Leistner: “Es war gefühlt eine verschenkte Saison”

Nach Wochen auf der Bank durfte Hertha-Kapitän Toni Leistner gegen Hannover 96 (1:1) wieder starten – und zog danach für den Zweitliga-Achten ein differenziertes, ehrliches Fazit der Saison.

Nicht um klare Worte verlegen: Toni Leistner.

Nicht um klare Worte verlegen: Toni Leistner.

IMAGO/Contrast

Er machte die Kollegen vor dem Anpfiff heiß aufs Spiel – und durfte im Gegensatz zu den Vorwochen auf dem Rasen selbst mal wieder mitmischen. Nach dem 0:2 beim FC St. Pauli am 10. März, als Toni Leistner zur Pause ausgewechselt worden war, hatte Herthas Kapitän seinen Stammplatz verloren. Es folgten vier Partien auf der Bank und ein Kurzeinsatz gegen Hansa Rostock (4:0).

Weil sich Marton Dardai wegen muskulärer Probleme vor dem Hannover-Spiel abmeldete, startete Leistner und lieferte solide Arbeit ab. Der Ausgleich durch Enzo Leopold in der Nachspielzeit sorgte bei Leistner und dem Rest der Belegschaft für Frust. “Da flankt ein Innenverteidiger mit Halstenberg, und der kleinste Spieler auf dem Feld macht ein Kopfballtor. Deswegen ist es sehr ärgerlich”, befand Leistner. “Das müssen wir für die nächste Saison mitnehmen, dass wir defensiv viele, viele Sachen besser machen müssen.”

Später Nackenschlag als Sinnbild

Den späten Nackenschlag gegen die Niedersachsen nannte der Innenverteidiger “ein Sinnbild der ganzen Saison”, die schon jetzt für Hertha gelaufen ist und aus der Leistner Positives und Negatives mitnimmt: “Wir können Tore schießen – und müssen als Team viel, viel besser verteidigen. Das hat man auch wieder beim letzten Tor gesehen, dass da der Innenverteidiger zur Flanke laufen und ungehindert flanken kann. Das darf so nicht passieren. Wir haben gerade, was die Defensive angeht, viele, viele Hausaufgaben für die nächste Saison.”

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Das aktuelle Spieljahr bringt Leistner ungeschminkt auf den Punkt: “Es war gefühlt eine verschenkte Saison, weil ich glaube, dass extrem viel Potenzial in dieser Mannschaft steckt, aber wir es nicht konstant abgerufen haben. Da ist dann die Frage, woran es gelegen hat. Das müssen wir analysieren, das müssen die Klub-Verantwortlichen analysieren, und jeder Einzelne muss sich an die Nase fassen.”

Mit seiner Reservisten-Rolle zuletzt war Leistner nicht happy, aber seinem Erziehungsauftrag kam er vollumfänglich nach. “Toni ist ein wichtiger Teil von Hertha BSC – ob er spielt oder nicht”, sagte Coach Pal Dardai. “Er ist wie ein Papabär. Wir haben sehr viele Jugendspieler hier, die werden immer Schwankungen haben. Da brauchen wir Toni.”

Auch wenn der Aufstieg verschenkt wurde, will ich so hoch wie möglich abschneiden.

Toni Leistner

Der hegt trotz einer für ihn komplizierten Rückrunde keinerlei Abwanderungsgedanken. “Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich nicht Woche für Woche nach Veränderungen schaue”, sagte der 33-Jährige. “Ich habe hier für zwei Jahre unterschrieben – für ein Projekt, das ich auch nächstes Jahr mit angehe. Deswegen habe ich die letzten Wochen im Training immer Vollgas gegeben und den Jungen, die gespielt haben, ein paar Tipps gegeben. Da habe ich mal eine andere Rolle eingenommen: vielleicht nicht die, die ich mir persönlich vorstelle, aber ich habe sie trotzdem relativ gut ausgefüllt.”

Und seine Motivationsrede vor dem Hannover-Spiel? “Es ging darum, dass jeder Einzelne aus den letzten vier Spielen seine eigene Motivation ziehen soll”, erklärte Leistner. “Für die einen ist es Geld, für die anderen sind es freie Tage. Für mich ging’s darum, an die Ehre zu appellieren. Auch wenn der Aufstieg verschenkt wurde, will ich so hoch wie möglich abschneiden.”

Drei Spiele bleiben noch, um doch noch das Mini-Ziel von drei Siegen in Serie zu erreichen. “Gegen Hannover sollte der Anfang sein, aber sinnbildlich für die Saison haben wir’s nicht hinbekommen”, sagte der Abwehrspieler. “Es sah lange ordentlich aus, aber am Ende war es wieder nur ein Punkt.” Wie schon im Hinspiel (2:2 nach 2:0-Führung) – und wie so oft in dieser Saison.

Steffen Rohr

Maza: Wut-Anfall von Dardai

Er ist einer der größten Hoffnungsträger bei Hertha BSC – und wurde gegen Hannover 96 (1:1) noch auf dem Platz vom eigenen Trainer zusammengefaltet. Ibrahim Maza stand am Freitagabend unfreiwillig im Blickpunkt.

Schimpfte seinen Schützling Ibrahim Maza lautstark zur Halbzeitpause: Hertha-Trainer Pal Dardai.

Schimpfte seinen Schützling Ibrahim Maza lautstark zur Halbzeitpause: Hertha-Trainer Pal Dardai.

IMAGO/Beautiful Sports

Das Wut-Stakkato nahm beinahe kein Ende. Pal Dardai lief mit dem Halbzeitpfiff auf den Rasen des Berliner Olympiastadions und direkt auf Ibrahim Maza zu, der in Richtung Kabine unterwegs war. Dardai redete mit grimmiger Miene und wild gestikulierend auf den Youngster ein, der an der Seitenlinie wartende Florian Niederlechner konnte den aufgebrachten Chef nicht wirklich besänftigen. Es war das lautstarke Finale einer ersten Halbzeit, in der Maza nach dem Geschmack seines Trainers seinem Job nicht gewissenhaft genug nachgegangen war. “So ein defensives Verhalten geht nicht. Man kann nicht spazieren, wir sind nicht bei der U19”, sagte Dardai nach dem Abpfiff bei Sky.

Tränen bei Maza

“Er hat es jetzt abbekommen und muss sein Leben lang den Gedanken drin haben, nicht in der Aktion stehen zu bleiben. Er muss mitmachen. Zweite Halbzeit hat er sehr diszipliniert gespielt.” In der Pressekonferenz nach dem Spiel brachte Dardai von sich aus die Causa Maza zur Sprache. “Ich habe ihn richtig angepackt wegen seines defensiven Verhaltens. Ich bin kein Laptoptrainer. Wir haben es auf dem Laptop hundertmal gezeigt. Ich habe es damals genauso von Jürgen Röber abbekommen und es für mein Leben gelernt. Man verteidigt in der Aktion bis zum Ende und bleibt nicht stehen. Er muss davon lernen.”

In der Halbzeitpause sollen beim deutschen U-19-Nationalspieler sogar Tränen geflossen sein. Als Maza zur zweiten Halbzeit wieder auf den Rasen kam, gab’s Trost von Mitspielern wie Linus Gechter und eine aufmunternde Geste von Athletiktrainer Henrik Kuchno. Als Maza nach 72 Minuten ausgewechselt wurde, bekam er von Dardai die Wange getätschelt und einen Klaps auf den Hinterkopf.

Wir können keinen in Watte packen, der Trainer denkt sich was dabei. Da darf man auch ab und zu ein bisschen härter miteinander umgehen.

Fabian Reese über Dardais Wutanfall

Führungsspieler wie Kapitän Toni Leistner und Fabian Reese wollten die Szene nicht überbewerten. “Der Trainer war mit der einen oder anderen Situation gerade in der Rückwärtsbewegung nicht zufrieden”, sagte Leistner. “Das war der ausschlaggebende Punkt, warum der Trainer ausgerastet ist.” Bleibende Folgen befürchtet er nicht: “Der Junge hat so viel Selbstvertrauen. Da nimmt er mal einen Schluck Wasser und schluckt das runter, dann geht es weiter. Ibo hat in der zweiten Halbzeit eine gute Reaktion gezeigt, indem er die eine oder andere Situation eins gegen eins gut aufgelöst hat.”

Reese fand ähnliche Worte: “Grundsätzlich sind wir hier im Herrenfußball. Ich war auch mal ein jüngerer Spieler, da kriegt man ab und zu ein bisschen Fett weg”, sagte der Flügelspieler. “Das macht einen stärker, da muss man durch. Ob es gerechtfertigt ist oder nicht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ab und zu muss man sich das mal anhören. Fakt ist: Wenn man vorn stehen bleibt und das zwei-, dreimal zu viel, das sehen die Trainer nicht ganz so gern. Und dann noch zwei-, dreimal wegrutschen und in Situationen unglücklich aussehen, das sind so Sachen, die bringen den Trainer in dem Moment zur Weißglut. Wir können keinen in Watte packen, der Trainer denkt sich was dabei. Da darf man auch ab und zu ein bisschen härter miteinander umgehen.”

Reeses Lob für Maza

Auch Reese lobte Maza für die Reaktion im zweiten Durchgang: “Ibo hat sich einmal geschüttelt und direkt am Anfang der zweiten Halbzeit vier, fünf gute Aktionen gemacht. Die Jungen haben hier eine große Chance, relativ viele Spielminuten zu bekommen. Das ist einmalig. Von daher sollen sie sich den Arsch aufreißen und in der Offensive wie in der Defensive das Maximale geben.”

Mit der Standpauke nicht bis zum geschützten Bereich der Kabine zu warten, sondern schon auf dem Rasen loszuledern, war Dardai unplugged. Maza, der vor einem Jahr trotz Angeboten aus der Bundesliga seinen Vertrag in Berlin bis 2026 verlängert hatte, hatte die Hinrunde dieser Saison wegen einer Meniskus-Verletzung verpasst. In der Rückrunde beweist er seinen Wert. Er soll in der neuen Saison ein zentraler Baustein des Hertha-Teams werden, das den Aufstieg anpeilt.

Allerdings gibt es für den Zehner erneut Interessenten aus der Bundesliga, auch ein englischer und ein italienischer Erstligist haben Herthas aktuell wohl größtes Talent auf dem Radar. In den vergangenen Wochen war der Youngster mit seiner Joker-Rolle nicht vollends happy. Gegen Hannover durfte er starten, legte eine äußerst unglückliche erste Halbzeit hin – und wurde vor aller Augen vom eigenen Chef zerlegt. Ob das seine Lust auf einen Verbleib fördert, wird sich zeigen.

Steffen Rohr