Über den Machtkampf beim VfB: Freundliche Übernahme

Über den Machtkampf beim VfB: Freundliche Übernahme

Vor lauter Interviews und Stellungnahmen verschwimmt im Ränkespiel rund um den VfB Stuttgart die Kernfrage: Hat Porsche den Aufsichtsratsvorsitz gefordert? Oder wurde er dem Sportwagenbauer angeboten? Und wenn ja, von wem und was bedeutet das eigentlich für künftige Konstellationen?

Mit Übernahmeplänen kennt man sich bei Porsche aus. Es war in den 2000er Jahren, als unter Wolfgang Wiedeking die Idee entstand, sich über die Stammaktien nach und nach die Macht beim wesentlich größeren Volkswagen-Konzern zu sichern. Ein Coup, der bekanntlich auf dem Höhepunkt der Finanzkrise anno 2009 scheiterte und drei Jahre später gewissermaßen in der Rolle rückwärts gipfelte, als VW das operative Geschäft bei Porsche übernehmen sollte. Längst ist diese Übernahmeschlacht Geschichte, wobei heute wiederum die Beteiligungsgesellschaft der Familien Porsche und Piech, die Porsche Automobil Holding SE, die Stimmrechtsmehrheit an VW hält.

Glaubt man Claus Vogt, dem amtierenden Präsidenten des VfB Stuttgart e.V., befindet sich die Porsche AG aktuell in einer weitaus kleineren Übernahmeschlacht, die aber zumindest für den Moment nicht weniger Schlagzeilen schreibt als die mehrjährige Saga damals. “Immer wenn Anteile an Fußballklubs erworben werden oder diese ausgliedern, gibt es beim neuen Partner den Wunsch, Verbesserungen herbeizuführen und sich einzubringen. Das kommt mir beim VfB wohl deutlich ausgeprägter vor als sonst. Trotzdem ist der VfB kein Sport-Start-Up oder ein Mittelständler, in den man nach 130 Jahren mal kurz reingeht und dann erstmal aufräumt, was einem persönlich oder strategisch nicht in den Kram passt”, führte Vogt vergangene Woche im Interview mit dem kicker aus. Eine klare Anspielung auf den Machtkampf mit ihm und der Porsche AG im Zentrum.

Vogt und die anderen Räte unterschrieben Vereinbarung mit Porsche

Am Tag vor der Bekanntgabe des Einstiegs des Sportwagenherstellers am 27. Juni 2023 war eine Vereinbarung aufgetaucht, wonach Vogt als gewählter e.V.-Präsident den Vorsitz des Aufsichtsrats der Stuttgarter Profifußball-AG freimachen soll und der neue Anteilseigner einen seiner künftigen Räte als Chef des Kontrollgremiums bestimmen dürfe – neben Porsche (aktuell gut 5 Prozent) halten auch Mercedes Benz (gut 10 Prozent) und die Jako AG (gut 1 Prozent) Aktien an der VfB-AG. Vogt und die anderen Räte unterschrieben diese Vereinbarung, die formal rechtlich nicht bindend ist. Heute wirft man Vogt deswegen Wortbruch vor, der Unternehmer ist in allen VfB-Gremien isoliert. Große Teile der Fanszene, einst seine Machtbasis, fordern seinen Rücktritt, allerdings auch den des ganzen Präsidiums und die Rückgabe des Aufsichtsratsvorsitzes an einen gewählten e.V.-Vertreter.

Porsche kritisiert: “Kein seriöses Geschäftsgebaren”

Porsche kritisierte am Karfreitag: “Wir waren uns einig, dass es mit unserem Einstieg beim VfB einen Neuanfang mit einem neuen Aufsichtsratsvorsitzenden geben muss. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende hat dies schriftlich zugesagt und wir haben die erste Tranche überwiesen. Nun hält er sich nicht an seine Zusage. Stattdessen erklärt er, er habe sich vor seiner Unterschrift versichern lassen, dass seine Absichtserklärung keine Rechtsverbindlichkeit habe. Unserer Meinung nach ist dies für einen Aufsichtsratsvorsitzenden einer Aktiengesellschaft und auch für einen Repräsentanten einer renommierten Organisation kein seriöses Geschäftsgebaren.”

Vogt hat kann den Vorwurf des Wortbruchs schwerlich kontern, er hat nun einmal dieses Papier unterschrieben – mag es auch nicht rechtswirksam sein. Allerdings führt der 54-Jährige eine inhaltliche wie zeitliche Drucksituation an. In der Tat wirkt es erstaunlich, dass Aufsichtsräten eine Vereinbarung über einen Deal mit einem Volumen von rund 40 Millionen Euro gegen 16 Uhr zugestellt wird mit dem Hinweis, diese müsse bis 17 Uhr unterschrieben zurück sein. So schildern es mehrere, mit dem Sachverhalt vertraute Personen. Unterzeichnet haben das Papier offenbar alle Aufsichtsräte. Den Vorwurf der Mitglieder, ein zentrales Ausgliederungsversprechen von 2017 gebrochen zu haben, nämlich die Einheit von e.V.-Präsident und AG-Aufsichtsratsvorsitz, müssen sich entsprechend alle Kontrolleure gefallen lassen von den Mitgliedern.

Vogt erklärt, er habe in seine Version der Vereinbarung aufnehmen lassen, dass die Mitglieder zu beteiligen seien. Mit Beate Beck-Deharde und Rainer Adrion haben zwei weitere Aufsichtsräte ihr “Ja” zu der Vereinbarung zuletzt wieder zurückgezogen. Offenbar fühlen sie sich heute nicht mehr vollumfänglich informiert. Adrion rückte zwar zuletzt immer stärker von Vogt ab – allerdings unterstrich er auch am Donnerstag in dem Podcast VFBSTR: “Sehr wahrscheinlich” wäre der Deal geplatzt, hätten die Räte nicht unterzeichnet. Wobei er auch einschränkt: “Ich kann aber nur spekulieren, wie konsequent Porsche dann gewesen wäre. Ich fand es schade, dass es am Schluss auf so ein Ultimatum ankommt.”

Wehrle kontert Vogt

Ein 40-Milllionen-Deal, eingebettet in ein Sponsoren-Gesamtpaket von 100 Millionen Euro – es ging schließlich neben dem Anteilsverkauf auch um Stadionnamen und weitere Vermarktungsrechte. Wie entscheidet man da? Laut dem Vorstandsvorsitzenden der AG, Alexander Wehrle, wäre Vogts “Ja” kein Muss gewesen: “Wenn Claus Vogt damals nicht seine Bereitschaft erklärt hätte, das Amt niederzulegen, hätten wir als Vorstand eine andere Lösung gefunden. Das haben wir beide ihm im persönlichen Gespräch klar mitgeteilt.” Marketingvorstand Rouven Kasper, der gemeinsam mit Wehrle in der “Stuttgarter Zeitung” gesprochen und Vogt in Replik auf dessen kicker-Interview am Mittwoch scharf kritisiert hatte, ergänzt: “Wir haben ihm zwei Optionen vorgestellt. Zum einen eine Zukunft mit Porsche. Und andererseits haben wir ihm gesagt, dass die Existenz des VfB auch ohne diesen Einstieg nicht gefährdet ist und wir mit ihm gemeinsam einen anderen Weg gehen. Die Entscheidung, welchen Weg wir einschlagen, hat er getroffen.”

VfB-Präsident Claus Vogt und  Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle

Sind voneinander abgerückt: VfB-Präsident Claus Vogt und  Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle.
IMAGO/Sportfoto Rudel

Damit mag der einst für das Asiengeschäft des FC Bayern zuständige Sportökonom Recht haben. Allerdings dürfte er sehr gut wissen, dass es im Fußballbusiness kaum dauerhaft geheim bleibt, wenn ein solcher Deal kurz vor dem Finale gestoppt wird, weil ein Funktionär an seinem Amt hängt. Daraus resultierende Schlagzeilen wären mehr als deutlich gewesen.

Kernfrage im Dilemma ist immer noch nicht geklärt

Wehrle und Kasper dürfen für sich reklamieren, eine ziemlich einzigartige Partnerschaft ausgehandelt zu haben im deutschen Profisport, weil mit Mercedes-Benz und Porsche zwei Konkurrenten nun einen Klub unterstützen – höchst unüblich, man stelle sich vor, dass sich beim FC Bayern übermorgen auch noch Nike engagiert. Unvorstellbar. Die Kernfrage in dem Dilemma aber ist immer noch nicht geklärt: War die Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes Teil der Porsche-Forderung? Adrions Aussagen in dem VFBSTR-Podcast lassen sich so verstehen, auch Vogt stellt es so dar.

Porsche selbst dagegen teilte bereits Ende Februar mit, als das Magazin Business Insider erstmals von der geplanten Ablösung Vogts als Aufsichtsratschef berichtete: “Porsche strebt die Übernahme des Aufsichtsrats-Vorsitzes nicht an.” Seltsam, nach kicker-Recherchen ging es in der Vereinbarung im Juni 2023 sehr wohl darum, den Vorsitzenden aus dem Personenkreis der Porsche-Vertreter im Rat – die Vorstände Lutz Meschke und Albrecht Reimold – zu bestimmen. Heute sagen die Zuffenhausener auf diesen Vorhalt: “Porsche ist im Juni 2023 die Möglichkeit eingeräumt worden den Aufsichtsratsvorsitz der VfB AG zu übernehmen, hat dies aber nicht explizit gefordert. Mit der Lösung, den Vorsitz mit einem/einer fachlich und persönlich geeigneten Vertreter/Vertreterin des eV zu besetzen, war Porsche immer einverstanden.”

Was passiert, wenn die Mitglieder einen Präsidenten wählen, der den Partnern nicht passt?

Die Frage ist: Wer hat Porsche diese Möglichkeit eingeräumt im Zuge einer auf zwei 20-Millionen-Tranchen angelegten Minderheitsbeteiligung von am Ende gut 10 Prozent? Die Antwort auf diese Frage ist der entscheidende Mosaikstein in dem Rätsel, weil sich aus genau aus diesem Aspekt heraus der Gesamtkonflikt speist. Und sie wird auch ein Stück weit die Zukunft des Bundesliga-Dritten prägen, konkret das Binnenverhältnis zwischen Verein, AG und Anteilseignern. Denn unabhängig von der Person Vogt stellt sich die Frage: Was wird passieren, wenn die Mitglieder einen Präsidenten wählen, der den Partnern nicht passt?

Die Mehrheit der Räte ist nicht zu Unrecht sauer, weil Vogt den Posten nicht wie zugesagt räumte. Der begründete dieses Festhalten am Amt damit: “Weil es die in der Erklärung unterstellte Kandidatur eines Porsche-Vertreters für den Posten als Ratschef nicht gab und bis heute nicht gibt.” Gemeint sein dürfte Porsche-Vizevorstandschef Meschke, der im VfB-Umfeld wesentlich dominanter auftritt als sein Kollege Reimold. Die Absprache also war demnach: Meschke für Vogt. Was nun eben nicht eintrat, weil Porsche ja, siehe oben, den Ratsvorsitz angeblich nie gefordert haben will. Stattdessen wählte das Kontrollgremium Tanja Gönner, die eigentlich den seit Februar schwelenden Konflikt im Aufsichtsrat hatte moderieren sollen, an die Spitze des Gremiums. Keine Investoren-Vertreterin, sondern eine vom e.V. entsandte Aufsichtsrätin – keine feindliche Übernahme, wenn man so will, sondern eine freundliche, weil der e.V. auch weiter den ranghöchsten AG-Vertreter stellt.

Abwahlanträge werden auf der vorgezogenen MV kommen

Dass es kein Präsidiumsmitglied, also ein von den Mitgliedern gewählter Repräsentant wurde, lag laut Gönner an Vogt selbst, wie die ehemalige CDU-Landesministerin ausführt: “Am Ende konzentrierte es sich aufgrund verschiedener Vorkommnisse während des Prozesses, die eine Anzahl anderer Lösungsoptionen nicht mehr möglich machte auf den Vorschlag, dass Claus Vogt ein Mitglied des Präsidiums vorschlagen könne und dieses gewählt würde. Es gab hierbei unterschiedliche Präferenzen, aber hätte Claus Vogt ein Präsidiumsmitglied in der betreffenden Sitzung vorgeschlagen, statt die Sitzung zu verlassen, wäre dieses Mitglied gewählt worden.”

Wenn diese Darstellung stimmt, hätte Vogt die letzte Chance vergeben, das Ausgliederungsversprechen von 2017 zumindest noch einigermaßen zu erhalten. Schließlich wäre dann immerhin ein der Mitgliederversammlung verpflichteter Funktionär an der AG-Spitze. Andererseits: Warum schlugen nicht die übrigen in der Sitzung verbliebenen Räte Adrion oder Christian Riethmüller vor, also die gewählten Präsidiumsmitglieder, sondern Gönner, die nur wenige Tage zuvor an der Seite Meschkes Gespräche mit Vogt und dessen Beistand, dem Vereinsbeiratschef Rainer Weninger, geführt hatte? Womöglich wird genau diese Frage gestellt werden bei der auf den 28. Juli vorgezogenen Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart e.V., wenn sich Vogt & Co. Abwahlanträgen stellen müssen – dass diese kommen werden, ist nicht nur an Ostern so sicher wie das Amen in der Kirche.

Benni Hofmann