Heiße Herzen und kühle Köpfe

Das österreichische Nationalteam könnte am Dienstag mit einem Erfolg über die Türkei zum ersten Mal in ein EM-Viertelfinale einziehen. Dafür fordert Teamchef Ralf Rangnick “heiße Herzen und kühle Köpfe”.

Heimspiel für Christoph Baumgartner (l.) und Nicolas Seiwald.

Heimspiel für Christoph Baumgartner (l.) und Nicolas Seiwald.

IMAGO/Contrast

Aus Leipzig berichtet Nikolaus Fink

Auf Christoph Baumgartner und Nicolas Seiwald wartet am Dienstagabend (ab 21 Uhr, LIVE! bei kicker) eine Art Heimspiel. Seit Sommer 2023 gehen die beiden Österreicher ihrem Job in Leipzig, dem Austragungsort der EM-Achtelfinalpartie gegen die Türkei, nach. “Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich hier ins Stadion reingehe”, erklärte Seiwald am Montag bei der Pressekonferenz vor dem Spiel. “Ich glaube, es ist von Vorteil, dass wir in Leipzig spielen dürfen.”

EM-Achtelfinale

“Es ist natürlich etwas Besonderes, wenn man ins Stadion hineinspaziert und sich einfach heimisch fühlt, weil man die meisten Spiele unter dem Jahr in diesem Stadion gespielt und auch echt coole Momente erlebt hat. Von dem her freuen wir uns sehr, dass das Spiel hier in Leipzig ist”, hofft auch Baumgartner auf einen kleinen Heimvorteil.

Baumgartner und Seiwald unter Rangnick gesetzt

Waren Baumgartner und Seiwald bei RB Leipzig in der abgelaufenen Saison nicht erste Wahl, sind sie bei der österreichischen Nationalmannschaft gesetzt. “Beide Spieler passen hervorragend zu der Art, wie wir spielen wollen”, erklärte Teamchef Ralf Rangnick, für den die Begegnung mit der Türkei eine Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte darstellt.

Von 2012 bis 2019 war Rangnick, der als Architekt des RB-Fußball-Imperiums gilt, in verschiedenen Funktionen (Sportdirektor und Trainer) bei Leipzig tätig. “Mich freut es unbändig, dass wir morgen hier spielen”, so der 66-Jährige, der auch auf die Unterstützung des “neutralen” Leipziger Publikums baut. Insgesamt werden am Dienstag 40.000 Zuschauer im Stadion sein.

Kantersieg spielte keine Rolle

Der 6:1-Testspielerfolg im März spielte laut Rangnick in der Vorbereitung indes keine große Rolle: “Ich glaube auch nicht, dass es einen Einfluss haben wird. Von uns wird keiner glauben, dass das ein Vorteil ist, zumal wir damals etwas zu hoch gewonnen haben.” Zu Österreichs Vorteil konnte hingegen gereifen, dass der türkische Spielmacher Hakan Calhanoglu aufgrund einer Gelbsperre zuschauen muss. Insgesamt sammelte die Elf von Vincenzo Montella im letzten Gruppenspiel gegen Tschechien (2:1) gleich elf Gelbe Karten.

Große Emotionen von türkischer Seite erwartet Rangnick auch am Dienstag. “Wir brauchen auch heiße Herzen auf dem Platz, aber in jeder Situation einen kühlen Kopf”, meinte der Deutsche, der von Seiwald volle Zustimmung erhielt. “Man weiß als Spieler, dass man in so einem Spiel einen kühlen Kopf braucht”, ergänzte der defensive Mittelfeldmann. “Trotzdem muss die Birne klar sein, damit man die richtigen Entscheidungen trifft. ”

Der Professor und sein Musterschüler

Nicolas Seiwald ist aus der österreichischen Nationalmannschaft längst nicht mehr wegzudenken. In den jüngsten 17 Länderspielen stand der 23-Jährige stets über die volle Spielzeit auf dem Feld.

Nicolas Seiwald ist unter Ralf Rangnick gesetzt.

Nicolas Seiwald ist unter Ralf Rangnick gesetzt.

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Aus Berlin berichtet Nikolaus Fink

Hatte die Journalistenschar vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Polen noch vergeblich versucht, Österreichs Teamchef Ralf Rangnick die Aufstellung zu entlocken, war dies vor der Partie gegen die Niederlande (Dienstag, 18 Uhr, LIVE! bei kicker) niemandem mehr einen Versuch wert. Ein Mann wird sich jedenfalls keine Sorgen um seinen Stammplatz machen müssen: Nicolas Seiwald.

EM-Gruppenphase – 3. Spieltag

Der 23-Jährige ist so etwas wie der Lieblingsschüler des deutschen Fußball-Professors. Seit Rangnicks Amtsantritt im Juni 2022 stand Seiwald mit einer Ausnahme bei jedem Spiel der österreichischen Nationalmannschaft auf dem Feld. Damit ist der Leipzig-Legionär auch Rekordspieler unter Rangnick. Die Erklärung dafür mutet trivial an: “Nici hat die Art und Weise, wie wir spielen (…), in die Wiege gelegt bekommen.”

Seiwald überzeugt bei der EM

Kämpft Seiwald nach seinem Wechsel von Salzburg zu Leipzig beim deutschen Bundesligisten noch um seinen Stammplatz, ist er aus der ÖFB-Elf längst nicht mehr wegzudenken. Die vergangenen 17 Länderspiele absolvierte er allesamt über die volle Distanz – das hat seit Walter Schachner, der von 1981 bis 1983 sogar 19 Begegnungen en suite über 90 Minuten bestritt, kein ÖFB-Teamspieler mehr geschafft. Auch bei der EM in Deutschland zeigte Seiwald bislang zwei starke Leistungen, die Partie gegen Polen war für Rangnick die bislang beste unter seiner Ägide.

“Das gibt mir natürlich Selbstvertrauen”, hatte Seiwald – vom kicker auf das Lob des österreichischen Teamchefs angesprochen – bereits am Freitag nach dem 3:1-Sieg gegen Polen gemeint. “Ich denke, es war eine gute Leistung. Ich versuche, darauf aufzubauen und im nächsten Spiel wieder Leistung zu zeigen.”

Seiwald nach Schlager-Ausfall noch mehr gefragt

Dass Seiwald bei der Endrunde eine derart wichtige Rolle zukommt, liegt auch am Ausfall eines rot-weiß-roten Leistungsträgers. “Nachdem uns Xaver Schlager (Kreuzbandriss, Anm. d. Red.) nicht zur Verfügung steht, ist seine Rolle natürlich noch wichtiger geworden. Wir haben nicht so viele Spieler, die ihre Stärken genau in diesem Bereich haben, wo er und Xaver sie haben”, strich Rangnick die Bedeutung des defensiven Mittelfeldspielers für die ÖFB-Elf hervor.

Das Ende der Fahnenstange sieht Rangnick für Seiwald offenbar noch lange nicht erreicht. “Er ist ein super Junge, was die Einstellung zum Beruf angeht und einer, der sich immer verbessern und etwas dazulernen möchte. Dazu ist er für sein junges Alter auch jemand, der durch seine Spielweise und die Art, wie er auf dem Spielfeld coacht, schon Führungsqualitäten mit sich bringt.” Führungsqualitäten, die auch am Dienstag gegen die Niederlande gefragt sein werden.