“Das schafft man nur gemeinsam”: Der nächste Höhepunkt des gelebten Widerspruchs

“Das schafft man nur gemeinsam”: Der nächste Höhepunkt des gelebten Widerspruchs

Leiden, Lust und Leidenschaft: Borussia Dortmund gewinnt auch das Rückspiel bei Paris St. Germain und feiert in einer verrückten Saison den nächsten Höhepunkt – es soll nicht der letzte sein.

Die Dortmunder pushten sich gegenseitig zum Sieg in Paris.

Die Dortmunder pushten sich gegenseitig zum Sieg in Paris.

IMAGO/Moritz Müller

Aus Paris berichten Matthias Dersch und Patrick Kleinmann

Die Zeit, dieses merkwürdig subjektive Etwas, sie wollte einfach nicht schneller vergehen. Alle 90 Sekunden habe er den Blick in der zweiten Halbzeit gefühlt in Richtung der Anzeigetafel gerichtet, gestand Marcel Sabitzer nach Schlusspfiff, alleine die Spanne zwischen der 70. und 80. Minute sei ihm vorgekommen wie eine halbe Stunde: “Der Schlusspfiff war dann erleichternd.”

CHAMPIONS LEAGUE, HALBFINALE

Ein Sieg im Halbfinale der Champions League ist kein Sonntagsspaziergang im Sonnenschein, sondern immer eine Melange aus Leiden, Lust und Leidenschaft, aus Widerstand, Willen und Wagen. Das ist in Dortmund längst Teil der Vereins-Geschichte, ja der Klub-DNA. So wie Jürgen Kohler im Rückspiel 1997 bei Manchester United mehrfach auf der Linie klärte und sich den Ritterschlag “Fußballgott” ergrätschte oder wie Roman Weidenfeller 2013 im Madrider Bernabeu das Spiel seines Lebens machte und entscheidend mithalf, den 4:1-Sieg des Hinspiels mit letzter Kraft über die Runden zu retten.

Aluminium wie gutes Karma

2024 wurden vergangene Woche in Dortmund und am Dienstag in Paris neue Geschichten geschrieben, auch sie voller Emotionen. Der überragende Abwehr-Block der beiden Innenverteidiger Mats Hummels und Nico Schlotterbeck, der unermüdliche Einsatz der Offensivkräfte, die im Verlauf des Spiels immer seltener in ihre Kern-Arbeitszone jenseits der Mittellinie kamen, die Aluminium-Umrandung des Tores auf der Südwest-Seite des Parc des Princes, die der aufopferungsvollen Dortmunder Defensive nach der Pause wie gutes Karma gleich viermal zu Hilfe kam, um auch in Frankreich ohne Gegentor zu bleiben.

Champions League überstrahlt Liga-Auftritte

Es sind Geschichten, die bleiben, die auf ewig in schwarz-gelber Schrift niedergeschrieben sind, als Texte in Chroniken und vielleicht in Tattoo-Tinte auf dem ein oder anderen Oberarm. Und sie überstrahlen die andere Seite der Saison, die auf nationaler Bühne enttäuschend verlief. Borussia Dortmund nicht unter den ersten vier Teams der Bundesliga, aber eine der beiden besten Mannschaften Europas – alleine dieser vermeintliche, aber gelebte Widerspruch spiegelt diese verrückte Saison mit ihren Höhen und Tiefen.

Dortmunder Jubel und Sebastian Kehl mittendrin

Dortmunder Jubel und Sebastian Kehl mittendrin.
IMAGO/Ulrich Hufnagel

“Wir haben in dieser Saison als Team und als Verein häufig auf die Nuss bekommen”, blickte Sportdirektor Sebastian Kehl zurück und verband das mit einem “großen Lob” für seine Mannschaft: “Das war eine großartige Leistung und so etwas schafft man nur gemeinsam. Das, was sich die Jungs gerade in diesem Wettbewerb erarbeitet haben, hat jeglichen Respekt verdient.”

“Wenn alle Rädchen zusammengreifen”

Am Dienstag in diesem Charakter-Spiel bewies die Mannschaft erneut, was in ihr steckt, wenn alle Rädchen zusammengreifen. Wenn das individuelle Können der Spieler mit einer mannschaftlichen Geschlossenheit als Team und einer ausgeklügelten Taktik verbunden sind. Dann gelingt es sogar, eine für Hunderte von Millionen Euro zusammengekaufte Offensive zum zweiten Mal innerhalb von einer Woche so zu beackern und zu nerven, dass sie kein Tor erzielt und auf dem Weg die Lust am eigenen Fußball verliert.

Die Diskrepanz zwischen einigen Liga-Auftritten und der nun auf ein 13. Spiel verlängerten Gala-Tournee durch Europa wird ein Thema der Saison-Analyse sein und muss Rückschlüsse für die nächste Spielzeit liefern. Aber sie ist kein Thema für die rauschenden Abende unter der Woche, die den BVB nun über Paris, Newcastle, Mailand, Eindhoven, Madrid und erneut Paris zum Finale nach London führen.

Dort wird am 1. Juni das dritte Champions-League-Finale mit Dortmunder Beteiligung stattfinden, nach dem Sieg gegen Juventus Turin 1997 und der bitteren Niederlage 2013 gegen den FC Bayern. Und auch wenn der BVB – egal ob erneut gegen München oder gegen Real Madrid – auf dem Papier wie schon gegen PSG in der Außenseiterrolle in das Spiel gehen wird, die Chancen auf den zweiten Triumph 27 Jahre nach dem ersten sind gut.

Dortmunder CL-Endspiele

Kehl war erstaunlich entspannt

Das Zutrauen in dieses Team scheint inzwischen grenzenlos. Er sei sich rund um die 80. Minute sicher gewesen, dass “da kein Tor mehr fällt”, verriet Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke nach Schlusspfiff und Kehl konstatierte, dass er für ein Halbfinale auf der Bank erstaunlich entspannt gewesen sei.

Es ist alles bereitet für einen weiteren Abend mit großen Geschichten.