“Das schafft man nur gemeinsam”: Der nächste Höhepunkt des gelebten Widerspruchs

Leiden, Lust und Leidenschaft: Borussia Dortmund gewinnt auch das Rückspiel bei Paris St. Germain und feiert in einer verrückten Saison den nächsten Höhepunkt – es soll nicht der letzte sein.

Die Dortmunder pushten sich gegenseitig zum Sieg in Paris.

Die Dortmunder pushten sich gegenseitig zum Sieg in Paris.

IMAGO/Moritz Müller

Aus Paris berichten Matthias Dersch und Patrick Kleinmann

Die Zeit, dieses merkwürdig subjektive Etwas, sie wollte einfach nicht schneller vergehen. Alle 90 Sekunden habe er den Blick in der zweiten Halbzeit gefühlt in Richtung der Anzeigetafel gerichtet, gestand Marcel Sabitzer nach Schlusspfiff, alleine die Spanne zwischen der 70. und 80. Minute sei ihm vorgekommen wie eine halbe Stunde: “Der Schlusspfiff war dann erleichternd.”

CHAMPIONS LEAGUE, HALBFINALE

Ein Sieg im Halbfinale der Champions League ist kein Sonntagsspaziergang im Sonnenschein, sondern immer eine Melange aus Leiden, Lust und Leidenschaft, aus Widerstand, Willen und Wagen. Das ist in Dortmund längst Teil der Vereins-Geschichte, ja der Klub-DNA. So wie Jürgen Kohler im Rückspiel 1997 bei Manchester United mehrfach auf der Linie klärte und sich den Ritterschlag “Fußballgott” ergrätschte oder wie Roman Weidenfeller 2013 im Madrider Bernabeu das Spiel seines Lebens machte und entscheidend mithalf, den 4:1-Sieg des Hinspiels mit letzter Kraft über die Runden zu retten.

Aluminium wie gutes Karma

2024 wurden vergangene Woche in Dortmund und am Dienstag in Paris neue Geschichten geschrieben, auch sie voller Emotionen. Der überragende Abwehr-Block der beiden Innenverteidiger Mats Hummels und Nico Schlotterbeck, der unermüdliche Einsatz der Offensivkräfte, die im Verlauf des Spiels immer seltener in ihre Kern-Arbeitszone jenseits der Mittellinie kamen, die Aluminium-Umrandung des Tores auf der Südwest-Seite des Parc des Princes, die der aufopferungsvollen Dortmunder Defensive nach der Pause wie gutes Karma gleich viermal zu Hilfe kam, um auch in Frankreich ohne Gegentor zu bleiben.

Champions League überstrahlt Liga-Auftritte

Es sind Geschichten, die bleiben, die auf ewig in schwarz-gelber Schrift niedergeschrieben sind, als Texte in Chroniken und vielleicht in Tattoo-Tinte auf dem ein oder anderen Oberarm. Und sie überstrahlen die andere Seite der Saison, die auf nationaler Bühne enttäuschend verlief. Borussia Dortmund nicht unter den ersten vier Teams der Bundesliga, aber eine der beiden besten Mannschaften Europas – alleine dieser vermeintliche, aber gelebte Widerspruch spiegelt diese verrückte Saison mit ihren Höhen und Tiefen.

Dortmunder Jubel und Sebastian Kehl mittendrin

Dortmunder Jubel und Sebastian Kehl mittendrin.
IMAGO/Ulrich Hufnagel

“Wir haben in dieser Saison als Team und als Verein häufig auf die Nuss bekommen”, blickte Sportdirektor Sebastian Kehl zurück und verband das mit einem “großen Lob” für seine Mannschaft: “Das war eine großartige Leistung und so etwas schafft man nur gemeinsam. Das, was sich die Jungs gerade in diesem Wettbewerb erarbeitet haben, hat jeglichen Respekt verdient.”

“Wenn alle Rädchen zusammengreifen”

Am Dienstag in diesem Charakter-Spiel bewies die Mannschaft erneut, was in ihr steckt, wenn alle Rädchen zusammengreifen. Wenn das individuelle Können der Spieler mit einer mannschaftlichen Geschlossenheit als Team und einer ausgeklügelten Taktik verbunden sind. Dann gelingt es sogar, eine für Hunderte von Millionen Euro zusammengekaufte Offensive zum zweiten Mal innerhalb von einer Woche so zu beackern und zu nerven, dass sie kein Tor erzielt und auf dem Weg die Lust am eigenen Fußball verliert.

Die Diskrepanz zwischen einigen Liga-Auftritten und der nun auf ein 13. Spiel verlängerten Gala-Tournee durch Europa wird ein Thema der Saison-Analyse sein und muss Rückschlüsse für die nächste Spielzeit liefern. Aber sie ist kein Thema für die rauschenden Abende unter der Woche, die den BVB nun über Paris, Newcastle, Mailand, Eindhoven, Madrid und erneut Paris zum Finale nach London führen.

Dort wird am 1. Juni das dritte Champions-League-Finale mit Dortmunder Beteiligung stattfinden, nach dem Sieg gegen Juventus Turin 1997 und der bitteren Niederlage 2013 gegen den FC Bayern. Und auch wenn der BVB – egal ob erneut gegen München oder gegen Real Madrid – auf dem Papier wie schon gegen PSG in der Außenseiterrolle in das Spiel gehen wird, die Chancen auf den zweiten Triumph 27 Jahre nach dem ersten sind gut.

Dortmunder CL-Endspiele

Kehl war erstaunlich entspannt

Das Zutrauen in dieses Team scheint inzwischen grenzenlos. Er sei sich rund um die 80. Minute sicher gewesen, dass “da kein Tor mehr fällt”, verriet Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach Schlusspfiff und Kehl konstatierte, dass er für ein Halbfinale auf der Bank erstaunlich entspannt gewesen sei.

Es ist alles bereitet für einen weiteren Abend mit großen Geschichten.

BVB räumt auch finanziell ab – und es winkt noch ein zweites Finale

Welch Goldgrube die Champions League ist, merkt gerade auch der BVB. Bei einem Finalsieg wäre noch einiges mehr drin.

Auch seine Weiterverpflichtung ist durch den Einzug ins Champions-League-Finale womöglich wahrscheinlicher geworden: Jadon Sancho.

Auch seine Weiterverpflichtung ist durch den Einzug ins Champions-League-Finale womöglich wahrscheinlicher geworden: Jadon Sancho.

IMAGO/Shutterstock

Bis vor kurzem mussten Borussia Dortmunds Verantwortliche noch fürchten, dass ihr Budget vor der neuen Saison stark eingeschränkt sein würde. Doch nun können sie sich vor Millionen-Einnahmen kaum noch retten: Die Qualifikation für die “neue”, noch lukrativere Champions League ist auch als Tabellenfünfter der Bundesliga bereits sicher, und der diesjährige Lauf im wichtigsten Europapokal will einfach nicht enden.

Durch den nächsten 1:0-Sieg gegen Paris Saint-Germain hat der BVB schon jetzt mehr als 100 Millionen Euro sicher – und es ist noch mehr drin. Auf vier Säulen beruhen in dieser Saison letztmals die Gelder, die die UEFA an die Champions-League-Teilnehmer ausschüttet:

Startgeld: Der BVB erhielt wie die anderen 31 Klubs, die es in die Gruppenphase schafften, 15,64 Millionen Euro.

Koeffizienten-Rangliste: Für seinen UEFA-Koeffizienten zu Saisonbeginn, der nach dem Europapokal-Abschneiden in den vorangegangen fünf Jahren berechnet wird, strich Dortmund fixe 27,29 Millionen Euro ein.

Erfolgsabhängige Prämien: Drei Siege und zwei Remis in der Gruppenphase brachten dem BVB insgesamt 10,26 Millionen Euro ein, der Einzug ins Achtelfinale wurde mit 9,6 Millionen Euro belohnt, der ins Viertelfinale mit 10,6 Millionen Euro, der ins Halbfinale mit weiteren 12,5 Millionen Euro und der ins Finale noch einmal mit 15,5 Millionen Euro. Macht zusammen 58,46 Millionen Euro.

Marktpool: Gemäß dem jeweiligen Wert des nationalen Fernsehmarktes schüttet die UEFA anteilig insgesamt 300,3 Millionen Euro aus. Je relevanter ein TV-Markt ist, desto mehr Geld erhält ein Klub dieses Landes, wobei auch eine Rolle spielt, wie sich dieser für die Champions League qualifiziert hat, wie viele Teams ein Verband stellt und wie weit diese kommen. Was die Dortmunder über den Marktpool einnehmen, wird daher erst am Saisonende feststehen. In der vergangenen Saison hatten sie 13,8 Millionen Euro verdient, obwohl sie bereits im Achtelfinale am FC Chelsea gescheitert waren (1:0/0:2).

Inter hatte als Finalist 2022/23 nur das fünftmeiste Geld erhalten

Die Gelder aus Startgeld, Koeffizienten-Rangliste und Prämien ergeben zusammen bereits 101,39 Millionen Euro, zu denen noch die Marktpool-Millionen und Einnahmen aus sechs Heimspielen kommen. Gewinnt der BVB am 1. Juni das Finale in Wembley, streicht er zwar “nur” weitere 4,5 Millionen Euro ein, qualifiziert sich aber für ein weiteres lukratives Finale: den UEFA-Supercup gegen den Europa-League-Sieger. Auch hier ist ein deutsches Duell – gegen Bayer 04 Leverkusen – möglich.

Im Vorjahr hatte Champions-League-Sieger Manchester City aus den vier Säulen 134,94 Millionen Euro generiert, der BVB 73,54 Millionen Euro. Das Beispiel Inter Mailand zeigt allerdings, dass eine starke Saison sich nicht zwingend 1:1 in der Geld-Rangliste abbilden lässt: Der Vorjahresfinalist war mit 101,29 Millionen Euro dort hinter ManCity, Real Madrid, dem FC Bayern und PSG nur Fünfter geworden, weil die anderen, früher ausgeschiedenen Klubs in den Bereichen Marktpool, Koeffizient und auch Gruppenphasen-Prämien stärker abschnitten. Zur neuen Saison werden vergangene Erfolge weniger wichtig.

Die Maurer der Gelben Wand

Borussia Dortmund steht im Champions-League-Finale – und sie haben einen großen Anteil daran: Mats Hummels und Nico Schlotterbeck überragen beim 1:0-Sieg in Paris. Die Innenverteidiger sind die Maurer der Gelben Wand.

Nico Schlotterbeck (li.) und Mats Hummels überragten in Paris.

Nico Schlotterbeck (li.) und Mats Hummels überragten in Paris.

IMAGO/Steinbrenner

Aus Paris berichten Matthias Dersch und Patrick Kleinmann

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass die Fans eines Vereins das Markenzeichen des Gegners als Teil ihrer Choreo verwenden. Doch der Respekt der PSG-Fans vor Borussia Dortmund ist groß. Beim Hinspiel gedachten sie durch ein Banner an einen vor einigen Monaten verstorbenen BVB-Fan. Beim Rückspiel nun gehörte ein großes gelbes Tuch zu ihrer Inszenierung vor dem Anpfiff, das die Gelbe Wand symbolisieren sollte.

Diese Wand allerdings, auf der in der Mitte das BVB-Logo abgebildet war, hatte ein paar Löcher, durch die die PSG-Ultras Bengalos in die Luft hielten. Kurz darauf rauschte sogar der PSG-Bus – ebenfalls in Form eines Banners – mitten durch die Mauer. Doch das entpuppte sich an diesem aus Dortmunder Sicht denkwürdigen Dienstagabend in Paris als Wunschdenken. Die Gelbe Wand hielt – und ihre Maurer waren allen voran die erneut überragenden Innenverteidiger Mats Hummels und Nico Schlotterbeck.

Es wird langsam voll im Hause Hummels

Bereits beim ebenfalls mit 1:0 gewonnen Hinspiel hatte das Duo mit einer starken Leistung überzeugt, weil es ihnen im Verbund mit Keeper Gregor Kobel sowie ihren Neben- und Vorderleuten gelang, die so prominent besetzte PSG-Offensive um Superstar Kylian Mbappé und den Ex-Borussen Ousmane Dembelé über weite Strecke kalt zu stellen. Sechs Tage später nun wiederholten sie dieses Kunststück – auch wenn in einigen Szenen etwas Glück im Spiel war, traf Paris doch viermal Aluminium.

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BVB im Finale! Führt an Hummels und Schlotterbeck ein Weg vorbei?

14:34 Minuten

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Beide erhielten dafür die kicker-Note 1,0. Hummels verdiente sich außerdem die Auszeichnung des Spieler des Spiels. Weil er nicht nur in Weltklasse-Manier verteidigte, sondern auch noch das Tor des Tages nach einer Ecke von Julian Brandt erzielte und damit die Tür ins Finale in London endgültig ganz weit aufstieß für den BVB.

“Mats stand in allen Spielen in der Champions League auf dem Platz. Das zeigt, wie wichtig er für uns ist. Er hat heute ein tolles Spiel gemacht im gesamten Verbund”, lobte BVB-Trainer Edin Terzic den Innenverteidiger, der auch von der UEFA den kleinen Pokal für den “Man of the match” erhielt – zum bereits vierten Mal in dieser Saison. “Es wird langsam voll zuhause”, kommentierte Hummels diese Pokalschwemme bei Amazon Prime. Für einen aber hätte er sicher noch Platz: den Henkelpott. Den der fehlt dem hochdekorierten Weltmeister von 2014, bei dem noch unklar ist, ob er seine Karriere über den Sommer hinaus weiterführt, noch in der Sammlung.

“Es ist außergewöhnlich, zweimal gegen Paris zu Null zu spielen”

Während der 35-jährige Hummels im Herbst seiner Profi-Laufbahn angekommen ist, steht Schlotterbeck mit seinen 24 Jahren noch vergleichsweise am Anfang. In Paris aber spielte er – wie über weite Strecken der gesamten Champions-League-Saison – ebenfalls wie ein Routinier. “Ich spüre viel Druck”, sagte Schlotterbeck nach der Partie. “Ich weiß, ich muss liefern.”

Und das tut er an der Seite von Hummels seit Monaten in konstant starker Form. Auch in Paris wieder gewann er seine Zweikämpfe, grätschte er Angriffe weg und blockte Schüsse. Dass er dennoch noch Kraft hatte, in der Nachspielzeit zu einem 60 Meter Sprint Richtung gegnerischer Eckfahne anzusetzen, um Zeit von der Uhr zu nehmen, war die eigentliche Überraschung.

“Es ist außergewöhnlich, zweimal zu Null zu spielen gegen Paris. Natürlich brauchst du Glück, natürlich hätten wir auch zwei, drei Dinger kassieren können. Aber ich glaube, dass es im Verbund eine Topleistung in der Defensive war”, bilanzierte der frühere Freiburger, dem sein Nebenmann Hummels bereits vor dem Spiel attestiert hatte, dass er Fußball-Deutschland noch ganz viel Spaß bereiten werde.

Nagelsmann dürfte an Schlotterbeck nur schwer vorbeikommen

Wo man bei der Frage wäre, wieviel Spaß Schlotterbeck – und vielleicht ja auch Hummels – bereits diesen Sommer Deutschland bringen könnten. Beide Dortmunder Innenverteidiger waren ja zuletzt nicht berücksichtigt worden von Bundestrainer Julian Nagelsmann. Mit Verweis auf das “Momentum” und seine Rollendefinition hatte er dem BVB-Duo im März Stuttgarts Waldemar Anton und Frankfurts Robin Koch vorgezogen.

Mit dem Momentum allerdings dürfte es jetzt, so unmittelbar vor der Heim-EM, schwer sein zu argumentieren, wenn man berücksichtigt, wie stark die Champions-League-Finalisten Schlotterbeck und Hummels als die Maurer der Gelben Wand auf dem allerhöchsten internationalen Level ablieferten.

Zumindest an Schlotterbeck dürfte Nagelsmann nur schwer vorbeikommen. “Wenn Schlotti mitdarf, dann würde es mich sehr für ihn freuen”, sagte Hummels selbstlos vor Paris. “Es wäre eine tolle Bestätigung.” Dass der frühere Freiburger geeignet sei, daran lässt sein elf Jahre älterer Kollegen ohnehin keinen Zweifel aufkommen: “Er ist ein großartiger Verteidiger, ein Anführer. Und er hat die nötige Einstellung.” Nur eins, das müsse er noch verbessern: seinen Offensivkopfball. Wie man das macht, konnte sich Schlotterbeck in Paris bei Hummels aus nächster Nähe abschauen.

Diver über Kabinentisch und ein letzter Sprint: Dortmunds gestillte Sehnsucht

Ungläubige Blicke, wilde Umarmungen und der Diver über den nassen Kabinentisch: Borussia Dortmund feiert in Paris mit seinen Fans eine ausgelassene Party – und träumt vom ganz großen Triumph.

Bereit für die große Party: Noch in Paris feiern die Spieler von Borussia Dortmund ausgelassen den Einzug ins Champions-League-Finale.

Bereit für die große Party: Noch in Paris feiern die Spieler von Borussia Dortmund ausgelassen den Einzug ins Champions-League-Finale.

IMAGO/Jan Huebner

Aus Paris berichten Matthias Dersch und Patrick Kleinmann

Ungläubig blickt Marco Reus am späten Dienstagabend in das weite Rund des Pariser Prinzenpark-Stadions, die Hände auf die Wangen gelegt und den Mund offenstehend. Ist das wirklich passiert, scheint sich der Routinier, der den BVB im Sommer nach zwölf Jahren als Profi verlassen wird, in diesem Moment zu fragen. Kann das wirklich sein? Ja, es kann! Borussia Dortmund steht nach dem 1:0-Sieg bei Paris Saint-Germain im Finale der Champions League. Für den Klub ist das ein immenser Erfolg, elf Jahre nach dem bislang letzten Finaleinzug im Jahr 2013. Für Reus die Möglichkeit, seine Karriere mit dem größten Titel zu krönen, den der Vereinsfußball derzeit zu bieten hat.

Es ist auch der Moment von Edin Terzic

In den Minuten nach dem Schlusspfiff realisiert der 34-Jährige langsam, dass aus dem Traum Realität werden könnte, dass der Titel nur noch einen Sieg entfernt ist. Er legt seine Zurückhaltung ab – zumindest teilweise – und klettert zum Vorsänger auf die Tribüne. Die Humba stimmt er zwar nicht selbst an, aber er ist mittendrin in der schwarz-gelben Partygesellschaft, die keinen Unterschied mehr macht zwischen Spielern, Betreuern, Trainern und Fans. Es wird einfach nur gefeiert, umarmt, geherzt und gestrahlt.

Chmpions League, Halbfinale

Wenig später bekommt das auch Edin Terzic zu spüren, Dortmunds noch immer junger Trainer. Der 41-Jährige, unweit von Dortmund in Menden geboren und mit dem Klub sozialisiert, hat schwere Monate hinter sich. Die Kritik an ihm war laut, manchmal gar ätzend, weil es in der Liga nicht lief wie gewünscht. Doch jetzt, wie er so da steht, inmitten einer Traube aus völlig von den eigenen Gefühlen überwältigten Männern, ist er in der langen Historie des Klubs erst der dritte Trainer nach Ottmar Hitzfeld 1997 und Jürgen Klopp 2013, der den BVB ins Champions-League-Finale geführt hat.

Es ist auch sein Moment, in den Minuten nach dem Abpfiff. Das sieht man ihm an, wenn man ihn beobachtet, wie er nach dem Schlusspfiff seine Assistenten Sebastian Geppert, Nuri Sahin und Sven Bender umarmt. Wie er im Block bei den Fans steht. Wie er Mateu Morey, den so oft verletzten und für die Königsklasse deshalb gar nicht gemeldeten Rechtsverteidiger, herzt, nachdem der Spanier Zugang zum Innenraum bekommen hat. Und das hört man Terzic an in den zahlreichen Interviews, die er nach dem Spiel gibt.

“Niklas, du bist mein bester Freund!”

Nahezu jeder einzelne aus dem Dortmunder Tross hat seinen eigenen, ganz speziellen Moment an diesem Abend des 7. Mai 2024. Selbst der Busfahrer, der mit nacktem Oberkörper in der Kabine über einen nassen Tisch rutscht und dafür laut bejubelt wird. Klar, dass auch Alexander Meyer, das Feierbiest im BVB-Kader, sich nicht lumpen lässt und ebenfalls eine Rutschpartie abliefert. Man sieht das auf kurzen Videos, die die Spieler in den Sozialen Medien veröffentlichen. Euphorisiert und ohne Filter im Kopf, weil sie einfach nur raus muss, die ungekünstelte Freude.

Wie bei Marius Wolf, der sogar aus dem Mannschaftsbus live bei Instagram sendet, wie er und etliche Mitspieler laut grölend “Freed From Desire” schmettern, jenen Eurodance-Song aus dem Jahr 1996, der seit einigen Jahren in europäischen Fußballstadien zum Standardrepertoire der Fans gehört. “Niklas”, sagt Wolf schließlich zu seinen Nebenmann Niklas Süle, “du bist mein bester Freund!” Und der Eindruck drängt sich auf, dass der Innenverteidiger vermutlich nicht der Einzige ist, der das in der folgenden Nacht von Wolf hört. So glückselig wirkt der Rechtsverteidiger, der in seiner Karriere schon so manche Höhen und Tiefen erlebt hat – aber noch nie ein Champions-League-Finale.

Was Wolf und Co. nur aus der Ferne über die Sozialen Medien mitbekommen, das ist, was sich in der Heimat abspielt. Denn in Dortmund herrscht bereits unmittelbar nach dem Schlusspfiff der Ausnahmezustand – im positiven Sinne. Um den Borsigplatz schlängelt sich ein Autokorso, auf dem Alten Markt werden Bengalos gezündet, auf dem Königswall hupen Fans in ihren Autos, als habe ihr Team bereits den Titel gewonnen. Sie und ihr Team eint in diesem Moment die lange nicht gestillte Sehnsucht nach ehrlicher und unbeschwerter Freude – in der im Falle des BVB diesmal auch eine nicht unerhebliche Prise Erleichterung steckt.

Für den BVB stand in dieser Saison viel auf dem Spiel

Viel stand in dieser Saison auf dem Spiel, nachdem am letzten Spieltag der Vorsaison der Meistertraum geplatzt war und sich das Verhältnis zwischen dem Klub und seinen Fans merklich verkompliziert hatte. Die nationalen Wettbewerbe liefen nicht nach Wunsch, auch der Start in der Champions League missglückte mit einem 0:2 in Paris. Rund um Weihnachten herum drohte die Stimmung schließlich vollends zu kippen, die ersten Untergangsszenarien wurden da bereits entworfen: Was, wenn der Klub die Champions League verpassen würde? Würde Dortmund im Jahr des angekündigten Rückzuges von Klubboss Hans-Joachim Watzke ein schleichender Niedergang drohen?

Dortmunds Final-Einzug

Man muss diesen Kontext kennen, um zu verstehen, warum die Stimmung nach dem Sieg in Paris so befreit ist, wie sie ist, und warum etliche Spieler – darunter der überragende Nico Schlotterbeck und Marcel Sabitzer, Held des 4:2-Erfolgs im Viertelfinale gegen Atletico – um 23.22 Uhr noch einmal aus der Kabine auf den Rasen stürmen und einen letzten Sprint in die Kurve mit den 2000 mitgereisten BVB-Fans ansetzen. Die Antwort ist simpel: Weil das lange Leiden ein Ende hat. Zumindest bis zum 1. Juni, dem Tag des Finals.

Aus Dortmunds Team ist eine Mannschaft geworden

Denn Dortmund steht nicht nur im Endspiel. Der BVB hat sich auch für die nächste Champions-League-Saison qualifiziert – und für die Klub-WM. Weil die oft kritisierten Spieler in den entscheidenden Momenten Mentalität und Resilienz bewiesen. Weil der oft kritisierte Trainer in den Do-or-Die-Spielen die richtigen Mittel wählte. Und weil die oft kritisierte Mannschaft in der Königsklasse nachwies, dass sie tatsächlich eine Mannschaft ist.

Es ist nicht mehr nur Julian Ryerson, der selbstlos seinen Dienst verrichtet. Es sind inzwischen auch die Offensiven Niklas Füllkrug, Jadon Sancho und Karim Adeyemi, die die Extrameter gehen, während der Laden hinten von Gregor Kobel und seinen international extrem starken Innenverteidigern Mats Hummels und Schlotterbeck zusammengehalten wird.

Wunschgegner? Eigentlich egal

Doch natürlich ist der Weg noch nicht zu Ende, wird es eine Herausforderung, vier Wochen lang die Spannung hochzuhalten, um im Finale noch einmal über sich hinauszuwachsen. Gegen den FC Bayern oder Real Madrid, je nachdem, wer sich im zweiten Halbfinale am Mittwoch durchsetzt.

Fragt man die Spieler am Dienstagabend nach ihrem Wunschgegner, fällt die Antwort immer ähnlich aus: Man sei ja schon ein wenig patriotisch, also gerne die Bayern – aber eigentlich sei es auch egal. Der BVB schaut an diesem Abend nicht auf andere. Er schaut nur auf sich – und träumt weiter von dem, was in dieser Saison noch möglich ist. Und nicht nur Reus realisiert: Das ist eine ganze Menge!

“Die Bayern würden mir gefallen”: Kehl spricht von offener Rechnung

Borussia Dortmund träumt vom ersten Champions-League-Titel seit 1997 – und Sebastian Kehl singt ein Loblied aufs Team. Doch nicht nur das: Der BVB-Sportdirektor hat auch das helfende Gehäuse nicht vergessen, genauso wenig wie das 2013 verlorene Finale gegen Bayern München.

Stolzer BVB-Sportdirektor nach dem Champions-League-Finaleinzug gegen Paris Saint-Germain: Sebastian Kehl.

Stolzer BVB-Sportdirektor nach dem Champions-League-Finaleinzug gegen Paris Saint-Germain: Sebastian Kehl.

IMAGO/RHR-Foto

“Beide Spiele waren unfassbar!” Sebastian Kehl kam nach dem 1:0 in Paris, dem zweiten gewonnenen Champions-League-Halbfinalspiel binnen einer Woche, aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.

Der Dortmunder Sportdirektor gab dabei auch Einblicke in seine Gefühlswelt und die Dortmunder Kabine nach diesem Coup: “Es braucht einen Moment, um zu realisieren, dass wir sie erneut geschlagen haben und nun wieder nach Wembley fahren. Wir hatten PSG richtig im Griff und hatten auch heute den richtigen Matchplan.” Was Kehl vor allem lobte, war die Einstellung der Mannschaft – wie diese von Anfang an dieses Rückspiel gegangen war: “Ich konnte das Feuer sehen, alle waren bereit, um alles rauszuhauen.”

Der verdiente Lohn war das abermalige Weiterkommen und der erstmalige Champions-League-Finaleinzug seit 2013 (1:2 gegen Bayern damals ebenfalls im Londoner Wembley-Stadion). Dieser Umstand wurde vom jetzigen Team um Torschütze Mats Hummels oder der scheidenden Vereinslegende Marco Reus gebührend gefeiert laut Kehl: “Es war in der Kabine grad die Hölle los – laute Musik, Alkohol, gute Stimmung; all das, was sich die Jungs jetzt verdient haben.”

“Viel besser kann man es kaum machen”

Der BVB-Sportdirektor schmückte sein Loblied in der Folge noch weiter aus, ohne dabei aber zu vergessen, dass auch das im Prinzenpark stehende Gehäuse – PSG hatte zwei Pfosten- und zwei Lattentreffer verbucht – seinen Anteil am Weiterkommen gehabt hatte: “Wir wollten das Tor abbauen und es mit nach Dortmund nehmen, vielleicht brauchen wir es in London nochmal am 1. Juni. Aber das Glück muss man sich erarbeiten, das haben mir meine Eltern auch beigebracht.”

Insgesamt hatte Kehl nicht das Gefühl, dass nach der Führung fürs eigene Team noch viel für die Pariser um den weitestgehend abgemeldeten Kylian Mbappé gehen würde: “Das hat jeglichen Respekt und Hochachtung verdient, auch für das Trainerteam. Viel besser kann man es kaum machen, dass wir Paris jetzt geschlagen haben – eine Mannschaft, die Hunderte Millionen in die Hand genommen hat, um diesen Titel zu gewinnen. Und wir stehen jetzt in Wembley.” Und weiter: “Wir wollen aber auch diesen letzten Schritt unbedingt noch gehen. Natürlich genießen wir den Moment, wir werden ein bisschen feiern und das eine oder andere Gläschen Rotwein trinken – vielleicht kommt auch eine Zigarre raus. Wir werden aber auch ein bisschen was aufheben für das, was am 1. Juni in London kommt.”

Real oder Bayern? “Wir werden auf der Couch liegen”

Dass diese Spielzeit, die auch Tiefen gehabt hat, überhaupt so lange gehen würde, ist für Kehl die Bestätigung aller hart arbeitenden Menschen im westfälischen Klub: “Wir haben diese Saison häufig auf die Nuss bekommen – als Team, als Verein. Aber am Ende würde ich die Jungs auch gern mal in den Fokus stellen und sagen: ‘Hey, großartige Leistung!’ Das schafft man nämlich nur gemeinsam – und das ist am Ende Borussia Dortmund.”

Nur was kommt nun am großen Finaltag? Folgt ein Wiedersehen in London mit dem FC Bayern oder ein Duell mit Rekordsieger Real Madrid? Kehls Meinung: “Die Bayern würden mir gefallen, weil ich irgendwie das Gefühl habe: Wir haben noch eine Rechnung offen. Und vielleicht können wir die von 2013 ein Stück weit begleichen. Für das Spiel (das Rückspiel der Münchner in Madrid nach dem 2:2 im Hinspiel; Anm. d. Red.) sind wir aber zum Glück nicht verantwortlich, wir werden auf der Couch liegen und uns das anschauen. Trotzdem wäre es für den deutschen Fußball großartig, wenn diese Mannschaften wieder im Finale stünden. Ein paar ganz geile Geschichten könnten geschrieben werden, in dann hoffentlich anderer Reihenfolge …”

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Die Geschichte hinter Hummels’ Siegtor

Mit seinem ersten Champions-League-Tor für den BVB seit 2013 wurde Mats Hummels in Paris zum Matchwinner. Zufall war sein Treffer trotzdem keineswegs.

Eingenickt: Mats Hummels trifft in Paris zum Dortmunder Champions-League-Finaleinzug.

Eingenickt: Mats Hummels trifft in Paris zum Dortmunder Champions-League-Finaleinzug.

picture alliance / Sipa USA

An dem Abend, an dem Mats Hummels zum letzten Mal ein Champions-League-Tor für Borussia Dortmund erzielte, wechselte Jürgen Klopp Moritz Leitner und Julian Schieber ein. Es ist also verdammt lange her. Kurz vor Schluss hatte der damals 24-jährige Innenverteidiger dem BVB im Achtelfinal-Hinspiel der Saison 2012/13 bei Schachtar Donezk nach einer Ecke per Kopf ein 2:2 gerettet.

Es war also noch so ein Kreis, der sich am Dienstagabend schloss, als die Dortmunder gegen Paris Saint-Germain erstmals seit jener Saison das Champions-League-Finale erreichten, das wieder in Wembley stattfindet. Plötzlich traf Hummels wieder per Kopf, als es darauf ankam. Doch so plötzlich war das für die Beteiligten gar nicht.

Brandt erinnert ans Hinspiel – Hummels hat eine Vorahnung

“Wir hatten uns viele Szenen gegen Paris angeschaut, das war schon gewollt”, berichtete Julian Brandt, der Hummels den 1:0-Siegtreffer mit seiner Ecke serviert hatte. “Es war klar, dass Mats auf den zweiten geht, weil da sehr, sehr viel Raum war. Wir haben uns viel damit beschäftigt. Wir hatten im Hinspiel eine ähnliche Situation mit einem seitlichen Freistoß.” Damals hatte Ian Maatsen für Niclas Füllkrug serviert, der das 2:0 verpasste (66.).

Auch Hummels hatte bereits eine Vorahnung. “Dadurch, wie er mich bei der Ecke davor verteidigt hat, wusste ich schon, dass ich mir den Raum wahrscheinlich holen kann”, erklärte der Routinier, der sich kurz vor seinem Kopfball Gegenspieler Lucas Beraldo mit einem kleinen, aber legitimen Schubser erfolgreich vom Leib gehalten hatte, bei Prime Video. Der 20-jährige Brasilianer vertrat Lucas Hernandez, der sich im Hinspiel einen Kreuzbandriss zugezogen hatte, und zahlte Lehrgeld.

“Er ist sehr freiwillig vor mich gegangen, aber nicht sehr körperbetont gewesen im Zweikampf”, wunderte sich Hummels, “deswegen, dachte ich mir, habe ich da vielleicht die größte Chance, frei ranzukommen. Das hat wunderbar funktioniert, Jule hat mir den schön auf den Kopf serviert.”

An jenem Februar-Abend 2013, als in Donezk noch Fußball gespielt werden konnte, hatte diese Rolle noch Marcel Schmelzer eingenommen.

Terzic gut gelaunt: “Unsere Saison ist aktuell noch nicht vorbei”

BVB hat sich “die Bundesliga-Saison anders vorgestellt” 08.05.2024

Terzic gut gelaunt: “Unsere Saison ist aktuell noch nicht vorbei”

0:57Die Bundesliga-Saison hätte sich Dortmunds Trainer Edin Terzic anders vorgestellt, das wurmt. Die Spielzeit hatte neben Tiefen aber auch Höhen – wie diese: Der BVB steht nach dem 1:0 gegen und in Paris im Finale der Königsklasse.

“Pure Dankbarkeit”: Terzic herzt im großen Jubel die Fans

Der Traum-Lauf von Borussia Dortmund hat auch in Paris bestand, der BVB steht im Finale der Champions League. Nach der großen Enttäuschung im Vorjahr erhielt der treue Anhang den Dank von Erfolgstrainer Edin Terzic, der wiederum von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in den höchsten Tönen gelobt wurde.

Gemeinsam nach Wembley: Edin Terzic konnte sich der Unterstützung des Dortmunder Anhangs sicher sein.

Gemeinsam nach Wembley: Edin Terzic konnte sich der Unterstützung des Dortmunder Anhangs sicher sein.

IMAGO/Moritz Müller

Es ist noch nicht ganz ein Jahr her, dass Borussia Dortmund einen der bittersten Nachmittage seiner jüngsten Vereinsgeschichte erlebte. Als der BVB vor heimischem Publikum den Meistertitel doch noch verspielte und die Mannschaft am Boden lag, hätte beim Revierklub wohl kaum jemand für möglich gehalten, was knapp zwölf Monate später passieren sollte. Doch seit Dienstagabend steht fest: die Schwarz-Gelben stehen im Finale der Champions League.

Der Anhang baute die Mannschaft wieder auf

“Das sind die Bilder, dafür machen wir es”, erklärte ein ergriffener Edin Terzic nach dem Spiel bei Prime Video angesprochen auf die Szenen nach dem 1:0-Sieg bei Paris St. Germain, als Mannschaft und Staff zusammen mit den gut 2500 mitgereisten Fans den Finaleinzug feierten. “Wir hatten uns gewünscht, letztes Jahr so ein ähnliches Bild zu kreieren in unserem Stadion. Nach dem Spiel sah es leider etwas anders aus – und da waren unsere Fans für uns da. Da konnten wir heute ein bisschen was zurückgeben, indem wir es geschafft haben, gemeinsam wieder nach London ins Champions-League-Finale zu fahren. Das ist pure Dankbarkeit, pure Erleichterung, pure Freude und ganz, ganz, ganz viel Stolz.”

Dass der BVB es dieses Jahr bis ins Finale schaffen kann, habe Terzic der Mannschaft vor dem Achtelfinal-Hinspiel gegen die PSV Eindhoven vermittelt. “Da waren die Gesichter noch ein bisschen verdutzt, als wir darüber gesprochen haben, wie kurz der Weg nach London ist”, gab der Trainer zu, ehe er erklärte: “Mit jedem Spiel sind wir gewachsen und irgendwann haben wir Milan geschlagen (1:3). Milan stand letztes Jahr im Halbfinale. Wenn man schon mal einen Halbfinalisten ausschaltet, der jetzt nicht so viele Transfers getätigt hat, dann kann es für uns ja auch klappen. Es gibt immer wieder eine Mannschaft, die es schafft, ins Viertel- oder Halbfinale einzuziehen, bei der man es vielleicht nicht auf dem Schirm hatte. Und diese Mannschaft wollten wir dieses Jahr sein. Und der Weg war unglaublich.”

Watzke: “Was willst du mehr machen in zweieinhalb Jahren?”

Nach dem Überstehen der vermeintlichen “Todesgruppe” um Milan, PSG und das ebenfalls neureiche Newcastle – wohlgemerkt als Gruppen-Erster – schalteten die Dortmunder die PSV, anschließend Atletico Madrid und nun PSG aus. “Es ist unglaublich, was Edin leistet”, zeigte sich Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke beeindruckt. “Letztes Jahr waren wir haarscharf vor der Meisterschaft, jetzt sind wir in Wembley im Champions-League-Finale – was willst du denn noch mehr machen in zweieinhalb Jahren?”

Im Anschluss brach er eine Lanze für den Trainer, der sich in den vergangenen Monaten auch immer wieder Kritik gegenübersah. “Wir wussten immer, was wir aneinander haben. Denn Edin ist jemand, der akribisch und extrem hart arbeitet für seinen Klub. Und am Ende wirst du auch belohnt, das ist immer mein Gefühl. Es ist ein bisschen schwieriger, mit dem BVB ins Finale zu kommen als mit Paris als Trainer, das ist völlig klar. Er hat es geschafft und das ist großartig.”

Nun sollen drei Siege folgen

In Vorbereitung auf das Finale in Wembley erwartet Watzke nun zwei Siege zum Abschluss der Bundesliga-Saison – auch aufgrund der Erinnerung an die bislang letzte Endspiel-Teilnahme vor elf Jahren, an ebenjenem Ort: “2013 haben wir das letzte Spiel zuhause gegen Hoffenheim 1:2 verloren. Eine Woche vor Wembley darfst du das Spiel nicht verlieren. Das ist überhaupt nicht möglich, wir müssen die beiden Dinger gewinnen.” Am Samstag geht es zunächst nach Mainz (18.30 Uhr), eine Woche später gegen den SV Darmstadt (18.5., 15.30 Uhr), ehe am 1. Juni (21 Uhr, LIVE! bei kicker) das Endspiel der Königsklasse stattfindet. Dann, das erklärte auch Marco Reus in aller Deutlichkeit, will der BVB die Saison veredeln.

“Jetzt müssen wir ihn holen, sonst wäre es scheiße”

Marco Reus und Mats Hummels kehren nach elf Jahren zurück nach Wembley. Für viele war die Reise eigentlich schon mit der Gruppenauslosung beendet.

Party mit den Fans: Marco Reus.

Party mit den Fans: Marco Reus.

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Paris St. Germain, AC Mailand und Newcastle United hießen die zugelosten Teams für die Gruppenphase. Eine denkbar schwere Konstellation, wie sich Marco Reus kurz nach dem Erreichen des Finals erinnert. “Damit hätte wirklich keiner gerechnet, nach der Gruppenauslosung schon gar nicht, da haben wir das erste Ausrufezeichen gesetzt”, sagte ein sichtlich emotionaler Reus bei Prime Video nach einer “unbeschreiblichen Woche“.

“Spätestens seit dem zweiten Spiel in der Gruppenphase glauben wir dran”, verriet Matchwinner Mats Hummels. Es war übrigens ein torloses Remis gegen Milan. Genauso torlos blieb PSG in 180 Minuten im Halbfinale gegen den BVB. “Wir haben heute sehr viel leiden müssen”, beschrieb Reus, der die insgesamt sechs Alu-Treffer der Pariser bereits vergessen hatte. “Ehrlich, wen interessiert das? Am Ende fragt morgen keiner mehr. Da steht nur: Borussia Dortmund steht im Finale von Wembley 2024.”

Hummels bereitete den Weg mit seinem Kopfballtreffer nach 50 Minuten. In 89 Champions-League-Spielen war es erst sein fünfter Treffer. “Deswegen ein guter Zeitpunkt, um da ein bisschen aufzustocken”, befand der Innenverteidiger.

Watzke: “Eine geile Geschichte”

Mats Hummels köpft zur Führung ein

Die Entscheidung: Mats Hummels köpft zur Führung ein.
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Für Reus und Hummels, der bald über seine Zukunft in Dortmund entscheiden möchte, schließt sich damit auch der Kreis. Das Duo gehörte schon 2013 zum Team und sie sind damit die letzten BVB-Spieler, die damals in Wembley 1:2 gegen den FC Bayern verloren.

“Ich freue mich natürlich unheimlich für Mats”, sagte Geschäftsführer Hans-Joachim  Watzke bei Prime Video. “Wir sind ja beide so irgendwie in der Endphase unserer Karrieren. Demzufolge hatten wir beide wahrscheinlich nicht mehr damit gerechnet, dass wir beide nochmal nach Wembley kommen. Und insofern ist es eine geile Geschichte, ich bin für meine Verhältnisse komplett euphorisch.”

Und jetzt? Real oder die Bayern? “Egal, wir schauen uns das morgen in Ruhe an”, sagte Reus, der schon auf den Pott schielt: “Jetzt müssen wir ihn auch holen, sonst wäre es scheiße.” Hummels macht sich gar keine großen Sorgen: “Es gibt für uns gar keinen Grund, nicht daran zu glauben, auch das Finale gewinnen zu können.”

Hummels Ansage in Richtung Mainz

Nur leider stehen noch zwei Spieltag in der Bundesliga an. “Alles Vorbereitungsspiele fürs Finale”, gibt Hummels zu. Allerdings geht es am Samstag in Mainz gegen den FSV und da ist ja noch eine Rechnung vom 34. Spieltag aus der vergangenen Saison offen, als der BVB die Meisterschaft verspielte. “Zumindest am Samstag sind wir es allen Mannschaften schuldig, dass wir mit 100 Prozent agieren”, verspricht Hummels. “Sie haben vor einem Jahr sportlich fair gekämpft, aber das gleiche dürfen sie jetzt von uns erwarten.”

Mit diesem Spirit muss sich der BVB vor niemandem verstecken

Der BVB steht zum dritten Mal im Endspiel der Champions League. Es ist ein grandioser Erfolg für die Schwarz-Gelben um Trainer Edin Terzic, die in den vergangenen Wochen durch die internationalen Erfolge wieder zu einer Einheit mit ihren Fans wurden – und sich mit diesem Spirit auch im Finale nicht verstecken müssen. Ein Kommentar von kicker-Reporter Matthias Dersch.

Karim Adeyemi mit einer BVB-Fahne im Fanblock im Pariser Prinzenparkstadion.

Karim Adeyemi mit einer BVB-Fahne im Fanblock im Pariser Prinzenparkstadion.

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Marcel Sabitzer war nicht mehr zu bremsen: Schiedsrichter Daniele Orsato hatte seinen Abpfiff noch gar nicht beendet, da stürmte der Österreicher los in Richtung des kleinen Dortmunder Blocks von 2000 mitgereisten Fans in der Ecke des Pariser Prinzenparks. Dortmund steht im Finale der Champions League. Erstmals seit 2013. Überhaupt erst zum dritten Mal in seiner Geschichte. Das musste gefeiert werden an diesem denkwürdigen Abend, an dem der BVB das ganze defensive Können zeigte, das in dieser Mannschaft steckt – und beim 1:0-Sieg dennoch auf das nötige Matchglück angewiesen war. Gleich viermal traf das PSG-Ensemble um Superstar Kylian Mbappé Latte oder Pfosten.

Terzic hat in dieser CL-Saison nahezu alles richtig gemacht

Doch das war egal in den Minuten nach dem Abpfiff, in dem Fans und Mannschaft regelrecht miteinander verschmolzen und kaum mehr auseinanderzuhalten waren. Einzig die gelben Final-Shirts, die Spieler und Verantwortlichen eilig übergezogen hatten, unterschieden sie in ihrer Freude und Euphorie noch vom völlig beseelten Anhang. Immer wieder suchten sie den Körperkontakt, sprangen wie kleine Kinder über den Rasen und vor der Kurve, schrien ihre Freude raus. Und mittendrin: Edin Terzic, der oft kritisierte Dortmunder Coach, der in dieser Champions-League-Saison mit Ausnahme des ersten Gruppenspiels gegen Paris nahezu alles richtig gemacht hatte.

Es waren Szenen, die in dieser Saison, die für den BVB so wechselhaft verlaufen war, lange Zeit nur schwer vorstellbar schienen. Umso ausgelassener genossen die Dortmunder den Moment, den sie sich vor einem Jahr noch selbst versagt hatten, weil sie im Meisterschaftsfinale gegen Mainz die Nerven verloren.

Hummels und Schlotterbeck nicht zu überwinden

Umso beeindruckender die Leistung am Dienstag in Paris. Wie bereits im Hinspiel, das ebenfalls mit 1:0 an den BVB gegangen war, wusste die von Terzic und seinem Trainerteam perfekt eingestellte Mannschaft, wie sie PSG den Zahn ziehen kann. Alle Feldspieler – Stürmer Niclas Füllkrug eingeschlossen – verteidigten so beherzt, wie man es nur tut, wenn es um eine einmalige Chance geht – und man das auch verstanden hat. Terzic hatte am Tag vor der Partie gesagt, PSG habe eine Mission, Dortmund einen Traum. Wer wollte, der konnte das am Dienstagabend sehen. Die einen hatten den Druck, gewinnen zu müssen. Die anderen wollten gewinnen. Und dafür warfen sich die Spieler mit allem, was ihr Körper hergab, in diesen Vergleich.

Sinnbildlich dafür standen auch am Dienstagabend die vor allem in dieser Champions-League-Saison so oft herausragenden Innenverteidiger Mats Hummels und Nico Schlotterbeck. Sie waren auch in Paris nicht zu überwinden, weil sie sich das nötige Glück durch harte Arbeit verdienten. Wie sie immer wieder noch das Bein oder den Körper reinstellten, den Kopf hinhielten oder ins Laufduell gingen, wenn PSG angriff, war große Verteidigungskunst. Es passte daher, dass einem von ihnen – Hummels – auch der offensive Moment des Abends gehörte.

BVB präsentierte sich reif und erwachsen

Tags zuvor hatte Hummels noch ein flammendes Plädoyer für Schlotterbeck behalten und ihm eine goldene Zukunft bescheinigt. Einzig den Offensivkopfball müsse er noch mit ihm trainieren. Warum, das zeigte er selbst in der 50. Minute, als er Brandts Ecke in den PSG-Kasten köpfte und damit das Tor zum Finale in Wembley ganz weit aufstieß.

Ein Spiel nur noch trennt den BVB nun vom ganz großen Triumph. Bei allem Fortune, das der BVB gegen Paris eben auch hatte – unverdient ist dieser Finaleinzug gewiss nicht. Vor allem in den Auswärtsspielen in Mailand, Newcastle und jetzt Paris, aber auch in den Heimspielen gegen Paris, Newcastle und Eindhoven hatte sich Dortmund reif und erwachsen präsentiert. Der 4:2-Heimsieg im Viertelfinale gegen Atletico zündete dazu den nötigen Glauben an. Weil er den BVB mit seiner jüngeren Vergangenheit versöhnte sowie aus dem Team und den Fans wieder eine Einheit machte. Unabhängig davon, ob der Endspielgegner nun wie 2013 FC Bayern heißt oder Real Madrid – verstecken muss sich der Königsklassen-BVB mit dem zuletzt gezeigten Spirit vor keinem der beiden. Auch diesen Mut haben die Schwarz-Gelben durch harte Arbeit verdient.

Welche Lehren ziehen die Dortmunder Verantwortlichen aus dieser verrückten Saison?

Spannend bleibt die Frage, welche Lehren die Dortmunder Verantwortlichen aus dieser verrückten Saison ziehen und wie sie den Kader dahingehend optimieren, dass er auch in den nationalen Wettbewerb künftig so an seine Grenzen geht wie international. In der Öffentlichkeit wird es in den nächsten Wochen nur das Thema Wembley geben, intern dagegen werden Lars Ricken, der neue Geschäftsführer Sport, und Co. weiter am neuen BVB basteln müssen. Die Champions-League-Einnahmen, vor allem aber das mit dem Finaleinzug verbundene Prestige dürfte ihnen die Arbeit ein gutes Stück einfacher machen. Und diejenigen, die diese Argumente noch nicht überzeugen, denen zeigen die Dortmunder vielleicht einfach die Jubelszenen nach dem Abpfiff in Paris, die auch um 23.30 Uhr noch immer nicht beendet waren, als der Rest des Stadions längst leergefegt war.