Aus Erfahrung gut?

Aus Erfahrung gut?

Die deutsche Mannschaft stellt den ältesten Kader bei dieser EM. Torwart Manuel Neuer macht sich dennoch keine Sorgen um die Zukunft der DFB-Auswahl.

Der erfahrene Kern der deutschen Nationalelf: Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller (v.l.n.r.).

Der erfahrene Kern der deutschen Nationalelf: Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller (v.l.n.r.).

IMAGO/Revierfoto

“Manche Leute altern, andere reifen.” Wenn es stimmt, was der schottische Schauspieler Sean Connery einmal gesagt hat, dann hat die deutsche Nationalmannschaft gute Chancen auf den Gewinn der Heim-EM. Denn: Keine der 23 anderen teilnehmenden Nationen hat einen so hohen Altersdurchschnitt in seinem Kader wie das DFB-Team. 28,98 Jahre beträgt das Durchschnittsalter des 26-köpfigen Aufgebots, dahinter folgt Schottland mit 28,78 Jahren. Das jüngste Aufgebot im Wettbewerb haben die Tschechen mit einem Durchschnittsalter von 25,93 Jahren.

Neuer sieht “bunte Mischung” im DFB-Team

“Natürlich haben wir etwas ältere Spieler in den eigenen Reihen”, sagt Deutschlands Keeper Manuel Neuer, der bereits sein achtes Turnier spielt und mit 38 Jahren der älteste Akteur im Kader von Bundestrainer Julian Nagelsmann ist. Ein Problem sieht die deutsche Nummer 1 darin nicht: “Ich hatte gegen Schottland nicht den Eindruck, dass unser Trainer zur Halbzeit einen Spieler auswechseln muss.” Es war natürlich eine überspitze Formulierung. Am Stock geht beim DFB-Team kein Akteur, an Fitness mangelt es nicht. An Erfahrung ebenso wenig – verkörpert durch Neuer, Toni Kroos oder Thomas Müller, die letzten verbliebenen Weltmeister von 2014 im Kader. Und für die Frische sorgen Youngster wie Jamal Musiala, der mit 21 Jahren und 109 Tagen der jüngste Spieler Deutschlands ist, Florian Wirtz oder Maximilian Beier.

Es sei eine “bunte Mischung”, sagt Neuer und spricht von einer “richtig guten Atmosphäre”. Die “Jodler und Rapper”, wie Nagelsmann die unterschiedlichen Altersgruppen vor dem Turnier beschrieb, würden sich immer wieder mischen. Nicht nur, damit Müller Grammatik-Unterricht geben kann – der Münchner berichtete im Trainingslager im Weimarer Land gewohnt launig davon, den jüngeren Spielern die Verwendung von der, die und das nahezulegen -, sondern auch, um gemeinsam an der Konsole zu spielen oder sich schlicht zu unterhalten. “Ich freue mich, auch mit den Jungen mal abzuhängen und auch da mal die Gespräche mitzubekommen”, sagt Neuer, wobei der Begriff “abhängen” wohl kein aktueller Jugendslang mehr ist, sondern eher von der Ü-30-Fraktion beim DFB verwendet wird. Die Gespräche mit den Youngstern seien “etwas anders als die mit Toni oder Thomas”.

Andere Teams sind zwar jünger, aber erfahrener

Auch wenn die DFB-Auswahl die älteste im Turnier ist, sie ist nicht allein damit, auf routinierte Kräfte zu setzen. Bei Portugal stehen in Cristiano Ronaldo (39) und Turniermethusalem Pepe (41 Jahre und 109 Tage) gleich zwei extrem erfahrenen Spieler in der Mannschaft. Kroatien setzt auf Luka Modric (38), den kongenialen Partner von Kroos in den vergangenen Jahren bei Real Madrid. Am anderen Ende der Altersskala steht der Spanier Lamine Yamal, der beim 3:0-Auftaktsieg über Kroatien einen neuen Rekord aufstellte: Mit 16 Jahren und 337 Tagen ist er der jüngste je bei einer EM eingesetzte Spieler.

Doch wie steht es nun mit der Reife bei der deutschen Elf? Einen Hinweis darauf geben die absolvierten Länderspiele. Alle 26 Akteure im DFB-Kader haben zusammen 964 Länderspiele bestritten, wobei Torhüter Oliver Baumann noch auf sein Debüt für die deutsche Mannschaft wartet. Die erfahrenste Mannschaft ist Deutschland damit nicht: An der Spitze steht Kroatien mit 1173 absolvierten Länderspielen, gefolgt von der Schweiz (1125) und Dänemark (1102). Ausgerechnet die Mitfavoriten Italien (564) und Spanien (568) stellen dagegen die unerfahrensten Mannschaften.

Ältester Kader, aber jüngster Nationaltrainer

Sicher ist bereits jetzt, dass sich die deutsche Mannschaft nach dem Turnier nach einem neuen Kopf umsehen muss: Kroos hat seine Vereinskarriere in Madrid bereits beendet, die Heim-EM soll den krönenden Abschluss seiner aktiven Laufbahn bilden. Auch Neuer, Müller und Kapitän Ilkay Gündogan könnten nach der EM abtreten. Ausschließen will Neuer das zumindest nicht: “Ich werde mir meine Gedanken nach dem Turnier machen“, sagt der Routinier, der optimistisch nach vorne blickt: “Ich glaube, dass wir eine sehr gute Perspektive haben. Wir müssen uns um die Zukunft keine Sorgen machen.”

Wirtz und Musiala stehen dafür ebenso wie Beier, Kai Havertz (25) oder Nico Schlotterbeck (24). Kontinuität gibt es zudem auf der – sehr jungen – Trainerbank: Julian Nagelsmann, der beim 5:1-Auftaktsieg über Schottland 36 Jahre und 327 Tage alt war und dadurch der jüngste Nationaltrainer in der bisherigen EM-Historie ist, ist noch bis nach der WM 2026 an den DFB gebunden.

Matthias Dersch, Timo Schmidt