Union Berlin hat sich bei seiner Premiere in der Königsklasse gegen Real Madrid teuer verkauft. Dennoch bleiben altbekannte Probleme offenkundig.

Hektische Ballverluste im Bernabeu: Kevin Volland und Union Berlin.
IMAGO/Matthias Koch
Aus Madrid berichtet Jannis Klimburg
Trotz einer königlichen Historie mit unter anderem fünf Champions-League-Titeln in den zurückliegenden neun Jahren war Real Madrid insbesondere in der Königsklasse immer mal wieder für den einen oder anderen Patzer zu haben. So beispielsweise in der Saison 2018/19, als sie gleich zweimal in der Gruppenphase gegen ZSKA Moskau verloren (0:1, 0:3). Eine weitere Blamage folgte drei Jahre später, als Real Madrid 1:2 dem krassen Außenseiter Sheriff Tiraspol unterlag. Es zeigt auf, dass die Königlichen durchaus verwundbar sind und ihre Schwachstellen haben. Doch diese Achillesferse hat der 1. FC Union Berlin in seinem ersten Champions-League-Spiel der Vereinsgeschichte nicht gefunden.
Zwar verkauften sich die Eisernen teuer, weil sie erforderliche Tugenden wie Leidenschaft und Kampfgeist an den Tag legten. Doch die ganze Wahrheit ist, dass Real Madrid in zwei Dritteln der Spielzeit das Geschehen komplett dominierte. Teilweise wirkte es wie eine Handballpartie, in der die Königlichen im Berliner Bollwerk lediglich die Lücke suchten. “Wir sind viel gelaufen, haben viel gearbeitet. Am Ende haben die Kräfte vielleicht ein bisschen nachgelassen und sie konnten von der Bank noch mal übertrieben nachlegen”, analysierte Stürmer Kevin Behrens.
Der Plan mit Becker ging nicht auf
Dabei hatten die Gäste in den ersten 30 Minuten all ihren Mut zusammengenommen und dem Favoriten ordentlich Paroli geboten. Im Rückzugsverhalten verteidigte Union im 5-4-1, weil Angreifer Sheraldo Becker sich weiter fallen ließ, somit das Mittelfeld vor der Abwehr verdichtete und die Räume insgesamt enger machte. Im ersten Durchgang fiel Real nicht allzu viel ein, die Blancos wurden nur nach Flanken auf Joselu gefährlich. Auf der anderen Seite ging das Mittel, Becker in Laufduelle mit dem langsameren Nacho zu schicken, nicht wirklich auf. Entweder weil David Alaba zuverlässig einrückte oder der Nationalspieler Surinames keinen Abnehmer im Zentrum fand.
Der Spielbericht
“Die ersten 30 Minuten empfand ich als sehr ausgeglichen. Wir waren sehr diszipliniert, die Mannschaft hat sehr erwachsen gespielt”, lobte Trainer Urs Fischer, der gleichzeitig aber auch monierte: “Dann schlichen sich kleine Fehler ein, wir hatten kaum Entlastung. Das zog sich in der zweiten Hälfte dann so durch.” Union agierte zu hektisch, gab nach einem Ballgewinn das Spielgerät zu schnell wieder her. Ein altbekanntes Problem, das nicht erst seit dieser Spielzeit besteht. Behrens: “Insgesamt hätten wir als Mannschaft mehr Ruhe am Ball haben, eine klarere Lösung finden müssen. Wir sind nicht in unser Umschaltspiel gekommen, das müssen wir uns ankreiden.”
Real Madrid, das jederzeit die nötige Ruhe bewahrte, spielte dagegen seine ganze individuelle Klasse aus, hätte die Begegnung schon frühzeitig entscheiden können. Aber der seit einiger Zeit prächtig aufgelegte Keeper Frederik Rönnow konnte erst in der Nachspielzeit durch ein Ping-Pong-Tor überwunden werden. “Darauf können wir aufbauen. Wir wissen, was wir zu verbessern haben, das kann uns Mut geben für die Bundesliga”, betonte Behrens, der mit seinen Mitspielern am Samstag auf die TSG Hoffenheim trifft.
Keine leichte Aufgabe, da die Kraichgauer einen ordentlichen Saisonstart erwischt haben und die Hauptstädter ihren Akku nach diesem Kraftakt erst einmal wieder aufladen müssen. “Wir müssen nun bestmöglich regenerieren”, sagte Fischer. Ein Satz, der nahezu jede Woche fällt. Aber eben auch den Nagel auf den Kopf trifft. Denn Union kann seinen speziellen, aufwendigen Spielstil nur durchziehen, wenn alle Spieler bei nahezu hundertprozentiger Fitness stehen.
Wenn das eben nicht gegeben ist und sich kleinste Konzentrationsfehler einschleichen – wie beispielsweise gegen Wolfsburg (1:2) und Leipzig (0:3) – wird es in jedem Wettbewerb schwer, Punkte einzuheimsen oder eine Runde weiterzukommen. Denn bis dato ist es ersichtlich, dass die Hauptstädter zu sehr auf ihre Defensivstärke, die Standards und das Umschaltspiel angewiesen sind. Natürlich mussten die Köpenicker jüngst drei mehr als knifflige Aufgaben bestehen, aber dennoch müssen sie nun aufpassen, dass sie nicht in eine Abwärtsspirale geraten. Denn dieser wieder zu entfliehen – gerade bei einer bis mindestens Mitte Dezember anstehenden Doppel- oder Dreifachbelastung – dürfte irrsinnig schwer werden.