Nach bestandener Reifeprüfung: Funktioniert Bayer auch ohne Xabi Alonso?

Im Halbfinal-Hinspiel der Europa League bei der AS Rom stellt Bayer 04 seine Reife beim hoch verdienten 2:0-Erfolg zur Schau. Auch weil Xabi Alonsos Matchplan genauso gut greift wie sein Coaching während des Spiels. Doch in Frankfurt fehlt der Trainer gesperrt. Ein Problem?

Chefcoach Xabi Alonso wird Bayer in Frankfurt fehlen.

Chefcoach Xabi Alonso wird Bayer in Frankfurt fehlen.

IMAGO/Goal Sports Images

Aus Rom berichtet Stephan von Nocks

Was sonst? Vor einem Jahr war Bayer 04 im Halbfinale der Europa League gegen die AS Rom auf bittere Art und Weise ausgeschieden. In zwei Partien war dem Team von Xabi Alonso kein Treffer gelungen. Auch weil der Werkself damals kein topfitter Mittelstürmer von Format zur Verfügung stand. So fehlte Bayer damals bei der 0:1-Hinspiel-Niederlage in Rom jegliche Strafraumpräsenz.

Und was war am Donnerstag Xabi Alonsos Konsequenz bei der Neuauflage des Duells mit der Roma? Der Baske verzichtete diesmal freiwillig auf einen Neuner von internationaler Klasse und ließ sowohl Victor Boniface als auch Patrik Schick auf der Bank.

Ein überraschender Schachzug, um die römische Defensive mit Amine Adli und dem aus dem rechten Mittelfeld vorgezogenen Jeremie Frimpong und deren immenser Schnelligkeit als variabel agierendes Außenstürmer-Duo zu piesacken. “Wir wollten mit mehr Mobilität und keinen klaren Positionen spielen”, erklärte Xabi Alonso. Und allein Frimpong hätte nach der Leverkusener Führung noch vor der Pause bei drei guten Chancen das Ergebnis mindestens auf 2:0 stellen können, wenn nicht gar müssen.

Bayers variable Offensive war nicht zu fassen

Der Schachzug des Trainers ging beim hoch verdienten 2:0-Erfolg komplett auf, da Bayers variable Offensive für die Roma in dieser Phase nicht zu fassen war. Was auch daran lag, dass der als falsche Neun eingesetzte Spielmacher Florian Wirtz die überfallartigen Leverkusener Angriffe entweder aus der Tiefe einleitete oder sie selbst in der Spitze abschloss, wie bei seinem 1:0, als Vorbereiter Alejandro Grimaldo allerdings von einem kapitalen Bock von Roms Rechtsverteidiger Rick Karsdrop profitierte.

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Rangnick-Absage als “Schlag in die Fresse”: Gehen Bayern die Kandidaten aus?

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Mal wieder hatte Xabi Alonso den Gegner überrascht

Xabi Alonsos Matchplan, der von der Grundidee dem vom 3:0-Sieg im Liga-Gipfel gegen Bayern München Anfang Februar glich, griff in der zweiten Hälfte des ersten Durchgangs in Gänze. “Es war eine sehr erwachsene Leistung. Unsere Konter sind sehr gut gelaufen mit unseren Angriffsspielern. Wir haben einige Chancen geschaffen, um ein drittes Tor zu schießen”, urteilte Xabi Alonso. Mal wieder hatte der Spanier den Gegner überrascht.

Und auch beim Coaching während des Spiels fand der Trainer eine Lösung, um seinen bereits nach 16 Minuten nach einem Foul an Romelu Lukako verwarnten und am Rande eines Platzverweises wandelnden Abwehrchef Jonathan Tah nicht per Auswechslung zur Pause opfern zu müssen.

“Es war eine knifflige Situation für Jona”, analysierte Simon Rolfes die Szenen vor der Halbzeit, als Bayer “zu viel Eins gegen Eins” verteidigt habe und Tah so gegen den belgischen Sturmbullen in komplizierte Duelle musste. “Das haben wir in der zweiten Halbzeit besser gemacht”, erklärte der Geschäftsführer, “indem wir dann auch versucht haben, die langen Bälle mit Zwei gegen Eins zu verteidigen und die Bälle zu gewinnen.” So dass Lukaku nach der Pause kein Faktor mehr war und Tah durch das Leverkusener Doppeln nicht mehr ansatzweise in Gefahr geriet, die Ampelkarte zu sehen.

Dafür kontrollierte Bayer in der eigentlich typischen Spielweise mit mehr Ballbesitz im zweiten Durchgang die Partie lange nach Belieben. Ein starker Auftritt, der als bestandene Reifeprüfung gewertet werden darf. Und für den Xabi Alonso mit seinem Matchplan die Basis gelegt und mal wieder seine Fähigkeiten beim Coaching unter Beweis gestellt hatte.

Xabi Alonso fehlt gelb-gesperrt

Am Sonntag muss der neue Deutsche Meister beim Spiel in Frankfurt allerdings während der 90 Minuten auf Xabi Alonsos Input verzichten, wo der Werksklub seine Serie auf 48 Pflichtspiele ohne Niederlage in dieser Saison ausbauen möchte. Hatte sich der 42-Jährige vergangene Woche beim 2:2 gegen Stuttgart doch die vierte Gelbe Karte eingehandelt und fehlt jetzt gesperrt.

“Ich glaube, es wird keine große Umstellung sein”

Ein Fakt, der die vor Selbstbewusstsein strotzenden Werkself-Kicker aber nicht erschreckt. “Ich glaube, es wird keine große Umstellung sein”, erklärte der Schütze zum 2:0, Robert Andrich, “klar gibt es Situationen, in denen der Trainer den einen oder anderen Satz mit dem Spieler wechselt. Wir sind aber als Mannschaft schon so gefestigt, dass wir das schon alleine hinbekommen.”

Während das Spiel läuft, darf Xabi Alonso in Frankfurt keinen Einfluss auf die Mannschaft nehmen. “Dann hoffen wir, dass wir ihn nicht brauchen”, sagt Andrich entspannt.

Mit der Hoffnung, dass ein Eingreifen von Seiten der Trainerbank gar nicht notwendig wird. Auf dieser wird Assistent Sebastian Parrilla, der in Rom wegen seiner Roten Karte beim Viertelfinalspiel bei West Ham United (1:1) auf der Tribüne Platz nehmen musste, seinen Chef vertreten. “Er sitzt auf der Bank. Da mache ich mir keine Gedanken”, sagt Xabi Alonso, “ich hoffe, es ist kein Problem.”

Und falls welche auftreten? Dann “werden wir das auch hinkriegen”, ist Andrich überzeugt und betont nochmal, “ich glaube, wir sind eine intelligente und erfahrene Mannschaft, dass wir das hinbekommen.” Und nach dem souveränen Auftritt im Olimpico in Rom gab es trotz Xabi Alonsos entscheidender Impulse niemanden, der dem Nationalspieler vehement widersprechen wollte. In Frankfurt wird sich zeigen, ob zurecht.

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“Bayers Aspirin verursacht Rom Kopfschmerzen”

“Das hört ja gar nicht mehr auf”: Die internationalen Medien staunen nach Leverkusens 2:0-Hinspielsieg bei der AS Rom im Europa-League-Halbfinale über die schier unschlagbare Werkself. Die Pressestimmen.

Matchwinner-Selfie: Florian Wirtz (li.) und Robert Andrich trafen für Leverkusen in Rom.

Matchwinner-Selfie: Florian Wirtz (li.) und Robert Andrich trafen für Leverkusen in Rom.

IMAGO/Giuseppe Maffia

ITALIEN

Gazzetta dello Sport: “Die Deutschen haben schon einen Fuß im Flieger nach Dublin. Bayer Leverkusen ist der Herrscher im Stadio Olimpico, Wirtz und Andrich sind die Helden des Abends.”

Corriere dello Sport: “Bayers Aspirin verursacht Rom Kopfschmerzen. Der Unterschied in Technik und Form ist unübersehbar. Jetzt braucht Rom ein Wunder.”

Corriere della Sera: “Leverkusen ist eine perfekte Maschine. Die Unbesiegbaren sind auch in Rom unbesiegbar. (…) Wenn man den Unschlagbaren ein Tor schenkt, wenn das Spiel auf der Kippe steht (…), werden die Unschlagbaren noch unschlagbarer.”

Tuttosport: “Die Besten haben gewonnen. Die Qualität von Bayer Leverkusens Spieler macht den Unterschied.”

La Repubblica: “AS Rom erlebt im Stadio Olimpico eine dunkle Nacht mit vielen Fehlern und zu vielen Geschenken an die Rivalen. Bayer Leverkusen ist eine perfekte Maschine, die unbesiegbar erscheint. (…) In Leverkusen wird ein Wunder nötig sein.”

SPANIEN

Marca: “Leverkusen will alles. Drei Spiele, nur drei, trennen Bayer vom Triple. Niemand kann es mit der ‘Aspirin-Mannschaft’ aufnehmen.”

AS: “Europa kapituliert vor Xabi Alonso. Alonso räumt alles weg. Der unaufhaltbare Gang von Bayer war auch im Olympiastadion nicht zu bremsen. De Rossi braucht ein Wunder.”

Sport: “Xabi Alonso streichelt am Finale und am Triple. Bayer Leverkusen überfällt das Olympiastadion von Rom. Dieses Mal musste Leverkusen nicht bis zu den letzten Minuten warten, um weiter ungeschlagen zu bleiben.”

El Mundo Deportivo: “Das hört ja gar nicht mehr auf! Xabi Alonso macht einen Riesenschritt Richtung Finale. Alejandro Grimaldo war wieder herausragend.”

Relevo: “Xabi Alonso macht Rom dem Erdboden gleich. Die deutsche Mannschaft unterstrich, warum sie die große Sensation in Europa ist. Eine weitere, unglaubliche Meisterleistung von Leverkusen.”

ENGLAND

Guardian: “Leverkusen ist weiter auf dem Weg zum Triple. Die Roma hatte in allen Wettbewerben nur dreimal verloren, fand in Bayer aber ihren Meister.”

Der Pechvogel therapiert sich selbst: Sogar de Rossi schwärmt von Andrich

Vor einem Jahr war Robert Andrich im Halbfinale der Europa League in Rom der Pechvogel. Das Trauma seines Mittelfußbruchs aus dem Mai 2023 bewältigte der Nationalspieler beeindruckend – selbst für Roma-Trainer Daniele de Rossi.

Traumhaft getroffen, provozierend gejubelt: Robert Andrich am Donnerstagabend in Rom.

Traumhaft getroffen, provozierend gejubelt: Robert Andrich am Donnerstagabend in Rom.

IMAGO/ABACAPRESS

Aus Rom berichtet Stephan von Nocks

Es sind die Geschichten, die dem Wort “ausgerechnet” eine exponierte Stellung verleihen. Ausgerechnet Robert Andrich, der sich im Mai 2023 in Rom, ebenfalls im Halbfinale der Europa League, bei der 0:1-Niederlage gegen die AS Rom einen Mittelfußbruch zugezogen hatte, ausgerechnet dieser Robert Andrich erzielte nun beim Leverkusener 2:0-Erfolg in der Ewigen Stadt den 2:0-Endstand, der Bayer das Tor zum Finale in Dublin ganz weit aufgestoßen hat.

“Das ist Fußball”, musste sich selbst Trainer Xabi Alonso einer Floskel bedienen, um dann zu erklären: “Wir haben gesagt, es gibt eine zweite Chance für Rob, um bessere Erinnerungen an das Olimpico zu haben. Er hat nicht nur das Tor gemacht, sondern auch eine sehr wichtige Rolle gespielt für die Mannschaft mit seiner Persönlichkeit und Aggressivität. Es war sehr gut für Rob.” Und auch von Rob.

Zeigte sich doch sogar Roma-Trainer Daniele de Rossi, früher ein Sechser von Weltformat, von Andrichs Auftritt angetan. “Er ist ein sehr interessanter Spieler, der seine Leistung mit einem großartigen Tor gekrönt hat”, erklärte der Weltmeister.

Andrich über sein Traumtor: “Sieht schon sehr lecker aus”

In der Tat spielte Andrich im defensiven Mittelfeld neben Granit Xhaka in der aufgrund der Vorsaison aufgeladenen Partie von Beginn an mit Feuer und gab insgesamt vier Torschüsse ab. Der letzte schlug dann sehenswert im Kasten der Roma ein. “Von der Kameraperspektive von hinten habe ich das Tor jetzt schon ein, zwei Mal gesehen, der sieht schon sehr lecker aus”, sagte der 29-Jährige nachher mit einem breiten Grinsen.

Der Treffer war für Andrich wie Balsam auf die Seele, um sein Trauma aus dem Vorjahr endgültig abzuschließen. So erklärte er offen: “Jetzt hat Rom nicht mehr diese Scheiß-Bedeutung. Die Verletzung kann man jetzt ganz weit hinten im Kopf schieben. Und das Tor ist jetzt ganz weit vorne. Ein sehr, sehr schönes Gefühl.”

Provokanter Torjubel mit Hintergedanken

Zudem nutzte er die Gunst des Moments zu einem provokanten Torjubel, indem er Kusshände an das mit lauten Pfiffen reagierende Römer Publikum verteilte. Kein Kurzschluss, sondern eine Aktion mit Hintergedanken. “Natürlich versucht man irgendwo – so wie vielleicht andere Mannschaften oder andere Spieler Provokationen versuchen auszulösen -, eine Atmosphäre zu schaffen, wo auch die Spieler vielleicht merken, irgendwas läuft hier heute nicht so gut”, erklärte Andrich.

Der Nationalspieler und seine Kollegen hatten dieses Nervenspiel von Beginn an nahezu perfekt orchestriert. “Vielleicht war das letzte Jahr noch ein bisschen im Hinterkopf. Es gab immer wieder Provokationen. Wir haben uns in gewisser Weise gut darauf eingelassen, dass uns das nicht beeinträchtigt hat. Von daher glaube ich, dass wir die Energie aus der Provokation gut umgemünzt haben und nicht dumm geworden sind”, urteilte Andrich und stellte zusammenfassend fest: “Wir haben wir ein sehr, sehr gutes Auswärtsspiel gemacht.”

Rolfes über Andrichs Frau: “Zum Glück stellt sie nicht auf”

So wie Andrich selbst, dessen Frau es sogar bevorzugt hätte, wenn er in Rom, am Ort seines persönlichen Unglücks, nicht aufgelaufen wäre. “Meine Frau hat gesagt: Ich möchte gar nicht, dass du in Rom spielst”, hatte der zweifache Familienvater am Donnerstag im kicker-Interview verraten.

Ein Wunsch, den Xabi Alonso Andrichs besserer Hälfte nicht gewähren wollte. Letztlich zur Freude aller Beteiligten. “Ich würde ich mal sagen”, gab Geschäftsführer Simon Rolfes mit einem Grinsen zum Besten, “zum Glück stellt sie nicht die Mannschaft auf.”

De Rossi gegen Xabi Alonso: Draufgänger fordert Meister der Spielkontrolle

AS Rom gegen Bayer 04 – im Halbfinale der Europa League treffen am Donnerstag mit Daniele de Rossi und Xabi Alonso zwei Weltmeister erstmals als Trainer aufeinander. Auch im neuen Job ist ein packendes Duell zu erwarten.

Ein packendes Duell auch an der Seitenlinie: Roma-Coach Daniele de Rossi gegen Leverkusens Trainer Xabi Alonso.

Ein packendes Duell auch an der Seitenlinie: Roma-Coach Daniele de Rossi gegen Leverkusens Trainer Xabi Alonso.

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Aus Rom berichtet Stephan von Nocks

Sie sind zwei Heroen des Fußballs: Xabi Alonso, Welt- und Europameister, ein Champion mit dem FC Liverpool, Real Madrid und Bayern München auf Leverkusener Seite. Auf der anderen Daniele de Rossi, ebenfalls Weltmeister und als Spieler eine Ikone der AS Rom, für die er 17 Jahre als Profi spielte.

Zwei Sechser, die mit strategischem Geschick ihre Mannschaften prägten und dies nun auch als Trainer mit Erfolg versuchen. Und so klingt hoher Respekt mit, wenn Xabi Alonso über seinen früheren Widersacher auf dem Feld spricht.

Europa League, Halbfinale

“Er war ein großer Spieler, jetzt hat er einen großen Einfluss auf die Roma. Unsere Wege sind ein bisschen ähnlich”, sagt der zwei Jahre ältere Spanier, der wie der 40-jährige de Rossi nach langer Spielerkarriere nun als Trainer seine erste Station bei einem Erstligisten absolviert. Und was sein italienischer Kollege dort fabriziert, entlockt Xabi Alonso vor dem Halbfinal-Duell in der Europa League am Donnerstagsabend (21 Uhr, LIVE! bei kicker) ein Lob: “Die Roma spielt sehr gut. Es ist die klare Idee von De Rossi. Es ist schön, ihn wiederzusehen.”

“Special clashes” auf dem Rasen

Auch wenn die Begegnungen mit dem Spieler De Rossi auf dem Platz aufgrund dessen sehr robuster Spielweise nicht immer angenehm waren. “Natürlich gab es spezielle Aufeinandertreffen”, erklärt Xabi Alonso auf Englisch, “special clashes”, die in diesem Fall getrost auch als Zusammenstöße übersetzt werden können angesichts der früheren Spielweise de Rossis.

Daniele de Rossi und Xabi Alonso im Duell um den Ball

Intensive Duelle auf dem Rasen – nun stehen sie sich an der Seitenlinie gegenüber: Daniele de Rossi (M.) und Xabi Alonso, hier für die AS Rom und Bayern München in der Champions League 2014/15 im Duell um den Ball.
imago/HochZwei/Syndication

“Er war ein sehr intensiver Spieler. Ich mochte diese Seite des Spiels ebenso, also hatte ich keine Angst davor”, beschreibt der Baske, der aber immer in erster Linie für hohes taktisches Geschick und Spielkontrolle stand und steht, die Duelle mit dem Römer. “Und ja, ich identifiziere mich damit, was er als Spieler gemacht hat, und jetzt als Trainer hat er bei der Roma seine Rolle gefunden in diesem Klub, in dem er ein großer Spieler war. In der Nationalmannschaft haben wir auch intensive Duelle gehabt. Er war ein großer Champion als Spieler.”

De Rossi stand immer für maximale Leidenschaft, höchsten Einsatz und ein selbstbewusstes Auftreten. Als Spieler war er ein Grenzgänger, wie die WM 2006 zeigte. Damals sah der Mittelfeldspieler im zweiten Gruppenspiel gegen die USA (1:1) nach einer Tätlichkeit die Rote Karte, um zur Halbzeit des Finales gegen Frankreich in das Turnier zurückzukehren – und beim 5:3-Sieg im Elfmeterschießen nach Trezeguets Fehlschuss, dem einzigen an jenem Abend, zum 3:1 zu verwandeln.

Ein packendes Duell auch an der Seitenlinie

Diese unerschrockene, draufgängerische Haltung habe de Rossi jetzt als Trainer auch auf seine Mannschaft, die AS Rom, übertragen. “Sie spielen mutig, wenn sie den Ball haben, und sehr aggressiv, wenn sie ihn nicht haben”, erklärt Xabi Alonso anerkennend, “ich freue mich, dass wir als Trainer meiner Generation jetzt den nächsten Schritt machen.”

Leverkusens Angreifer Patrik Schick, von 2017 bis 2019 Mitspieler de Rossis bei der Roma, hält sich beim Vergleich der beiden Jung-Trainer zurück, preist aber deren Leistung als Profis. “Beide waren Top-Spieler, aber ich kenne Daniele nicht als Trainer und ich habe nicht gegen Xabi gespielt. Sie waren die besten auf der Welt auf ihren Positionen”, sagt der 28-Jährige anerkennend.

Allerdings traut Schick seinem ehemaligen Mitspieler bei der Roma auch in der dessen zweiter Karriere Großes zu: “So wie er als Spieler war, hat er alle Aspekte, um ein Top-Trainer zu werden.” Draufgänger de Rossi gegen den Meister der Spielkontrolle Xabi Alonso – das Olimpico erwartet heute auch an der Seitenlinie ein packendes Duell.

Einen wie Wirtz hat die Europa League noch nicht gesehen

Florian Wirtz dominiert kurz vor seinem 21. Geburtstag gleich drei Statistiken in der Europa League. Das lässt nur einen Schluss zu.

Fühlt sich in der Europa League bislang sehr wohl: Florian Wirtz.

Fühlt sich in der Europa League bislang sehr wohl: Florian Wirtz.

IMAGO/Mika Volkmann

Am Freitag feiert Florian Wirtz seinen 21. Geburtstag. Das reicht gerade so, um in den Stunden zuvor noch ein Europa-League-Spiel zu absolvieren, das Hinspiel im Halbfinale bei der AS Rom (Donnerstag, 21 Uhr, LIVE! bei kicker). Gleich in drei Kategorien kann der Spielmacher von Bayer 04 Leverkusen damit seine Führung weiter ausbauen.

Denn: Schon jetzt ist Wirtz in diesem Wettbewerb der Youngster mit den meisten Einsätzen (30), den meisten Siegen (19) und den meisten Toren (11) unter 21 Jahren, wobei Letzteres nur gilt, wenn man den Vorgänger-Wettbewerb UEFA-Cup außer Acht lässt.

Wirtz hat Muniain, Koke und Cutrone schon hinter sich gelassen

Bei den Einsätzen ist Iker Muniain, einstiges Top-Talent und inzwischen Urgestein von Athletic Bilbao, Zweiter, der seine 26 Spiele sogar allesamt schon vor dem 20. Geburtstag hinter sich hatte und sich danach bloß nicht mehr für die Europa League qualifizierte. Bei den Siegen ist Spaniens 70-maliger Nationalspieler Koke inzwischen abgehängt, der bei 15 seiner ersten 18 Partien als Gewinner vom Platz ging.

Und bei den Toren toppt Wirtz Patrick Cutrone, der als Youngster im Trikot der AC Mailand neunmal traf (und inzwischen als 26-Jähriger beim italienischen Zweitligisten Como – seiner Geburtsstadt – aktiv ist). Nur im UEFA-Cup hatte der zweimalige Bundesliga-Torschützenkönig Dieter Müller vor seinem 21. Geburtstag sogar zwölfmal genetzt – das kann Wirtz im Olimpico auch noch schaffen.

Es ist offensichtlich: Wirtz scheint einfach zu gut zu sein für den zweitwichtigsten Europapokal. Weil Leverkusen als Meister längst für die Champions League qualifiziert ist, darf sich der 16-malige Nationalspieler und EM-Hoffnungsträger 2024/25 erstmals auf der größten Bühne beweisen.

Doch vorher will er noch etwas schaffen, was Koke mit Atletico Madrid sogar zweimal gelang (2012, 2018), beim ersten Mal übrigens im Finale gegen Muniain: der Europa-League-Triumph. Auch wenn er dann – anders als Koke – schon 21 Jahre alt wäre.

Warum Azmoun Bayer wohl keine 12,5 Millionen bringt

Im Halbfinale der Europa League trifft Sardar Azmoun mit der AS Rom auf den Werksklub, der den Iraner verliehen hat. Auch wenn die Roma über eine Kaufoption in Höhe von 12,5 Millionen Euro verfügt, wird Bayer 04 diese Summe eher nicht erzielen.

Sardar Azmoun trifft mit der Roma auf seinen Stammklub Leverkusen.

Sardar Azmoun trifft mit der Roma auf seinen Stammklub Leverkusen.

IMAGO/Insidefoto

Am Sonntag beim 2:2 in Neapel stand Sardar Azmoun erstmals seit dem 26. Spieltag Ende Februar in der Serie A wieder in der Startformation der Römer. Rechtzeitig zu den beiden Duellen im Halbfinale der Europa League gegen seinen Leih-Klub aus Leverkusen ist der Iraner wieder topfit, nachdem er sich am 21. März in der WM-Qualifikation beim 5:0 gegen Turkmenistan eine Oberschenkelverletzung zugezogen hatte.

Für den Saisonendspurt ist Azmoun wieder voll einsatzfähig, so dass er sich für einen Klub für die kommende Saison empfehlen kann. Die Roma würde den Iraner grundsätzlich gerne halten. Und Trainer Daniele de Rossi schätzt den Angreifer. Die AS besitzt auch eine Kaufoption über 12,5 Millionen Euro, die im Juni ausläuft. Doch dass die Römer diese ziehen, ist unwahrscheinlich.

Als Voraussetzung für einen Azmoun-Transfer müsste Rom erst einmal die Champions League erreichen. Doch Platz 5 haben die Hauptstädter noch nicht sicher. Doch selbst beim Einzug in die Königsklasse würden die Römer nicht direkt die Option aktivieren. Schließlich hat Azmoun, der nach seiner schwierigen Zeit in Leverkusen erst in den Rhythmus kommen musste, sich in dieser Saison mit drei Treffern in 20 Serie-A-Einsätzen nicht so in den Vordergrund gespielt, dass die Roma unter Zugzwang stünde.

Großverdiener in Leverkusen

Folglich werden die Römer im Fall der Fälle versuchen, die Ablöse für Azmoun zu drücken. In dem Wissen, dass Bayer 04 nicht mehr mit dem 29-Jährigen plant, dessen noch bis 2027 laufender Vertrag in Leverkusen ihn beim neuen Deutschen Meister zu einem der Großverdiener macht.

Die Roma sieht sich in einer guten Verhandlungsposition

Die ersten Gespräche sind nach den Halbfinalspielen zu erwarten. Da andere lose Interessenten, wie der schon im Winter anklopfende FC Sevilla, Olympique Lyon oder kleinere Serie-A-Klubs aktuell auch keine Summe in Höhe der Kaufoption für Azmoun zahlen würden, sieht sich die Roma nicht unter Druck und in einer guten Verhandlungsposition.

Diese würde sich nur verschlechtern, wenn Azmoun im Saisonendspurt richtig auftrumpft. Doch das wird sich bei Bayer vor den beiden Halbfinalspielen gegen die Italiener niemand wünschen …

Stephan von Nocks

Andrich: “Meine Frau hat gesagt: Ich will nicht, dass du in Rom spielst”

Wenn Bayer Leverkusen in der Europa League bei der AS Rom antritt, ist dies nicht nur aufgrund der Neuauflage des Vorjahres-Halbfinals ein Spiel mit erhöhter Brisanz. Das gilt besonders für Robert Andrich, der im Olimpico persönlich eine schwarze Stunde erlebte.

Hat gegen die Roma noch eine Rechnung offen: Robert Andrich.

Hat gegen die Roma noch eine Rechnung offen: Robert Andrich.

IMAGO/Sven Simon

Die beiden Halbfinalspiele in der Europa League gegen die AS Rom in der vergangenen Saison bescherten Robert Andrich bittere Momente. Beim 0:0 im Rückspiel in Leverkusen musste er tatenlos zusehen, wie sich die Italiener nach ihrem 1:0-Sieg im Hinspiel mit massivem Zeitspiel das Weiterkommen ermauerten. Denn in Rom hatte der Mittelfeldspieler einen Mittelfußbruch erlitten. Eine Verletzung, die mit dafür sorgte, dass der heutige Nationalspieler ein schwieriges Halbjahr erlebte.

So werden in Andrich unschöne Erinnerungen aufkommen, wenn er am Donnerstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) das Olimpico in Rom betreten wird. “Man kann nicht verhindern, dass man an den Tag zurückdenkt, vor allem wenn man dann vor Ort ist. Das ist völlig menschlich und ganz normal. Ich glaube, dass ich im Spiel gar nicht mehr darüber nachdenken werde”, erklärt der 29-Jährige im großen kicker-Interview (Donnerstagausgabe), räumt jedoch ein: “Meine Frau hat gesagt: ‘Ich will gar nicht, dass du in Rom spielst. Schlechtes Omen.’ Aber im Spiel wird das kein Problem sein.”

“Ein Weiterkommen wäre eine kleine Genugtuung”

Aufgrund des extremen Zeitspiels der Italiener im Rückspiel und ihrer destruktiven Spielweise birgt die Neuauflage des Halbfinales aus dem Vorjahr eine besondere Brisanz. “Ein Weiterkommen jetzt würde nicht nur den Finaleinzug bedeuten, sondern wäre auch eine kleine Genugtuung”, gibt Andrich zu, “auch wenn sich der Spielstil der Roma schon etwas verändert hat.” Unter Daniele de Rossi agiert die Roma deutlich offensiver als unter Vorgänger José Mourinho.

Das bittere Aus damals hat die Bayer-Profis zusätzlich motiviert für die laufende Europa-League-Saison. “Diese Niederlage gegen Rom war brutal hart, aber damals haben wir uns direkt geschworen, dass wir nächste Saison den nächsten Step machen wollen. Das war unser Antrieb nach dem sehr schmerzhaften Ausscheiden. Nach dem Motto: Dieses Jahr machen wir es besser und gehen noch einen Schritt weiter”, verrät Andrich, “und jetzt haben wir die Chance dazu.”

“Das kriegen wir schon hin, dass wir nicht überdrehen”

Der Sechser ist aufgrund seiner persönlichen Rom-Geschichte besonders heiß, seine Geschichte und die von Bayer 04 gegen die Roma neu zu schreiben. “Natürlich ist das ein Riesenantrieb, es dieses Jahr zu packen. Aber deswegen zu überdrehen, wäre falsch.” Doch diese Gefahr sieht er nicht wirklich: “Da mache ich mir keine Sorgen. Die Jungs sind heiß, die Jungs wollen unbedingt die Revanche. Aber das kriegen wir als Mannschaft schon hin, dass wir nicht überdrehen.” Damit die Revanche am Ende auch glückt.

Im großen kicker-Interview in der Donnerstagsausgabe (ab 22 Uhr hier auch als eMagazine) lesen Sie zudem, wie Robert Andrich die Euphorie um die deutsche Nationalelf einordnet, welche Titelchance er dem DFB-Team einräumt, wie unwirklich er den Tag erlebte, an dem Bayer 04 Deutscher Meister wurde, und warum er wütend auf Trainer Xabi Alonso war.

Stephan von Nocks

De Rossi warnt vor Leverkusen: “Die Art und Weise, wie sie spielen”

Roma empfängt Bayer zum EL-Halbfinale 01.05.2024

De Rossi warnt vor Leverkusen: “Die Art und Weise, wie sie spielen”

1:11Seit Daniele de Rossi Trainer bei der Roma und damit Nachfolger von José Mourinho ist, geht es stark bergauf. Vor Xabi Alonso und der Leistung von Bayer Leverkusen hat Weltmeister von 2006 aber sehr großen Respekt.

Als Ramelow zum Trampolin wurde, ein “Spiel wie ein Oktoberfest” und die “Schande”

20 Tore, Jod wegen Judo, zusammenfallende Sandburgen und eine einzige Abwehrschlacht: Von den bislang sechs Spielen zwischen Bayer 04 Leverkusen und der AS Rom schafften es gleich zwei in die Geschichtsbücher ihrer Vereine. Frust im Lager der Werkself dürfte derweil auch das letztjährige Europa-League-Halbfinale hervorrufen.

Unvergessene internationale Abende: Francesco Totti springt 2004 auf Carsten Ramelow, die Leverkusener Mannschaft 2015 auf Admir Mehmedi.

Unvergessene internationale Abende: Francesco Totti springt 2004 auf Carsten Ramelow, die Leverkusener Mannschaft 2015 auf Admir Mehmedi.

AFP via Getty Images

Ein wenig sieht es so aus, als hätte man Carsten Ramelow Gewürzketchup auf den Rücken geschmiert. Öffentlichkeitswirksam ließ sich der damalige Kapitän von Bayer 04 Leverkusen am 4. November 2004 gemeinsam mit dem für seine unkonventionellen Behandlungsmethoden bekannten Physiotherapeuten Dieter Trzolek ablichten – mit dem Rücken voller Jod.

Rot-bräunlich glänzt Ramelows Oberkörper, grün-blau hätte er wohl sonst geglänzt – malträtiert von den Stollen Francesco Tottis.

“So etwas habe ich im Fußball noch nicht erlebt”

Am Tag zuvor war Bayer 04 in der Champions-League-Gruppenphase im Stadio Olimpico auf die AS Rom getroffen. Das Spiel sollte im Gedächtnis bleiben, obwohl es sich laut damaligem kicker-Bericht um einen “Gruselkick” gehandelt hatte. Wobei der wiederum in die Atmosphäre passte: Die Partie war vor leeren Rängen ausgetragen worden, weil ein Roma-Anhänger im vorangegangenen Heimspiel gegen Dynamo Kiew Referee Anders Frisk mit einem Gegenstand beworfen hatte und dieser daraufhin eine blutende Wunde davontrug.

Champions League 2004/05

“So etwas habe ich im Fußball noch nicht erlebt”, beklagte Coach Rudi Völler damals. Ja, der Rudi Völler. “Tante Käthe” war Trainer der Giallorossi. Als es gegen Leverkusen ging, aber schon nicht mehr.

Kaum vorzustellen, was an diesem Novemberabend passiert wäre, wenn auch noch ein Völler voller Temperament und ein Stadion voller Romanisti zu den Darstellern gezählt hätten. Schließlich hatte es schon beim ersten Aufeinandertreffen zwei Wochen zuvor gekracht, beim 3:1-Sieg der Werkself in der BayArena flogen gleich zwei Römer mit glatt Rot vom Platz.

Das war Judo, das war vorsätzliche Körperverletzung.

Leverkusens Trainer Klaus Augenthaler

Auch das Rückspiel hatten Nickligkeiten geprägt, wie sich Ramelow Jahre später im kicker-Interview erinnerte. “Ich wusste, dass Totti es nicht mag, wenn man ihn bearbeitet und ihm ein bisschen wehtut”, so der damalige Kapitän. “Ich war nicht zimperlich – und bei ihm baute sich die Wut regelrecht auf. Ich merkte, dass er sich nicht mehr lange würde halten können.” Er hielt sich bis zur 72. Minute. “Als ich grätschte”, berichtete Ramelow rückblickend, “nutzte er die Situation, sprang hoch, und obwohl er neben mich hätte springen können, nutzte er mich als Trampolin und haute mir beide Füße ins Kreuz.”

Carsten Ramelow und Dieter Trzolek

Ein Rücken voller Jod: Dieter Trzolek (re.) behandelt die blauen Flecken von Carsten Ramelow.
imago images

Der portugiesische Referee beließ es bei Gelb für beide Spieler, Leverkusens Coach Klaus Augenthaler tobte: “Das war eine klare Rote Karte, das war Judo, das war vorsätzliche Körperverletzung.” Sein Gegenüber, Völler-Nachfolger Luigi Delneri, reagierte mit Spott: “Er sollte nicht auf der Bank, sondern auf der Tribüne sitzen. Fußball ist eben ein Männersport.”

Vielleicht musste sich Delneri das an diesem Tag aber auch selbst unbedingt einreden, schließlich hatte sein für Ausschreiten und Verfehlungen berühmt-berüchtigter Stürmer Antonio Cassano ihm noch drei Tage zuvor die Geschlechtszugehörigkeit abgesprochen: “Ich rede nur mit Männern. Und du bist keiner!”

Cassanos anschließende Suspendierung erwies sich für die Roma zumindest in der Partie gegen Leverkusen als Glücksfall. Das Traumtor von Dimitar Berbatov in der 82. Minute glich Cassano-Ersatz Vincenzo Montella in der Nachspielzeit zum 1:1-Endstand aus – auf geniale Vorarbeit von Totti. Dessen ereignisreicher Arbeitstag war damit aber noch nicht vorbei: Auf dem Weg in die Katakomben begann er noch eine Rangelei.

Das Wiedersehen

Als es für die Roma elf Jahre später wieder gegen Leverkusen ging, fehlte zwar der inzwischen 39-jährige Totti – aber nicht das Spektakel. 13 Tore fielen in zwei Spielen der Champions-League-Gruppenphase – auch weil das vom angriffslustigen Roger Schmidt (inzwischen seit 2022 Coach von Benfica Lissabon) trainierte Leverkusen damals für brachialen Offensivpowerfußball stand.

Champions League 2015/16

Im spektakulären Hinspiel legte sein Team mit einem frühen Doppelpack von Javier “Chicharito” Hernandez los wie die Feuerwehr, ehe sich die von Rudi Garcia betreuten Giallorossi auf den Weg zum 4:2 bis zur 73. Minute machten. “Die Roma hat sich längst in Sicherheit gewogen und offenbar zu locker agiert, da schlägt auf einmal Leverkusen mit einem Doppelschlag wieder zu”, heißt es im kicker-Ticker zum damaligen Spiel. Denn: Kevin Kampl und Admir Mehmedi sicherten ihren Farben tatsächlich noch ein 4:4.

Völler, der elf Jahre vorher “so etwas im Fußball noch nicht erlebt hatte”, griff nun wieder zum Superlativ, wenn auch abgeschwächt: “So ein Spiel hat es zumindest in Leverkusen wohl noch nicht gegeben. Ich habe mit den Kollegen aus Rom gesprochen, die standen ähnlich wie ich auch kurz vor dem Kollaps.” Und Coach Schmidt fügte an: “Das war alles andere als ein normales Fußballspiel. Auch ich bin geflasht.”

“Ein Spiel wie ein Oktoberfest”

Italiens Gazetten ließ dieses Acht-Tore-Spektakel naturgemäß auch nicht kalt. So textete die Gazzetta dello Sport: “Ein Spiel wie ein Oktoberfest, auch wenn wir nicht in Bayern sind. Das Spiel hinterlässt bei den Römern starke Kopfschmerzen wie nach einem kolossalen Saufgelage.” La Stampa griff zu einem anderen Vergleich: “Ein verrücktes Spiel in Leverkusen. Wenn die Abwehrreihen Sandburgen sind, fehlt jeder Mannschaft das Gleichgewicht. Jede Aktion wird so zu einer goldenen Chance.”

Jubeltraube bei Bayer Leverkusen

Kollektiver Freudentaumel: Bayer Leverkusen bejubelt das 4:4 durch Admir Mehmedi.
imago/Baering

Das Gute damals: Nur kurz darauf folgte direkt das Rückspiel zwischen diesen beiden offensivfreudigen Mannschaften – im altehrwürdigen Stadio Olimpico am 4. November 2015. Hier legten die Hauptstädter furios vor: Mohamed Salah bereits in der 2. Spielminute und Edin Dzeko überwanden Bernd Leno zum 2:0-Pausenstand. Aus dem hochverdienten 0:2 machte die Werkself nach dem Seitenwechsel allerdings durch Treffer von Mehmedi und Chicharito ein 2:2. Das letzte Wort aber hatten die Römer, nachdem Ömer Toprak glatt Rot gesehen und einen Elfmeter durch einen Stoß gegen Salah verursacht hatte. Miralem Pjanic trat an – und wurde seinem Ruf als Standardexperte gerecht.

“Zum Verrücktwerden”, titelte der Corriere dello Sport nach dieser nächsten spektakulären Partie, während die Gazzetta dello Sport einen “Thriller mit gutem Ende” sah: “Nicht zu fassen! Die Geister aus dem Hinspiel leben noch.” Sie hätte auch schreiben können: Die Geister waren elf Jahre lang nicht tot.

“Große Verarschung des Schiedsrichters”

Kerem Demirbay

2023 verpasste Leverkusen noch um Kerem Demirbay das Europa-League-Finale gegen Rom – auf bittere Weise.
IMAGO/Beautiful Sports

Bevor diese beiden Teams nun am Donnerstagabend (21 Uhr, LIVE! bei kicker) und eine Woche später erneut die Klingen kreuzen und dabei das Ticket fürs Europa-League-Finale ausmachen, fehlt noch der Blick ein Jahr zurück – denn auch hier standen sich Leverkusen und Rom im Semifinale der Europa League gegenüber. Mit Spektakel wie noch beim wilden 4:4 in der Königsklasse hatte das aber nichts zu tun. Gar nichts.

Denn die Italiener, trainiert von keinem Geringeren als “The Special One” José Mourinho, sollten sich im Hinspiel mit dem Tor von Eigengewächs Edoardo Bove begnügen und den Rest mit Verteidigungsarbeit und destruktivem Fußball verbringen. Und Leverkusens Offensive? Die zerschellte beim 0:1 im Hinspiel sowie beim 0:0 im Rückspiel trotz teils langer Nachspielzeit an diesem römischen Team. Wie sehr damals nur ein Team – das aus der Bundesliga – agieren wollte, verdeutlicht folgende kicker-Zeile: “Bayer schoss zwar 23-mal aufs Tor (Rom nur einmal), traf einmal die Latte – verzweifelte aber gerade in der Schlussphase trotz voller Offensive an der Spielweise der Roma.”

Europa League 2022/23

Im Anschluss an das damalige Aus konnten sich einige Leverkusener vor Wut kaum beruhigen, sie erkannten im Angang der Mourinho-Römer Anti-Fußball. Worte wie “Frechheit”, “Schande” und “sehr ekelhaft” flogen umher. Geschäftsführer Sport Simon Rolfes lederte am RTL-Mikrofon: “Nach jedem Torschuss von uns lag einer von denen auf dem Boden und brauchte einen Arzt, und das ist natürlich große Verarschung des Schiedsrichters.” Und Kerem Demirbay, inzwischen für Galatasaray aktiv, meinte: “Dass so eine Spielweise am Ende auch belohnt wird, ist sehr, sehr bitter für den Fußball.”

Nun steht die Neuauflage des Europa-League-Halbfinales unter etwas anderen Sternen an – Leverkusen tritt als weiterhin ungeschlagener Bundesliga-Meister an, die Roma schlägt ohne Mourinho und mit Daniele de Rossi als Coach auf. Gibt es dieses Mal wieder Spektakel?

Dieser Text erschien bereits in abgewandelter Form vor dem letztjährigen Europa-League-Halbfinale am 11. Mai 2023.

Michael Bächle, Markus Grillenberger