Türkei-Trainer Montella: Abrechnung mit den Kritikern und ein Brief aus Istanbul

Türkei-Trainer Montella: Abrechnung mit den Kritikern und ein Brief aus Istanbul

Die Türkei steht im Achtelfinale der EM – ein Erfolg, den der in die Kritik geratene Trainer Vincenzo Montella nutzt, um den Kritikern die Leviten zu lesen. Dabei erfährt der Italiener auch eine nicht alltägliche Unterstützung.

Pure Erleichterung: Türkei-Trainer Vincenzo Montella feiert den Achtelfinaleinzug mit seiner Mannschaft.

Pure Erleichterung: Türkei-Trainer Vincenzo Montella feiert den Achtelfinaleinzug mit seiner Mannschaft.

Anadolu via Getty Images

Der Journalist streckt einen Umschlag in die Höhe und fragt Vincenzo Montella, ob er ihm diesen nach der Pressekonferenz überreichen dürfe. “Kommt darauf an, was drinsteht”, antwortet der türkische Nationaltrainer misstrauisch. Der Italiener schaut skeptisch, die Kritik aus der Heimat von Fans und Medien nach dem 0:3 im zweiten Gruppenspiel gegen Portugal hat offenbar Spuren hinterlassen.

“Wir hatten ein sehr junges Team auf dem Platz”, sagt der Coach nach dem 2:1 gegen Tschechien und dem damit verbundenen Einzug ins Achtelfinale. Zu großen Teilen war Montella wieder zur Formation des erfolgreichen Auftaktspiels gegen Georgien (3:1) zurückgekehrt und hatte auch die gefeierten und von vielen im zweiten Spiel vermissten Youngster Arda Güler und Kenan Yildiz in die Startelf zurückbeordert. “Die Jungs”, so der Trainer, “haben mit großer Opferbereitschaft unser Ziel erreicht.” Und damit die Kritiker erst einmal mundtot gemacht.

Der Druck wurde von Leuten geschürt, die das Land und die Nationalmannschaft nicht lieben.

Türkei-Trainer Vincenzo Montella

“Viel Kritik war unbegründet und wurde geäußert, um uns unter Druck zu setzen”, betont Montella und rechnet mit den potenziellen Unruhestiftern ab: “Die Jungs haben unter dem Druck gelitten. Der Druck wurde ohne Grund von Leuten geschürt, die das Land und die Nationalmannschaft nicht lieben. Diese Behandlung haben wir nicht verdient.” Schon im Vorfeld der entscheidenden Partie war Verbandspräsident Mehmet Büyükeksi seinem Trainer zur Seite gesprungen, sprach von einer “böswilligen und schmutzigen Kampagne”.

Zufriedenheit, die in Genugtuung übergeht

Am späten Mittwochabend überwog wieder die Harmonie, bei Montella die Zufriedenheit, die in Genugtuung überzugehen schien. Über den kommenden Gegner Österreich wollte der 50-Jährige erst gar nicht reden, weil er sich sorgte, dass der Sieg und das Weiterkommen zu wenig gewürdigt werden. “Es wird zu viel darüber gesprochen, was als nächstes auf uns zukommt und zu wenig darüber, wie wir verdient gewonnen haben. Wir haben uns auf historische Art und Weise fürs Achtelfinale qualifiziert, das haben wir zuletzt dreimal verpasst. Ich freue mich enorm, jetzt haben wir neue Ziele.”

Die jedoch wohl nur mit einer deutlichen Leistungssteigerung zu erreichen sein werden. Trotz langer Überzahl taten sich die Türken schwer, machten erst in der Nachspielzeit in Person des eingewechselten Cenk Tosun in diesem Zitterspiel den Sieg perfekt. Montella muss seine Elf nun wieder umbauen, mit Kapitän und 1:0-Schütze Hakan Calhanoglu fehlt nach dieser Karten-Flut von Hamburg ebenso gelbgesperrt wie Innenverteidiger Samet Akaydin.

Montellas Respekt: Österreich spielt, “als wäre es ein Verein”

Und dann ist da auch noch dieser Gegner, da sind diese bösen Erinnerungen an den 26. März. In einem Testspiel nahmen die Österreicher die Montella-Elf in Wien mit 6:1 auseinander, die höchste Pleite in der Amtszeit des Coaches. Ohne den Namen Ralf Rangnick zu nennen, adelt der Italiener den Trainer des Achtelfinalgegners. “Sie haben die vielleicht schwierigste Gruppe auf Platz 1 beendet. Diese Mannschaft ist so gut eingespielt, hat viele Automatismen.” Bei Österreich sehe so aus, sagt Montella, “als wäre es ein Verein und nicht eine Nationalmannschaft”.

So weit sind die Türken beileibe nicht, entsprechend rasch kommt Kritik auf, wenn es nicht läuft. Aber auch viel Zustimmung und Unterstützung. Da war ja noch dieser Brief. Als Montella gerade schon raus ist aus dem Pressekonferenzraum, nimmt er den Umschlag aus den Händen des Journalisten entgegen. Kinder aus Istanbul haben ihn geschrieben. Und nicht die bösen Kritiker aus der Heimat.

Thomas Hiete