Eine Zäsur mit Risiko – und Sinn

Hertha BSC versucht sich zum dritten Mal an einer Zukunft ohne Pal Dardai. Der Talente-Förderer Cristian Fiel tritt das Erbe der Klub-Legende an. Die Zäsur ist nicht ohne Risiko, ergibt aber Sinn. Ein Kommentar von kicker-Redakteur Steffen Rohr.

Hertha glaubt, in Cristian Fiel einen Mann gefunden zu haben, der die Stärken des Kaders besser zum Tragen bringt.

Hertha glaubt, in Cristian Fiel einen Mann gefunden zu haben, der die Stärken des Kaders besser zum Tragen bringt.

imago images

Von seiner Seite aus könne es “morgen schon losgehen” mit dem ersten Spiel, hat Cristian Fiel in den Stunden seiner Installierung als neuer Hertha-Cheftrainer am Donnerstag auf den vereinseigenen Kanälen gesagt. Das illustriert das Feuer, das in ihm lodert, aber dass er bis zum Zweitligastart Anfang August noch reichlich Zeit hat, um seine neue Mannschaft, den Klub und das mit Vorliebe überhitzte Umfeld kennenzulernen, schadet nicht.

Fiel kommt in einen Klub, der nach Jahren des von Investoren alimentierten Größenwahns und der Fast-Insolvenz gerade einen Flirt mit der Normalität versucht, aber in dem der Kampf um Einfluss und Hausmacht nicht vorbei ist. Er findet einen mit hauseigenen Talenten gespickten Kader vor, der fußballerische Qualität und Mentalität bündelt, der punktuell weiter verstärkt werden soll und der vermutlich mehr Tiefe und Möglichkeiten bietet als jenes Nürnberger Personal, das Fiel ein Jahr lang und mit am Ende schwindendem Effekt anleitete.

Podcast

Der Titel für Draisaitl in der stärksten Eishockey-Liga der Welt?


15:36 Minuten

alle Folgen

Seine aktive Spielanlage, fußend auf Ballbesitz, bedeutet eine Zeitenwende im Berliner Westend. Fiels Vorgänger Pal Dardai, als Rekordspieler und Dreifach-Trainer von der Kurve hymnisch verehrt, stand eher fürs Verwalten und einen reaktiven Ansatz. Es ging nichts schief im ersten Zweitligajahr unter dem Ungarn, was angesichts der Umstände schon eine Leistung war, aber wirklich voran ging auch nichts.

Bis zuletzt beharrte Dardai, dessen Pressekonferenzen auf der Zielgeraden seiner dritten Amtszeit eher eine Art Reiztherapie waren, darauf, mit diesem Kader – individuell nach Meinung vieler Experten gewiss nicht schlechter bestückt als der von Aufsteiger Holstein Kiel – annähernd das Maximum erwirtschaftet zu haben. Manche seiner Kaderanalysen klangen, als müsste er aus Stubenfliegen Steinadler machen – was den Profis nicht half und den Bossen nicht gefiel. Sie sahen es anders, in großen Teilen zu Recht, und sie machten sich auf die Suche nach jemandem, der für die Kabine und den Platz eine gute Idee hat.

Erste Ablöse für einen Hertha-Trainer seit Favre 2007

Die Wahl von Fiel wird eher keinen Kreativitäts-Preis nach sich ziehen, sie ist nicht ohne Risiko, und doch folgt sie – nimmt man die Schnittmenge seiner fußballerische Kernidee und des in der Hertha-Akademie gelebten Ansatzes – einer Logik. Der schwäbische Deutsch-Spanier, in Dresden einst als Trainertalent sehr hoch gehandelt, muss auf seiner dritten Profistation zeigen, ob die bei Dynamo und in Nürnberg auf Strecke eingefahrenen Resultate eher an den Standortgegebenheiten oder an eigenen Unzulänglichkeiten lagen.

Dass er der erste Trainer seit Lucien Favre 2007 ist, für den Hertha eine Ablöse zahlt, macht den Rucksack noch ein bisschen schwerer. Dass sein Nürnberger Co-Trainer Jerome Polenz nicht mitkommen sollte, weil es bei Hertha offenbar Vorbehalte gab, und dass der von Vereinsseite als Co-Trainer ausgesuchte Oliver Reiß nicht mitmachen mochte, lässt den Start Fiels etwas unrund erscheinen, dürfte aber schon in Kürze nur mehr eine Randnotiz sein.

Dardai war eins der Gesichter des “Berliner Wegs”, ziemlich sicher das prominenteste, aber die ideellen Leitplanken eines Klubs sind größer als einzelne Figuren. Hertha muss jetzt den Beweis antreten, dass es ohne Dardai besser werden kann, nicht schlechter wie 2019, als Ante Covic für Dardai übernahm, und 2021, als Tayfun Korkut Dardai ablöste.

Fiel bringt Charisma, Charme und Chuzpe mit

Dardai war im maximal turbulenten Vorjahres-Sommer, als der gerade abgestiegene und über Jahre hoch defizitär arbeitende Klub um die Lizenz zitterte und unter großem Zeit- und Kostendruck seine XXL-Verdiener in einem händereibend abwartenden Markt loswerden musste, eine gute Lösung. Er hat mit seinem Pragmatismus und seiner Standfestigkeit Hertha durch eine schwierige und den Tod von Präsident Kay Bernstein auch tragische Saison gecoacht.

Das Problem war, dass seine Mannschaft irgendwann mehr Zuneigung eroberte als Bälle – und die Struktur und Stringenz in Ballbesitz an Grenzen stießen. Jetzt glaubt Hertha in Fiel einen Mann gefunden zu haben, der die Stärken des Kaders besser zum Tragen bringt. Hertha will mehr Risiko auf dem Platz und geht dafür selbst ins Risiko. Fiel bringt Charisma, Charme und Chuzpe mit – und eine klare Idee.

Hertha BSC versucht sich zum dritten Mal an einer Zukunft ohne Pal Dardai. Zweimal ging es schief. Dass das kein Grund sein darf, es nicht ein drittes Mal zu versuchen, ist nach Platz 9 und allerlei internen Störgeräuschen die richtige Schlussfolgerung.