Davies: Bayern oder Madrid? Vermutlich erstmal Ersatzbank

Davies: Bayern oder Madrid? Vermutlich erstmal Ersatzbank

Real Madrid ist angeblich an ihm interessiert, beim FC Bayern läuft Alphonso Davies jedoch seit einiger Zeit seiner Form hinterher. Ausgerechnet im Duell der beiden Klubs im Halbfinale der Champions League droht dem Kanadier die Ersatzbank.

Seit der famosen Saison 2019/20 galt beim FC Bayern: Ist Alphonso Davies fit, spielt er links hinten in der Viererkette. Sein atemberaubendes Tempo kam als willkommenes Werkzeug in den Spielkasten des FC Bayern, Stellungsfehler und taktische Defizite machte er damit wett. Doch mittlerweile hat sich der Status von Davies geändert.

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Im Viertelfinal-Hinspiel beim FC Arsenal erwischt er in der ersten Halbzeit einen gebrauchten Tag, holt sich zudem seine dritte Gelbe Karte im Wettbewerb ab. Im Rückspiel beordert Trainer Thomas Tuchel deshalb Noussair Mazraoui nach links hinten, eine Position davor Raphael Guerreiro. Das Duo löst die Aufgabe hervorragend und sollte auch im Halbfinal-Hinspiel gegen Real Madrid an diesem Dienstag (21 Uhr, LIVE! bei kicker) gesetzt sein. Schließlich durften sie auch beim 2:1 gegen Eintracht Frankfurt am Samstag gemeinsam ran.

Hier Barcelona, dort Bremen: Zwei Szenen zeigen die Diskrepanz bei Davies

Ein Gegensatz, der größer nicht sein könnte, zeigt die Entwicklung bei Davies. Hier die Szene aus dem August 2020, die weltweit viral geht: Davies vernascht im Viertelfinale des Finalturniers der Champions League den bedauernswerten Nelson Semedo vom FC Barcelona nach allen Regeln der Kunst. Der Kanadier nimmt Fahrt auf, verzögert, täuscht an, lässt seinen Gegner stehen. Tempo, Technik, Mut zum Solo. Davies zieht nach innen, bedient Joshua Kimmich zentimetergenau, 5:2, Endstand 8:2. Wenige Tage später sind Davies und die Bayern die Könige Europas. “Die Saison 2019/20 war eine ganz besondere, nicht nur für mich, sondern für den gesamten Klub”, blickt Davies zurück: “Es war wie ein Traum, alle waren euphorisiert. Als junger Spieler so eine Saison zu erleben und das Triple zu gewinnen, war natürlich unglaublich.”

Der Triumph bleibt, die Erinnerung daran verblasst. Szenenwechsel: Im Januar, Allianz- Arena, Bundesliga gegen Werder Bremen. Dank eines der Bundesliga unwürdigen Zweikampfverhaltens entwischt der Bremer Mitchell Weiser Davies am Strafraum, zieht ein paar Meter nach innen und nagelt den Ball oben ins Tor. 1:0, Sieg für Werder. Ein exemplarischer Fehler, von denen er sich zu viele leistet.

Hier Barcelona, dort Bremen, Arsenal, zu viele andere Spiele: Extreme aus der Karriere des 23-Jährigen, die am 1. Januar vor fünf Jahren ihren Anfang beim FC Bayern genommen hat, wo er nach einem halben Jahr Anlaufzeit 2019/20 fulminant durchgestartet ist. Von diesem Davies ist jedoch seit längerer Zeit wenig zu sehen. “Es ist schwer zu widersprechen”, antwortete Trainer Thomas Tuchel vor einiger Zeit auf die Feststellung, sein Schützling befinde sich im Formtief. Davies sagt: “2020 hatte mich noch niemand so wirklich auf dem Zettel, ich war ein relativ unbeschriebenes Blatt und habe abgeliefert. Danach war die Erwartungshaltung an mich natürlich größer. Ich denke, dass ich dieser im Großen und Ganzen auch gerecht geworden bin, aber natürlich nicht immer, nicht in jedem Spiel.”

Tatsächlich rast seine Entwicklung seit geraumer Zeit in die falsche Richtung, wie auch die Verantwortlichen des Rekordmeisters sehr genau beobachtet haben. Zwar sprintet Davies wie eh und je die linke Bahn rauf und runter, doch in der Offensive ist sein Ertrag gering, in der Defensive unterlaufen ihm spielentscheidende Fehler. Davies kommt vor dem gegnerischen Tor kaum zum Abschluss, flankt nur noch selten aus vollem Lauf, zu selten finden seine Hereingaben einen Abnehmer. In dieser Saison sammelt er vier Assists in der Bundesliga, schießt ein Tor beim 3:2 in Augsburg, mehr nicht.

Zu oft klafft defensiv hinter Davies ein Raum

Bringt Phonzie, wie er beim FC Bayern gerufen wird, sein enormes Potenzial ein, ist alles gut. Zu oft jedoch klafft defensiv hinter ihm ein Raum, in den Gegner gerne stoßen. Meist macht Davies etwaige Vorsprünge der Gegenspieler durch sein enormes Tempo wieder wett, alles kaschieren kann er damit nicht. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus, als Sky-Experte ein permanenter Beobachter des FC Bayern, hat Defizite erkannt: Stellungsfehler, taktisches Verhalten, Aufbau- und Positionsspiel. “Bei der Geschwindigkeit macht ihm aber niemand etwas vor.” Mit Blick auf den einst steilen Aufstieg des Turbos nimmt ihn Matthäus sogar in Schutz: “Wenn ich daran zurückdenke, wie er nach oben geschossen ist, dann ist es schwer, so weiterzumachen.”

Alphonso Davies (re.) ist defensiv nicht immer sattelfest.

Alphonso Davies (re.) ist defensiv nicht immer sattelfest.
IMAGO/MIS

Öffentliches Draufhauen verkneift sich Tuchel, weil er weiß, dass “Phonzie ein sensibler, aber auch ein ganz feiner Kerl ist”. Also wählt der Trainer lieber aufbauende Worte: “Ich glaube, dass er unsere Unterstützung braucht, weil er feinfühlig und sehr selbstkritisch ist und ihn die Situation eher hemmt als beflügelt. So sieht im Moment auch sein Spiel ein bisschen aus.”

Der Moment dauert allerdings schon ziemlich lange, erinnert sei beispielsweise an das plumpe Foul in der Nachspielzeit gegen Bayer Leverkusen zu Saisonbeginn, das aufgrund des fälligen Strafstoßes den Sieg beim 2:2 kostet. Fehler, die auf diesem Niveau nicht passieren dürfen und Titel kosten können. “Wir sprechen viel mit ihm, lassen ihn immer wieder spielen, auch wenn er seiner absoluten Top-Form hinterherhinkt”, erklärt Tuchel seinen Ansatz, zumal er Phasen in Spielen beobachte, die “sehr stark” seien. Insgesamt fehle Davies über einen längeren Zeitraum Selbstvertrauen. Daher glaubt Tuchel: “Im Zweifel hilft es ihm am allermeisten, wenn wir ihm weiter vertrauen und weiter mit ihm inhaltlich arbeiten.”

Eine Vermutung für das Leistungstief, aber keine allzu weit hergeholte, lautet, die Vertragssituation mache Davies zu schaffen. Aktuell ist er bis 2025 an den FC Bayern gebunden. Spätestens im Sommer heißt es also: verlängern oder verkaufen. Matthäus sieht David Alaba als warnendes Beispiel, der die Münchner 2021 ablösefrei zu Real Madrid verließ. Gerüchte um ein Interesse der Königlichen an Davies streut vor allem dessen Berater gerne. Beim FC Bayern glauben führende Köpfe, Davies werde von diesem der Kopf verdreht.

Am Ende geht es ums liebe Geld. Dem Vernehmen nach fordert die Davies-Seite eine stattliche Gehaltserhöhung, die der FC Bayern nicht abnicken wird. Ihre Unzufriedenheit über die Entwicklung des Spielers haben die Bosse dem Management von Davies bereits vor Weihnachten mitgeteilt. Ohnehin stellt sich die Frage, ob Real bereit wäre, so viel zu zahlen, auch den Königlichen ist die Leistungsdelle beim Kanadier nicht verborgen geblieben. Davies sagt: “Ich fühle mich hier sehr wohl, spiele in einer unglaublichen Mannschaft, bei einem der absoluten Top-Vereine Europas.”

“Werden ihm vertrauen, weil wir um sein Potenzial wissen”

Fairerweise gilt es anzumerken, dass Davies’ Niveau im Ligavergleich noch immer sehr ordentlich ist. Nur sind die Ansprüche beim Rekordmeister eben höher. Natürlich lockt der Vergleich mit Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong, die als Außenverteidiger bei Bayer Leverkusen in dieser Saison Weltklasse verkörpern. Allerdings muss bedacht werden, dass Grimaldo ein gänzlich anderer Spielertyp ist, die Leverkusener zudem als Schienenspieler vor einer Dreierabwehrkette agieren, während Davies im Normalfall das linke Glied einer Viererkette ist.

Genügend Steigerungspotenzial für Davies gibt es. “Wir arbeiten daran, dass er nicht zu viel die Seite wechselt, sondern durchkommt, in dem Dreieck mit der Acht und dem Flügelstürmer, und sein Vertrauen findet”, erklärt Tuchel. Defensiv müsse der nächste Schritt sein, “gegen den Ball Zweikämpfe zu gewinnen und im Zweikampfverhalten eine Schippe draufzulegen. Wir sind an den Themen dran und werden ihm vertrauen, weil wir um sein Potenzial wissen”.

Barcelona kann ein Lied davon singen, es ist nur verdammt lang her. Davies sieht es differenziert: “Meine Spielweise hat sich seitdem ein wenig verändert. Etwas weniger Tricks, etwas weniger Dribblings, etwas weniger Risiko. Dafür verstehe ich heute andere Dinge besser als vor vier Jahren, habe mehr Erfahrung.” Er sei noch jung, wolle dazulernen und sich verbessern. Die Beweispflicht liegt bei ihm. Auch ab Juli und in München oder doch woanders, in Madrid?

(Dieser Text ist eine leicht abgeänderte Version des Artikels, der bereits am 29. Januar 2024 im kicker erschien.)

Frank Linkesch