Biologe Bolz: “Die Entwicklung steht im Vordergrund”

Biologe Bolz: “Die Entwicklung steht im Vordergrund”

Fünf Spieltage sind in der 2. Bundesliga der Frauen noch zu absolvieren, fünf Teams stecken mittendrin im Aufstiegskampf. Darunter auch der Aufsteiger Hamburger SV, der zu Saisonbeginn mit einem Trainerwechsel für Aufsehen sorgte: Für Aufstiegstrainer Lewe Timm übernahm Co-Trainer Marwin Bolz (26), der im kicker-Interview über die aktuelle Situation spricht.

Der jüngste Trainer der ersten drei Ligen im Frauen- und Männerbereich weiß bislang zu überzeugen. Im DFB-Pokal war erst im Viertelfinale gegen Bayer Leverkusen Schluss (0:4), nachdem die Hamburgerinnen im Achtelfinale das Stadtderby gegen den FC St. Paul vor knapp 20.000 Zuschauern am Millerntor für sich entschieden hatten (7:1). Im Kampf um die Bundesliga liegt der HSV aktuell auf Platz vier, vier Zähler hinter dem Führungsduo SG Andernach und Turbine Potsdam. Am Sonntag (11 Uhr) muss im Duell mit dem Tabellensechsten SC Sand unbedingt ein Sieg her, um im Aufstiegskampf weiter mitmischen zu können.

Was ist Ihre Erklärung dafür, dass Ihre Mannschaft als Aufsteiger eine so erfolgreiche Saison spielt, Herr Bolz?

Das ist etwas, was sich über die letzten Jahre aufgebaut hat. Wir hatten in der Regionalliga schon sehr viel Qualität, haben extrem detailliert trainiert. Wir waren damals schon sehr kritisch und haben uns nach dem ersten Scheitern in den Aufstiegsspielen nochmal hinterfragt, noch detaillierter und akribischer gearbeitet, sodass wir es dann im zweiten Jahr geschafft haben. Das war eine gute Grundlage für die aktuelle Saison. Wir wussten von Anfang an, dass wir ein richtig gutes Team haben und wollten vor allem erst mal das Spieltempo erhöhen. Die Art und Weise, wie wir spielen wollen, ist schon lange in diesem Team verankert, sodass wir viele Spiele auf unsere Seite ziehen konnten, auch wenn sie oft auf Messers Schneide standen.

Sie betonen immer, dass es keinen Druck gibt aufzusteigen. Aber macht man sich diesen Druck nicht automatisch, wenn man kurz vor dem Ende da oben steht?

Nein, da haben wir den Fokus bei uns gut gesetzt. Was fordernd ist, ist der Anspruch, den wir selbst an uns haben. Manchmal hat man das Gefühl, dass es für die Spielerinnen das Schlimmste ist, wenn ein Team im Training verliert, weil die Intensität, die Energie und die Leidenschaft bei uns so hoch sind. Das, was auf dem Platz passiert, und das Verhalten und Miteinander daneben, sind das Wichtigste. Und wir versuchen natürlich, die Entwicklung in den Vordergrund zu stellen. Wir sind ein Team mit einem Altersdurchschnitt von etwa 21 Jahren und sind damit in dieser Liga, in der viele erfahrene Frauenteams dabei sind, noch recht jung. Wie wir uns entwickeln wollen, mit dem Ball, gegen den Ball, in den Umschaltphasen, steht immer im Vordergrund. Und dadurch, dass wir diesen Vordergrund geschaffen haben, sind andere Themen wie der Aufstieg gar nicht mehr so präsent.

Kommen wir mal zu Ihnen als Trainer. Wie würden Sie sich beschreiben, was sind Sie für ein Trainertyp?

Ich bin ein sehr analytischer Trainer, detailversessen. Ich versuche alles auseinanderzunehmen, was man auseinandernehmen kann. Das Analytische ist mir sehr wichtig. Ich habe Biologie studiert und war in der Biochemie unterwegs. Da bringt man automatisch ein analytisches Denken mit, aber auch das Verständnis für die kleinsten Teilchen. Da ist ein großes System und jede Kleinigkeit beeinflusst die andere Kleinigkeit. Das begleitet micht auch im Trainerberuf. Ich versuche das den Spielerinnen so gut wie möglich nahe zu bringen. Da ist es immer wichtig, auch die Sprache der Spielerinnen zu sprechen.

Sie sind der jüngste Trainer in Ihrem Bereich. Ist das ein Thema für Sie oder für andere?

Nein, im Gegenteil. Meine Aufgabe besteht darin, die Spielerinnen besser zu machen. Aber die Spielerinnen holen auch das Beste aus mir heraus. Es ist eher ein Miteinander und ein Füreinander. Durch mein junges Alter habe ich keinen autoritären Führungsstil, sondern einen sehr kooperativen. Ich versuche generell viel zu reden, aber auch die Spielerinnen bei Entscheidungen und taktischen Gedanken mit einzubeziehen, in einem engen Austausch zu sein. Am Ende sind es immer die Spielerinnen, die auf dem Platz die Entscheidungen treffen. Von daher müssen sie das Ganze genauso fühlen wie ich.

Wollen Sie auch künftig als Trainer arbeiten oder wollen Sie irgendwann wieder in den Bereich der Biologie zurückkehren? Immerhin haben Sie Ihre Bachelorarbeit mit 1,0 abgeschlossen.

Wenn ich es mir aussuchen kann, dann bleibe ich Trainer. Das ist ein Traumjob, der mir extrem viel Spaß macht, aber auch sehr fordernd ist. Es ist schön, immer wieder dieses Kribbeln zu haben, dass man sich etwas erarbeitet, sich einen Plan zurechtlegt und am Wochenende damit antritt. Das ist ein unvergleichbares Gefühl. Ich bin als Trainer noch nicht fertig, deswegen würde ich gerne die nächsten Schritte gehen.

Warum haben Sie Ihre eigene Spielerkarriere mit nur 23 Jahren beendet? Um mehr Zeit für den Trainerjob zu haben, oder hatte das noch andere Gründe?

Für den ganz großen Sprung hat es bei mir als Spieler nicht gereicht, das muss man klar sagen. Es gab eine Phase, da habe ich in der Oberliga Hamburg gespielt, habe eine U-13-Jungenmannschaft trainiert, war Trainer der U-14-Mädchenauswahl von Hamburg und habe nebenbei studiert. Aber wenn du irgendwas richtig gut machen willst, dann musst du die Energie ein bisschen kanalisieren. Als mich der HSV dann als Co-Trainer angefragt hat, war ich in den letzten Zügen des Studiums und habe dann auch die Spielerkarriere ad acta gelegt. Vielleicht ist auch das Trainertalent einfach ein bisschen größer als das Spielertalent.

Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit Ihrer Partnerin Catharina Schimpf, die beim HSV als Koordinatorin Frauenfußball tätig ist? Diskutiert man da zu Hause auf dem Sofa auch mal über eine Spielerin?

In dem Rahmen, in dem wir zusammenarbeiten, wollen wir das Maximum aus dem Projekt rausholen, aber wir sind Profis genug, um das nicht mit nach Hause zu nehmen. Diese Trennung ist extrem wichtig.

Und wie ist der Austausch mit Bundestrainer Horst Hrubesch, der beim HSV als Nachwuchskoordinator und Frauenfußball-Chef arbeitet?

Horst muss man sich vorstellen wie die Leitfigur, an der man sich immer orientieren kann. Seine Expertise ist unangefochten. Der Austausch mit ihm ist sehr hilfreich, weil er einen riesigen Erfahrungsschatz hat, der hilft, gute Entscheidungen zu treffen. Ich merke mir viele Situationen und Beispiele, die Horst mir erzählt, um sie dann auf meinem Alltag anzuwenden. Ich glaube, da kann man viel Erfahrung aufholen als junger Trainer. Es ist sehr spannend, immer neue Eindrücke zu hören, Seitenblicke zu bekommen.

Über Ihre Vertragslaufzeit beim HSV möchten Sie nicht sprechen. Haben Sie sich dennoch schon mal Gedanken über die Zukunft gemacht?

Wie ich schon mal gesagt habe, bin ich als Trainer noch nicht fertig, und vor allem sind wir als Team noch nicht fertig. Dieses Projekt hat eine riesige Zukunft. Ich glaube, dass die Arbeit hier noch nicht zu Ende ist und es noch viel zu tun gibt. Aber generell bin ich jemand, der vieles auf sich zukommen lässt. Ich habe mir noch nicht so viele Gedanken gemacht, wie es weitergeht. Mit Blick in die Zukunft würde ich aber gerne irgendwann mein Spanisch ein bisschen nutzen als Trainer. Das ist natürlich eher noch ein Traum als eine nahe Zukunft.

Interview: Susanne Müller