“Wichtig ist, dass ter Stegen jetzt in keine Lauerhaltung tritt”

“Wichtig ist, dass ter Stegen jetzt in keine Lauerhaltung tritt”

Andreas Möller wurde 1996 mit der DFB-Auswahl Europameister in England. Für den kicker schreibt er die EM-Kolumne. Der 56-Jährige erinnert sich an den damaligen Teamspirit – und sagt, was er nun von Marc-André ter Stegen erwartet.

Auch er muss jetzt das große Ganze vor Augen haben: Marc-André ter Stegen.

Auch er muss jetzt das große Ganze vor Augen haben: Marc-André ter Stegen.

Getty Images

Von Andreas Möller

Auf Initiative von Berti Vogts sind viele der Europameister von 1996 im Europapark Rust in diese Woche gestartet. Markus Babbel, Fredi Bobic, Steffen Freund, Thomas Häßler, Thomas Helmer, Jürgen Klinsmann, Andreas Köpke, Jürgen Kohler, Stefan Kuntz, Oliver Reck, Stefan Reuter und auch ich folgten wie die Co-Trainer Rainer Bonhof und Erich Rutemöller dem Ruf des früheren Bundestrainers. 28 Jahre – ist verdammt lang her seit dem letzten EM-Titelgewinn für Deutschland. Mit einem wunderbaren Film wurde uns vor Augen geführt, was wir 1996 auf dem Weg zum Triumph in Wembley geleistet hatten, damals keinesfalls als Favorit in das Turnier gestartet nach der verkorksten WM 1994 in Amerika mit dem Aus gegen Bulgarien im Viertelfinale.

EM-Finale 1996

Der Star ist die Mannschaft

Der Star ist die Mannschaft, hieß 1996 das Credo von Berti Vogts. Dazu kam ein weiterer Grundsatz: kein Blick zurück. Weder auf die 0:1-Niederlage im letzten großen Test gegen Frankreich vor dieser EM, und schon gar nicht auf 1994, gehörten doch mehrere Spieler jener WM diesem EM-Team in England an. Wir fokussierten uns im Quartier im ländlichen Mottram Hall vor den Toren von Manchester ganz auf das Auftaktspiel gegen Tschechien, das wir 2:0 durch Tore von Christian Ziege und mir gewannen.

Mit diesem Credo von Vogts, mit dem wirklich starken Zusammenhalt in dieser Mannschaft steckten wir echte Rückschläge wie die Verletzungen von Jürgen Kohler und Fredi Bobic zu Beginn des Turniers sehr gut weg, selbst der nachnominierte Jens Todt wurde mit offenen Armen empfangen.

Die Mannschaft hatte viele Führungsspieler mit ausgeprägter Siegermentalität, an Stresssituationen im Training kann ich mich nicht erinnern. Jeder fokussierte sich voll auf das Turnier und versuchte sich in den Dienst der Mannschaft einzuordnen. Letztendlich hatte Berti Vogts bei der Zusammenstellung des Kaders ein feines Gespür, die Mischung zwischen turniererfahrenen Spielern und Jüngeren funktionierte.

Ter Stegen muss Neuer vorbehaltlos unterstützen

Diesen Teamspirit sehe ich kurz vor dem EM-Start gegen Schottland auch im aktuellen Aufgebot. Die Diskussionen der vergangenen Tage um Manuel Neuer waren berechtigt und gaben Anlass zur Sorge. Persönlich finde ich es gut und richtig, dass sich Bundestrainer Julian Nagelsmann schon im Frühjahr zu Neuer bekannt und die Rollen in der Torwartfrage klar verteilt hat. Wichtig ist, dass Marc-André ter Stegen nun das große Ganze vor Augen hat und selbst in keine Lauerhaltung tritt. Wie in Stein gemeißelt muss er neben Neuer stehen, ihn unterstützen.

Dieses vorbehaltlose Zusammenwirken der Torhüter war einen Schlüssel bei unserem EM-Triumph 1996. Unter den Torhütern herrschte einen tolle Harmonie, Oliver Kahn und Oliver Reck gaben alles, damit Andy Köpke mit breiter Brust in die Spiele gehen konnte. Denn eins ist ganz klar: Jedes Turnier, jede EM und jede WM, setzt für ein erfolgreiches Abschneiden der Mannschaft einen Torwart in guter Form voraus.

Mit dem Schottland-Spiel echte Euphorie entfachen

Europameister 1996: Andreas Möller mit der Trophäe.

Europameister 1996: Andreas Möller mit der Trophäe.
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Offene Baustellen sehe ich unmittelbar vor dem EM-Auftakt nicht. Bundestrainer Nagelsmann und seine Mitstreiter haben mit Rudi Völler für klare Strukturen und eine Hierarchie in diesem Kader gesorgt. Kurz vor dem Eröffnungsspiel werden in einer Konzentrationsphase die Sinne geschärft, fährt jeder Spieler in durchaus unterschiedlicher Weise seinen Adrenalinspiegel hoch. Gegen Schottland muss das entscheidende Signal über einen starken Auftritt in großer Geschlossenheit bei hohem Tempo und permanenter Druckerzeugung gesetzt werden. Wenn das gelingt, dann wir das ganze Land auch in echte Euphorie fallen.

Andreas Möller (56) bestritt 85 Länderspiele, war Weltmeister 1990 und gehörte 1996 dem deutschen Team an, das zum bisher letzten Mal den Europameistertitel holte. Im Halbfinale verwandelte er im Elfmeterstechen gegen England den letzten, entscheidenden Elfmeter für den Einzug ins Endspiel. Im Finale durfte er aber wegen einer Gelbsperre nicht mitwirken. Andreas Möller wird bis zum Abpfiff dieser EM als kicker-Kolumnist im Einsatz sein.