist schon ein paar Jahre her, die Parallelen aber könnten weitergehen.

Patrick Kleinmann

Terzic: “Was bringt uns das, wenn wir das nicht veredeln?”

BVB-Trainer zufrieden mit 1:0-Sieg gegen PSG 02.05.2024

Terzic: “Was bringt uns das, wenn wir das nicht veredeln?”

1:01Nach dem 1:0-Sieg gegen Paris St. Germain im Champions-League-Halbfinal-Hinspiel zeigte sich Edin Terzic durchaus zufrieden, mahnte allerdings auch, dass der Sieg nichts wert wäre, wenn man ihn beim Rückspiel nicht “veredelt”.

Hummels: “Hat unsere miese Bundesliga-Saison kaschiert”

Der 1:0-Erfolg im Halbfinal-Hinspiel der Königsklasse gegen PSG bedeutete für Borussia Dortmund nicht nur eine sehr solide Ausgangslage für das Rückspiel, sondern auch den erneuten Einzug in die Champions League.

Hofft auf den Finaleinzug in der Champions League mit dem BVB: Routinier Mats Hummels.

Hofft auf den Finaleinzug in der Champions League mit dem BVB: Routinier Mats Hummels.

picture alliance/dpa

“Das Allerwichtigste: Dass wir es gemeinsam machen”, hatte Edin Terzics – bei DAZN geäußerter – Wunsch in Richtung seines Teams vor der Partie am Mittwochabend gelautet. Und genau dieses Credo setzte seine Mannschaft im Spiel gegen Paris nahezu in Perfektion um. “Es war eine geschlossene Mannschaftsleistung, jeder hat dem anderen geholfen, es war ein sehr erwachsenes, reifes Spiel von uns”, freute sich Mats Hummels.

Dass dank des Sieges zugleich auch die definitive Qualifikation für die Champions League 2024/25 für die Bundesliga und damit auch für den BVB als momentaner Tabellenfünfter feststand, war natürlich auch dem Abwehrspieler nicht entgangen. “Die Champions League hat in diesem Jahr ein bisschen unsere miese Bundesliga-Saison kaschiert”, meinte Hummels.

Über Paris nach Wembley? “Wird noch ein bretthartes Ding”

Während der 35-Jährige einräumte, bei den beiden Pfostenschüssen der Franzosen “natürlich auch zweimal Glück gehabt” zu haben, fand Hummels zudem ein weiteres kleines Haar in der Suppe: die eigene Chancenverwertung. So habe in einer Szene beispielsweise Marco Reus dem einzigen Torschützen des Abends, Niclas Füllkrug, “ein fast sicheres Tor genommen”, spielte er wohl auf einen Kopfball von Joker Reus in der 84. Minute an.

Es kann in alle Richtungen gehen, ich will sehen, welche Optionen es gibt.

Mats Hummels

In Sachen Einzug ins Finale in Wembley – elf Jahre nach dem 1:2 im Finale gegen den FC Bayern an gleicher Stelle – sei die Situation so natürlich ein wenig schwieriger als mit einem 2:0 im Rücken. Dennoch bekräftigte Hummels in Sachen London: “Dann müssen wir halt in Paris bestehen. Wir wollen dahin, das ist die klare Zielsetzung. Dienstag wird noch einmal ein bretthartes Ding. Wenn man ins Finale will, muss man auch dort bestehen.”

Hummels zur Zukunftsfrage: “Schauen, worauf ich Lust habe”

Auch zu seiner persönlichen Situation angesichts seines zum Saisonende auslaufenden Vertrags äußerte sich Hummels. So bestehe durchaus “die Möglichkeit”, dass die Partie vom Mittwochabend sein letztes Champions-League-Spiel für die Dortmunder gewesen ist. Entschieden bezüglich seiner Zukunft sei aber “noch nichts. Ich habe mir klare Gedanken gemacht, wie es weitergehen könnte. Entschieden wird es erst, wenn die Saison vorbei ist. Es kann in alle Richtungen gehen, ich will sehen, welche Optionen es gibt”.

Vorteil BVB? Jetzt, da Dortmund “schon mal Champions League spielt”, sei der BVB natürlich auch weiter eine gute Option, betonte Hummels, schob aber noch einmal nach: “Es kann in alle Richtungen gehen. Man muss schauen, welche Möglichkeiten da sind – und worauf ich dann Lust habe.”

In Sachen der noch näheren Zukunft in den kommenden Wochen scherzte Hummels, dass ihm in seiner persönlichen Titelsammlung ja nicht nur die Champions-League-Krone, sondern auch der EM-Titel noch fehlte. “Das habe ich mal so gedropped”, so Hummels, der zuletzt nicht mehr im DFB-Aufgebot von Bundestrainer Julian Nagelsmann gestanden hatte, grinsend.