In den vergangenen Wochen erfuhr Christian Streich viel Wertschätzung, Wärme und Liebe. Das Ende seiner beeindruckenden Erfolgsära beim SC Freiburg wurde jedoch unnötigerweise etwas getrübt. Ein Kommentar von kicker-Reporter Carsten Schröter-Lorenz.
Hinterlässt ein bestelltes Feld für Julian Schuster: Christian Streich.
In Streichs Worten war es “gewaltig”, was in den vergangenen Wochen auf ihn einströmte. Auf emotionaler Ebene. Vor allem von Freiburger Fans blies ihm förmlich ein Sturm der Liebe entgegen. Große Wertschätzung brachte ihm am letzten Arbeitstag auch Anhänger und Protagonisten von Union Berlin entgegen. Vor lauter Geschenken, Umarmungen und warmen Abschiedsworten zum Ende seiner zwölfeinhalb Jahre währenden Ära als Freiburger Cheftrainer kann man sich vorstellen, dass es nicht leicht war, den Fokus auf das Wesentliche zu richten, den sportlichen Erfolg.
Das hatte Streich zu seinem großen Ziel erklärt, als er im März seinen Schlussstrich zum Saisonende ankündigte. Er sei längst nicht “mehr in seiner Mitte”, räumte er am Donnerstag ein, und werde deshalb auch “froh sein, wenn es rum ist“.
Am Samstag war Streich aber so gar nicht nach Frohsinn zumute. Seine Mannschaft hat auch im fünften Spiel in Serie keinen Sieg geschafft, sondern verloren und damit auch die letzte Chance auf das über Wochen auf dem Silbertablett präsentierte dritte Europacup-Ticket hintereinander verspielt. Das war unnötig und selbst verschuldet.
Schlechteste Bilanz in den vergangenen fünf Jahren
In den jüngsten Heimspielen gegen Heidenheim (1:1) und Wolfsburg (1:2) ließen die SC-Profis trotz eines jeweils großen Chancenübergewichts schon wichtige Punkte für den sicheren siebten Europacup-Rang liegen, bei abstiegsgefährdeten Unionern konnten sie auch Platz 8 nicht verteidigen, der bei einem wahrscheinlichen Leverkusener Pokalsieg in die Conference League führt.
Stattdessen wurde Freiburg noch auf Rang 10 durchgereicht. Der stand auch 2021 zu Buche, die 42 Punkte sind jedoch die schwächste Freiburger Bilanz in den vergangenen fünf Jahren. In seiner acht Partien währenden Abschiedstour reicht es nur für neun Zähler. Typisch Streich, dass er in seiner großen Enttäuschung nach dem 1:2 in Köpenick die Schuld nur bei sich und nicht bei der Mannschaft suchte.
Das greift aber zu kurz. Trotz großer Verletzungsprobleme in der Abwehr – unter anderen fehlen die Stamm-Innenverteidiger Lienhart und Ginter seit vielen Wochen – gelang es Streich, seinem Stab und dem Team, die Defensive im Saisonfinale wieder zu stabilisieren, die zu Beginn des Jahres 2024 noch von Gegentoren überschwemmt worden war. Zuletzt war es die weitgehend von Blessuren verschonte Offensivabteilung, die ihre Qualität nicht mehr ausreichend für die eigenen Ziele auf den Platz brachte, besonders in puncto Chancenverwertung. Kurz vor dem Abpfiff in Berlin schliefen dann gleich mehrere Profis beim von Janik Haberer verwandelten Elfmeter-Nachschuss.
Unter dem Strich dennoch eine starke Leistung
Dennoch ist auch diese Lesart zulässig: Trotz des über die gesamte Saison hinweg massiven Verletzungspechs – etwa fiel Kapitän Christian Günter über ein halbes Jahr aus – erreichte der SC über mitreißende Play-offs gegen Champions-League-Absteiger RC Lens erneut das Achtelfinale in der Europa League. Eine starke Leistung, zumal das Streich-Team nie in den phasenweise weitgreifenden Kampf um den Ligaverbleib verstrickt war.
Wie schon seit fünf Jahren nicht mehr. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Klubs in diesem Zeitraum teilweise lange oder bis in die Relegation im Keller mitkämpfen mussten: Wolfsburg, Gladbach, Hoffenheim und auch der aktuelle Vizemeister Stuttgart.
Das ist ein großes Verdienst innerhalb dieser Erfolgsära, an deren Ende Streich ein bestelltes Feld für Nachfolger Julian Schuster hinterlässt und verdientermaßen über Wochen emotional und stilvoll als prägende Figur der Bundesliga verabschiedet wurde. Das verpatzte letzte Saisonfinale wurmt Streich und seine Spieler, hinterlässt in der Gesamtbilanz dieses Fußballlehrer aber nur eine kleine Delle.