Müller warnt, Nagelsmann will nicht bremsen

Müller warnt, Nagelsmann will nicht bremsen

Mit einem Besuch der Familienmitglieder im Home Ground honorierte Julian Nagelsmann den EM-Traumstart seines Teams. Der Bundestrainer betont den besonderen Spirit in seinem Kader.

Erleichtert nach dem Traumstart: Bundestrainer Julian Nagelsmann und Thomas Müller.

Erleichtert nach dem Traumstart: Bundestrainer Julian Nagelsmann und Thomas Müller.

IMAGO/Sven Simon

Um 0:35 Uhr machte sich der deutsche Mannschaftsbus via Polizeieskorte auf den zweistündigen Weg von der Münchner Arena ins Basiscamp nach Herzogenaurach, und an Bord wuchs mit jedem zurückgelegten Kilometer die Erleichterung und der Stolz über den besten Start einer deutschen Mannschaft in ein EM-Turnier. “Dieses 5:1 ist ein Statement, aber es war nur der erste Schritt. Ich hoffe, da kommt noch mehr”, sagte Kai Havertz und erinnerte an seine Worte vor der Generalprobe gegen Griechenland: “Ich habe schon da gesagt, dass etwas sehr Großes wachsen kann.”

Der überlegen herausgespielte Sieg gegen ganz schwache Schotten, die nur auf den stimmgewaltigen Rängen EM-Tauglichkeit bewiesen, hat diese Überzeugung auch bei seinen Teamkollegen und bei Bundestrainer Julian Nagelsmann weiter wachsen lassen. Nach den holprigen Tests gegen Griechenland (2:1) und zuvor der Ukraine (0:0) hatte dieser Kantersieg den Charakter einer Initialzündung – nach innen wie nach außen.

Havertz: “Das ganze Land steht Kopf”

“Das ganze Land steht Kopf”, bemerkte Havertz, “wir haben schon im Trainingslager gespürt, wie sehr sich die Fans ein erfolgreiches Turnier wünschen.” Auch Thomas Müller, der natürlich wie alle im DFB-Team die feucht-fröhlichen Bilder von deutschen und vor allem schottischen Fans verfolgt hatte, ergänzte: “Die Fans haben sich solch eine Explosion gewünscht. Es war ein perfekter Auftakt, aber eben auch nur ein Auftakt.”

Immerhin aber: Noch nie ist eine deutsche Mannschaft in einem Turnier nach einem siegreichen Start in der Vorrunde ausgeschieden. Dieser Sieg stärkt nicht nur das Selbstvertrauen, er ist vor allem ein Punkte-Fundament vor den sicher weitaus schwierigeren Aufgaben, die am Mittwoch gegen Ungarn und vier Tage später gegen die Schweiz auf den EM-Gastgeber warten. “Genießen und auf dem Boden bleiben”, empfahl Müller mit der ganzen Erfahrung seiner bereits sieben absolvierten Turniere: “Es geht nicht um das Gefühl, es geht um die Punkte. Rückschläge kommen schneller als man denkt.”

2010 und 2014 folgten Rückschläge

Der Münchner dachte dabei an die WM 2010, als dem 4:0-Auftakt gegen Australien eine 0:1-Pleite gegen Serbien folgte. Und an die WM 2014, als sich der spätere Weltmeister nach dem 4:0-Start gegen Portugal zu einem 2:2 gegen Ghana mühte. “Es trägt dich keiner durch das Turnier, du musst die Spiele gewinnen”, warnte deshalb Müller. Auch Niclas Füllkrug rief angesichts der letzten drei Turnier-Enttäuschungen in Erinnerung. “Wir wissen alle, aus welcher Phase wir kommen und dass wir schon anderes erlebt haben. Da wird jetzt keiner abheben”, prophezeite der Joker, der sofort im Spiel war und mit dem zwölften Treffer im 17. Spiel seine beachtliche Torquote ausbaute.

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“Am Ende bin ich weit davon weg, ein Mahner zu sein. Es macht wenig Sinn, jetzt zu viel zu bremsen”, lautet indes die Maxime von Nagelsmann, dessen Personal-Entscheidungen und taktische Herangehensweise im Auftaktspiel voll aufgegangen waren. Dies gilt vor allem für seine – auf Inspiration von Basketball-Weltmeistertrainer Gordon Herbert erfolgte – klare Rollenverteilung innerhalb des Kaders. Am Freitag ging jedenfalls jeder in seiner Aufgabe auf, ob die seit März praktisch feststehenden Protagonisten der Startelf oder die ersten Alternativen wie beispielsweise Füllkrug, Pascal Groß oder der nachnominierte Emre Can.

Am Samstag ließ Nagelsmann die Familienmitglieder in den Home Ground, abschalten und regenerieren stand auf dem Programm. “Was Ansprachen betrifft, ist es ein Tag, an dem ich die Spieler in Ruhe lasse”, sagte der Bundestrainer, der nach seinem erfolgreichen Einstand als Turnier-Trainer betonte, wie sehr ihm die Mannschaft in seiner neunmonatigen, überaus wechselhaftigen Amtszeit ans Herz gewachsen ist: “Es macht richtig viel Spaß mit der Truppe. Die Mannschaft gibt mir viel Energie zurück.”

Besondere Ansprache im Hotel

In den zwei Vorbereitungs-Wochen hatte er ein Hauptaugenmerk darauf gelegt, das innere Zusammenhörigkeitsgefühl zu stärken, sei es bei der Teambuilding-Maßnahme mit dem Sondereinsatzkomando der Polizei (SEK) im Weimarer Land oder auch bei der Abschlussbesprechung am Freitag. “Ich habe im Hotel gesagt, dass uns eine Sache alle teilt, dass wir eine Gemeinschaft sind. Die Gemeinschaft soll die Massen emotionalisieren, die Gemeinschaft hat auch das Spiel gewonnen”, sagte er und fügte hinzu: “Die Gemeinschaft hat dafür gesorgt, dass Fußball-Deutschland ein Stück mehr an uns glaubt, als es vor dem Spiel der Fall war.” Diesen Glauben mit einem guten Ergebnis gegen Ungarn weiter zu stärken, ist die Aufgabe am Mittwoch.

Oliver Hartmann