Chandler versteht Kritik: “Die Pfiffe muss man einfach mal akzeptieren”

Chandler versteht Kritik: “Die Pfiffe muss man einfach mal akzeptieren”

Mit erfrischender Offenheit spricht Timothy Chandler über die schwierige Saison der Eintracht und die Kritik von außen. Dabei zeigt er auch Verständnis für die Pfiffe der Fans. Zudem lässt er durchklingen, dass Trainer Dino Toppmöller umdenken muss.

Bezog mit ungeschminkten Worte Stellung zur Lage in Frankfurt:  Timothy Chandler.

Bezog mit ungeschminkten Worte Stellung zur Lage in Frankfurt:  Timothy Chandler.

IMAGO/osnapix

Als die Eintracht im vergangenen Heimspiel gegen Augsburg 0:1 zur Pause zurücklag, begleitete die Mannschaft auf dem Weg in die Kabine ein Pfeifkonzert. “Ich kann es nicht nachvollziehen”, sagte Torhüter Kevin Trapp hinterher. Eintracht-Urgestein Timothy Chandler zeigt hingegen Verständnis für den Unmut von den Rängen.

Pfiffe haben “in den Köpfen etwas bewegt”

“Die Pfiffe muss man einfach auch mal akzeptieren – und eher dagegen arbeiten. Das haben wir in der zweiten Hälfte gemacht, und dann haben sie auch wieder geklatscht. Ich sehe nicht alles so negativ. Die Leute können ihre Meinung äußern. Wichtig ist, wie man damit umgeht”, sagt Chandler. Er glaubt sogar, dass die Pfiffe “in den Köpfen etwas bewegt” haben. “In der Halbzeit haben wir gesagt: Das geht nicht, wir müssen etwas anderes zeigen”, erzählt Chandler.

In der Tat spielte die Mannschaft danach mit mehr Herz, drehte das Spiel, gewann mit 3:1 und wurde von den Rängen lautstark gefeiert. In den vergangenen Jahren hätte die Eintracht gerade in den am Abend stattfindenden Heimspielen “immer die Hütte abgebrannt”, betont Chandler. Was er meint: Es zeichnete die Mannschaft aus, dass sie mit großen Emotionen spielte und auf diese Weise nicht selten über sich hinauswuchs.

Podcast

Krise in Kaiserslautern: Mit „Hosenscheißer-Fußball“ in die 3. Liga?


13:59 Minuten

alle Folgen

Der 34-Jährige ist überzeugt, dass das auch weiterhin die Basis sein muss. Exemplarisch führt er eine Szene an, in der Neuzugang Hugo Ekitiké gegen Augsburg einen verlorengegangenen Ball zurückeroberte: “Das sind die Emotionen, mit denen wir in den letzten Jahren etwas aufgebaut haben, von denen wir gelebt und die uns so erfolgreich gemacht haben. Diese Grundsätze müssen wir bei allen Entwicklungen beibehalten, wir dürfen sie niemals verlieren”, betont Chandler.

Das müsse auch den Neuzugängen erklärt werden. Weise Worte. Denn insbesondere an den lethargischen Auftritten entzündete sich in dieser Saison oft die Kritik.

“Vielen hat die Leidenschaft gefehlt”

Das weiß auch Chandler. “Es ist ja nicht so, dass ich Eintracht Frankfurt nur hier am Campus lebe. Ich kenne sehr viele Eintracht-Fans und Leute aus der Kurve, bin viel unterwegs. Vielen hat einfach die Leidenschaft, der Ball nach vorne oder auch der gewisse Zweikampf gefehlt”, erzählt der frühere US-Nationalspieler.

Das sei den Anhängern im Stadion “auf den Sack gegangen”. Genau deshalb dürfe die Eintracht nicht das “wegwerfen”, was sie in den vergangenen Jahren erfolgreich gemacht habe. Gegen Augsburg sei die Reaktion der Mannschaft in der zweiten Hälfte “überragend” gewesen, meint Chandler, “wie wir da rausgekommen sind und uns auch in die Zweikämpfe geworfen haben”.

Auch für Dino Toppmöller, der erstmals als Cheftrainer in einer großen Liga arbeitet, sei das “ein Lernprozess”. Auf den Coach prassele in Frankfurt viel ein. Chandler erklärt: “Das ist ja auch nicht immer so leicht, wenn man einen Plan hat und vielleicht merkt, dass er nicht so ganz funktioniert.” Ungeschminkte Worte, die im Profifußball heutzutage selten sind. Dabei liegt es auf der Hand, dass Toppmöller in Frankfurt nur dann reüssieren wird, wenn er sich der DNA des Klubs anpasst – und nicht umgekehrt.

Einmal Adler, immer Adler

Chandler wird definitiv langfristig bei der Eintracht bleiben, erst kürzlich verlängerte er seinen auslaufenden Vertrag bis 2025. Die Kritik, die vor allem in den sozialen Netzwerken auch auf ihn seit Jahren einprasselt, lässt ihn kalt: “Ich sage immer zu meiner Frau: Wenn es danach gehen würde, was die Leute da reinschreiben, hätte ich schon vor zehn Jahren mit dem Fußball aufhören müssen.”

Wie lange er seine aktive Karriere fortsetzen will, kann er nicht genau beziffern. Aber er erklärt: “Solange ich Woche für Woche ohne Schmerzen auf dem Trainingsplatz stehen kann, ich fit bin und mich gut fühle, solange will ich Fußball spielen – am besten natürlich bei Eintracht Frankfurt. Danach werde ich auf jeden Fall bei der Eintracht bleiben. Das weiß ich schon.”

Offen ist noch, in welcher Position das sein wird. Klar ist: Die Eintracht ohne ihre immer zu Späßen aufgelegte Frohnatur Chandler kann und will sich niemand vorstellen.

Julian Franzke