Stalteri über Bremens Meister-Coup: “Hoeneß ist nicht in unsere Köpfe gekommen”

Stalteri über Bremens Meister-Coup: “Hoeneß ist nicht in unsere Köpfe gekommen”

An diesem Mittwoch jährt sich das Bremer Meisterstück im Münchner Olympiastadion zum 20. Mal. Verteidiger Paul Stalteri erinnert sich an den großen Tag und an eine große Werder-Mannschaft.

Zufriedene Meister: Paul Stalteri (li.) und Johan Micoud.

Zufriedene Meister: Paul Stalteri (li.) und Johan Micoud.

imago images

Seit dem 16. Spieltag stand Werder Bremen in der Saison 2003/04 ununterbrochen an der Spitze, der Vorsprung auf Verfolger FC Bayern betrug zwischenzeitlich schon elf Zähler. Vor dem großen Showdown am 32. Spieltag im Olympiastadion waren es aber nur noch sechs Punkte. Mit einem Sieg vor heimischer Kulisse wäre der Rekordmeister wieder voll im Geschäft gewesen, doch die vermeintliche Gesetzesmäßigkeit von den am Ende triumphierenden Bayern wurde außer Kraft gesetzt.

Stattdessen machte Werders 3:1-Erfolg durch Tore von Ivan Klasnic, Johan Micoud und Ailton den 8. Mai 2004 zum Feiertag im grün-weißen Vereinskalender. 90 Minuten mit dabei: Außenverteidiger Paul Stalteri (46), der in der Meistersaison 33 Mal zur Anfangself gehörte. Im kicker-Interview blickt der heutige Co-Trainer der kanadischen Nationalmannschaft und U-17-Coach des FC Toronto zurück.

Wenn Sie heute an den 8. Mai 2004 denken – was ist Ihr Lieblingsmoment, Herr Stalteri?

Bremens Meisterstück

Für mich ganz persönlich: Kurz nach dem Pausenpfiff der Weg in die Kabine. Wir hatten die erste Hälfte komplett dominiert, lagen mit 3:0 in Führung und wussten: Das Spiel ist zwar nicht vorbei, aber jetzt müssten wir schon etwas ganz Verrücktes tun, um die Meisterschaft noch aus der Hand zu geben. Diese absolute Überzeugung von der eigenen Stärke habe ich als richtiges Glücksgefühl empfunden.

Roy Makaays 1:3 elf Minuten nach Wiederbeginn hat daran nichts geändert?

Nein. Wir haben weiter bestimmt, was auf dem Platz passiert ist. Und auch die Bayern haben nicht ausgestrahlt, uns noch schlagen zu können.

Dabei hatte Uli Hoeneß im Vorfeld angekündigt, Bayern werde Werder “niedermachen”. War das für Ihr Team noch zusätzliche Motivation?

Nein, die brauchten wir nicht. Aber es hat uns definitiv auch keine Angst gemacht. Wir haben natürlich alles registriert, was gesprochen wurde, auch diesen Satz von Uli Hoeneß. Doch es hat uns nicht beeindruckt, ist einfach überhaupt nicht in unsere Köpfe gekommen.

Thomas Schaaf hat alles gemacht wie immer nach dem Motto: Ein Spiel wie jedes andere.

Paul Stalteri

Worauf beruhte dieses Selbstverständnis?

Das 6:0 gegen Hamburg eine Woche zuvor hatte uns wieder den vollen Glauben zurückgegeben. Vorher hatten wir in fünf Partien vier Mal unentschieden gespielt. Ich würde nicht sagen, dass wir nervös wurden. Aber Bayern konnte den Rückstand verkürzen, das war nun mal Fakt. Nach Hamburg bestand für uns aber nicht mehr der leiseste Zweifel: Wir waren in dieser Saison wirklich die Besten.

Gab es im Saisonverlauf generell den Schlüsselmoment, in dem die Mannschaft spürte: ‘Der Titel ist realistisch.’?

So etwas passiert ja selten schlagartig, sondern entwickelt sich. So war es auch bei uns, München unsere 23. Liga-Partie in Folge ohne Niederlage. Als Schlüsselspiele würde ich unsere zwei aufeinanderfolgenden Siege in der Nachspielzeit Anfang Februar bezeichnen. Erst das 3:2 im Pokal-Viertelfinale in Fürth, dann das 2:1 in Gladbach. Noch dazu in Unterzahl nach der Roten Karte gegen Mladen Krstajic. So etwas ist kein Zufall, sondern zeigt den Charakter einer Mannschaft – und wirkt sich zusätzlich extrem aufs Selbstverständnis aus. Siehe Bayer Leverkusen in dieser Saison.

Zurück zum 8. Mai. Lief die Spielvorbereitung irgendwie speziell, um der Bedeutung gerecht zu werden?

Nein, gerade nicht. Das hätte auch nicht zu Thomas Schaaf gepasst. Er hat alles gemacht wie immer und uns damit Normalität vermittelt nach dem Motto: Es ist ein Spiel wie jedes andere.

Micoud hat den Rhythmus bestimmt, Baumi die Balance.

Paul Stalteri

Ein Mann großer Worte war Schaaf als Trainer ohnehin nicht, oder?

Das stimmt. Thomas hat gesprochen, wenn es nötig und sinnvoll war. Ansonsten nicht. Er hat niemanden verrückt gemacht und die Dinge einfach gehalten, damit eine gute Balance gefunden in der Kommunikation. Zugleich hatte er eine klare und attraktive Spielphilosophie, ausgerichtet auf schnelles Passspiel nach vorne. Das hat perfekt zu uns gepasst

Insbesondere zum genialen Spielmacher Johan Micoud. Wäre es übertrieben zu sagen: Er hat die ganze Mannschaft auf ein anderes Niveau gehoben?

Nein, das wäre nicht übertrieben. Er hatte auf dem Platz den Rundumblick, wusste genau, wann er den Ball wohin spielen muss. Und er war in einer solchen Topform, dass auch wirklich das Allermeiste gelungen ist. Wir alle haben von ihm profitiert, auch neben dem Feld. Da hat er die absolute Gewinnermentalität ausgestrahlt, auch öffentlich schon früh gesagt, dass er von der Meisterschaft überzeugt ist. Damit war er ein Motor für alle.

Der kicker kürte beim Sieg in München Frank Baumann zum Spieler des Spiels mit der Note 1,5.

Zu Recht. Er war nicht so spektakulär wie Johan – aber als Sechser nicht weniger wichtig. Im Aufbau wie für die defensive Ordnung. Man könnte sagen: Micoud hat den Rhythmus bestimmt, Baumi die Balance. Und wir hatten natürlich auch noch andere Klassespieler. Gerade im Sturm: Ailton war mit 28 Treffern Torschützenkönig, Ivan Klasnic 13 Mal erfolgreich. Gleichzeitig waren alle absolute Teamplayer, jeder hat seine Qualitäten für die Mannschaft eingebracht, keiner wollte persönlich glänzen. Und wir hatten alle zusammen auch neben dem Platz eine Menge Spaß.

Besonders am Abend des 8. Mai nach der Rückkehr aus München?

Wahrscheinlich. So genau kann ich mich daran aber gar nicht mehr erinnern (lacht).

– Anzeige – 
Sichere dir jetzt das Shirt zum legendären Double 2004 – im kicker-Shop!

Interview: Thiemo Müller

Jetzt im kicker-Shop bestellen: www.kicker.de/double2004

Jetzt im kicker-Shop bestellen: www.kicker.de/double2004
kicker