Die Verletzlichkeit des Unverwundbaren

Die Verletzlichkeit des Unverwundbaren

Seit durchgesickert ist, dass Kylian Mbappé (25) PSG im Sommer verlassen wird, zeigt der Superstar nur noch in der Champions League Bestform – in der Liga setzt sein Trainer vermehrt auf andere. Wie abhängig ist Paris Saint-Germain noch von seinem Superstar?

Zeigt nur noch in der CL Bestform: Kylian Mbappé.

Zeigt nur noch in der CL Bestform: Kylian Mbappé.

IMAGO/PanoramiC

Die Themen sind andere, seit Wochen schon. Vertrag statt Vortrag, Vereinswechsel statt Positionswechsel. Und auch die Bilder haben sich verändert. Sah man Kylian Mbappé bis vor etwa zwei Monaten in der Regel jubelnd, spielend, Finten schlagend, begegnen einem nun vermehrt Schnappschüsse des Superstars, wie er enttäuscht auf der Bank sitzt, missgelaunt über den Platz schreitet oder mit ausdrucksloser Miene vor Journalisten spricht.

Kurz vor Mbappés Vertragsverlängerung vor zwei Jahren hatte sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Superstar in mehreren Telefonaten von einem Verbleib in Frankreich überzeugt. Nun hat der Stürmer von Paris Saint-Germain aber an Einfluss eingebüßt, sein sportlicher Stellenwert hat sich verändert – und doch dreht sich nach wie vor alles um ihn.

“Müde bin ich nicht”

Es ist Freitag, der 22. März, ein Tag vor dem Test zwischen Frankreich und Deutschland, Mbappé sitzt hinter einem Pult im Presseraum des Stade Groupama in Lyon, die Augenbrauen sind hochgezogen. Zahlreiche Journalisten sind an diesem Tag vor Ort, selbst einige deutsche sind geblieben, obwohl DFB-Trainer Julian Nagelsmann und sein Verteidiger Jonathan Tah längst wieder vom Podium verschwunden sind. Gerade hat einer der französischen Kollegen gefragt, ob sich Mbappé fitter fühle, nachdem er bei PSG ja zuletzt nicht immer gespielt hatte.

Mbappé, der sich seiner Bedeutung und des Hypes um ihn durchaus bewusst ist, antwortet lapidar: “Müde bin ich nicht.” Dabei lächelt er ein wenig, auch der Rest des Presseraums schmunzelt. Jeder weiß, dass ihm seine Situation im Verein missfällt.

Mbappé weiß an diesem Abend in Lyon ganz genau, dass er mehr zu seiner Klubkarriere als nach der prestigeträchtigen Partie gegen Deutschland gefragt werden wird. Und er weiß auch damit umzugehen. In der Öffentlichkeit äußert er sich selten klar, dafür umso öfter. Immerhin ist er nicht verpflichtet, sich bei einer PK zu äußern. Doch seine Einlassungen ändern nichts an seinem Vortrag im Nationaldress, als Kapitän hat er keinen entscheidenden Einfluss auf die Partie gegen die DFB-Elf, vom kicker erhält er die Note 4,5. Und auch drei Tage später gegen Chile in Marseille bleibt er blass.

Der Unterschied zu seinem Alltag im Verein: Bei der Nationalmannschaft durfte Mbappé immerhin durchspielen. Im Grunde natürlich zu Recht, schließlich gilt der 25-Jähirge trotz seiner Situation als einer der Besten der Welt, vermag mit einer einzigen Aktion eine komplette Abwehr auszuhebeln und ein Spiel zu entscheiden. Aktuell gelingt ihm das seltener als sonst.

Traf zuletzt nicht so häufig wie gewohnt: Kylian Mbappé.

Traf zuletzt nicht so häufig wie gewohnt: Kylian Mbappé.
IMAGO/ZUMA Wire

Luis Enrique verzichtete immer wieder auf Mbappé

Das hat selbstverständlich auch sein Trainer bei PSG, Luis Enrique, bemerkt. Und so verzichtete der Spanier zuletzt immer wieder auf seinen eigentlichen Torgaranten (24 Treffer in der aktuellen Ligue-1-Saison). Begonnen hatte die Austauschbarkeit des Unantastbaren vor sieben Wochen in der Liga gegen den FC Nantes. Kurz zuvor war durchgesickert, dass Mbappé seinen Vertrag nicht verlängern und damit am Ende der Saison ablösefrei wechseln würde.

Damals brachte Luis Enrique seinen Superstar erst nach knapp einer Stunde. Ein Affront aus Mbappés Sicht, eine nachvollziehbare und kaum überraschende Entscheidung des spanischen Trainers. Denn der hatte schon beim FC Barcelona und der Seleccion häufig unpopuläre Maßnahmen getroffen.

Auch nun, in Paris, gefallen sie nicht jedem, nachvollziehbar sind sie – zumindest aktuell – aber allemal. Das zeigen allein die Zahlen: Nur vier Ligatore seit Mitte Februar, drei davon beim 6:2 gegen Montpellier. In den jüngsten sieben Ligapartien spielte Mbappé nur gegen den Abstiegskandidaten durch, obwohl er immer im Aufgebot gestanden hatte. Seit dem 3:1 gegen Lille hat der Franzose also weniger als die Hälfte der möglichen Einsatzzeit auf dem Platz gestanden (310 Min von 630 möglichen Minuten bis zum Spiel gegen Clermont, das entspricht 49,2 Prozent).

Das Team emanzipiert sich

Auch innerhalb der Mannschaft wird diese Entwicklung genau registriert. Spieler wie Randal Kolo Muani und Goncalo Ramos bekommen mehr Spielzeit und Vertrauen, dass die Superstars wie einst Neymar oder Lionel Messi bedingungslos spielen, ist längst keine Sicherheit mehr. Anders ausgedrückt: Das Team emanzipiert sich. So erscheint es auch, als sei Mbappé nicht mehr die erste Anspieloption im Sturm, wenn Vitinha mal wieder den Ball nach vorne treibt. Das gesamte Defensivspiel funktioniert bisweilen besser, wenn der von allen Defensivpflichten praktisch befreite Mbappé nicht auf dem Platz steht. Es ist die Verletzbarkeit des Unverwundbaren.

Sicher, im Pokal gegen Rennes erzielte Mbappé das Siegtor, aber auch das “nur” glücklich abgefälscht, kurz nachdem Steve Mandanda seinen Elfmeter gehalten hatte. Wahrscheinlich wird er auch wieder französischer Torschützenkönig. Aber: Sein Einfluss wird kleiner, sowohl auf als auch neben dem Platz. Mbappé macht das zu schaffen, sein Wechsel naht. Und diesmal hat kein Politiker versucht, ihn davon abzuhalten.

Michael Postl