Pfiffe und “Keller-raus-Rufe”: In Köln kippt die Stimmung

Das Duell mit dem Liga-Schlusslicht hätte keine größere Bedeutung für den 1. FC Köln haben können, doch am Ende verloren die Geißböcke mit 0:2. Das sorgte für einen Stimmungsumschwung. Die Fans nehmen Geschäftsführer Christian Keller ins Visier.

Fans des 1. FC Köln sagen den Profis im Innenraum des Rhein-Energie-Stadions ihre Meinung.

Fans des 1. FC Köln sagen den Profis im Innenraum des Rhein-Energie-Stadions ihre Meinung.

IMAGO/Beautiful Sports

Alle zwei Wochen pilgern 50.000 Fans zu den Heimspielen des 1. FC Köln. Kein Platz blieb im Rhein-Energie-Stadion in dieser Saison leer – und das, obwohl die Geißböcke eigentlich allen Grund dafür liefern. Der Tabellenvorletzte zeigt Woche für Woche fußballerische Magerkost, doch bislang erduldeten die Fans das mit beeindruckender Leidensfähigkeit.

Erstmals richten sich die Fans gegen Keller

Am Samstagnachmittag änderte sich das allerdings: Mit 0:2 gegen Darmstadt 98 verlor das Team von Trainer Timo Schultz und taumelt damit dem Abstieg in die 2. Liga entgegen. Ein schlimmer Auftritt, den die Menschen auf den Rängen mit Pfiffen beantworteten. Erstmals zur Pause, gefolgt von wütenden Rufen: “Wir wollen euch kämpfen sehen!”

“Die Fans haben uns lange gut unterstützt”, sagt Innenverteidiger Timo Hübers anerkennend, gibt aber zu: “Das haben wir nicht für uns nutzen können.” Schlimmer noch: Nach dem zweiten Gegentreffer begannen die Ultras bereits ihre Banner abzuhängen, nach dem Abpfiff schallen “Buh”-Rufe durch Köln-Müngersdorf. Einige Menschen klettern in den Innenraum und erteilen dann den Profis eine kurze Standpauke. Von der Südtribüne wird “Wir haben die Schnauze voll” gerufen, gefolgt von “Keller raus”.

Hübers kann den Unmut verstehen

Die Fans zielten damit erstmals auch in Richtung des Sport-Geschäftsführers Christian Keller, der für die Zusammenstellung der Mannschaft verantwortlich ist. Der gibt sich allerdings verständnisvoll. “Es war ein brutal wichtiges Spiel, und wir waren größtenteils nicht auf Bundesliganiveau”, kritisiert Keller. “Dann verstehe ich, dass hier jeder im Stadion sehr verärgert ist und da bin ich der Hauptverantwortliche. Deswegen ist es okay, wenn die Leute ihren Frust rauslassen.”

Die kommenden Kölner Aufgaben

Auch Hübers konnte den Unmut nachvollziehen: “Es ist nicht so, als wären wir super zufrieden in die Kurve gegangen. Für uns war es ein absoluter Scheißnachmittag.” Was die Fans den Profis mitgaben? “Dass sie nicht zufrieden sind, wir alles reinhauen sollen und sie uns jetzt erst mal nicht sehen wollen”, verriet Kapitän Florian Kainz. Das wird bis zum 4. Mai auch nicht der Fall sein. Dann empfängt der 1. FC Köln den SC Freiburg in Müngersdorf und die Atmosphäre könnte noch kühler werden, wenn der Abstieg auch rechnerisch feststehen sollte.

Mit dem Rücken zur Wand: Köln darf sich keine Fehler mehr erlauben

Vier Punkte beträgt der Rückstand des 1. FC Köln auf den Relegationsplatz inzwischen. Den Klassenverbleib haben die Kölner nicht mehr in der eigenen Hand. Trainer Timo Schultz und sein Team müssen die nächsten beiden Spiele gewinnen.

Unter Druck: Torhüter Marvin Schwäbe, Sargis Adamyan und Jacob Christensen (von links) müssen nun gewinnen.

Unter Druck: Torhüter Marvin Schwäbe, Sargis Adamyan und Jacob Christensen (von links) müssen nun gewinnen.

picture alliance / SvenSimon

Mit der Hoffnung ist das so eine Sache. Die stirbt dem Sprichwort nach ja bekanntlich zuletzt – und das ist im chronisch optimistischen Rheinland meist ein gutes Stückchen später als anderswo. Manchmal stirbt sie aber auch langsam und leise. Fast unbemerkt, weil es einfach niemand wahrhaben will. So wie derzeit beim 1. FC Köln: Noch können die Rheinländer die Relegation erreichen. Aber in der eigenen Hand haben sie das nach dem 0:2 beim FC Bayern am Samstag nicht mehr.

Ein Fünkchen Hoffnung

Vier Punkte beträgt der Rückstand auf Mainz 05, das auf Platz 16 steht – zu groß ist der Rückstand auf den Relegationsplatz zum ersten Mal in dieser Saison. Fünf Zähler sind es zum VfL Bochum, der derzeit auf Rang 15 ganz gerettet wäre. 15 Punkte sind noch zu vergeben im Endspurt der Bundesliga, und zumindest mit Mainz wird sich Köln am übernächsten Wochenende noch das direkte Duell liefern. Klar ist aber auch: Selbst wenn die Geißböcke dieses Spiel gewinnen sollten, sind sie auf Patzer der Konkurrenz angewiesen.

Noch also fliegt ein Fünkchen Hoffnung durch Köln. Doch das wird immer kleiner. Nachdem Trainer Timo Schultz und sein Team lange auch auf den direkten Klassenverbleib gepokert hatten, dürfte es jetzt nur noch um das Erreichen der Relegation gehen. “Wenn wir aus den nächsten beiden Spielen sechs Punkte holen, werden wir anders drüber reden”, glaubt zwar der in München erneut herausragende Torhüter Marvin Schwäbe (kicker-Note 2). Aber Schultz gibt zu: “Wir wissen, dass wir in den kommenden Wochen Siege holen und Tore schießen müssen.”

Gegen Darmstadt zählt nur ein Sieg

Davon aber ist sein Team oft genug weit entfernt – selbst wenn es eigentlich ganz nah dran ist. Immerhin fünf dicke Chancen gab es gegen den Rekordmeister, “aber wenn man etwas mitnehmen möchte, muss man die auch nutzen”, betonte Schultz. Stattdessen stellte sich die Mannschaft mal wieder selbst ein Bein, geriet wie bereits in den sieben Partien zuvor in Rückstand. Anders als beim emotionalen 2:1 zuletzt gegen Bochum konnte der FC diesmal die Partie nicht mehr drehen. Kein Wunder: Köln gewann saisonübergreifend nur eines der jüngsten 16 Auswärtsspiele – mit 1:0 bei Schlusslicht Darmstadt. Ansonsten verzeichnete Köln acht Remis und sieben Niederlagen.

Darmstadt heißt nun der nächste Gegner am Samstag. Eine Partie, bei der nur ein – möglichst deutlicher – Sieg zählt. Bereits seit Wochen predigt Schultz von der anstehenden “Crunchtime” – also der Saisonphase, in der sich das Schicksal des 1. FC Köln entscheiden wird. Gemeint sind damit die Duelle mit Darmstadt und Mainz, aber auch die mit Freiburg, Union Berlin und Heidenheim danach.

Das wird der Weg bleiben.

Kölns Trainer Timo Schultz lobt die Herangehensweise gegen den FC Bayern

Die kommenden Kölner Aufgaben

Gut möglich ist aber, dass sich die Zukunft des Klubs längst angebahnt hat: Niederlagen wie etwa das 0:1 gegen Werder Bremen oder auch das 3:3 gegen Borussia Mönchengladbach wiegen nun besonders schwer. Beide Konkurrenten waren schlagbar gewesen, beide hätte man mit in den Tabellenkeller ziehen können. Nun aber regiert pure Hoffnung am Geißbockheim. Ob das reicht? Dass im Team durchaus mehr steckt, als anhand der Punkte abzulesen ist, war auch in München zu erkennen. “Wir haben uns gewehrt, aber auch in einigen Situationen spielerisch gut befreit”, fand Schultz zu Recht. Sargis Adamyan und Luca Walschmidt etwa hatten jeweils einen Treffer auf dem Kopf beziehungsweise Fuß. “Das wird der Weg bleiben”, betont der FC-Coach, der auch wieder die gute Defensivleistung lobte.

Die Bausteine für eine kleine Kölner Sensation hat Schultz beisammen, schließlich bewies das Bochum-Spiel auch die tadellose Moral der Truppe. Der Klub steht mit dem Rücken zur Wand, Fehler dürfen sich die Protagonisten nicht mehr erlauben. Sonst droht der siebte Abstieg der Klubhistorie Realität zu werden. “Wir sind darauf vorbereitet”, versichert Schultz, der den rheinischen Optimismus beängstigend schnell verinnerlicht hat. “Wir sind bereit für die Crunchtime.”

Jim Decker

Eine emotionale Explosion, doch der Druck auf Köln wächst weiter

Innerhalb von zwei Minuten verwandelt der 1. FC Köln das Rhein-Energie-Stadion in ein Tollhaus. Der Sieg gegen den VfL Bochum hält die Hoffnung auf den direkten Klassenerhalt am Leben, doch es müssen weitere Erfolge her.

Emotionale Explosion: Kölns Luca Waldschmidt bejubelt seinen entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen Bochum.

Emotionale Explosion: Kölns Luca Waldschmidt bejubelt seinen entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen Bochum.

picture alliance/dpa

Wenn nachts um halb drei in kölschen Kneipen einträchtig geschunkelt wird, tönt aus der Box oft “Tommi” von der Band AnnenMayKantereit. Ein schmalzig-melancholischer Schlager, in dem die Liebe zur Stadt Köln besungen wird und der auch Samstagnachmittag im Rhein-Energie-Stadion lief. Der 1. FC Köln hatte zuvor dank einer wahnwitzigen Schlussphase den VfL Bochum mit 2:1 besiegt und die entsprechende Stimmung aufkommen lassen: Nach Wochen voller Krisen, Niederlagen und Rückschlägen hatten sich plötzlich alle wieder lieb bei den Geißböcken.

Fast parallel dazu tönte aus dem Kabinentrakt der Profis “Halleluja” von Brings, bevor ein aufmerksamer Ordner die Tür schloss. Ein Song, der zumindest die sportliche Situation noch etwas besser zusammenfasste. Denn nachdem der 1. FC Köln zuvor 90 Minuten lang einer kleinen tabellarischen Katastrophe entgegengetaumelt war, hatten zwei Kopfballtore von Steffen Tigges und Luca Waldschmidt der großen Hoffnung auf den direkten Klassenerhalt wieder Leben eingehaucht – und das Stadion in Köln-Müngersdorf explodieren lassen.

Noch ist alles in der eigenen Hand

“Unglaubliche Emotionen” hatte nicht nur Kapitän Florian Kainz gespürt, als die 50.000 Zuschauer nach Tigges’ Tor erstmals losgebrüllt hatten. “Das ist ein Spiel, das in Erinnerung bleibt.” Zu Recht: Zum ersten Mal gewann der FC ein Bundesligaspiel, obwohl Köln bei Ablauf der regulären Spielzeit noch zurücklag. Und das, obwohl die Geißböcke eines von drei Teams waren, die vor diesem Spieltag 2023/24 noch nicht in der Nachspielzeit getroffen hatten.

Viel wichtiger: Der 1. FC Köln ist zwar weiter Vorletzter, aber weiter einen Punkt dran an Mainz 05 und vier Zähler hinter dem VfL. Und so bleibt die Chance auf das Erreichen der Relegation und sogar auf den direkten Klassenerhalt realistisch: Im Duell mit Mainz könnte Köln Ersteres sogar in der eigenen Hand haben.

Klimaveränderung ist hörbar

So emotional und wichtig der Erfolg auch war: Überzeugend war er nicht. “Das war ein Finish, nach dem es lange nicht aussah”, musste etwa Verteidiger Timo Hübers zugeben. Und Trainer Timo Schultz kritisierte: “Ich habe in den 90 Minuten vor den Toren viele Sachen gesehen, die mir nicht gut gefallen haben.” Die Defensive immerhin stand sicher, ließ nur zwei Chancen zu und meldete die VfL-Stürmer ab. Nach vorne aber ging mal wieder wenig bis nichts.

“Wir waren gehemmt, hätten zielstrebiger nach vorne spielen sollen und unsere fußballerischen Fähigkeiten besser auf den Platz bringen sollen”, monierte Schultz. In der Ekstase nach dem Spiel lobten die Profis dann zwar wieder die Unterstützung der Fans. In der Schlussphase vor dem Doppelschlag waren aber auch Pfiffe zu hören gewesen, einige Anhänger hatten “Wir wollen euch kämpfen sehen” gerufen. Was nichts an der grundsätzlichen Unterstützung der Südtribüne für das Team ändert, aber durchaus eine kleine Temperaturverschiebung im Binnenklima bedeutet.

Das war kein richtig gutes Spiel von uns.

Kölns Innenverteidiger Timo Hübers

Hübers wurde deswegen deutlich. “Da weitermachen, wo wir nach den letzten fünf Minuten aufgehört haben. Denn davor, so selbstkritisch muss man sein, war das kein richtig gutes Spiel von uns”, sagte der 27-Jährige. Viel zu wenig Mut, zu wenig Risikobereitschaft und auch zu wenig Biss auf den letzten Metern vor dem Tor hatten die Geißböcke lange Zeit in Richtung Niederlage gelenkt. Erst ganz am Ende verkehrte das Team all diese negativen Attribute ins Gegenteil – und wurde belohnt. Schultz gab zu: “Die Jungs haben immer wieder angeschoben, immer an sich geglaubt. Dafür wurden wir belohnt – nicht für fußballerische Finesse.”

Die kommenden Kölner Aufgaben

Der Druck bleibt immens. Am kommenden Wochenende geht es gegen den FC Bayern, dann gegen Darmstadt und Mainz. In beiden letzteren Duellen sind Siege Pflicht, aber auf Glück oder Einzelleistungen sollte sich das Team nicht verlassen. “Dass nicht alles leicht von der Hand geht, ist verständlich”, sagte Schultz milde und fasste dann noch etwas Positives: “Dass wir einen intakten Haufen zusammen haben, sieht jeder. In den letzten Spielen wird vieles mit dem Kopf entscheiden. Aber dafür sind wir bereit.”

Jim Decker