50 Jahre Westfalenstadion: Weidenfellers Top-3-Momente

Wallfahrtsstätte, Sehnsuchtsort, Schauplatz vieler Triumphe und Tragödien: An diesem Dienstag feiert das Dortmunder Westfalenstadion seinen 50. Geburtstag. Roman Weidenfeller, sechs Jahre jünger, erinnert sich an die besten und aufregendsten Spiele seiner Karriere.

Einer von Roman Weidenfellers größten Momenten im Westfalenstadion: der gehaltene Elfmeter gegen Arjen Robben im Jahr 2012.

Einer von Roman Weidenfellers größten Momenten im Westfalenstadion: der gehaltene Elfmeter gegen Arjen Robben im Jahr 2012.

imago sportfotodienst

Wenn man sich über die Bundestraßen 1 und 54 dem Dortmunder Stadion nähert, weisen acht Pylone den Weg zu dem ehrfürchtig auch Tempel oder Fußball-Oper genannten Bauwerk. Die gewaltigen, knallgelb angestrichenen Stahlträger ragen 62 Meter in den Himmel und setzen vor allem in den Abendstunden ein leuchtendes Ausrufezeichen in der Skyline der Ruhrgebiets-Metropole. Wegen der markanten Stahlträger erkennt man schon von weitem jene atemberaubende Konstruktion, die am 2. April 50 Jahre alt wird, in der ganzen Welt für ihr einzigartiges Fluidum bekannt ist und von Franz Beckenbauer als die “Mailänder Scala unter Deutschlands Stadien” geadelt wurde. Die angesehene englische Times feierte den Signal-Iduna-Park 2009 als “bestes und schönstes Fußballstadion der Welt” – vor dem Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand und der Heimat des FC Liverpool an der Anfield Road: “Dieser Ort ist einzig und allein für den Fußball gebaut.” Ein Mythos. Ein Ort, an dem manches Märchen geschrieben wurde. 1046 Pflichtspiele hat Borussia Dortmund hier gegen 155 verschiedene Gegner ausgetragen. 54.538.260 Fußballfans schauten zu.

Roman Weidenfeller, der mit dem BVB zweimal Deutscher Meister wurde (2011, 2012), zweimal den DFB-Pokal gewann (2012, 2017) und 2013 im Londoner Wembley-Stadion im Champions-League-Finale gegen Bayern München (1:2) stand, spielte überall, wo es laut ist und die Atmosphäre brodelt. Aber der Signal-Iduna-Park, den Ex-Präsident Dr. Reinhard Rauball einmal als das “emotionale Wahrzeichen Dortmunds” bezeichnete, übertrifft in seiner Erinnerung (fast) alles. “Wenn auf der Südtribüne nahezu 25.000 Fans begeistert auf die Mannschaft einwirken und zu Höchstleistungen pushen, ist die Stimmung gigantisch”, sagt der frühere Torwart bewundernd, “das ist allenfalls mit Anfield in Liverpool zu vergleichen.” Alle anderen Stadien, und er nennt exemplarisch Old Trafford (Manchester) und das Bernabeu (Madrid), entfalten diesen Zauber für ihn nicht.

Das Stadion wurde mehrfach umgebaut

Für Gerd Kolbe, ehemals Pressesprecher von Borussia Dortmund, Leiter der städtischen Pressestelle und noch heute als BVB-Archivar eine sprudelnde Wissensquelle, ist der Bau des Stadions “eine der größten Leistungen der Dortmunder Stadtväter”. Es glich einem Vabanquespiel, dass der Rat der Stadt sich mit 40:13 Stimmen am 4. Oktober 1971 für den Bau aussprach, obwohl Dortmund nach dem Rückzug der Stadt Köln noch keine verbindliche Zusage als nachrückender Spielort für die WM 1974 besaß. Zu allem Überfluss trudelte der BVB gerade Richtung Zweitklassigkeit und erlebte mit dem 1:11 bei Bayern München im November 1971 eine “Hinrichtung”, wie die Westfälische Rundschau gnadenlos urteilte. Erst im Februar 1972 ernannte die FIFA Dortmund zum WM-Spielort, obwohl das schon im Bau befindliche Westfalenstadion nur 54.000 Besuchern Platz bot – und nicht 60.000, wie vom Weltfußballverband gefordert.

Über mehrere Umbau- und Ausbaumaßnahmen landete das Stadion bei einer Kapazität von heute 81.365 Zuschauern. Mehr als ein Viertel – exakt 24.454 – stehen auf der Südtribüne und bilden die Gelbe Wand, die Borussia Dortmunds Bekanntheitsgrad auf allen Kontinenten begründet. Wenn Weidenfeller, der heute als “Außenbeauftragter” des Klubs viele Stunden im Flugzeug verbringt und den BVB rund um den Globus bei den verschiedensten Anlässen repräsentiert, braucht es nur weniger Worte, um die Menschen mitzunehmen: Die “yellow wall” fasziniert sie alle. Die Leidenschaft der dort stehenden Fans ist das Lebenselixier der Klubs. Dortmunds Anhänger erzeugen den Starkstrom, der das Stadion glühen lässt.

Momente für die Ewigkeit: Weidenfellers Top 3

Drei von den insgesamt 218 Begegnungen, die mit Weidenfellers Beteiligung im Signal-Iduna-Park stattfanden, drei Meilensteine seiner Laufbahn, hat die frühere Nr. 1 der Borussia wie auf einer Festplatte gespeichert. “Das waren alles richtungsweisende Spiele.” Highlight-Auftritte mit entfesselten Emotionen und dramatischen Zuspitzungen. Drei Siege, die für mehrere Leben reichen.

30. April 2011: Der vorzeitige Gewinn der Meisterschaft winkt – bei einem Sieg über Nürnberg und einem gleichzeitigen Leverkusener Ausrutscher in Köln. Nach den Toren von Barrios und Lewandowski duftet es schon nach dem Titel. Nur Köln muss jetzt noch mitspielen. Und dann schießt Novakovic den FC in der 67. Minute in Führung. Stadionsprecher Nobby Dickel brüllt den Zwischenstand, ist aber nicht zu hören, weil die Regie sein Mikrofon erst freigeben muss. “Mach mich hoch”, fleht Dickel, und als er dann endlich die Nachricht vom Kölner 1:0 verbreiten kann, wird der Lärm im Stadion ohrenbetäubend: “Deutscher Meister wird nur der BVB”. Wenig später reckt Weidenfeller die Meisterschale in den Himmel. “Damit ist für mich ein Kindheitstraum in Erinnerung gegangen.”

11. April 2012: Die Meisterschaft befindet sich in der entscheidenden Phase, als der BVB die Bayern empfängt. Der Erste gegen den Zweiten, seit der 77. Minute liegt Dortmund vorn, Torschütze Lewandowski. Dann spricht Schiedsrichter Knut Kircher den Bayern einen Elfmeter zu: Robben läuft an, der als Strafstoß-Spezialist weniger bekannte Weidenfeller taucht ins linke Eck und wehrt ab. Im Stadion explodiert die Stimmung. “Das war ein gigantisches Gefühl nach dem Elfmeter”, erinnert sich der BVB-Keeper. Es bleibt beim 1:0, ein Meilenstein auf dem Weg zur Titelverteidigung. Weidenfellers Parade befördert die Dortmunder Anhänger seelisch in himmlische Höhen.

9. April 2013: Dortmund erlebt eine heroische Houdini-Nummer. Die Borussia entreißt dem FC Malaga in den letzten Atemzügen der Partie Führung und Halbfinal-Einzug. Im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League feilen die Journalisten auf der Pressetribüne schon an ihren Kommentaren zum Ausscheiden der Borussia. Als die Nachspielzeit anbricht, ahnen die Spanier noch nichts von einer für sie grausamen Schlusspointe: Sie führen mit 2:1 (Hinspiel 0:0), als das Spiel noch eine atemberaubende Wendung nimmt: Reus (90.+1) und Felipe Santana (90.+2) schrauben den Lautstärkepegel mit ihren Treffern auf eine Rekordhöhe. “Sie haben das Stadion in ein Tollhaus verwandelt”, schwärmt Weidenfeller. Für Dortmund legt sich das Schicksal ins Zeug: Fernsehbilder entlarven Santanas Treffer als Justizirrtum. Einen VAR, der Santanas Abseitsposition erkennt, gibt es noch nicht.

Drei Spiele, an die der BVB-Ballfänger gern zurückdenkt. Ein anderes, das legendäre 4:4 gegen Schalke 04 am 24. November 2017, würde er gern noch einmal spielen. Zumindest die zweite Hälfte, um Geschehenes ungeschehen machen zu können: Dortmund warf eine 4:0-Führung weg wie wertlose Aktien. “Da”, seufzt Weidenfeller, “haben wir als Mannschaft komplett versagt.”

Thomas Hennecke