Das ewige Schlitzohr

Das ewige Schlitzohr

Grabowski, Nickel, Hölzenbein – dieser Dreiklang wird auf immer ein Markenzeichen und Synonym für Eintracht Frankfurt bleiben. Nach Bernd Nickel im Jahr 2021 und Jürgen Grabowski 2022 ist in der Nacht auf Dienstag auch das dritte große Idol Bernd Hölzenbein im Alter von 78 Jahren verstorben. Ein Nachruf.

Den Schalk im Nacken: Bernd Hölzenbein mit Helmut Schön.

Den Schalk im Nacken: Bernd Hölzenbein mit Helmut Schön.

imago images/Horstmüller

Die Frage, welcher Wunsch in seinem Leben offen geblieben sei, beschied Bernd Hölzenbein schon an seinem 60. Geburtstag formal abschließend: “Keiner.” Und wer ihm in den Jahren danach begegnete, bekam nicht den Eindruck vermittelt, als habe sich daran etwas geändert.

“Holz” besaß bis zum Ausbruch seiner schweren Krankheit vor rund drei Jahren stets die Ausstrahlung eines Menschen, der mit sich im Reinen ist. Der nicht mehr scheinen wollte als er ist. Sondern vielmehr eine souveräne Gelassenheit daraus bezog, zu wissen, was er erreicht hat. Und das ist weiß Gott nicht wenig. Der WM-Titel von 1974 steht über allem. Mit seiner Frankfurter Eintracht holte er 1974, 1975 und 1981 den DFB-Pokal, dazu den UEFA-Cup 1980. Die 160 Tore, die er zwischen 1966 und 1981 in 420 Bundesligapartien für die SGE erzielte, sind bis heute einsamer Klubrekord.

Hölzenbein war ein Leader – aber mit Taten statt mit Worten

Trotz alledem stand Hölzenbein in der öffentlichen Wahrnehmung oft ein wenig im Schatten des genialen Spielmachers Jürgen Grabowski. Was durchaus zu seinem zurückhaltenden Charakter passte. Auch wenn Hölzenbein bei den Eintracht-Triumphen 1980 und 1981 als Grabowskis Nachfolger die Kapitänsbinde trug, war er qua Naturell kein charismatischer Anführer. Und schon gar niemand, der sich in den Mittelpunkt drängte. Den UEFA-Cup hielt er nach den erfolgreichen Finalspielen gegen Borussia Mönchengladbach protokollarisch korrekt als erster Frankfurter in Händen – und übergab ihn danach demonstrativ an den verletzten Grabowski, zu diesem Zeitpunkt noch der offizielle Kapitän.

Trauer um Bernd Hölzenbein

“Holz”, erinnerte sich der damalige Mitspieler Ronny Borchers anlässlich Hölzenbeins 75. Geburtstag, “war schon ein Leader, und er hatte die Akzeptanz von allen. Aber er hat auf seine Art geführt.” Kaum mit Worten, dafür umso mehr mit Taten, vorzugsweise auf dem Rasen. Dabei brachte der Mann, der in vertrauter Runde durchaus auch den Schalk im Nacken hatte, eines seiner prägenden Wesensmerkmale nur allzu gerne im Sinne seiner jeweiligen Mannschaft ein: Das Gespür für den exakten Moment, in dem sich ein Vorteil bot. Und die Kaltschnäuzigkeit, diesen zu nutzen. Das Prädikat “Schlitzohr” wurde für Hölzenbein zu einer Art zweitem Vornamen.

Foul oder Schwalbe? “Auf jeden Fall ein Elfer!”

Symptomatisch dafür bleibt jene Szene, die dem im mittelhessischen Dehrn bei Limburg Geborenen seinen unauslöschlichen Platz in den Geschichtsbüchern sichert: Im WM-Finale 1974 geht Hölzenbein nach einer Grätsche des Niederländers Wim Jansen nach 24 Minuten im Strafraum zu Boden. Schiedsrichter Jack Taylor pfeift Strafstoß, Paul Breitner verwandelt zum 1:1. Am Ende stehen ein 2:1-Erfolg und der zweite Weltmeistertitel für Gastgeber Deutschland. Die Frage Foul oder Schwalbe wird in diesem Zusammenhang bis heute heiß diskutiert. Hölzenbein beantwortete sie seit jeher auf seine ureigene Art: “Auf jeden Fall war es ein Elfer!”

Ein Tor für die Ewigkeit: Bernd Hölzenbein als erfolgreicher

Ein Tor für die Ewigkeit: Bernd Hölzenbein als erfolgreicher “Sitzfußballer” gegen Bukarest.
IMAGO/Sven Simon

Ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat sich neben dem (Streit-)Fall von München eine weitere Aktion, die mit Fug und Recht als charakteristisch gilt – das vielleicht kurioseste Tor der deutschen Europacup-Historie. An jenem 7. November 1979 scheint die Eintracht in der 2. UEFA-Cup-Runde gegen Dinamo Bukarest schon ausgeschieden, als der rumänische Keeper Constantin Stefan eine harmlose Flanke aus den Händen gleiten lässt. Ein paar Meter entfernt sitzt der ausgerutschte Hölzenbein vermeintlich verzweifelt auf dem Hosenboden. Dass der Ball dann just in seine Richtung fliegt, ist reiner Zufall. Die Geistesgegenwart jedoch, mit der er die Kugel im Sitzen per Kopf über die Linie bugsiert,  kennzeichnet das denkwürdige Kunststück als “original Hölzenbein”. Dieser Treffer zum 2:0 bringt die Verlängerung – und legt den Grundstein zum späteren Titelgewinn.

Der Coup mit Pezzey und Macher des “Fußball 2000”

Handlungsschnelligkeit und Köpfchen beweist Hölzenbein auch in seiner zweiten Karriere als Eintracht-Macher. Wobei er einen der größten Transfer-Coups der Klubgeschichte schon als Spieler einleitet. Nach der Schmach von Cordoba, dem 2:3 gegen Österreich bei der WM 1978 in Argentinien, fliegt die deutsche Mannschaft in derselben Maschine zurück wie ihre Besieger. Dabei, berichtet Hölzenbein später im Gespräch mit dem kicker, habe er Bruno Pezzey “einfach mal angesprochen, ob er nicht nach Frankfurt kommt – es hat geklappt”. Gut zehn Jahre später startet Hölzenbeins Ära als Vizepräsident und Manager dann auch offiziell. Dabei stellt er jene Mannschaft zusammen, die den legendären “Fußball 2000” zelebriert und 1992 haarscharf die Meisterschaft verpasst unter der Regie von Trainer Dragoslav Stepanovic und mit neuen Galionsfiguren wie Uwe Bein, Andy Möller oder Anthony Yeboah.

Sozialstunden als Jugendtrainer: “Das hat auch Spaß gemacht”

In Hölzenbeins Verantwortung fällt freilich ebenso der Abstieg 1996, wenig später tritt das Idol frustriert zurück. Noch empfindlicher trifft ihn der Steuerprozess um Handgeldzahlungen der Eintracht an Yeboah. Hölzenbein hat entsprechende Verträge gutgläubig unterschrieben, wird daraufhin im Februar 2001 zu einer siebenmonatigen Haftstrafe auf Bewährung sowie 300 Sozialstunden verurteilt. Die leistet er als Jugendtrainer der SSG Gravenbruch ab und stellt rückblickend fest: “Das hat auch Spaß gemacht.”

Aus Enttäuschungen keine Verbitterung werden zu lassen, auch diese Kunst hat er beherrscht. In seinen letzten Lebensjahren litt Hölzenbein an einer schweren Krankheit, die ihm viele Erinnerungen nahm. Auch die schönen. Dass er mit den negativen schon vorher abgeschlossen hatte, ist gewiss ein Trost. Vorm geistigen Auge der Fußballwelt bleibt er sowieso: das ewige Schlitzohr.

Thiemo Müller