Groß: “Mir wurde teilweise meine Bundesliga-Tauglichkeit abgesprochen”

Erst spät, als 30-Jähriger, kam er zu seinem Bundesliga-Debüt, wurde Werder-Profi – und auch Kapitän: Mit dem kicker bilanziert Christian Groß seine “Geschichte, die nicht allzu häufig vorkommt”.

“Dass ich mal Werder als Kapitän in der Bundesliga aufs Feld führen durfte: Diese Dinge lösen bei mir Gänsehaut aus”, sagt Christian Groß im kicker-Interview.

IMAGO/Noah Wedel

“Knapp über 80”, so weit ist Christian Groß selbst im Bilde über die Anzahl seiner Bundesliga-Einsätze, denn diese Marke hatte er sich vor der aktuellen Saison ja auch vorgenommen. “Jetzt habe ich sie geknackt”, sagt der Mann, der bislang genau genommen 81 Mal für den SV Werder Bremen in der höchsten deutschen Spielklasse aufgelaufen ist: “Und ich glaube, dass ich sehr stolz darauf sein kann.”

Zwei Einsätze können ja noch dazukommen, ehe dann eine Fußballer-Karriere zu Ende gehen wird, die nicht nur angesichts folgender Aussagen des 35-Jährigen außergewöhnlich ist im deutschen Profi-Fußball: “Ich denke, ich habe jedes Fußballstadion deutschlandweit von innen gesehen – bis zur vierten Liga.” Groß erzählt das mit einem Lachen – und erwähnt bereits zuvor in dem Gespräch, dass er sich bei den vergangenen Auswärtsspielen “schon von den ganzen Bundesliga-Stadien verabschiedet” habe. Am Samstag (15.30 Uhr, LIVE! bei kicker) also letztmals auch in Leipzig – wo sich gewissermaßen ein Kreis schließt.

Wie im September 2019 alles begann

Gegen RB ist Groß mit den Amateuren des Hamburger SV bereits angetreten, als der aufstrebende Klub in der Saison 2010/11 noch in der Regionalliga Nord spielte. Es folgten Stationen in Babelsberg, in Lotte und Osnabrück – die 3. Liga bedeutete für den Mittelfeldspieler jedenfalls lange Zeit das höchste der sportlichen Gefühle. Auch als er 2018 nach Bremen wechselte, war er dort eigentlich für die zweite Mannschaft vorgesehen, lief in jener Saison 30 Mal ausschließlich in der Regionalliga Nord auf.

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Doch dann, im September 2019, stimmte bei Werder plötzlich das “Timing”, wie er mit Blick auf sein Bundesliga-Debüt ausführt: “Die Situation hat es damals zugelassen, dass ich mich zeigen durfte. Florian Kohfeldt hat mir die Tür aufgemacht – und ich bin mit Leistung durchgegangen.” Zunächst sei es “ja wirklich so gewesen, dass man zunächst nur einmal in den Kader gerutscht ist – doch dann hat sich das peu a peu entwickelt“, so Groß.

Groß: “Diese Dinge lösen bei mir Gänsehaut aus”

Über den Verlauf der fast fünf Jahre als Werder-Profi sagt er heute: “Ich glaube schon, dass meine Geschichte nicht allzu häufig vorkommt. Andere Karrieren verlaufen oftmals eher rückläufig: von der 1. Liga in die 2. Liga, die 3. Liga, die 4. Liga.” Gerade im höheren Fußball-Alter. Bei Groß war es andersherum.

Mehrfach verweist er jedoch explizit auf die “Arbeit, die dahintersteckt”, um einen solch späten Karriereschub zu erfahren. “Man kriegt rein gar nichts geschenkt, kein Spiel, schon gar keine Führungsrolle. Dass ich Teil des Mannschaftsrats war, dass ich mal Werder Bremen als Kapitän in der Bundesliga aufs Feld führen durfte – diese Dinge lösen bei mir Gänsehaut aus”, erklärt Groß.

Fan-Lieblinge? “So ist das nun mal einfach”

Zumal seine Zeit als Profi ja stets von kritischen Stimmen begleitet wurde. “Viele haben mir meinen Weg aufgrund meines vorherigen Werdegangs in der 3. Liga und der Regionalliga ja nicht zugetraut”, berichtet er: “Selbst nach 50 Spielen wurde mir meine Bundesliga-Tauglichkeit teilweise noch abgesprochen.”

War das ein zusätzlicher Ansporn für Groß? “Ich habe im Profifußball gelernt, dass es Spielertypen gibt, die besser bei den Fans ankommen, die zu Lieblingen werden – andere werden kritischer gesehen. So ist das nun mal einfach.” Wenn man auf so viele Einsätze zurückblicken könne, komme das “sicher nicht von ungefähr”, zumal “unter unterschiedlichen Trainern – das hat mir eigentlich am meisten bedeutet”, so der nun scheidende Bremer.

Groß lehnt Anschlussvertrag bei Werder ab

Nach einer längeren Auszeit, die Groß mit seiner Familie zum Reisen nutzen wird (“Australien, Neuseeland, Hawaii – wir werden viel sehen”), kehrt er danach jedenfalls erst einmal nicht an den Osterdeich zurück. Der 35-Jährige hat sich gegen das Angebot eines Anschlussvertrags im Verein entschieden.

“Ich bin für Werder für alles sehr dankbar, was ich hier erleben durfte, aber ich habe mich für eine andere Möglichkeit entschieden. Weil ich für mich nochmal die Chance sehe, etwas Neues zu sehen – was ich auch als Persönlichkeit jetzt mal brauche, um rauszukommen”, erläutert Groß, für den es ab September dann “bei einem anderen Klub in einer anderen Funktion weitergehen” werde.

Im kicker-Interview der Freitagsausgabe (schon am Donnerstagabend digital abrufbar als eMagazine) spricht Christian Groß zudem über lehrreiche Reha-Maßnahmen mit Bob-Fahrern, Pflegetermine vor jedem Training, ein gerahmtes Lewandowski-Bild in seinem Hausflur – und einen möglichen “goldenen Abschluss”.

Tim Lüddecke