Gwinn im Interview: “Mit Wolfsburg habe ich noch eine Rechnung offen”

Gwinn im Interview: “Mit Wolfsburg habe ich noch eine Rechnung offen”

Am Samstag tritt Giulia Gwinn (24) mit Bayern München zum Spitzenspiel beim VfL Wolfsburg an. Im kicker-Interview spricht sie über die Kräfteverhältnisse in der Bundesliga, Lena Oberdorfs Wechsel und ihr persönliches Überraschungsteam.

kicker: Frau Gwinn, das vergangene Wochenende hätte nicht besser laufen können für den FC Bayern.

Giulia Gwinn: Ja, das stimmt. Für uns ist das Wichtigste, dass wir unsere Aufgaben erfüllen, in dem Fall gegen Leipzig gewinnen und die drei Punkte zu behalten. Aber es war natürlich auch nicht unwichtig, dass Hoffenheim gegen Wolfsburg gewonnen hat.

Sie konnten mit dem Wissen, dass Wolfsburg am Freitag verloren hat, in das Spiel gegen Leipzig gehen. War das auch ein Faktor, der Sie zusätzlich beflügelt hat?

Ja, schon. Aber wir müssen primär auf uns gucken. Es bringt uns ja nichts, wenn Wolfsburg verliert und wir unsere Aufgaben nicht erfüllen. Aber natürlich hat uns beflügelt, dass wir wussten, dass wir einen großen Schritt gehen können. Unserem Trainer ist es generell wichtig, dass wir nicht zu sehr nach Wolfsburg gucken, aber angeschaut habe ich mir das Spiel natürlich schon. Ich gucke sowieso gerne Bundesliga-Spiele, wenn es zeitlich möglich ist. Das sind ja unsere Gegner und ich kann mir dann ansehen, wie die Teams sich taktisch aufstellen.

Die Winterpause haben wir alle gebraucht.

Giulia Gwinn

Die Bayern sind ja unglaublich konstant geworden.

Stimmt. Wir hatten vor der Winterpause eine Phase, in der es nicht so prickelnd lief. Wir haben in Nürnberg nur remis gespielt und sind in der Champions League ausgeschieden. Die Winterpause haben wir alle gebraucht. Jeder für sich, um Kräfte zu sammeln. Gut getan hat uns das Trainingslager in Spanien im Januar, weil wir da wir viel miteinander gesprochen haben und unser Teamspirit wieder so richtig auflebte. Und seitdem haben wir fast alle Spiele souverän gewonnen. Das gibt natürlich Selbstvertrauen. Wir verstehen uns neben dem Platz alle gut, das ist auch ein Schlüssel dafür, dass es im Spiel funktioniert.

Aktuell hat man das Gefühl, keiner kann die Bayern schlagen. Erleben Sie das auch so auf dem Platz?

Ja, aber wir sind trotzdem sehr selbstkritisch, hatten auch nach unserem 2:1-Sieg in Frankfurt eine sehr lange Analyse. Wir sind nicht zufrieden, sondern wollen immer noch ein paar Prozent besser werden. Wir haben momentan ein gesundes Selbstvertrauen, das uns hoffentlich durch den Rest der Saison trägt.

Gesundes Selbstvertrauen werden Sie am Samstag in Wolfsburg brauchen.

Auf jeden Fall (lacht). Ich glaube, das wird ein Spiel auf Augenhöhe. In Wolfsburg ist es immer schwer. Seit ich beim FC Bayern spiele, habe ich dort nie gewonnen. Von daher ist es ein großes Ziel, drei Punkte mitzunehmen.

Topspiel in der Frauen-Bundesliga

Aber selbst im Fall einer Niederlage bleiben Sie Tabellenführer. Wenn Sie gewinnen sollten, wäre dann aus Ihrer Sicht die Meisterschaft entschieden?

Das glaube ich nicht. Es wären aber Big Points, wir hätten ein Super-Polster. Aber ausruhen dürften wir uns darauf nicht.

Worauf muss man in Spielen gegen Wolfsburg besonders aufpassen?

Wichtig wird sein, dass wir die Wolfsburger Offensive im Griff haben, weil sie dort sehr gefährliche Spielerinnen haben, die uns wehtun können. Auch bei unserem 2:1-Sieg im Hinspiel wurde es noch mal eng für uns. Wir müssen gemeinsam verteidigen, präsent sein in den Zweikämpfen.

Sind Spiele gegen Wolfsburg etwas anderes als gegen andere Bundesligisten?

Tatsächlich nicht, weil die Liga so eng ist, dass jedes Spiel ausschlaggebend sein kann, in welche Richtung es geht. Das hat man ja jetzt gerade bei Wolfsburg gegen Hoffenheim gesehen. Uns ging es in der Hinrunde in Nürnberg ähnlich. Deshalb gehe ich in jedes Spiel mit der gleichen Einstellung.

Ist die Liga wirklich ausgeglichener geworden? Hoffenheim und Frankfurt sind punktemäßig doch weit entfernt von den beiden Spitzenteams.

Insgesamt schon. In den direkten Duellen haben Frankfurt und Hoffenheim ja auch gegen uns und Wolfsburg gepunktet bzw. gewonnen. Und die Überraschungsmannschaft in dieser Saison ist für mich die SGS Essen, die eine Super-Serie spielt und es den großen Klubs schwermacht. Das ist ein positives Zeichen für die gesamte Bundesliga. Es tut sich einiges.

In der Zukunft wird mit uns in der Champions League wieder zu rechnen sein.

Giulia Gwinn

Lena Oberdorf wechselt nach München. Verschiebt das die Gemengelage noch mal mehr Richtung FC Bayern?

Ich hoffe schon. Obi hat trotz ihrer erst 22 Jahre schon viel Erfahrung und bringt eine super Qualität mit. Dass sich so eine Spielerin für den FC Bayern entscheidet, ist ein Zeichen für unsere gute Arbeit in den vergangenen Jahren. Es macht uns sehr stolz, dass Obi an unsere Visionen und unseren Weg glaubt. Sie wird uns sehr guttun, passt gut in unsere Mannschaft und unsere Spielphilosophie.

Sind Sie froh, zukünftig nicht mehr gegen Oberdorf spielen zu müssen?

(lacht) Ja, es ist schon besser, sie zukünftig in unserer Mannschaft zu haben – obwohl wir fast nie direkt gegeneinander spielen. Sie hat einfach eine enorme Präsenz und Ausstrahlung. Es ist ein Mehrwert, wenn man sie im Team hat.

Sie haben eben auch das Aus in der Champions League in der Gruppenphase angesprochen. Nagt das noch an Ihnen oder ist das abgehakt?

Es ist immer unser Anspruch, über die Gruppenphase hinaus in der Champions League vertreten zu sein und weit zu kommen. Das haben wir leider nicht geschafft. Wichtig war aber, das aufzuarbeiten und dann aus den Köpfen zu bekommen. Wir haben ja noch zwei Wettbewerbe, Meisterschaft und Pokal, bei denen wir alles selbst in der Hand haben und auf die wir uns voll konzentrieren. In der Zukunft wird mit uns aber in der Champions League wieder zu rechnen sein, dabei wird uns auch Lena Oberdorf helfen.

Im DFB-Pokal ist der FC Bayern ja auch noch vertreten. Sie spielen im Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt, Wolfsburg empfängt Essen. Zuletzt hat Wolfsburg neunmal den Pokal gewonnen. Schaffen Sie es in diesem Jahr, diese Serie zu durchbrechen?

Das wäre sehr schön und ein Traum von mir persönlich. Bayern hat zuletzt vor zwölf Jahren den DFB-Pokal gewonnen. Das ist lange her. Aber wir müssen uns erstmal gegen Frankfurt durchsetzen. Ich war ja 2019 mit dem SC Freiburg im Finale gegen Wolfsburg und habe verloren. Von daher habe ich noch eine Rechnung offen.

Das hat mich schon an die EM in England erinnert

Giulia Gwinn über den Nations-League-Sieg gegen die Niederlande

Thema Nationalmannschaft: Sie haben die Qualifikation für Olympia geschafft. Sind die Olympischen Spiele auch ein Traum, den Sie schon lange geträumt haben?

Ja, ein großer Traum. Ich durfte ja 2019 schon eine WM und 2022 eine EM spielen. Aber dieses Event Olympia ist für Sportler mit nichts zu vergleichen. Ich gucke auch immer die Olympischen Spiele im Fernsehen und habe schon die tollen Geschichten von Olympia 2016 von Mitspielerinnen und Horst Hrubesch gehört. Ich freue mich sehr darauf!

Es stand ja schon vor der Auslosung fest, dass die deutsche Mannschaft in der Gruppenphase gegen die USA antreten muss.

Die zwölf Teams, die bei Olympischen Spielen teilnehmen werden, haben alle ein Top-Niveau. Die USA gehören zu den besten Mannschaften der Welt und ich finde es cool, wenn man sich bei einem Turnier auf dieser Ebene messen kann. Es sollte unser Ziel sein, solche Mannschaften auch schlagen zu können.

Wo steht die Nationalmannschaft aktuell?

Wir stecken immer noch ein Stück weit in der Findungsphase, müssen wieder eine Identität entwickeln nach der Achterbahnfahrt der vergangenen Jahre mit der tollen EM 2022 und der enttäuschenden WM im vergangenen Jahr. Aber ich glaube, wenn man sich unsere Qualität anschaut und wieviel Spielfreude Horst Hrubesch aus uns herausholt, dann geht’s wieder aufwärts. Das hat zuletzt auch der Sieg in den Niederlanden gezeigt. Das hat mich schon an die EM in England erinnert. Als Kollektiv waren wir da richtig stark! Wir haben ja nicht mehr so viel Zeit bis Olympia und müssen dafür sorgen, dass der Kader gemeinsam funktioniert. Das wird der Schlüssel sein, damit wir unsere Qualität wieder auf den Platz bringen.

Was ist aus Ihrer Sicht zwischen der EM 2022 und der WM 2023 passiert?

Ich war ja nicht so nah dran, weil ich nach der EM lange verletzt war. Es ist schwierig zu sagen. Aber ich hatte von außen den Eindruck, dass das blinde Vertrauen und die Spielfreude nicht mehr da waren.

Kennen Sie Christian Wück, der nach Olympia Bundestrainer wird?

Nein, ich kenne ihn noch nicht. Aber mein Freund (der frühere Torwart Constantin Frommann, Anm. d. Red.) hat bei Christian Wück in der U 17 gespielt und mir viel Positives von ihm erzählt. Er weiß, wie man Titel gewinnt, und ich hoffe, dass er uns auch zurück in die Erfolgsspur führt.

Lautsprecherin? Giulia Gwinn feiert nach dem Sieg über Frankfurt mit den Fans.

Lautsprecherin? Giulia Gwinn feiert nach dem Sieg über Frankfurt mit den Fans.
IMAGO/Eibner

2022 EM, 2023 WM, 2024 Olympia, 2025 EM – ist es schwierig, in jedem Jahr ein großes Turnier zu spielen?

Einerseits ist es schon schwierig, und gerade nach dem Negativereignis WM war es nicht so einfach, sich als Mannschaft wieder zu finden. Andererseits ist es eine große Chance, die Menschen bereits in diesem Jahr wieder bei einem großen Turnier von uns zu überzeugen. Und es ist schon unser Traum, dass es wieder so ein Turnier gibt wie die EM 2022, als auf und neben dem Platz alles harmoniert hat. Deswegen sehe ich diesen jährlichen Rhythmus eher als Chance, wieder einen Schritt nach vorne zu machen und die Kritiker vom Gegenteil zu überzeugen.

Maximiliane Rall und Lina Magull sind im Winter ins Ausland gegangen. Wäre das für Sie auch irgendwann mal eine Option?

Ich will das nicht ausschließen, war aber noch nie eine Spielerin, die unbedingt mal im Ausland spielen will. Mein Herzensverein war immer Bayern München, auch schon, als ich Kind war. Ich bin total von dem Klub überzeugt und fühle mich sehr wohl. Und ich bin total glücklich und dankbar, dass ich dem Verein nach den zwei langen Verletzungen etwas zurückgeben kann.

Ich beschäftige mich nach meinen Verletzungen viel mehr mit der Aktivierung vor dem Training und vor dem Spiel.

Giulia Gwinn

Sie gelten sowohl offensiv als auch defensiv als komplette Spielerin. Haben Sie Schwächen?

Auf jeden Fall.

Verraten Sie uns die Schwächen?

Eine wirklich komplette Spielerin gibt es sowieso nicht. Mein Kopfballspiel kann ich noch verbessern, auch in Eins-zu-eins-Situationen kann ich noch besser werden. Früher habe ich ja auch offensiver gespielt, bevor ich dann nach hinten gewandert bin. Ich möchte aber trotzdem in Zukunft wieder Richtung Tor und Torbeteiligungen gehen. Ich möchte nicht aus den Augen verlieren, dass ich mich auch offensiv immer wieder einbringen kann.

Sie haben sich in Ihrer Karriere schon zweimal das Kreuzband gerissen. Ändert das etwas an ihrer Herangehensweise an die Spiele? Müssen Sie sich anders vorbereiten?

In erster Linie hat der Fußball nach zwei schweren Verletzungen für mich persönlich eine ganz andere Wertschätzung bekommen. Wenn man täglich auf dem Platz steht, vergisst man manchmal auch, wie schön es ist, dass man das Hobby zum Beruf machen durfte. Und wenn man zweimal jeweils ein Jahr raus war, dann spürt man, wie schlimm es ist, wenn man das auf einmal nicht mehr hat. Ich beschäftige mich nach meinen Verletzungen viel mehr mit der Aktivierung vor dem Training und vor dem Spiel, habe das Gefühl, dass ich meinem Körper damit die optimale Vorbereitung geben kann. Ich habe mich in den langen Verletzungspausen sehr viel mit Dingen am Rande des Fußballs beschäftigt, beispielsweise mit Ernährung und mentaler Gesundheit. Auch damit versuche ich, das Beste für mich herauszuholen, um meinen Körper bestmöglich zu unterstützen.

Haben Sie noch Probleme mit den Knien?

Nein, ich habe Gott sei Dank gar keine Probleme. Dafür bin ich sehr dankbar, weil ich auch weiß, dass es bei vielen Spielerinnen anders ist. Oft gibt’s im Nachgang immer noch Probleme – bei mir nicht.

Interview: Gunnar Meggers