Eine emotionale Explosion, doch der Druck auf Köln wächst weiter

Eine emotionale Explosion, doch der Druck auf Köln wächst weiter

Innerhalb von zwei Minuten verwandelt der 1. FC Köln das Rhein-Energie-Stadion in ein Tollhaus. Der Sieg gegen den VfL Bochum hält die Hoffnung auf den direkten Klassenerhalt am Leben, doch es müssen weitere Erfolge her.

Emotionale Explosion: Kölns Luca Waldschmidt bejubelt seinen entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen Bochum.

Emotionale Explosion: Kölns Luca Waldschmidt bejubelt seinen entscheidenden Treffer zum 2:1 gegen Bochum.

picture alliance/dpa

Wenn nachts um halb drei in kölschen Kneipen einträchtig geschunkelt wird, tönt aus der Box oft “Tommi” von der Band AnnenMayKantereit. Ein schmalzig-melancholischer Schlager, in dem die Liebe zur Stadt Köln besungen wird und der auch Samstagnachmittag im Rhein-Energie-Stadion lief. Der 1. FC Köln hatte zuvor dank einer wahnwitzigen Schlussphase den VfL Bochum mit 2:1 besiegt und die entsprechende Stimmung aufkommen lassen: Nach Wochen voller Krisen, Niederlagen und Rückschlägen hatten sich plötzlich alle wieder lieb bei den Geißböcken.

Fast parallel dazu tönte aus dem Kabinentrakt der Profis “Halleluja” von Brings, bevor ein aufmerksamer Ordner die Tür schloss. Ein Song, der zumindest die sportliche Situation noch etwas besser zusammenfasste. Denn nachdem der 1. FC Köln zuvor 90 Minuten lang einer kleinen tabellarischen Katastrophe entgegengetaumelt war, hatten zwei Kopfballtore von Steffen Tigges und Luca Waldschmidt der großen Hoffnung auf den direkten Klassenerhalt wieder Leben eingehaucht – und das Stadion in Köln-Müngersdorf explodieren lassen.

Noch ist alles in der eigenen Hand

“Unglaubliche Emotionen” hatte nicht nur Kapitän Florian Kainz gespürt, als die 50.000 Zuschauer nach Tigges’ Tor erstmals losgebrüllt hatten. “Das ist ein Spiel, das in Erinnerung bleibt.” Zu Recht: Zum ersten Mal gewann der FC ein Bundesligaspiel, obwohl Köln bei Ablauf der regulären Spielzeit noch zurücklag. Und das, obwohl die Geißböcke eines von drei Teams waren, die vor diesem Spieltag 2023/24 noch nicht in der Nachspielzeit getroffen hatten.

Viel wichtiger: Der 1. FC Köln ist zwar weiter Vorletzter, aber weiter einen Punkt dran an Mainz 05 und vier Zähler hinter dem VfL. Und so bleibt die Chance auf das Erreichen der Relegation und sogar auf den direkten Klassenerhalt realistisch: Im Duell mit Mainz könnte Köln Ersteres sogar in der eigenen Hand haben.

Klimaveränderung ist hörbar

So emotional und wichtig der Erfolg auch war: Überzeugend war er nicht. “Das war ein Finish, nach dem es lange nicht aussah”, musste etwa Verteidiger Timo Hübers zugeben. Und Trainer Timo Schultz kritisierte: “Ich habe in den 90 Minuten vor den Toren viele Sachen gesehen, die mir nicht gut gefallen haben.” Die Defensive immerhin stand sicher, ließ nur zwei Chancen zu und meldete die VfL-Stürmer ab. Nach vorne aber ging mal wieder wenig bis nichts.

“Wir waren gehemmt, hätten zielstrebiger nach vorne spielen sollen und unsere fußballerischen Fähigkeiten besser auf den Platz bringen sollen”, monierte Schultz. In der Ekstase nach dem Spiel lobten die Profis dann zwar wieder die Unterstützung der Fans. In der Schlussphase vor dem Doppelschlag waren aber auch Pfiffe zu hören gewesen, einige Anhänger hatten “Wir wollen euch kämpfen sehen” gerufen. Was nichts an der grundsätzlichen Unterstützung der Südtribüne für das Team ändert, aber durchaus eine kleine Temperaturverschiebung im Binnenklima bedeutet.

Das war kein richtig gutes Spiel von uns.

Kölns Innenverteidiger Timo Hübers

Hübers wurde deswegen deutlich. “Da weitermachen, wo wir nach den letzten fünf Minuten aufgehört haben. Denn davor, so selbstkritisch muss man sein, war das kein richtig gutes Spiel von uns”, sagte der 27-Jährige. Viel zu wenig Mut, zu wenig Risikobereitschaft und auch zu wenig Biss auf den letzten Metern vor dem Tor hatten die Geißböcke lange Zeit in Richtung Niederlage gelenkt. Erst ganz am Ende verkehrte das Team all diese negativen Attribute ins Gegenteil – und wurde belohnt. Schultz gab zu: “Die Jungs haben immer wieder angeschoben, immer an sich geglaubt. Dafür wurden wir belohnt – nicht für fußballerische Finesse.”

Die kommenden Kölner Aufgaben

Der Druck bleibt immens. Am kommenden Wochenende geht es gegen den FC Bayern, dann gegen Darmstadt und Mainz. In beiden letzteren Duellen sind Siege Pflicht, aber auf Glück oder Einzelleistungen sollte sich das Team nicht verlassen. “Dass nicht alles leicht von der Hand geht, ist verständlich”, sagte Schultz milde und fasste dann noch etwas Positives: “Dass wir einen intakten Haufen zusammen haben, sieht jeder. In den letzten Spielen wird vieles mit dem Kopf entscheiden. Aber dafür sind wir bereit.”

Jim Decker