Hertha: Diese Fragen stellen sich jetzt

Die letzte Hoffnung auf den Wiederaufstieg hat Hertha BSC mit der 2:3-Niederlage in Karlsruhe verspielt. Jetzt stehen wichtige Weichenstellungen an. Die Bosse sind gefordert.

Am Ende ist nur noch Frust: Fabian Reese und Hertha werden wohl ein weiteres Jahr in der 2. Liga kicken.

Am Ende ist nur noch Frust: Fabian Reese und Hertha werden wohl ein weiteres Jahr in der 2. Liga kicken.

picture alliance/dpa

Ein Spiel wie die ganze Saison: mit guten Phasen, aber folgenschweren defensiven Nachlässigkeiten – und zu wenig Ertrag. “Wir haben in der ersten Halbzeit in manchen Momenten dominiert, aber waren zu hochnäsig”, sagte Hertha-Torjäger Haris Tabakovic nach dem 2:3 am Sonntag beim KSC, das auch die letzten Berliner Aufstiegsträume killte. “Nach dem 1:1 haben wir aufgehört, Fußball zu spielen. Auch nach dem Seitenwechsel gab es Phasen, in denen wir gedrückt haben. Aber es war insgesamt zu wenig.” Ein “über weite Strecken gutes Spiel” bescheinigte Linksaußen Fabian Reese dem Team – mit einer elementaren Einschränkung: “Wir haben in den entscheidenden Situationen zu sorglos verteidigt. Wir müssen den Aufstieg abhaken.”

Der Liga-Dritte Fortuna Düsseldorf liegt elf Punkte und mit der um Längen besseren Tordifferenz vor Hertha. Die Berliner müssen für ein weiteres Zweitliga-Jahr planen – anders als nach den letzten Abstiegen 2010 und 2012, als mit für Zweitliga-Maßstäbe herausragend bestückten Kadern unter Markus Babbel und Jos Luhukay jeweils der sofortige Wiederaufstieg gelang. Die Voraussetzungen waren nach der Fast-Insolvenz im Vorjahr diesmal andere, das macht die Bewertung der Saison 2023/24 komplexer. Auf die Bosse kommen jetzt die Wochen der Weichenstellungen zu. Der kicker nennt die wichtigsten Fragen.

Was passiert im Kader?

Das Ziel für den Sommer: Zweitliga-Toptorjäger Tabakovic (21 Saisontore, Vertrag bis 2026) und Unterschiedsspieler Reese, der erst im Februar seinen Vertrag bis 2028 verlängert hatte, ebenso zu halten wie die Top-Talente Ibrahim Maza (2026) und Pascal Klemens (2026), die bereits vor einem Jahr Bundesliga-Offerten hatten. Das wird schwer genug, zumal Maza, der aktuell Joker ist, in diesen Wochen mit seinen Einsatzzeiten nicht komplett zufrieden ist. Die auslaufenden Verträge von Deyovaisio Zeefuik und Peter Pekarik sollen nicht verlängert werden. Mit Jeremy Dudziak, dessen Kontrakt sich nur im Aufstiegsfall um ein Jahr verlängert hätte, sind Gespräche geplant. Möglich, dass die Top-Verdiener Marc Oliver Kempf und Jonjoe Kenny im Sommer gehen, um das Gehaltsbudget zu entlasten. Der offensive Mittelfeldspieler Bence Dardai wechselt ablösefrei zum VfL Wolfsburg. Mainz-Leihgabe Aymen Barkok fehlt nach kicker-Informationen nur noch ein Startelf-Einsatz, damit die Kaufpflicht (in der 2. Liga 600.000 Euro Ablöse) greift.

Saison 2023/24

Für die ausgeliehenen Wilfried Kanga (Standard Lüttich), Suat Serdar (Hellas Verona), Myziane Maolida (Hibernians Edinburgh) und Kelian Nsona (MSK Zilina) sucht Hertha Abnehmer. Serdar etwa wäre für die Problemzone zentrales Mittelfeld sportlich ein Gewinn, aber sein Gehalt kann sich Hertha in der 2. Liga nicht leisten. Der an Drittligist Halle ausgeliehene Rechtsverteidiger Julian Eitschberger ist für die neue Saison fest eingeplant. Intern ist klar: Auf der Sechs und auf Rechtsaußen will sich Hertha verstärken. Im vergangenen Sommer über Wochen auf den Transfer von Wunsch-Sechser Diego Demme (SSC Neapel) zu hoffen, während andere Optionen vom Markt verschwanden und Hertha einen Fehlstart hinlegte, war eine strategische Fehleinschätzung von Sportdirektor Benjamin Weber.

Wer ist 2024/25 Trainer?

Pal Dardai

Gespräche im Sommer: Trainer Pal Dardais Zukunft ist derzeit noch offen.
IMAGO/DeFodi

Das ist die Schlüsselfrage. Der Vertrag von Pal Dardai, der im April 2023 seine dritte Amtszeit als Hertha-Coach antrat, endet zum 30. Juni. “Im Sommer wird mit mir gesprochen”, sagte Dardai am Sonntag bei Sky. “Der Verein muss sich mit anderen Trainern beschäftigen, das ist normal. Wenn Pal es nicht macht, muss es jemand anderes machen.” Über die Bewertung der Saison gehen auch intern die Ansichten auseinander. Dass Dardai unter schwierigen Voraussetzungen das Team stabilisiert hat und anders als Mit-Absteiger Schalke trotz des Fehlstarts nie in die Bredouille kam, wird ihm hoch angerechnet. Die Durchlässigkeit für die Eigengewächse ist extrem hoch. Dardai ist in der Öffentlichkeit Herthas Gesicht, andere treten nach außen kaum in Erscheinung. Allerdings war aus Sicht einiger Verantwortlicher sowohl in der Liga als auch im DFB-Pokal (Viertelfinal-Aus gegen Kaiserslautern) mehr möglich.

Vor Wochen wurde intern auch das Modell diskutiert, Dardais Staff in der neuen Saison mit einem weiteren Co-Trainer zu verstärken. Die ergebnisoffene Debatte hält an. Sportdirektor Benjamin Weber muss in den kommenden Wochen eine Entscheidung treffen und für Klarheit sorgen. Ex-Hertha-Profi Maik Franz brachte es am Wochenende in einem kicker-Interview auf den Punkt: “Die beiden Schlüsselfragen, die Weber beantworten muss, sind: Für welchen Fußball will Hertha inhaltlich stehen? Und mit welchem Trainer ist die Wahrscheinlichkeit auf diese Art Fußball und in der Folge auf Erfolg am größten? Pal Dardai hat Legenden-Status im Verein. Aber Verdienste der Vergangenheit dürfen bei der Bewertung der Gegenwart keine Rolle spielen. Der Berliner Weg, hinter dem ich bedingungslos stehe, ist der einzige Weg in die Zukunft. Sieben, acht oder noch mehr Eigengewächse im Spieltagskader – das ist überragend. Aber der Berliner Weg ist nicht an einzelne Personen gekoppelt. Er ist ein Leitbild für den ganzen Klub.”

Die Informationen der Bild, dass sich Hertha mit Nürnberg-Coach Cristian Fiel beschäftigt, decken sich mit kicker-Informationen. Vor allem Andreas “Zecke” Neuendorf, Herthas Direktor Akademie und Lizenzspielerbereich, soll viel von Fiel halten. Allerdings ist er nur einer von mehreren Kandidaten, die Hertha im Blick hat – und steht in Nürnberg noch bis 2025 unter Vertrag.

Wie steht es um die Finanzen?

Auch wenn Hertha zuletzt ein positives Betriebsergebnis (EBITDA) für 2023/24 ankündigte, bleibt die Lage angespannt. Gesamteinsparungen bei Personal- und Sachkosten in Höhe von kumuliert 70 Millionen Euro zeigen Wirkung. Der Klub hat nach eigenen Angaben zinstragende Verbindlichkeiten in Höhe von 25 Millionen Euro zurückgeführt. Klar ist aber auch: Der Klub hängt seit mehr als einem Jahr am Tropf des US-Investors 777 Partners, der seit März 2023 78,8 Prozent der Anteile an der KG hält. Das US-Private-Equity-Unternehmen hat mit der Anfang April vorzeitig geleisteten 22-Millionen-Euro-Tranche 75 Millionen des zugesagten Invest-Volumens von 100 Millionen Euro bezahlt. Neben der für die aktuelle Saison gestundeten Stadionmiete, die Hertha zurückzahlen muss, ist vor allem die im Herbst 2025 fällige Rückzahlung der 40-Millionen-Euro-Anleihe (Nordic Bond) ein herausfordernder Posten.

Ralf Huschen, seit 2019 Finanzgeschäftsführer bei Liga-Konkurrent SC Paderborn und auch Mitglied im Aufsichtsrat der DFL GmbH, ist sich mit Hertha über einen Wechsel in die Hauptstadt einig. Vor allem Huschens Expertise hatte dafür gesorgt, dass der SCP so unbeschadet wie nur wenige deutsche Profi-Klubs durch die Corona-Zeit kam. Zudem sorgte er bei den Ostwestfalen für eine signifikante Steigerung der Einnahmen – ein Feld, auf dem bei Hertha noch immer vieles brach liegt. Eine Ablöse will Hertha für Huschen, der in Berlin als Chief Financial Officer (CFO) einsteigen soll, nicht zahlen. Den Aufstieg 2024/25 nennen die Hertha-Bosse um Geschäftsführer Thomas E. Herrich “alternativlos”.

Über den Ausgang des aktuellen Lizenzierungsverfahrens ließ der Hauptstadtklub bislang nichts verlauten. Im Vorjahr musste Hertha nachsitzen und zittern – und rettete sich auch dank der Verlängerung der 40-Millionen-Anleihe zu horrenden Zinskonditionen über die Ziellinie. Auch diesmal, so ließen sich gut informierte Quellen am Wochenende vernehmen, erhält Hertha die Lizenz offenbar nur unter Auflagen – und muss auch im Zusammenspiel mit den Banken nachjustieren.

Steffen Rohr

Hertha: Phantom Rogel zurück auf der Bildfläche

Seit dem Sommer war er ein Phantom im Kader, jetzt ist er wieder da: Agustin Rogel (26) ist bei Hertha BSC ins Mannschaftstraining zurückgekehrt – nach neunmonatiger Leidenszeit.

Tauscht die Straßenklamotten wieder gegen Fußballkluft: Hertha-Verteidiger Agustin Rogel.

Tauscht die Straßenklamotten wieder gegen Fußballkluft: Hertha-Verteidiger Agustin Rogel.

IMAGO/Matthias Koch

Als Agustin Rogel letztmals für Hertha BSC spielte, stand Oliver Christensen im Tor und Maximilian Mittelstädt spielte hinten links. Lucas Tousart und Kevin-Prince Boateng bildeten die Doppel-Sechs. Dodi Lukebakio und Marco Richter besetzten die Flügel, und vor dem auf der Zehn aufgebotenen Suat Serdar stürmte Stevan Jovetic.

Die sind alle längst weg oder – wie Boateng – im fußballerischen Ruhestand. Rogel ist noch da. Oder besser: wieder da.

In besagter Aufstellung spielte Hertha am 20. Mai 2023 1:1 gegen den VfL Bochum. Ein Kopfballtor von VfL-Verteidiger Keven Schlotterbeck in der vierten Minute der Nachspielzeit stürzte den Hauptstadtklub seinerzeit ins Tal der Tränen, der Abstieg war besiegelt. Eine Woche darauf, als Trainer Pal Dardai in Wolfsburg der Zukunft ein Gesicht gab und den Youngstern um Pascal Klemens, Tjark Ernst und Ibrahim Maza eine Chance, saß Rogel nur noch auf der Bank. Danach verschwand er in den Krankenstand – wegen seiner Knie-Operation, die er zuvor über Monate verschoben hatte, um im Abstiegskampf nicht zu fehlen.

Wird die Karriere neu angeschoben?

Am Dienstag kehrte der uruguayische Innenverteidiger, der Ende August 2022 vom damaligen Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic nach starken Auftritten in der Copa Libertadores aus Argentinien (Estudiantes de La Plata) geholt worden war, ins Mannschaftstraining zurück.

Für den 1,91-Meter-Hünen, der im September 2022 für die Nationalmannschaft Uruguays debütiert, aber die WM in Katar verpasst hatte, steht auch seine dritte Europa-Station unter keinem guten Stern. In Russland (KS Samara, Saison 2018/19) und Frankreich (FC Toulouse, Sommer 2019 bis Februar 2021) hielt es ihn nicht lange. Mit Toulouse stieg er 2020 sang- und klanglos aus der Ligue 1 ab, mit Hertha 2022/23 aus der Bundesliga. Auf 20 Einsätze brachte es Rogel in Herthas Abstiegssaison, die Verkaufspläne des Klubs für den Sommer 2023 zerschlugen sich wegen der Knie-OP.

Klar ist: Rogel (Vertrag bis 2026) bleibt ein Abgangskandidat, Herthas Zukunft in der Innenverteidigung soll vor allem den Eigengewächsen Linus Gechter, Marton Dardai, Pascal Klemens und Tim Hoffmann gehören. Nach seinem Bundesliga-Debüt Anfang Oktober 2022 gegen die TSG Hoffenheim (1:1) hatte Rogel gesagt: “Ich habe versucht, es zu genießen.” Allzu viel Genuss kam seitdem für ihn in Berlin nicht dazu. Jetzt ist der Abwehrspieler, der 2017 mit Uruguays U-20-Auswahl WM-Vierter in Südkorea war, zurück, um seine Karriere neu anzuschieben.

Steffen Rohr