48 Stunden, zwei Champions-League-Spiele: Madrids erstaunlich entspannte Ball-Saison

48 Stunden, zwei Champions-League-Spiele: Madrids erstaunlich entspannte Ball-Saison

Borussia Dortmund und Manchester City sind gleichzeitig zu Gast, Madrid erlebt zwei Champions-League-Viertelfinals in knapp 24 Stunden: Vom ganz normalen Fußball-Wahnsinn und einer trotzdem entspannten Metropole.

Fans von Manchester City in Madrid und Atletico gegen Dortmund: Der ganz normale Fußball-Wahnsinn in Madrid.

Fans von Manchester City in Madrid und Atletico gegen Dortmund: Der ganz normale Fußball-Wahnsinn in Madrid.

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Aus Madrid berichtet Patrick Kleinmann

Zehn Stationen sind es mit der Metro-Linie 7 vom Estadio Metropolitano bis zur Haltestelle Gregorio Maranon, von der aus man entweder über einen uninspirierten U-Bahn-Umstieg oder mit 15 Minuten Spaziergang durch die frühabendliche Sonne zum Estadio Santiago Bernabeu gelangt. Während im Osten der Stadt die Mannschaft von Borussia Dortmund ihr Abschlusstraining für die Begegnung mit Atletico am kommenden Tag bestreitet, ist im Zentrum schon Spieltag. Der ganze normale Wahnsinn in Spaniens Hauptstadt, wenn zwei Champions-League-Viertelfinals innerhalb von knapp 24 Stunden stattfinden.

Die ersten Madrilenos in ihren sahneweißen Trikots gehen am frühen Dienstagabend in der Mehrzahl lieber zu Fuß den Paseo de la Castellana hinauf in Richtung Norden. Lange ist auf dem Weg nichts von der monumentalen Heimat Reals zu sehen, bis die Straßen schon so überfüllt von Fans mit Bierbechern in der einen und Schinken-Bocadillos in der anderen Hand sind, dass der Blick ohnehin nur noch nach oben geht. Richtig nach Fußball riecht es erst hier, kurz vor dem Tempel. Da, wo immer wieder laute Böller hochgehen, die Luft von Pyrotechnik gesättigt ist und sich Alkohol mit Schweiß vermischt. Von einer angespannten Lage wegen der Terror-Drohung einer dem Islamischen Staat nahestehenden Gruppe ist wenig zu spüren, im Hintergrund aber wurden die entsprechenden Mechanismen für Frühwarnung, Sicherheit und Reaktion aktiviert.

Neues Bernabeu-Stadion: Fassaden-Optik irgendwo zwischen Schallplatte und kaputter Jalousie

In der fahnen- und schalschwenkenden Menge ist es schwer, einen Weg zu finden, bis plötzlich doch das Stadion zwischen zwei Mehrparteien-Wohnhäusern hervorlugt, in all seiner fragwürdigen neuen Fassaden-Optik irgendwo zwischen Schallplatte und kaputter Jalousie. Von innen aber strahlt es unverändert fünf Ränge hoch Erhabenheit und elegante Wucht aus. Und die erfolgsverwöhnten Fans? Stimmt das Vorurteil des Operetten-Publikums? Von wegen. Wenn die knapp 80.000 Zuschauer zusammen anstimmen, bewegen die Schallwellen alleine den Ball ein Stückchen näher ans gegnerische Tor.

CHAMPIONS LEAGUE – VIERTELFINALE

Dabei startet das Spiel für die Gastgeber gar nicht gut. Die letzten Töne der Hymne sind noch nicht ganz verhallt, da liegen die Citizens schon vorne, ein Freistoß von Bernardo Silva rauscht an der Mauer vorbei ins kurze Eck. Aber wie so oft in Madrid, wenn Carlo Ancelotti mal kurz fordernd die markante Augenbraue hebt, kommt sein Team mit Wucht, Tempo und Finesse zurück. Zwei abgefälschte Bälle passieren Manchesters deutschen Keeper Stefan Ortega Moreno in weniger als drei Minuten, Real ist zurück.

Es entwickelt sich ein Spiel nahe an der Perfektion

Es entwickelt sich ein Spiel nahe an der Perfektion zwischen zwei Mannschaften, deren Philosophie so unterschiedlich ist, dass fußballerische Welten aufeinandertreffen. Kreativität gegen Kontrolle, Tempo gegen Taktik, Sinnlichkeit gegen Sinn – Manchester macht das Spiel, hat am Ende fast zwei Drittel Ballbesitz und kombiniert sich immer wieder rund um den gegnerischen Strafraum wie mit Zirkel und Geodreieck. Real hält robust in der Zentrale dagegen und raubt City zeitweise die Kombinationslust, auch begünstigt vom sehr großzügigen französischen Schiedsrichter Francois Letexier, an dem sich nicht nur Jude Bellingham – in vom BVB altbekannter Manier – immer wieder reibt.

Mit Ball hackentricksen sich ganz vorne Fede Valverde, Bellingham, Rodrygo und Vinicius Junior im atemberaubenden Tempo durch die gegnerischen Reihen, vor allem Vinicius Junior balanciert 90 Minuten lang auf der schmalen Linie zwischen mit zwei Vorlagen belohntem Genie und vielen Ballverlusten bestraftem Leichtsinn. Dahinter regelt erst die eine Passmaschine den Verkehr, später dann die andere, Toni Kroos und Luka Modric betreiben inzwischen Job-Sharing. Drei Fernschusstore von Manchester, zwei abgefälschte Bälle und einen Knaller von Valverde später trennen sich die Teams mit einem Unentschieden, das beide nicht ganz zufrieden zurücklässt.

Tagsüber hatten sich die mitgereisten britischen Fans in der Innenstadt ihren Aufwärm-Rausch und den obligatorischen Sonnenbrand auf der Plaza Mayor geholt. In einem der vielen Cafés und Restaurants saßen die von der Insel angereisten Briten, ob sie nun aus Großbritannien oder Teneriffa nach Madrid kamen. Dass hier innerhalb von zwei Tagen zwei so wichtige Fußballspiele stattfinden, merkt man im Stadtbild dennoch kaum. Die Gästefans zerstreuen sich außerhalb der zentralen Plätze, die Heimfans ziehen sich erst spät ihr Trikot über das Arbeitsoutfit. Dortmund-Fans sind am Dienstag nur sehr vereinzelt zu sehen. Sie übernehmen erst am Mittwoch die Lokalitäten, auf den Tischen viele Getränke und wenig Essen.

Als das erste Spiel am Dienstag schon rund zwei Stunden abgepfiffen ist und die letzten arbeitenden Menschen das Estadio Bernabeu verlassen, steckt Juan Pedro noch mitten in seiner Zwölf-Stunden-Schicht zwischen 17 Uhr und 5 Uhr nachts. Der Taxifahrer ist hin- und hergerissen zwischen der Freude über einen geschäftigen Abend, und dem Unwillen, nicht ganz nüchterne englische Fußballfans zu transportieren.

Es sei schon deutlich mehr zu tun als einem normalen Dienstagabend, berichtet er. Aber ist es ungewöhnlich voll in der Stadt? Nein, das nicht. Fußball-Business as usual, kein Ausnahmezustand in Madrid. Es überwiegen die Freude am Spiel, die Fiesta de Futbol – und der Optimismus, nicht nur bei den auffällig vielen Anhängern im Real-Trikot mit wohl nicht ganz offiziellem Mbappé-Namenszug. Er sei sicher kein Fußball-Fachmann und habe eigentlich auch kein echtes Interesse am Sport, sagt Juan Pedro, der Taxifahrer, und ergänzt im Brustton der Überzeugung: “Aber dass Real weiterkommt, das weiß ich sicher.”

Nur wenige Stadien schaffen eine solche Symbiose zwischen Rasen und Rängen wie das Metropolitano

Wo ist der Mannschaftsbus? Atletico-Fans zelebrieren die Ankunft des Teams am Metropolitano

Wo ist der Mannschaftsbus? Atletico-Fans zelebrieren die Ankunft des Teams am Metropolitano.
IMAGO/PanoramiC

Das würden auch die vielen Atletico-Fans für ihre Mannschaft unterschreiben, die in der kommenden Woche bereits einen Tag vor dem Stadtrivalen spielt, dann in Dortmund. Dass Auswärtsspiele für “Atleti” durchaus ein Nachteil sind, bewies der Mittwochabend. Angefangen beim begeisterten Empfang des Mannschafts-Busses, den man in all dem Rauch und Feuerwerk nur noch schemenhaft erkennen konnte. Im Metropolitano setzte sich die hitzige Atmosphäre fort, nur wenige Stadien schaffen es eine solche Symbiose zwischen Rasen und Rängen herzustellen.

Am nächsten Morgen ist das alles wieder vergessen. Vor den Mülleimern warten vornehmlich mit leeren Dosen gefüllte Tüten auf die Abholung, genauso wie eine Gruppe, die eine Tour gebucht hat. Neben dem Fanshop öffnet ein Café das Rollgitter, das Leben in Madrid geht auch fast ohne Fußball weiter. Und die Metro-Linie 7 gehört wieder den Pendlern.