Andrichs Aufstieg zum emotionalen Anführer

Andrichs Aufstieg zum emotionalen Anführer

Der Platz neben Toni Kroos war einer der wenigen, der während der ersten Lehrgangswoche in Frankfurt noch offen erschien. Seit Samstag und dem 2:0 in Frankreich scheint dieser vorerst zementiert: Robert Andrich hat seine Startelf-Chance in Lyon höchst eindrucksvoll genutzt.

Ist momentan neben Toni Kroos klar gesetzt im deutschen Nationalteam: Leverkusens Robert Andrich.

Ist momentan neben Toni Kroos klar gesetzt im deutschen Nationalteam: Leverkusens Robert Andrich.

IMAGO/Jan Huebner

Dass der 29-jährige Leverkusener Robert Andrich am Tag vor dem Heimspiel gegen die Niederlande (Dienstag, 20.45 Uhr, LIVE! bei kicker) einen Platz auf dem Pressekonferenzpodium zugewiesen bekommen hatte, war schon ein erster Hinweis, dass er auch seinen Platz in der Anfangsformation behält.

Julian Nagelsmann legt sich diesbezüglich auch fest: Der Bundestrainer hat keine Wechsel vorgesehen und sagt ganz konkret auf seine Besetzung des defensiven Mittelfeldes: “Beide Sechser ergänzen sich sehr gut.” Das bedeutet: Andrich hat im Duell mit Pascal Groß die Nase vorn – und benennt so klar und schnörkellos seine Rolle wie er sie auf dem Platz auch ausfüllt: “Es passt so gut zwischen Toni (Kroos; Anm. d. Red.) und mir, weil man seine Qualitäten wirklich nicht groß beschreiben muss. Er ist einfach super, und ich versuche ihm mit meiner Spielintelligenz so zuzuarbeiten, dass er seine Qualitäten ausspielen kann, dass er unfassbar wichtig für uns ist. Ich soll für eine gewisse Stabilität sorgen und mit meiner Mentalität Sicherheit geben.”

Andrich musste sich “frühzeitig immer wehren”

Mit dieser Selbsteinschätzung gibt sich Andrich deutlich zurückhaltender als er auf dem Platz auftritt. In Lyon duellierte er sich im Zweikampf eisenhart mit Kylian Mbappé, trieb den Superstar mit seiner Resolutheit sogar zur Tätlichkeit und an den Rande eines Platzverweises. Und gibt der Mannschaft damit ein Element, das ihr sichtbar gut tut.

“Die Mentalität, immer eklig zu sein und mich immer zu wehren”, sagt er, “resultiert daraus, dass ich erst mit 17, 18 Jahren richtig gewachsen bin. Ich musste mich frühzeitig immer wehren. Diese Mentalität habe ich nie verloren.”

Rasant gewachsen ist Andrich auch in den zurückliegenden Jahren nochmals. So sehr, dass er in diesen Wochen und Monaten drauf und dran ist, sich im Verein und der Nationalelf, Träume zu erfüllen. Mit Bayer Leverkusen kämpft der Mittelfeldabräumer noch um drei Titel, dazu winkt der Startplatz in der Heim-EM-Elf – das ist ziemlich viel auf einmal, und Andrich sagt: “Es gibt schon immer mal Momente, in denen man das kurz genießen kann. Ich und wir alle waren zum Beispiel sehr, sehr glücklich nach dem Sieg in Frankreich. Aber es geht darum, eine Mischung zu finden, das zu genießen und gleichzeitig richtig einzuordnen.” Das bedeutet: “Dienstag geht es weiter, ein Spiel reicht nicht.”

Die Gefahr, dass Andrich ein Spiel reichen könnte, besteht keinesfalls. “Ich will zeigen, dass ich meinen Platz verdient habe.” Und dass, obwohl er findet, dass das von Nagelsmann in diesen Tagen vielzitierte Momentum gar nicht so sehr auf seiner Seite ist im Leverkusener Ensemble. “Gefühlt habe ich persönlich die wenigste Spielzeit in den zurückliegenden fünf Jahren, weil wir eine brutale Saison spielen.”

Er hat mir vermittelt, in keiner Phase eines Spiels den Kopf zu verlieren.

Robert Andrich über seinen Bayer-Coach Xabi Alonso

Eine Weiterentwicklung registriert er unter seinem Vereinstrainer Xabi Alonso dennoch: “Was die Mentalität angeht, hat er bei mir sehr, sehr viel bewegt. Er hat mir vermittelt, in keiner Phase eines Spiels den Kopf zu verlieren, das hat mir mitunter gefehlt, ich war oft zu emotional.” Mit kühlem Kopf ist Andrich nun auf dem Weg zu einem emotionalen Anführer als Schattenmann von Dreh- und Angelpunkt Kroos.

Sebastian Wolff