Die Zuversicht des Außenseiters

Die Zuversicht des Außenseiters

Die Buchmacher sehen Real Madrid klar im Vorteil, doch Borussia Dortmund fühlt sich in der Außenseiterrolle mehr als wohl – und will überraschen. Das Champions-League-Finale in London sorgt für eine gelbe Massenbewegung.

Ein XXL-BVB-Trikot steht auf dem Champions Festival in der Regent Street.

Ein XXL-BVB-Trikot steht auf dem Champions Festival in der Regent Street.

picture alliance/dpa

Aus London berichtet Matthias Dersch

Die ersten Anzeichen waren bereits am Donnerstag im Londoner Stadtbild zu erkennen: Ein aufgehängtes Trikot an der Tower Bridge, eine Telefonzelle mit dem Klublogo am Hyde Park: Es waren die Vorboten einer Massenbewegung, die spätestens am Samstag die englische Hauptstadt mit gelben Farben fluten wird. Dann steigt im traditionsreichen Wembley-Stadion das Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid. Während es für die Königlichen fast schon Alltag ist, ist der Trip nach London für den BVB eine absolute Ausnahmegelegenheit. 2013 stand der Klub zuletzt im Endspiel um den berühmten Henkelpott, die prestigeträchtigste Trophäe des Vereinsfußballs – und verlor mit 1:2 gegen den FC Bayern.

Elf Jahre musste der BVB seitdem auf die nächste Chance warten. Umso größer ist die Vorfreude, die durch die absolute Außenseiter-Rolle in diesem Finale eher vergrößert als gebremst wird. 400.000 Tickets hätten die Dortmunder verkaufen können, doch die Uefa stellte beiden Klubs lediglich 25.000 Karten zur Verfügung.

Viele, die leer ausgingen bei der Verlosung, werden dennoch anreisen. Mit dem Flugzeug, dem Bus, manche auch mit der Segelyacht oder dem Fahrrad. Mit bis zu 100.000 BVB-Fans rechnet der Klub, der seine Mitarbeiter komplett zum Finale einlud, in London. Gebrandete Doppeldeckerbusse und Taxen sollen im Stadtbild zusätzlich Präsenz herstellen, im Hyde Park wird eine “Dortmunder Botschaft” eingerichtet, wo sich Mitarbeiter und Fans treffen können. Auch viele Finalisten von 2013 sowie die Dortmunder Champions-League-Helden vom Triumph 1997 werden vor Ort sein, etwa Roman Weidenfeller, Lukasz Piszczek, Jürgen Kohler oder Andreas Möller. Sie alle sollen gemeinsam für eine “Yellow Wonderwall” sorgen, die das Team von Trainer Edin Terzic zum Sieg pushen soll.

Reus, Ricken, Terzic: Ein Dortmunder Sieg würde viele Geschichten schreiben

Beim Abflug am Freitagmorgen verabschiedeten rund 200 Fans den Trainer und seine Mannschaft. Für Marco Reus, der am Samstag sein letztes Spiel für den BVB bestreiten wird, sangen sie ein Geburtstagsständchen. Der Routinier feiert an diesem Freitag seinen 35. Geburtstag – und will seine BVB-Zeit im Wembley-Stadion mit dem Gewinn des Henkelpotts krönen. Im Duell mit den Königlichen, bei denen der Ex-Dortmunder Jude Bellingham gleich in seinem ersten Jahr bei Real eine wichtige Rolle einnehmen konnte, wird Reus mit hoher Wahrscheinlichkeit erst von der Bank kommen. Doch wie sehr man diese Partie als Joker prägen kann, weiß seit Lars Rickens Tor gegen Juventus Turin im Finale 1997 jeder in Dortmund.

Diesmal ist Ricken, der 2013 einen Auftritt als Ritter im Vorprogramm des Endspiels übernommen hatte, als Geschäftsführer Sport des BVB dabei. Einen Monat nach seiner Amtsübernahme könnte er bereits die Champions League gewinnen. Es wäre eine der vielen besonderen Geschichten, die ein Dortmunder Sieg schreiben würde. Neben der von Reus – oder der von Terzic.

Eine Telefonzelle mit dem BVB-Logo.

Eine Telefonzelle mit dem BVB-Logo.
IMAGO/ZUMA Press Wire

Als Real zuletzt ein Endspiel in Europa verlor – 1983 im Europapokal der Pokalsieger – war der BVB-Trainer gerade mal ein paar Monate auf der Welt. 41 Jahre später ist Madrid zu einer Finalmaschine geworden, die auch wirklich erst dann aufhört, wenn der Schiedsrichter abpfeift. Terzic dagegen wurde erst zum Fan des BVB, dann zum Mitarbeiter – und schließlich zum Chefcoach. Terzic führte den BVB in seiner Interimszeit zum Sieg im DFB-Pokal, in seinem ersten Jahr als Cheftrainer fehlte ein Tor im letzten Spiel gegen Mainz zum Meistertitel. Zwischen dem Drama am 27. Mai 2023 und dem Champions-League-Finale verging zwar nur ein Jahr, doch es war ein denkbar schwieriges, kompliziertes, kräftezehrendes. Für den gesamten Klub, vor allem aber für Terzic selbst.

Ob am Ende der große Triumph steht oder doch die tragische Niederlage, das entscheidet sich in den 90 oder maximal 120 Minuten in Wembley. Es ist genau das, was die Faszination dieses Sports ausmacht. Die Massenbewegung, die am Samstag ganz in Gelb in London aufschlagen wird, ist der beste Beweis.