“Mensch Herbert, hattest du schon wieder Geburtstag?”

“Mensch Herbert, hattest du schon wieder Geburtstag?”

Am 4. Mai wird Schalke 120 Jahre alt, fast ein Jahrhundert davon hat Herbert Plewka miterlebt. Mit dem kicker begibt sich der 97-jährige Gelsenkirchener auf eine Zeitreise.

Es ist ein ganz schöner Fußweg von der “Schalker Meile” bis zur Arena. Gute 45 Minuten die Kurt-Schumacher-Straße entlang, die meisten Fans nehmen nach dem Bierchen in der Kneipenstraße vor dem Spiel lieber die Straßenbahn.

Herbert Plewka läuft die Strecke gerne, auch wenn er von der anderen Richtung startet. Inzwischen wohnt er in der Nähe der Veltins-Arena. Wenn er mal wieder Richtung Gelsenkirchen-Bismarck spaziert, kommt er auch an der Glückauf-Kampfbahn vorbei. Und die Erinnerungen wieder hoch.

Will einer in Gelsenkirchen über die “guten alten Zeiten” sprechen, dann sollte er sich am besten an Plewka wenden – den beinahe Hundertjährigen, der Schalke 04 verfiel und eben nicht verschwand. Er kann dann erzählen, wie ihn sein Vater als Zehnjähriger erstmals mit in die Glückauf-Kampfbahn genommen hat. Wie Fritz Szepan, Ernst Kuzorra oder Ala Urban den Schalker Kreisel drehen ließen, dass den Gegnern schwindlig wurde. Heutzutage sei das Spiel ja schneller, findet Plewka. Der Kreisel sei nicht so schnell gewesen. “Aber der Ball, der lief da”, erinnert er sich. Die Abwehr? Brauchte S04 damals eigentlich nicht. Mit “zwei Verteidigern und fünf Stürmern” hätten sie damals gespielt, sagt er.

Plewka erinnert sich an erstaunlich viele Details. Und wenn es doch mal hakt, helfen ihm Katharina, die Enkelin seines Bruders Hubert, und deren Ehemann Evans Ankomah-Kissi, selbst Jugendtrainer auf Schalke, ein wenig auf die Sprünge. “Erzähl doch mal von der Schalker Straße, Onkel Herbert”, sagt Katharina dann, “das hast du uns doch mal erzählt.” Und schon sprudelt es heraus aus Plewka senior.

Die Glückauf-Kampfbahn im Jahr 1965.

Die Glückauf-Kampfbahn im Jahr 1965.
imago images

Als gebürtiger Gelsenkirchener natürlich im charmanten Ruhrpott-Dialekt inklusive Plusquamperfekt: “Wenn man da hinging, inne Glückauf-Kampfbahn – da war ne Stimmung gewesen! Überall waren blau-weiße Fahnen, wenn Schalke gespielt hat. Da saßen sie noch auf den Zäunen und in den Bäumen, um den Kreisel zu sehen.” Wenn er mal für seinen Vater zum Zigarrenkaufen geschickt wurde, war das für ihn keine Strafe. Dann bot sich für den jungen Plewka schließlich die Chance zum Fachsimpeln mit dem Besitzer. Der Tabakladen gehörte Ernst Kuzorra.

Es war eine Zeit, in der Schalke kaum zu bezwingen war. Zwischen 1934 und 1942 wurden die Knappen allein sechsmal Deutscher Meister, 1937 holten sie als erster deutscher Verein überhaupt das Double. Dauerparty am Schalker Markt.

Der zweite Weltkrieg bringt die Zäsur. Leistungsträger wie Urban oder Bernhard Füller fallen an der Front. Plewka, Jahrgang 1926, wird als 17-Jähriger eingezogen und bei der Kriegsmarine in Norwegen stationiert. “Minenräumdienst, das war eine gefährliche Sache”, sagt er. 1946 kehrt er nach Hause zurück, doch das Schalke 04, das er vorfindet, ist nicht mehr das alte Schalke 04. Die Vormachtstellung im deutschen Fußball verlieren die Königsblauen, und sie haben sie bis heute nie mehr zurückerlangt.

Auf ein Bierchen mit Bernie Klodt

Ein Schalker mit Schale: Fans begrüßen Bernie Klodt im Jahr 1958.

Ein Schalker mit Schale: Fans begrüßen Bernie Klodt im Jahr 1958.
imago/Horstmüller

Vielmehr erleben S04 und Plewka von nun an ein Auf und Ab. Der gelernte Elektriker steht mit Spalier, als die Spieler nach der letzten gewonnenen Meisterschaft 1958 die Schale präsentieren. “Da ist die Mannschaft im offenen Wagen über die Bahnhofstraße gefahren, die ganze Schalker Meile war beflaggt”, weiß er noch. Bester Spieler des Teams ist der gebürtige Gelsenkirchener Bernie Klodt, der auch eine Kneipe besitzt. “Warst du da nicht auch regelmäßig?”, fragt Kissi. “Ja, da war ich oft in der Wirtschaft”, sagt Plewka. “Wir haben uns häufiger unterhalten und auch mal ein Bier getrunken.” Mit Kuzorra und Klodt über Schalkes Meisterschaften plaudern: Wofür sich so mancher S04-Fan eine Zeitkapsel wünschen würde, Plewka hat‘s erlebt.

Auch danach ist Plewka nicht weit, wenn was los ist auf Schalke. Er ärgert sich mit seinen Freunden über den Bundesligaskandal 1971, als sich fast alle Schalker Spieler bestechen ließen (“Da waren die Leute in Gelsenkirchen sehr enttäuscht”). Er reibt sich auf der Haupttribüne im Parkstadion die Augen, als er zusieht, wie ein 18-Jähriger 1984 im DFB-Pokal gegen den FC Bayern drei Tore schießt (“Die wollten den Olaf Thon sofort mit nach München nehmen”). Er ist begeistert von den Euro-Fightern, die 1997 den UEFA-Cup holen (“Das war eine schöne Zeit”). Er tröstet seinen weinenden Bruder Hubert und dessen Sohn Frank, als Schalke 2001 in letzter Sekunde die Meisterschaft durch die Lappen geht (“Wir haben schon auf dem Rasen gefeiert, dann kam die Enttäuschung”).

Sein elf Jahre jüngerer Bruder ist 2008 verstorben, vermacht hat er Herbert seine Dauerkarte in der Veltins-Arena. Wäre er nicht damals erst Mitglied geworden, man hätte auf Schalke wohl eine Sonder-Ehrennadel für ihn anfertigen müssen.

Trauer über Assauer und Hemden voller Ruß

Familienfoto: Katharina, Frank und Herbert auf Schalke.

Familienfoto: Katharina, Frank und Herbert auf Schalke.
privat

Die Arena besucht er meist mit Neffe Frank, sie ist inzwischen Plewkas zweites Zuhause. War er vom Parkstadion nicht so begeistert, spürt er nun wieder den Enthusiasmus der Fans, wie damals, in der Glückauf-Kampfbahn. Getroffen hat ihn, als Arena-Macher Rudi Assauer verstarb, die Choreographie der Fans damals für die “Klublegende” hat ihn sehr berührt. Für ihn war es ein Wendepunkt in der Vereinshistorie. “Seitdem er nicht mehr da ist, geht es auf Schalke bergab.”

Inzwischen droht sogar der Absturz in Liga drei. Wenn Plewka vor den Spielen die Vereinshymne und das Steigerlied hört, denkt er besonders gerne an die guten alten Zeiten zurück. An die Glückauf-Kampfbahn und den Schalker Kreisel, denn “da brauchtest du keine Angst zu haben, dass die mal verlieren”. An die Tage, wenn er mit hellem Hemd an den inzwischen geschlossenen Zechen in Gelsenkirchen vorbeigelaufen ist und das Hemd danach rauchig und grau war. Oder auch mal an seine aktive Zeit bei Grün-Weiß Heßler, einer Kirchenmannschaft. Außenstürmer sei er gewesen und mächtig schnell. Seine Schwächen? Da fallen ihm keine ein, lacht Plewka.

Die Erfolge sind vielleicht verschwunden, doch die Fans sind geblieben. “Die sind immer noch da und peitschen die Mannschaft nach vorne. Das ist eine wunderbare Sache, das anzusehen.” Auch der Ruhrpott habe sich nicht verändert. “Die Menschen hier, die sind immer noch wie früher”, findet er.

Ich habe immer genug Geld auf meiner Knappenkarte.

Herbert Plewka

Im Revier, so heißt es ja, hält man zusammen, weswegen sich Plewka auch für Schalkes ewigen Widersacher Borussia Dortmund freuen kann. “Unsereins hatte das gar nicht so empfunden, dass wir direkte Rivalen waren. Man gönnte es den Dortmundern genauso wie den Schalkern oder den Bochumern.” Ein Champions-League-Sieger Borussia Dortmund? Plewka würde sich drüber freuen.

Kult im Block: Herbert Plewka gibt gerne mal einen aus.

Kult im Block: Herbert Plewka gibt gerne mal einen aus.
privat

Ein bisschen besser spielen darf aber auch das Schalke im Jahr 2024 natürlich. “Die haben keine guten Stürmer, sie sollten mal paar Talente kaufen, aber das Geld fehlt auch. Ich hoffe, dass es bald aufwärts geht”, sagt er. Doch auch wenn nicht, wird Plewka weiterhin in die Arena “zu seinen Freunden” gehen. “Blau und weiß ein Leben lang” singen die Fans dort. Für Plewka ist‘s ein langes Leben in blau und weiß.

Im Block ist der S04-Veteran längst Kult geworden. Wer fast 100 Jahre Schalke überlebt, dem muss man ja auch einfach Respekt zollen! Dass er gerne die Spendierhosen anhat, hat seiner Beliebtheit auch nicht geschadet. “Ich habe immer genug Geld auf meiner Knappenkarte. Die geht dann immer rum, weil ich einen ausgebe”, lacht Plewka. “Die anderen fragen dann immer: ‘Mensch Herbert, hattest du schon wieder Geburtstag?'”

Hat er tatsächlich bald. Am 13. Mai, zwei Tage nach dem letzten Heimspiel, wird Herbert Plewka 98 Jahre alt. Einen ausgeben kann er dann ja in der kommenden Saison. In Block F, Reihe 16, Platz 6. Wo Schalkes wohl treuester Fußball-Fan sitzt.

Christoph Laskowski