Mentor, Macher, Mensch: Krügel als Architekt des Erfolgs

Mentor, Macher, Mensch: Krügel als Architekt des Erfolgs

Die Rolle als Polit-Botschafter lehnte er ab – und bezahlte dafür mit einem Berufsverbot: Heinz Krügel war als Trainer des 1. FC Magdeburg der Vater des Europacup-Triumphs von 1974 und prägte die goldene Dekade des Klubs.

Der Architekt, sich seiner Bedeutung bewusst: Magdeburg-Trainer Heinz Krügel.

Der Architekt, sich seiner Bedeutung bewusst: Magdeburg-Trainer Heinz Krügel.

IMAGO/Horstmüller

Mit 29 war seine Laufbahn als Spieler beendet, eine Knieblessur zwang Heinz Krügel 1950 zum Aufhören. Zwei Jahre zuvor, 1948, wurde der Abwehrspieler mit der SG Planitz Ostzonen-Meister, wenngleich er im Finale gegen die SG Freiimfelde Halle (1:0) nicht zum Einsatz kam. Der Sachse, 1921 im heutigen Zwickauer Stadtteil Planitz geboren und im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront verwundet, fand seine Berufung als Trainer. Die SV Volkspolizei Vorwärts Leipzig übernahm er 1951 als jüngster Übungsleiter der DDR-Oberliga, den SC Empor Rostock führte er 1957 im ersten Anlauf zurück ins Oberhaus.

Nach knapp zwei Jahren als DDR-Auswahltrainer und fünf Jahren beim SC Chemie Halle (ab Januar 1966 Hallescher FC Chemie), wo er mit dem FDGB-Pokalsieg 1962 seinen ersten Titel gewann, wechselte Krügel 1966 zum 1. FC Magdeburg – und schrieb in der Bördestadt Geschichte. Mit dem Absteiger stieg er direkt wieder in die DDR-Oberliga auf, wurde dort im ersten Jahr Dritter und in den Folgejahren zum Titelsammler: Drei Meisterschaften (1972, 1974, 1975) und zwei FDGB-Pokalsiege (1969, 1973) fuhr Krügel ein.

Ein Krügel-Satz prägt Sparwassers Leben

In der Nationalmannschaft hatte er sich geweigert, von ihm ausgemusterte Routiniers zurückzuholen – und seinen Job verloren. In Magdeburg bewies er ein Jahrzehnt lang sein untrügliches Gespür für Talente und den Mut, sie aufzustellen. Jürgen Sparwasser, Wolfgang Seguin, später Jürgen Pommerenke, Martin Hoffmann, Axel Tyll, Siegmund Mewes, Detlef Raugust, Wolfgang Steinbach – sie alle schwammen sich mit 18, 19, 20 frei, Manfred Zapf wurde mit 21 Kapitän.

Krügel war Mentor, Macher, Mensch, er und sein Co-Trainer Günter Konzack bildeten ein ideales Gespann. “Heinz Krügel wusste genau, wie er die Mannschaft steuern musste”, sagt sein früherer Zögling Sparwasser. “Mal ließ er uns die lange Leine, dann zog er die Zügel an. Er hat uns sportlich den Schliff gegeben und als Persönlichkeiten geformt.”

Sparwasser hatte mit 18 Jahren von Krügel einen Rat bekommen, der für den Sport und das Leben taugte und den Sparwasser nie mehr vergessen hat. “Halten Sie sich fern von denen, die Ihnen nach Siegen nur auf die Schulter klopfen”, sagte Krügel. “Halten Sie sich an die, die Ihnen sagen, was gut war, und die dabei nicht verschweigen, was Sie noch besser machen müssen.” Und Sparwasser hörte hin. “An diesen Satz von Heinz Krügel hab’ ich mich mein ganzes Leben gehalten”, sagt er. “Und ich bin gut damit gefahren.”

“Über Nizza lacht die Sonne, über uns die ganze Welt”

Krügel, der seine Spieler konsequent siezte, stach heraus im gemeinhin auf Konformität ausgerichteten Sozialismus. Er lehnte die von oben vorgegebenen Rahmentrainingspläne ab, überraschte mit unkonventionellen Trainingsmethoden, machte sich Gedanken um neue Prämienmodelle und ließ sich von den Funktionären, die oft viel Meinung, aber wenig Ahnung hatten, weder reinreden noch als Polit-Botschafter missbrauchen. “Mit der Fahne”, sagte er mal, “gehe ich nicht einkaufen.” Sein berühmtestes Bonmot: “Über Nizza lacht die Sonne, über uns die ganze Welt.”

Die Hardliner nannten ihn einen “Ost-West-Versöhnler”, zur WM 1974 in der Bundesrepublik durfte Krügel wegen angeblicher Fluchtgefahr nicht reisen. 1976, ein Jahr nach dem letzten Meistertitel des FCM, stellten ihn die Funktionäre kalt. Unter dem Vorwand, Leistungsziele verfehlt zu haben, bekam der unbequeme Vordenker Berufsverbot und wurde als Objektleiter zur Betriebssportgemeinschaft Motor Mitte Magdeburg abgeschoben – für die Mannschaft ein kollektiver Schock.

Statue von Heinz Krügel

In Bronze gegossen: Seit 2014 steht eine Heinz-Krügel-Statue vor dem Magdeburger Stadion.
imago images/Christian Schroedter

Erst nach der Wende wurde der Architekt des 74er-Europapokaltriumphs rehabilitiert und gab beim FCM ein Comeback als Sportdirektor. Seit 2014 erinnert eine Bronze-Skulptur vor der MDCC-Arena an den 2008 verstorbenen Krügel. 2014 wurde auch seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS während des Zweiten Weltkriegs publik. Nach zweijähriger Aufarbeitung kam eine achtköpfige Arbeitsgruppe von Historikern und Experten unter der Leitung des ehemaligen FCM-Präsidenten Peter Fechner 2023 zum Ergebnis, dass Krügel keine Kriegsverbrechen nachzuweisen seien. Dass er “als junger Mann freiwillig in die Waffen-SS eintrat”, sei unbestritten, hieß es im Abschlussbericht. “Seine Motive für diesen Schritt sind unbekannt.”

Es war ein Schatten, der sich auf die Biographie legte, aber Krügels Verdienste bleiben unangetastet. “Ohne ihn”, sagt Sparwasser, “wären wir nicht Europapokalsieger geworden und hätten nicht über Jahre in der DDR-Oberliga eine so herausragende Rolle gespielt.” Krügel wusste, was er konnte. Und er nahm sich das Recht heraus, es denen, die ihn mit technokratischen Vorgaben einhegen wollten, zu zeigen und zu sagen. “Wenn ich nach den Vorgaben des Verbandes trainiert hätte”, sagte Krügel Jahre nach dem Coup von Rotterdam über die Sternstunde des DDR-Vereinsfußballs, “dann wären wir im Finale mausetot gewesen.”

Steffen Rohr