Ein Jahr “Fortuna für alle”: Effekte, Kritik, Ausblick

Ein Jahr “Fortuna für alle”: Effekte, Kritik, Ausblick

Auf den Tag genau vor einem Jahr hat Fortuna Düsseldorf sein Freispiel-Konzept “Fortuna für alle” präsentiert. Im Interview mit dem kicker zieht Vorstandschef Alexander Jobst ein Fazit, nimmt Stellung zur Kritik an dem Pionierprojekt und zeigt auf, was ein möglicher Aufstieg in die Bundesliga für die Fortuna wirtschaftlich bedeuten würde.

Herr Jobst, was sind Ihre drei wichtigsten Erkenntnisse aus der Premierensaison von “Fortuna für alle”?

Wir sind zufrieden mit der ersten Pilotsaison. Für die ersten drei Freispiele haben wir 340.000 Ticketanfragen erhalten. Das übersteigt die Anzahl der zu verteilenden Sitze um das Fünffache. Und wir merken, dass “Fortuna für alle” auch die Wahrnehmung des Vereins und damit auch die Strahlkraft der Fortuna wieder ein bisschen zum Leuchten gebracht hat. Das merken unsere Fans, unsere Partner, unsere Mitglieder und schließlich auch unsere Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle. Klar ist aber auch: Wir stehen noch am Anfang unserer Reise. Und haben noch einiges vor uns. Jetzt gehen wir in eine Analyse des ersten Jahres “Fortuna für alle”.

Was meinen Sie damit?

Wir wollen alle genannten Stakeholder einbeziehen, zuhören und auf dieser Grundlage unsere Schlüsse ziehen. Denn auf manche Fragen haben wir auch selbst noch keine Antworten. Es gibt für “Fortuna für alle” keine Blaupause – weder im Fußball noch bei anderen Großevents. Deswegen gehen wir Schritt für Schritt vor. Und versuchen möglichst viele einzubinden.

“Fortuna für alle” hat uns gelehrt: Der wahre Wert des Tickets ist das Stadionerlebnis vor vollem Haus.

Alexander Jobst, Vorstandsvorsitzender, Fortuna Düsseldorf

Wie hoch war die No-Show-Rate bei den zurückliegenden drei Freispielen?

Die No-Show-Rate bei allen drei Freispielen lag bei jeweils unter 15 Prozent und war damit klar unter dem Durchschnitt bei normalen Partien. Bei der Konzepterstellung war die mögliche No-Show-Rate für mich das größte Fragezeichen. Denn wir alle kennen ja das Sprichwort “Was nichts kostet, ist nichts wert”. Darüber haben wir sehr lang diskutiert. “Fortuna für alle” hat uns gelehrt: Der wahre Wert des Tickets ist das Stadionerlebnis vor vollem Haus. Positiver Nebeneffekt: Über 70 Prozent, die über “Fortuna für alle” erstmals Stadionluft geschnuppert haben, gaben in anschließenden Umfragen an, dass sie künftig sogar bereit wären, Geld für einen weiteren Stadionbesuch in die Hand zu nehmen.

Trotz ihres positiven Fazits scheint das Misstrauen immer noch nicht ganz weg. Manche Medien bezeichnen “Fortuna für alle” als “Marketingtrick”, während Menschen im Vereinsumfeld zum Teil kritisieren, dass es sich um ein persönliches “Alexander-Jobst-Projekt” handle. Nervt Sie das?

Die von Ihnen angesprochene Form der Personifizierung stört mich. “Fortuna für alle” ist ein Konzept, das Fortuna Düsseldorf mit vielen Menschen gemeinsam gestaltet – und niemand allein. Es geht um den gesamten Verein. Das ist uns als Vorstand wichtig.

Vertreter anderer Klubs wiederum sind hinter vorgehaltener Hand teilweise irritiert darüber, dass Sie mit dem Ticketing einen originären Geschäftsbereich aus dem kommerziellen Bereich des Fußballs nach und nach aus der Hand geben.

Wir bekommen viel Zuspruch. Und natürlich auch Kritik. Beides mal öffentlich und mal im vertraulichen Gespräch. Und das ist auch gut so. Was honoriert wird, ist der Mut, neue Wege auszuprobieren. Dazu sind wir alle in der Liga aufgerufen. Aber wir haben auch immer gesagt: Unser Weg ist einer, der zur Fortuna und zu Düsseldorf passt. Und keine Blaupause für andere Vereine. Das wäre auch vermessen. Und: Wir machen weiterhin Fußball-Business.

Alexander Jobst

“Keine Blaupause für andere Vereine”: Alexander Jobst.
IMAGO/Team 2

Wie meinen Sie das?

Beispielsweise profitieren andere Geschäftsbereiche von den wegfallenden Ticketpreisen. Wir verzeichnen in dieser Saison einen deutlich höheren Zuschauerschnitt. Ein Plus von 16 Prozent, wenn man die Freispiele herausrechnet. Merchandising und Sponsoring haben jeweils um rund 45 Prozent zugelegt. Ein weiteres Pfund ergibt sich mittelfristig durch unsere Digitalstrategie, die wir gemeinsam mit Hewlett Packard Enterprise umsetzen. Allein auf der “Fortuna für alle”-Plattform sind über 700.000 neue Datensätze entstanden, die wir dazu nutzen werden, das Stadionerlebnis zu verbessern. Die Daten bleiben dabei immer in unserer Hand. Das war und ist immer unsere rote Linie bei dem Thema.

Sind die Mehrumsätze nicht auch mit dem derzeitigen sportlichen Erfolg der Fortuna begründbar?

Keine Frage, der sportliche Erfolg hilft ungemein. Aber auch “Fortuna für alle” sorgt für einen wichtigen Effekt: Bis dato kamen in dieser Saison im Schnitt 39.163 Zuschauer zu unseren Heimspielen. Der bisherige Rekord in den in Summe 24 Zweitliga-Jahren datiert auf die Spielzeit 2011/12, damals waren es 32.588 Fans, sprich: Auch in sportlich sehr erfolgreichen Zweitliga-Zeiten waren die Zuschauerzahlen nicht so hoch wie jetzt. Der deutliche Anstieg der Zuschauerzahlen lässt sich also nicht nur auf den sportlicher Erfolg zurückführen. Der neue Weg trägt hier klar dazu bei.

Werden in der Spielzeit 2024/25 mehr als drei Spiele kostenfrei sein?

Wir werden die Anzahl der Freispiele leicht erhöhen – unabhängig davon, in welcher Liga wir spielen. Wie viele Spiele es genau sein werden, entscheiden wir nach der Analyse der kommenden Wochen.

“Fortuna für alle” wird vor allem von Partnern wie Hewlett Packard Enterprise und Targobank finanziert. Wie viele Unternehmen können denn überhaupt noch bei dem Konzept mitmachen?

Es gibt keine Maximalzahl. Natürlich haben die Targobank und Hewlett Packard Enterprise als Pioniere eine besondere Rolle. Doch während wir zu Beginn von “Fortuna für alle” noch zweigleisig gefahren sind, migrieren wir zur kommenden Saison alle Partner des Vereins in ein gemeinsames Sponsorenprogramm. Darin profitieren alle Unternehmen unabhängig ihrer Ebene von “Fortuna für alle” und sie können zugleich ihren Beitrag leisten. Dabei geht es nicht nur um Logoflächen und Branding, sondern um echtes gesellschaftliches Engagement in sozialen Projekten. Denn “Fortuna für alle” ist mehr als nur ein paar Freispiele.

Ist das in der Stadt schon so angekommen?

Unser Ziel ist es, über “Fortuna für alle” den Schulterschluss sowohl mit der Stadt als auch mit den Düsseldorfer Wirtschaftsunternehmen zu schaffen. Die Stadtspitze hat uns von Beginn an sehr positiv begleitet. Und auch die Wirtschaft sieht, dass hier etwas entsteht. Ich war zu meiner Anfangszeit bei sehr vielen CEOs der großen Düsseldorfer Unternehmen. Und fast alle haben mir nach zehn Minuten gesagt: “Herr Jobst, steigen Sie erstmal auf, dann können Sie wiederkommen.” Heute haben wir eine andere Gesprächsbasis, auch in der zweiten Liga. Aber klar ist: Wir müssen weiter Vertrauen aufbauen – Schritt für Schritt. Wir befinden uns am Anfang eines längeren Weges.

“Fortuna für alle” ist keine Blaupause für andere Klubs und schon gar kein Moralapostel-Projekt, das anderen Standorten den Spiegel vorhalten soll.

Alexander Jobst

Sie haben im Interview mit dem kicker im August 2023 angemahnt, dass das bisherige Geschäftsmodell der Klubs im deutschen Profifußball künftig nicht mehr wie bisher funktionieren werde und die gesamte Liga mutiger agieren müsse. Gilt das nach dem endgültig gescheiterten Investoreneinstieg umso mehr?

Es wird eher keinen Investorenprozess 3.0 geben. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das Wachstum von herkömmlichen Geschäftszweigen wie Ticketing, Hospitality, Sponsoring und Medien endlich ist. Insofern müssen alle 36 Klubs mehr denn je innovative Wege finden, um neues Wachstum zu generieren. Wie jeder einzelne Verein diese Herausforderung meistert, wird sich zeigen. An dieser Stelle wiederhole ich mich gerne: “Fortuna für alle” ist keine Blaupause für andere Klubs und schon gar kein Moralapostel-Projekt, das anderen Standorten den Spiegel vorhalten soll. “Fortuna für alle” ist unser ganz spezieller Düsseldorfer Weg in eine hoffentlich erfolgreiche Zukunft.

War “Fortuna für alle” die einzige Chance, ohne eine Ausgliederung der Profiabteilung wirtschaftlich zu überleben?

Es war und ist der klare Wunsch unserer Mitglieder, dass wir ein eingetragener Verein bleiben. Punkt. Wir müssen also Mittel finden, um aus unserem Setup sportlich wie wirtschaftlich das Beste herauszuholen. Und “Fortuna für alle” ist genau das. Denn das Konzept hilft uns dabei, sowohl unsere Werte zu wahren als auch neue innovative Wege zu gehen, die es uns wiederum erlauben zu wachsen.

Der derzeitige sportliche Erfolg spült zusätzliche Einnahmen in Ihre Klubkassen, allein rund sechs Millionen Euro aus der DFB-Pokal-Saison. Die Mehrumsätze durch “Fortuna für alle” dürften für weitere finanzielle Stabilität sorgen.

Das ist richtig. Ohne “Fortuna für alle” stünden wir wirtschaftlich heute vor deutlich größeren Herausforderungen. Denn auch uns machen natürlich enorm gestiegene Kosten zu schaffen. Wir müssen aus beihilferechtlichen Gründen eine deutlich höhere Stadionmiete zahlen, wir tragen unter anderem bedingt durch die Mindestlohn-Entwicklung viel höhere Sicherheitskosten und wir sehen uns mit Forderungen konfrontiert, Corona-Hilfen möglicherweise zurückzuzahlen. Gleichzeitig haben wir den Anspruch, einen Lizenzkader zu stellen, der die Wahrscheinlichkeit erhöht, die Erwartungshaltung der Düsseldorfer an die Fortuna zu gewährleisten, nämlich: in der ersten Liga Fußball zu spielen.

Nach zuletzt drei Jahren Verlust in Folge: Wird Fortuna in der Saison 2023/24 wieder schwarze Zahlen schreiben?

Unser Eigenkapital ist aufgrund der längeren Zweitliga-Zugehörigkeit und durch Corona geschwächt. Dennoch ist unser angestrebtes Ziel, in dieser Saison ein positives Ergebnis zu erreichen.

Mit wieviel Mehrumsatz kalkulieren Sie im Falle eines Bundesliga-Aufstiegs?

Ein Aufstieg hebt einen Klub wirtschaftlich definitiv auf ein neues Level. Vor allem durch Mehreinnahmen aus TV, Sponsoring und Merchandising sowie eine höhere Stadionauslastung würde uns der Aufstieg bis zu 30 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen bescheren.

Wo würden Sie das frische Geld investieren?

Jeder Aufsteiger muss zunächst in den Kader investieren, um auch mittel- und langfristig in der Bundesliga schritthalten zu können. Auf die Achterbahnfahrt der vergangenen Jahre können wir meinetwegen gern verzichten. Es fühlt sich gerade in vielen Bereichen sehr gut an. Aber das ist eine Momentaufnahme und wir tun gut daran, der Situation mit der nötigen Portion Demut zu begegnen. Zumal wir auch abseits des Lizenzspielerkaders noch jede Menge Investitionsbedarf haben.

Wo genau?

Es gibt infrastrukturell einen großen Bedarf. Wir müssen aber auch insgesamt dynamischer werden und Prozesse und Strukturen überarbeiten, damit wir die Lücke zu den etablierten Erstligisten wieder etwas schließen können. Und das erfordert neben dem nötigen Mut und Ideen für Neues auch viel Kommunikation und Mitnahme der Fans, Partner und Mitarbeiter.

Interview: Henning Eberhardt