“Die Zuschauer sind unser 12., 13. und 14. Mann”: Aachen ist zurück in der 3. Liga

Mission erfüllt: Alemannia Aachen ist zurück in der 3. Liga. Elf Jahre nach dem Abstieg aus dem bezahlten Fußball kehren die Schwarz-Gelben eben dorthin zurück.

Einmalig für Liga 4: Die Zuschauer der Alemannia feiern mit ihrem Team.

Einmalig für Liga 4: Die Zuschauer der Alemannia feiern mit ihrem Team.

IMAGO/frontalvision.com

Regionalliga West

Bereits am Abend vor dem Heimspiel des 31. Spieltags gegen den 1. FC Bocholt knallten am Tivoli die Sektkorken. Nachdem der Tabellenzweite Wuppertaler SV auswärts bei Fortuna Köln nicht gewinnen konnte, feierte die Alemannia auf der Couch die Meisterschaft in der Regionalliga West und den Aufstieg in die 3. Liga.

Somit ist die elfte Regionalligasaison des ehemaligen Bundesligisten, UEFA-Cup-Teilnehmers, DFB-Pokalfinalisten und deutschen Vizemeisters von 1969, den zwei Abstiege in Folge und eine Insolvenz in die vierte Liga gespült hatten, die (vorerst) letzte. Und trotz einer imposanten Serie von 16 ungeschlagenen Partien nacheinander (bei nur einem Remis) unter Erfolgscoach Heiner Backhaus war diese Spielzeit eine durchaus steinige. Vor der Saison hatte die Alemannia-Führungsriege um Sportdirektor Sascha Eller und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Marcel Moberz einen Top-Kader zusammengestellt, der “um den Aufstieg mitspielen” sollte, aber einen veritablen Fehlstart hinlegte. Nach vier Spieltagen und einem 1:4 in Oberhausen musste Trainer Helge Hohl gehen.

Backhaus zahlt Ablöse selbst

Es folgten zwei Unentschieden unter Interimstrainer Reiner Plaßhenrich, bevor Heiner Backhaus von Dynamo Berlin zum Tivoli gelotst wurde. Dort stand der damals 41-Jährige zwar unter Vertrag, eine Ablöse wollte die Alemannia aber nicht zahlen. Also zahlte Backhaus diese gemeinsam mit seinem Berater Remo Rashica einfach selbst. “Das war schon happig”, verriet Backhaus bei seiner Vorstellung am Tivoli Mitte September, “aber ich glaube, dass das eine gute Investition ist”.

Und ob. Denn es ist zuallererst das Verdienst von Backhaus, aus einer Ansammlung hoch veranlagter Regionalligaspieler eine echte Mannschaft gebildet zu haben, die ihre Gegner zwar nur selten dominiert, dafür aber dank schier unbändiger Leidenschaft nur schwer zu überwinden ist. “Unsere Intensität kann keiner mitgehen”, bemerkte der Trainer nach dem 1:0 über Fortuna Köln am 27. Spieltag.

Apropos Fortuna Köln: Das Hinspiel am Rhein war ein erstes Schlüsselspiel in der Entwicklung der Mannschaft unter Heiner Backhaus. Denn Anfang Oktober verteidigte man einen 1:0-Vorsprung trotz mehr als einstündiger Unterzahl erfolgreich. Eine zweite ähnlich gelagerte Partie sollte Anfang Dezember folgen, als man den Wuppertaler SV ebenfalls in Unterzahl dank dreier Freistoßtore von Anton Heinz 4:3 besiegte.

Demut, Demut, Demut

Backhaus‘ Erfolgsrezept für solche Leistungen lässt sich leicht zusammenfassen: Demut, Demut und nochmal Demut. “Das ist schon eine Art Gehirnwäsche”, räumt Backhaus ein. Doch die hat bei seinen Spielern offenbar gewirkt. “Er hat eine brutale Intensität, und die gibt er an uns weiter”, lobt Kapitän und Abwehrchef Mika Hanraths seinen Coach.

Auf dem Platz äußerte sich das durch vehemente Gegenwehr gegen Widerstände jeder Art und einige Last-Minute-Tore, die Siege oder Punktgewinne einbrachten. “Die Jungs brennen für diesen Verein, wir lieben, was wir tun. Und das zeichnet uns aus”, fasst Backhaus zusammen. Hinzu komme eine grandiose Unterstützung der Anhänger, was ein überwältigendes Energiefeld ergebe, das auch die Gegner anerkennen mussten. “Das ist dann auch das Spielglück, das sich die Aachener mit ihrer Wucht verdienen”, sagte Ahlens Trainer Björn Joppe nach einer zu hoch ausgefallenen 0:3-Niederlage am Tivoli vor 26.000 Zuschauern. Und selbst diese Zahl ist längst nicht die höchste bei Heimspielen der Alemannia. Der Bestwert von 29.500 gegen Fortuna Köln dürfte im ersten Spiel als feststehender Meister gegen den 1. FC Bocholt übertroffen werden. Von dem bislang erreichten Zuschauerschnitt von über 18.000 können fast alle Drittligisten und selbst einige Zweitligisten nur träumen.

“Die Zuschauer sind nicht nur unser 12. Mann”, sagt Backhaus, “sie sind unser 12., 13. und 14. Mann.” Das Publikum habe ein feines Empfinden für ehrliche Arbeit und Kampfeswille – und liegen damit auf einer Wellenlänge mit dem Coach. Denn beides ist für Heiner Backhaus nicht verhandelbar.

Fader Beigeschmack

Und dennoch, bei allem Jubel über den jahrelang ersehnten Aufstieg bleibt wegen der offenen Nähe von Alemannia-Verantwortlichen mit Personen aus einem – ehemaligen – rechtsextremen und Hooligan-Umfeld ein fader Beigeschmack. Vor allem in Zusammenhang mit einer Stellungnahme zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus im Januar. Man wolle sich daran nicht beteiligen, weil Politik die Menschen auseinandertreibe, Sport sie aber zusammenführe, teilte der Verein damals mit. Eine Aussage, die bundesweit für Irritationen sorgte, trotz anschließender Distanzierung und Entschuldigung.

Die Personen seien geläutert und hätten eine zweite Chance verdient, heißt es seitens der Alemannia. Dennoch erscheint deren zum Teil rückwärtsgewandte Selbstdarstellung in den sozialen Medien zumindest als fragwürdig.

Holger Richter