Draisaitl: Der Cup schlägt die persönlichen Auszeichnungen

Draisaitl: Der Cup schlägt die persönlichen Auszeichnungen

Vom Junior in Kanada bis zum Finale um den Stanley Cup: Leon Draisaitl hat eine bewegte Reise mit einem großen Ziel hinter sich. Nun will er sie im Finale um den Stanley Cup zwischen seinen Edmonton Oilers und den Florida Panthers vollenden.

Leon Draisaitl will mit den Edmonton Oilers endlich über den Gewinn des Stanley Cup jubeln.

Leon Draisaitl will mit den Edmonton Oilers endlich über den Gewinn des Stanley Cup jubeln.

Getty Images

Persönliche Statistiken und Auszeichnungen auf der einen, die Titel auf der anderen Seite. Was wiegt mehr, wenn die Karrieren großer Spieler nach ihrem Ende beurteilt werden? Geht es nach Leon Draisaitl, dann zählt nur der Stanley Cup. Jener imposante Pokal, der in der verdammt ausgeglichenen NHL mit ihren 32 Teams so schwer zu gewinnen ist und dem der 28-jährige Deutsche nun seit zehn Jahren mit seinen Edmonton Oilers hinterherjagt. Nun steht er erstmals im Finale, nur die Florida Panthers stehen dem Super-Center und seinem Team noch im Weg.

Dabei ist die Laufbahn des Sohnes von Ex-Nationalspieler Peter Draisaitl auch so schon imposant genug. Sie wird ihn ziemlich sicher einmal in die Hockey Hall of Fame führen, die höchste Auszeichnung nach dem Karriereende. Zum fünften Mal knackte er in der abgelaufenen Regular Season die Marke von 100-Scorerpunkten, drei Mal beendete er eine Spielzeit mit mehr als 50 Toren.

Draisaitl hält Playoff-Druck stand und kann stets einen Gang höher schalten

2020, in der wegen Corona etwas verkürzten Saison, gewann Draisaitl als erster Deutscher die Art-Ross-Trophy für den besten Scorer, er wurde von den Journalisten (Hart Trophy) und NHL-Spielern (Ted-Lindsay-Award) zum besten Spieler gewählt, am Ende jenes Jahres als zweiter Mannschaftssportler nach Dirk Nowitzki (2011) zu Deutschlands Sportler des Jahres. Beeindruckend, aber ohne Lord Stanley unvollendet. Findet Draisaitl. “Cup or Bust” gab er im vergangenen Sommer als Motto für die Oilers aus, nur der Titel zählt. Mehr selbst auferlegter Druck geht nicht.

Bislang hält er diesem Stand. Draisaitl kann in den Playoffs, diesem Abnutzungskampf über maximal vier Runden, stets einen Gang höher schalten. Als drittschnellster Spieler in der NHL-Geschichte hinter Wayne Gretzky und Mario Lemieux erreichte er die 100-Punkte-Marke, seinen Punkteschnitt pro Partie in der Endrunde toppen aktuell nur Gretzky und seit Spiel sechs gegen Dallas sein Freund und Teamkollege Connor McDavid. In diesen Playoffs sammelte Draisaitl bisher 28 Punkte, verteilt auf zehn Tore und 18 Vorlagen. Nur McDavid hat mit 31 drei mehr.

In den Conference-Finals gegen die Dallas Stars ließ Draisaitls Produktion etwas nach, Gerüchte um eine angebrochene Rippe und zwei gebrochene Finger an der linken Hand machen die Runde. Mit solchen Blessuren ist er in den Playoffs nicht allein, er beißt sich wie viele andere Spieler durch, vor zwei Jahren gar mit einer kaputten Syndesmose. Der Sommer heilt die Wunden, mit Cup sicher besser.

Nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde: Der deutsche Topstar Leon Draisaitl (l.) und das Generationen-Talent Connor McDavid.

Nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde: Der deutsche Topstar Leon Draisaitl (l.) und das Generationen-Talent Connor McDavid.
NHLI via Getty Images

Talent brauchen alle Top-Athleten, Draisaitl hat es vor allem dank seiner Beharrlichkeit und seines Fleißes so weit gebracht, darin sind sich Beobachter einig. 2012, im Alter von 16 Jahren, zog der gebürtige Kölner ohne Eltern nach Kanada, um dort an seinem Traum vom NHL-Profi zu arbeiten. Nach zwei Jahren als Junior bei den Prince Albert Raiders wählten ihn die Edmonton Oilers im NHL-Draft 2014 an dritter Stelle. Ein Jahr später folgte das Generationen-Talent McDavid. Die zwei verbindet eine enge Freundschaft. Es gab Zeiten, da spielten sie in einer Sturmreihe, McDavid als Center, Draisaitl auf dem Flügel. Mittlerweile passiert dies nur noch selten und situativ, in der Regel führt Draisaitl die zweite Sturmreihe der Oilers an. Purer Luxus, der an die glorreichen 1980er der Oilers erinnert, als sie mit Gretzky und Mark Messier schon einmal zwei der besten Center aller Zeiten im Team hatten.

Gescheitert sind McDavid und Draisaitl in den vergangenen Jahren oft beim Versuch, den sechsten Stanley Cup nach 1984, 85, 87, 88 und 90 nach Edmonton zu holen. An ihnen lag es nicht, eher am unausgewogen zusammengestellten Team. 2024 ist dies anders, die Finalteilnahme beweist es. Mit Blick auf die Zukunft der beiden Stars sind erfolgreiche Playoffs allerdings Pflicht, damit sie ihr Cup-Glück nicht woanders suchen. 2025 endet Draisaitls Vertrag, McDavids ein Jahr später. Aktuell verdient Draisaitl 8,5 Millionen Dollar pro Jahr. Eine Summe, für die der damalige General Manager Peter Chiarelli bei Abschluss im Jahr 2017 heftig kritisiert wurde, mittlerweile gilt dieser Deal als Schnäppchen. Eine Gehaltserhöhung um 50 Prozent für Draisaitl ist alles andere als unrealistisch, verhandelt werden darf ab 1. Juli.

Verlässt Draisaitl Edmonton, wenn er seine Mission als erfüllt ansieht?

Doch bleiben er und McDavid? Ein Argument: Woanders werden sie kaum mehr zusammenspielen können, die Wege würden sich trennen. Als der kicker im März zwei Spiele der Oilers live vor Ort verfolgte, erzählten die Kommentatoren und Insider Jack Michaels und Bob Stauffer, sie glauben eher an einen Wechsel, sollte Draisaitl mit dem Cup seine Mission als erfüllt ansehen. Abwarten, Draisaitl lässt sich bislang nicht in die Karten blicken, aussagekräftige Interviews mit ihm sind ohnehin eine Rarität. Dafür nennt ihn sein Kumpel McDavid “den besten Spieler der Welt an vielen Abenden”.

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Vier Siege fehlen Draisaitl zum Cup. So nah und doch so fern. Wird die Nummer 29 der Oilers, einer ihrer Assistant-Captains, in den Finals zum entscheidenden Faktor, wenn er die Scheibe wie so oft im Powerplay von der rechten Seite aus spitzem Winkel mit der Präzision eines Meisterschützen ins Tor hämmert? Hier gilt wie einst bei Bayern-Star Arjen Robben im Fußball: Jeder kennt den Spielzug, jeder weiß, was kommt, verhindern lässt es sich nicht.

Für den Cup kommt es in gehörigem Maß auch auf Draisaitl an. Ein Großer seines Sports ist der fünfmalige Teilnehmer am Allstar-Game ohnehin schon. Aber das waren ein Marcel Dionne und Dale Hawerchuck auch, später Joe Thornton, Mats Sundin, Pavel Bure und andere. Gewonnen haben sie den Stanley Cup jedoch nie. Draisaitl möchte diesem Klub der Ungekrönten nicht mehr länger angehören.

Frank Linkesch