Franz: “Der KSC macht sich unnötig eine Baustelle auf”

Franz: “Der KSC macht sich unnötig eine Baustelle auf”

Er kennt und mag beide Klubs. Vor dem Zweitliga-Duell zwischen dem Karlsruher SC und Hertha BSC am Sonntag spricht Ex-Profi Maik Franz im kicker-Interview über die Ausgangslage, die Torjäger, die Situation der Trainer und die Perspektive beider Vereine.

Sitzt beim Freundschaftsduell zwischen dem KSC und Hertha BSC zwischen den Stühlen: Maik Franz.

Sitzt beim Freundschaftsduell zwischen dem KSC und Hertha BSC zwischen den Stühlen: Maik Franz.

IMAGO/foto2press

Mit dem KSC gewann Maik Franz 2007 die Zweitliga-Meisterschaft, mit Hertha BSC 2013. Bei beiden Klubs stand er jeweils drei Jahre unter Vertrag, beide verfolgt er noch immer intensiv. Der 42-jährige TV-Experte und kicker-Kolumnist, der in 192 Bundesliga- und 40 Zweitligaspielen als kompromissloser Verteidiger abräumte, redet Klartext über beide Klubs.

Der Karlsruher SC holte aus seinen vergangenen sieben Spielen 14 Punkte, Hertha BSC verlor nur eins der letzten neun Spiele und will am Sonntag den dritten Sieg in Serie. Kommt der Endspurt beider Klubs für ganz oben zu spät, Herr Franz?

Ja. Beide Mannschaften haben gerade einen Lauf. Aber für Platz 3 ist die Konkurrenz zu weit enteilt.

Welchem der beiden Klubs hätten Sie in dieser Saison mehr zugetraut?

Der KSC kann diese Saison als Erfolg verbuchen. Er ist in sicheren Tabellenregionen und nah am oberen Drittel. Christian Eichner holt aus dem Budget und dem Kader sehr viel raus. Hertha hat die größeren finanziellen Möglichkeiten und den breiteren Kader. Der Transfer-Sommer nach dem Abstieg war kompliziert, die ersten drei Spiele gingen verloren, im Januar hat der Tod von Präsident Kay Bernstein den ganzen Verein bis ins Mark getroffen. Das waren alles Faktoren, die ins Gewicht fielen. Trotzdem sage ich, dass Hertha mindestens fünf, sechs Punkte liegen gelassen hat. In der Liga und im DFB-Pokal (Aus im Viertelfinale gegen den 1. FC Kaiserslautern, Anm. d. Red.) war mehr möglich. Haris Tabakovic ist der Top-Torjäger der 2. Liga, Fabian Reese der beste Flügelspieler, drumherum gibt es Top-Talente wie Ibrahim Maza, Marten Winkler, Derry Scherhant und weiter hinten Pascal Klemens, dazu Routiniers wie Florian Niederlechner. Hertha hat für mich die Offensive eines Aufsteigers. Aber es gab zwischendurch zu viele Ausschläge nach unten.

Offensiv sind beide Teams sehr produktiv. Hertha hat 60 Tore erzielt, der KSC 58. Was unterscheidet beide Mannschaften?

Der KSC hat etwas mehr Geschlossenheit und Kompaktheit. Hertha hat viele Waffen nach vorn und mit Winkler und Reese extremes Tempo, aber den Laden hinten lange Zeit nicht dicht bekommen.

Das Spiel ist auch das Duell der Torjäger Igor Matanovic und Haris Tabakovic. Gegen wen hätte der Innenverteidiger Maik Franz lieber gespielt?

Ich hätte beide an die Leine genommen (lacht). Beide sind große, wuchtige Spieler, die über die Physis kommen. Solche Stürmer lagen mir immer mehr als die kleinen, quirligen Typen. Für beide freut es mich. Matanovic wurde anfangs von einigen unterschätzt, er zahlt das Vertrauen mit Leistung und Toren zurück. Er ist gerade 21 geworden, er wird sich weiter steigern. Tabakovic hat eine Karriere mit Höhen und Tiefen hinter sich, und er hat nie aufgegeben. Bei Austria Wien war er schon gut. Für Hertha ist er ein Volltreffer.

Eine Choreo der Hertha-Fans beim Spiel in Berlin.

Eine Choreo der Hertha-Fans beim Spiel in Berlin.
IMAGO/Matthias Koch

Beide Klubs verbindet seit 1976 eine Fan-Freundschaft, auch am Sonntag wird es vorm und im Stadion gemeinsame Aktionen beider Fan-Lager geben. Kann man in dieser Atmosphäre als Spieler auf dem Rasen überhaupt die nötige Aggressivität entwickeln?

Klar, das geht. Natürlich bekommen die Spieler mit, was auf den Rängen los ist. Aber wenn angepfiffen ist, will jeder gewinnen. Es geht um die Mini-Hoffnung nach oben, es geht um Prämien, es geht für einige um neue Verträge, es geht für die Klubs über die Endplatzierung auch um TV-Gelder. Auf dem Platz gibt es in diesen 90 Minuten keine Freundschaft.

Der KSC macht bislang keine Anstalten, den bis 2025 laufenden Vertrag mit Trainer Christian Eichner zu verlängern. Verstehen Sie das?

Das verstehe ich nullkommanull. Er ist der Architekt dieser Mannschaft, seine Arbeit spricht seit Jahren für sich. Auch in dieser Saison ist er, als es zwischenzeitlich nicht so gut lief, trotz Gegenwind stabil stehen geblieben und hat zusammen mit der Mannschaft den Turnaround geschafft. Da macht sich der KSC unnötig eine Baustelle auf. Für mich ist Christian Eichner einer der kommenden Bundesliga-Trainer. Er bringt alles dafür mit. Dessen Abgang in Kauf zu nehmen – das muss man sich leisten können.

Pal Dardai hat Legenden-Status im Verein. Aber Verdienste der Vergangenheit dürfen bei der Bewertung der Gegenwart keine Rolle spielen.

Maik Franz

Bei Hertha ist offen, mit welchem Trainer man in die Saison 2024/25 geht. Sehen Sie mehr Argumente pro Pal Dardai oder mehr Argumente für einen Neuanfang?

Diese Saison wurde vom Klub als Übergangsjahr ausgerufen. Das geht aber nur ein Jahr. Nächste Saison ist der Aufstiegsdruck enorm. Und jedes Jahr mehr in dieser Liga macht es nicht einfacher, sondern schwerer. Das zeigt das Beispiel HSV. Sportchef Benjamin Weber ist gefordert, eine Entscheidung im Sinne des Klubs zu treffen: eine rationale, keine emotionale. Es gibt Argumente in beide Richtungen. Hertha steht nicht mehr unmittelbar am Abgrund und hat sich stabilisiert, aber in dieser Saison trotzdem eine Chance verpasst. Die beiden Schlüsselfragen, die Weber beantworten muss, sind: Für welchen Fußball will Hertha inhaltlich stehen? Und mit welchem Trainer ist die Wahrscheinlichkeit auf diese Art Fußball und in der Folge auf Erfolg am größten? Pal Dardai hat Legenden-Status im Verein. Aber Verdienste der Vergangenheit dürfen bei der Bewertung der Gegenwart keine Rolle spielen. Der Berliner Weg, hinter dem ich bedingungslos stehe, ist der einzige Weg in die Zukunft. Sieben, acht oder noch mehr Eigengewächse im Spieltagskader – das ist überragend. Aber der Berliner Weg ist nicht an einzelne Personen gekoppelt. Er ist ein Leitbild für den ganzen Klub. Und um ehrlich zu sein: Dass mit Bence Dardai ausgerechnet ein Sohn des Trainers seinen Ausbildungsklub, dem es finanziell alles andere als gut geht, ablösefrei Richtung Wolfsburg verlässt, hat mich schon irritiert.

Hertha steckt nach Jahren des Größenwahns mitten in der Sanierung, beim KSC beenden die Routiniers Lars Stindl, Jerome Gondorf und Daniel Brosinski nach dieser Saison ihre Karrieren. Welchen der beiden Klubs sehen wir früher wieder in der Bundesliga?

Ich wünsche es beiden, aber Hertha hat wirtschaftlich den größeren Aufstiegsdruck. Falls der Aufstieg jetzt nicht gelingt, bin ich gespannt, ob Top-Spieler wie Reese und Tabakovic im Sommer zu halten sein werden. Beim KSC laufen 15 Verträge aus, im Sommer geht viel Erfahrung von Bord. In der nächsten Saison sportlich und hierarchisch eine gut funktionierende Truppe hinzustellen, das wird eine anspruchsvolle Aufgabe. Umso mehr wundert mich das Zögern der Bosse in der Trainer-Personalie.

Ihr Tipp für das Spiel am Sonntag?

Tore fallen auf jeden Fall (lacht). Ich sage 2:2.

Interview: Steffen Rohr

Interview: Steffen Rohr