Atalanta, der Sturm und die Schiene: Die letzten Bayer-Fragen vor dem Anpfiff

Atalanta, der Sturm und die Schiene: Die letzten Bayer-Fragen vor dem Anpfiff

Gegen Atalanta Bergamo greift Bayer nach dem zweiten Titel in dieser Saison. Eine Frage ist bereits geklärt, andere sind noch offen. Ein Überblick.

Eine Frage ist bereits geklärt, andere sind noch offen: Die Leverkusener Victor Boniface und Patrik Schick (l.) sowie Matej Kovar und Lukas Hradecky.

Eine Frage ist bereits geklärt, andere sind noch offen: Die Leverkusener Victor Boniface und Patrik Schick (l.) sowie Matej Kovar und Lukas Hradecky.

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Aus Dublin berichten Stephan von Nocks und Leon Elspaß

Die eine Frage, die beantwortete Bayers Trainer Xabi Alonso bereits am Dienstagabend. Ja, der 23-jährige Matej Kovar wird auch im Europa-League-Finale gegen Atalanta Bergamo im Tor stehen – trotz mancher Wackler, die er sich zuletzt geleistet hatte. Kapitän und Routinier Lukas Hradecky, inzwischen 34-jährig, sitzt darum auf der Bank – wie schon in den vorangegangenen Europapokal-Duellen. Vier andere Fragen indes sind noch nicht letztgültig geklärt.

Was erwartet Bayer gegen Atalanta Bergamo?

Der Respekt vor den Italienern ist groß. Atalanta ist in der Serie A auf Champions-League-Kurs, warf im Europa-League-Viertelfinale den FC Liverpool aus dem Wettbewerb (3:0, 0:1) und stellt ein bestens orchestriertes Team. “Sie wissen, was sie wollen”, betonte Xabi Alonso. Für gewöhnlich agiert Bergamo stark mannorientiert, presst hoch – und treibt den Kontrahenten im permanenten wie aggressiven Eins-gegen-eins über den Platz.

Ein Umstand, auf den sich Bayer vorbereitet hat. Wenngleich Xabi Alonso erklärte: “Manchmal warten sie auch ein bisschen mehr, es sind nicht immer Eins-gegen-eins-Situationen.” Sollte die Mannschaft von Coach Gian Piero Gasperini ihrer aggressiven Herangehensweise allerdings treu bleiben, dann braucht Leverkusen umso mehr gute Lösungen unter Druck – möglichst immer und zu jeder Zeit.

Positiv für die Werkself: In Deutschland, daran erinnerte Xabi Alonso noch mal, habe Bayer schon häufig gegen mannorientierte Teams gespielt. Und: Der Meister besitzt alle Optionen, sowohl personell, da der gesamte Kader bereit ist, als auch spielerisch. “Wir müssen entscheiden, welches Tempo wir brauchen”, so Xabi Alonso. “Das ist unsere Qualität. Wir haben nicht nur ein Tempo, wir können wechseln.” Zwischen dem ruhigen, kontrollierten und dem überfallartigen Spiel.

Wer läuft neben Granit Xhaka auf?

Um auch in Dublin zu bestehen, das 52. Pflichtspiel in Serie ohne Niederlage zu bestreiten und den zweiten Titel in dieser Saison zu gewinnen, benötigt die Werkself, logisch, eine funktionierende Schaltzentrale. Denker und Lenker Granit Xhaka ist im Mittelfeldzentrum gesetzt, so stellt sich nur die Frage, wer in dieser Partie neben dem Schweizer agieren soll. Xabi Alonso hat die Wahl, kann auf zwei absolute Top-Kräfte setzen.

Exequiel Palacios ist die etwas spielstärkere und pressingresistentere Option. Der Argentinier kann sich selbst in engster Enge zurechtfinden und Lösungen finden. Darüber hinaus ist er überragend im Gegenpressing, agiert höchst aggressiv gegen den Ball. Stimmt sein Timing, und das war in den vergangenen Monaten meist der Fall, dann sorgt Palacios für bedeutende Ballgewinne. Stimmt es nicht, kann im Mittelfeld auch mal eine Lücke auf- oder der temperamentvolle Argentinier sich früh zu einem gelbwürdigen Foul hinreißen lassen. Ein Risiko?

Robert Andrich ist Xabi Alonsos zweite Option. Der deutsche Nationalspieler ist ebenso in Top-Form, sticht nicht so häufig raus aus dem Mittelfeldzentrum und ist die etwas defensivere Alternative. Im Luftkampf könnte Andrich zum wichtigen Faktor werden, könnte den physisch guten Italienern zudem etwas mehr körperliche Wucht entgegenstellen. Egal wie sich Xabi Alonso entscheidet: Für Palacios wie Andrich gibt es sehr gute Gründe. So stellt Xabi Alonsos schwierigste Entscheidung gleichzeitig seine einfachste dar. Wirklich falsch machen kann er bei Xhakas Partnerwahl nichts.

Wie besetzt Xabi Alonso die Neuner-Position?

Bayers Trainer hat die Wahl zwischen einem klaren Neuner und einer flexiblen Besetzung seiner Offensivreihe. Patrik Schick (1,91 Meter) und Victor Boniface (1,89) sind klassische Mittelstürmer. Schick bringt mehr Kopfballstärke mit; der wuchtige Boniface ist eher in der Lage, lange Bälle, wenn Leverkusen sie brauchen sollte, zu verarbeiten und zu sichern. Läuft Atalanta hoch und aggressiv an, dann könnten diese langen, das Pressing überspielende Pässe ein sehr wirksames Mittel sein.

Allerdings: Boniface, der im Januar operiert worden war, agierte in den vergangenen Wochen noch nicht mit jener Kraft und Schnelligkeit wie in der Hinrunde. Der Nigerianer ist aktuell nicht in Top-Form. Darum würde es überraschen, böte ihn Xabi Alonso ausgerechnet im Europa-League-Finale von Beginn an auf. Wird es also Schick? Oder doch eine flexiblere Sturmbesetzung? Auch hier hat Xabi Alonso die Wahl.

Florian Wirtz ist nach seinem Pferdekuss wieder “topfit”, wie Geschäftsführer Simon Rolfes bestätigte. Der feiner Techniker steht bereit und könnte als falsche Neun agieren. Im Hinspiel (2:0) bei der AS Rom im Europa-League-Halbfinale ging dieser Zug wunderbar auf: Wirtz schwirrte im Zentrum umher, rechts und links positionierte Xabi Alonso mit Jeremie Frimpong und Amine Adli zwei Pfeile, die blitzschnell in die Tiefe starten konnten.

Im Rückspiel gegen die Römer (2:2) bot der Werkself-Coach derweil Adli im Sturmzentrum auf – ähnlich wie gegen den FC Bayern in der Liga-Rückrunde (3:0). Eine weitere sinnige Variante. So oder so ist klar: Agiert Bayer ohne einen klassischen Neuner, besitzt die Atalanta-Defensive keinen ganz klaren Orientierungspunkt im Zentrum. Verteidigt sie im Eins-gegen-eins, muss sie noch mehr aufpassen, dass sie sich beim Herausrücken keine Lücken reißt, die Bayers Sprinter nutzen können.

Wer kommt über die rechte Schiene?

Orientiert man sich wieder am wichtigen Halbfinal-Hinspiel in der Europa League gegen die AS Rom, dann hat Josip Stanisic gute Karten, in Dublin von Beginn an aufzulaufen. Der Kroate ist nun mal in der Lage, sicher zu verteidigen, ist mit seinem 1,87 Meter langen Körper gut in der Luft und hat sich im Spiel nach vorne in dieser Saison deutlich gesteigert, wobei es Stanisic als Schienenspieler oder klassischer rechter Verteidiger kann.

Bringt Xabi Alonso einen Sprinter auf der rechten Offensivseite – Frimpong zum Beispiel -, dürfte Stanisic also das Startelf-Mandat erhalten. Alternativ stehen Frimpong und auch Nathan Tella für die rechte Seite zur Auswahl, obschon beide ihre großen Qualitäten eher im Angriffsspiel und im Attackieren der Tiefe haben, weniger im Spiel gegen den Ball. Die Stanisic-Variante scheint daher wahrscheinlicher zu sein. Abzuwarten bleibt aber, wie Xabi Alonso entscheiden wird. Für Überraschungen hat er schließlich schon oft gesorgt.