Hoeneß: “Leider waren es nur die Spieler, die richtig gut waren”

Der VfB Stuttgart lieferte sich mit Leverkusen erneut einen wilden und mitreißenden Schlagabtausch beim 2:2. Die letzte Aktion der Partie verhinderte den Sieg der Schwaben, was Trainer Sebastian Hoeneß sichtlich auf die Palme brachte.

Freie Sicht: Schiedsrichter Felix Zwayer Sekunden vor dem 2:2.

Freie Sicht: Schiedsrichter Felix Zwayer Sekunden vor dem 2:2.

IMAGO/Nordphoto

“Wir haben insbesondere in der zweiten Halbzeit ein großartiges Spiel gemacht”, lobte Sebastian Hoeneß bei Sky seine Mannschaft. “Leider waren es nur die Spieler, die richtig gut waren”, sagte ein sichtlich genervter VfB-Coach und sprach danach vor allem über die Nachspielzeit.

Fünf Minuten Nachspielzeit waren nach einer packenden zweiten Hälfte angezeigt. Für Hoeneß schon der erste Fehler von Schiedsrichter Felix Zwayer, der den ganzen Frust nach dem Spiel verbal abbekam. Doch der Treffer fiel erst in der sechsten Minute der Nachspielzeit. Warum da noch nicht Schluss war?

“Wir haben gehört, dass immer noch 30 Sekunden draufgehen, wenn gewechselt wird”, berichtete Hoeneß von seinem Austausch mit den Unparteiischen. Besonders bitter, denn die hatte sich der VfB mit der Hereinnahme von Pascal Stenzel (90.+2) ja selbst eingebrockt – ein folgenschwerer Wechsel.

Stenzel war es dann auch, der die entscheidende Szene verursacht hatte. Er hatte Amine Adli auf der Außenbahn gefoult. “Der Gegenspieler wollte unbedingt das Foul”, kritisierte Hoeneß, musste aber auch einsehen, dass es “nicht schlau” war, “das muss man fairerweise auch sagen”.

Foul? Handspiel? Ausgleich

Wirtz flankte vors Tor und jetzt wurde es noch kniffliger. Anthony Rouault ging ins Luftduell mit Victor Boniface. Der Franzose wurde vom Nigerianer von hinten weggedrückt, sodass er nicht zum Kopfball kam und die Situation nicht klären konnte. “Da sind einfach zwei Arme im Rücken von Rouault”, ärgerte sich Hoeneß.

Doch das war nicht alles, denn danach prallte der Ball an die angelegte Hand von Piero Hincapie, was zur Vorlage zum Tor von Robert Andrich zum 2:2-Endstand wurde. “Für mich muss das Tor aberkannt werden. Das Mindeste ist, dass es angeschaut wird. In so einer Situation nicht draufzugucken, ist für mich nicht nachvollziehbar.” Der Check an der Seitenlinie durch Zwayer, gerade von der UEFA für die EM nominiert, blieb aus. Das Spiel war danach auch aus.

“Da muss man schon darüber nachdenken, warum der VAR überhaupt da ist”, sprang Sportdirektor Fabian Wohlgemut seinem Trainer zur Seite. “Wenn es in diesem Spiel in der 96. oder 97. Minute diese strittige Szene gibt, dann muss man sich das schon anschauen. Die ein oder andere Situation hätte der Schiedsrichter geschickter anfassen müssen.”

Kein strafbares Handspiel

Allerdings war zumindest das Handspiel in der Situation nicht strafbar. Im Regelbuch heißt es, dass ein Vergehen vorliegt, wenn der Ball ins gegnerische Tor geht, wenn ein Spieler zuvor direkt mit der Hand/dem Arm (ob absichtlich oder nicht) gespielt hat oder wenn der Ball ins Tor geht, nachdem er den Ball mit der Hand/dem Arm berührt hat (ob absichtlich oder nicht). Da der Torschütze selbst den Ball nicht an der Hand hatte, lag hier kein strafbares Vergehen vor.

Hoeneß: “Lassen wir es gut sein”

“Das ganze Spiel war emotional und hektisch und es ist sicher auch nicht einfach und trotzdem ist es die Aufgabe, Kontrolle ins Spiel reinzukriegen und das ist nicht gelungen”, bilanzierte Hoeneß, der genau wie Xabi Alonso zuvor schon eine Gelbe Karte gesehen hatte. “Beide Bänke waren extrem emotional”, erklärte er dazu und schob frustriert hinterher: “Lassen wir es gut sein.”

VfB: Karazors Heimkehr als Kapitän

Beim direkten Verfolger Dortmund muss der VfB Stuttgart fast auf seine komplette Innenverteidigung inklusive seines Kapitäns Waldemar Anton verzichten. Den Neu-Nationalspieler wird Atakan Karazor vertreten, der einst für die Borussia gespielt hat.

In Dortmund Stuttgarts Anführer: Atakan Karazor.

In Dortmund Stuttgarts Anführer: Atakan Karazor.

IMAGO/Avanti

Zwar waren es zwischen Sommer 2015 und Sommer 2017 letztlich “nur” 59 Partien (ein Tor) in der Regionalliga West für den BVB II, aber dennoch wird es eine spezielle Heimkehr für den Mittelfeldspieler. “Ata kommt nach Hause, zu dem Klub, für den er schon mal gespielt hat. Mit der Binde am Arm. Das ist schon etwas Besonderes”, meint auch Sebastian Hoeneß, der die Führungsrolle in der Mannschaft allerdings nicht alleine auf den Deutsch-Türken abgewälzt sehen will.

“Natürlich ist die Hoffnung und die Erwartung ein Stück weit da, dass er das tut”, so der Cheftrainer der Schwaben zu einem Anführer Karazor. “Aber nicht alleine. Das hat Waldi auch nie alleine gemacht. Auch wenn er die Binde am Arm hatte.”  Da mit dem Neu-Nationalspieler jetzt eine Führungsfigur fehlt, “müssen automatisch die Aufgaben verteilt werden. Das wird sich nicht nur auf Ata projizieren. Ganz sicher nicht. Das wäre auch nicht gut und nicht richtig”. Wer für den 41-Jährigen für die Vorreiterrolle im Signal-Iduna-Park prädestiniert ist, macht er auch gleich deutlich: “Spieler, wie Serhou Gutrassy, Deniz Undav, Alexander Nübel oder Angelo Stiller kann man dazuzählen. Wir haben ein paar, die jetzt noch ein bisschen mehr in die Bresche springen müssen, um die Dinge auszugleichen.”

Stenzels Mittelhand gebrochen: Einsatz dennoch wahrscheinlich

Neben den vielen Ausfällen in der Innenverteidigung mit Dan-Axel Zagadou (Kreuzbandriss), Anthony Rouault (Kieferbruch) und Anton, der jüngst beim 3:3 gegen Heidenheim die 5. Gelbe Karte gesehen hat, vermeldete Hoeneß heute zwei weitere Ausfälle: Roberto Massimo und Silas sind erkrankt. Dass Pascal Stenzel sich am vergangenen Wochenende einen Mittelhandbruch zugezogen hat, sei dagegen ärgerlich, aber nicht dramatisch. “Er hat trotzdem trainiert mit einer Schiene. Das ist auch soweit ganz gut. Wir sind ganz optimistisch, dass das funktioniert”, erklärt Hoeneß, der nach Krankheit heute zumindest Ersatzkeeper Fabian Bredlow im Training begrüßen konnte.

In den zwei Tagen bis zum Spiel in Dortmund muss sich der Chefcoach etwas einfallen lassen, um die Lücken in der stark ausgedünnten Abwehr zu füllen. “So richtig viele Optionen gibt’s ja nicht, trotzdem haben wir noch ein paar”, sagt Hoeneß, der sich nicht in die Karten blicken lässt. “Wir machen uns natürlich Gedanken: über das Personal, die Taktik, da geht’s natürlich darum, ob Dreierkette oder Viererkette. Wir haben Spieler, die auf der Position spielen können und das auch schon getan haben. Und wir haben andere Spieler, die auf der Position noch nicht so oft gespielt haben und jetzt möglicherweise aushelfen können. Ich möchte jetzt aber noch nicht zu viel verraten.”

So richtig viele Optionen gibt’s ja nicht, trotzdem haben wir noch ein paar.

Sebastian Hoeneß

Nicht allein aus Gründen der Geheimhaltung. “Es ist noch nichts final entschieden”, so der Trainer, der erst heute konkreter die taktischen Möglichkeiten in die Trainingsarbeit einfließen ließ. “Wir haben heute ein bisschen begonnen, uns Dinge anzuschauen. Morgen haben wir noch mal Training, da werden wir sicher noch mal schauen, wie wir es anstellen werden.” Vieles spricht für eine Dreierkette und die Installierung von Karazor im Abwehrzentrum. Unterstützt von Hiroki Ito und einem von rechts einrückenden Josha Vagnoman. Allerdings wäre auch Leonidas Stergiou eine Option für einen der beiden Alternativverteidiger. “Egal wer auf dem Platz steht, egal mit welcher Grundformation wir spielen: Wir freuen uns auf das Spiel”, sagt Hoeneß, der an die eigenen Stärken appelliert und glaubt.

“Das ist ein Spiel mit Chancen für uns. Obwohl wir wissen, dass es wahrscheinlich sogar das schwerste Spiel aktuell ist, mit Leverkusen vielleicht. Die Dortmunder sind in einer richtig guten Verfassung”, so der Stuttgarter Übungsleiter. Der BVB, der zuletzt bei Rekordmeister FC Bayern mit 2:0 gewann, verfüge über einen “unfassbaren Kader in Tiefe und Breite. Deswegen ist der Respekt da. Trotzdem haben wir auch Selbstvertrauen genug, zu sagen: Wir fahren hin und geben unser Bestes, was möglicherweise dazu führen kann, dass wir ein gutes Ergebnis erzielen”.

Am elften Spieltag der Hinrunde und im DFB-Pokal-Achtelfinale konnten die Schwaben die Dortmunder vor heimischer Kulisse mit 2:1 und mit 2:0 besiegen. “Trotzdem kann man das jetzt nicht für dieses Spiel anführen. In Dortmund zu spielen, ist einfach anders. Damals waren sie zudem nicht in ihrer Topferfassung und sie haben in der Winterpause nochmal zwei unglaubliche Qualitätsspieler dazugeholt (Jadon Sancho und Ian Maatsen, Anm. d. Red.).”

Hoeneß fühlt: “Chancen größer als Risiken”

In der Bundesliga treffen die beiden Traditionsklubs zum 108. Mal aufeinander. Die Bilanz dieses Duells  ist mit jeweils 41 Siegen und 25 Unentschieden ausgeglichen. Entsprechend wolle man sich nicht verstecken, so Hoeneß, dessen persönliche Bilanz positiv ist. Er ist einzige Trainer, auf den BVB-Kollege  Edin Terzic in der Bundesliga schon dreimal traf und bei zwei Remis und einer Niederlage sieglos blieb. “Aus unserer Sicht sind die Chancen größer als die Risiken”, so Hoeneß. “Das ist zumindest das, was ich fühle. Und ich glaube auch das, was die Mannschaft fühlt.”

George Moissidis