Nagelsmann und sein Appell an die Fans: “Gemeinsam ist man stärker”

Nagelsmann und sein Appell an die Fans: “Gemeinsam ist man stärker”

Für viele ist das Viertelfinale zwischen Deutschland und Spanien das vorweggenommene Endspiel. In jedem Fall wartet auf die Mannschaft von Bundestrainer Julian Nagelsmann die schwerste Hürde im bisherigen Turnierverlauf.

“Es ist ein Spiel auf Augenhöhe”: Julian Nagelsmann vor Spanien.

IMAGO/Mika Volkmann

Nach dem Blitz-und-Donner-Achtelfinale gegen Dänemark wird zumindest der Rahmen wieder mehr zu einem Sommermärchen passen: Temperaturen um 24 Grad werden erwartet, wenn die deutsche Nationalmannschaft am Freitag (18 Uhr) in Stuttgart den Angstgegner Spanien aus dem Turnier werfen und sich selbst ins Halbfinale katapultieren will. “Gegen Spanien kann man weiterkommen, aber auch ausscheiden. Es ist ein Spiel auf Augenhöhe”, sagte Julian Nagelsmann am Donnerstag bei der Pressekonferenz in der Stuttgarter Arena und wiederholte damit die Worte von Abwehrchef Antonio Rüdiger im aktuellen kicker-Interview.

Nagelsmann und seine Belegschaft setzen auf das in acht ungeschlagenen Länderspielen mächtig angewachsene Selbstvertrauen – und auf die mit den Ergebnissen entfachte Euphorie im EM-Gastgeberland. “Wir haben viel geboten, was das Ansprechen der Emotionalität angeht. Wir spüren eine große Unterstützung und sind aktuell in einer guten Symbiose mit den Fans”, sagte der Bundestrainer und betonte: “Gemeinsam ist man stärker, diesen Heimvorteil sollten wir nutzen.”

Da passt es ins Bild, dass die Spanier vermutlich weit weniger Unterstützung von den Rängen erhalten werden als zuvor die Kontrahenten Schottland, Ungarn, die Schweiz und Dänemark. Die Ränge im Stuttgarter Stadion werden fest in deutscher Hand sein, auf dem Platz wird sich die DFB-Auswahl die Übermacht gegen einen extrem spielstarken und im bisherigen Turnierverlauf überaus stabilen Kontrahenten erst noch erarbeiten müssen.

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“Beide Mannschaften haben ihre Qualität im Ballbesitz und im Umschalten. Die spanische Mannschaft versucht, hoch und mit viel Personal zu pressen. Das schnelle Umschalten ist eine Qualität, die sie dazugewonnen haben. Sie erspielen sich mehr Chancen als früher”, urteilte Nagelsmann über die Iberer. Das Gegenmittel? “Wir müssen versuchen, mit fußballerischen Lösungen aus der Situation rauszukommen. Und es wird sehr wichtig, die Eins-gegen-Eins-Duelle zu gewinnen – sowie defensiv wie auch offensiv.”

Joshua Kimmich gegen Nico Williams und (vermutlich) David Raum gegen Spaniens 16-jähriges Wunderkind Lamine Yamal – das sind die wohl entscheidenden Duelle beim Verhindern von Gegentoren. Eine besondere Aufgabe erwartet Kapitän Ilkay Gündogan gegen seinen früheren Manchester-Teamkollegen Rodri. “Wir haben eine Idee entwickelt, dass er nicht wie in den letzten Spielen jeden Ball ohne Druck spielen kann”, deutete Nagelsmann an, dass man die Kreise von Spaniens Rhythmusgeber und Organisator einengen will.

Zu personellen Fragen äußerte sich Nagelsmann – im Gegensatz zu manchem Gruppenspiel – diesmal verständlicherweise nicht. “Ich kann sie beantworten, aber ich will sie nicht beantworten”, entgegnete er auf die Frage, ob in der Offensive den gegen Dänemark gestarteten Leroy Sané oder den in den drei Gruppenspielen zur Startelf gehörende Florian Wirtz setzt. Vermutlich wird es der Leverkusener sein, während in der Innenverteidigung der zuletzt gesperrte Jonathan Tah wieder für Nico Schlotterbeck zum Zug kommen dürfte.

Auch die Spieler lässt Nagelsmann im Unklaren, will den Wackelkandidaten erst am Spieltag die Aufstellung mitteilen. “Dann gibt es noch ein paar Einzelgespräche, wenn die finalen Entscheidungen getroffen wurden”, sagte er. Vorgefertigt hat er unter Einbeziehung von Standardtrainer Mads Buttgereit auch schon die Liste der Elfmeterschützen, doch sollte es tatsächlich dazu kommen, spielt das für ihn nur eine untergeordnete Rolle: “Das allerwichtigste ist die Überzeugung der Spieler, dass sie antreten wollen”, sagte er, “und da haben wir aktuell zu viele”.

Nagelsmanns Botschaft: Momentum ist wichtiger als die Vergangenheit

An Selbstvertrauen mangelt es dementspechend im Kader nicht. Dass Deutschland seit der Heim-WM 1988 kein Pflichtspiel mehr gegen Spanien gewonnen hat und im November 2020 in der Nations League in Bilbao beim 0:6 gar die höchste Niederlage der Nachkriegsgeschichte kassierte, hat für Nagelsmann keine Bedeutung. “Ich weiß nicht, woran es damals lag, und ich war auch nicht Teil dieser Spiele”, sagte er, “es hat keine Relevanz für morgen Abend.” Das Momentum ist weit wichtiger als die Vergangenheit, so seine Botschaft, und da gibt er sich betont zuversichtlich: “Ich bin im Moment total relaxed. Wir sind gut vorbereitet.”

Auch die kleinen Sticheleien aus dem spanischen Lager, tat Nagelsmann als das ab, was sie letzten Endes auch sind: Belanglosigkeiten. Dass Joselu seinen Real-Teamkollegen am Freitag in Rente schicken will, lächelte er gelangweilt weg: “Ich kenne Joselu aus Hoffenheim. Toni hat das richtig aufgefasst und wir haben das Ziel, das Toni ein paar Spiele mehr macht.”

Auch in den Hype um Lamine Yamal wollte der Bundestrainer nicht einstimmen. Der Youngster sei zwar “ein sehr großes Talent, der es in diesem Jahr sehr konstant gemacht hat”, befand Nagelsmann: “Er ist aber auch erst 16, das bewirkt auch große Chancen für unseren Spieler, dagegenzuhalten.” Das sei kein Aufruf zur Härte, fügte er hinzu: “Es gibt keine Vorgabe, ihn aus den Socken zu hauen. Wir wollen den Ball haben und nicht dem Spieler weh tun.”

Oliver Hartmann