Fuhrmann im Interview: “Da müssen wir einen Zahn zulegen”

Fuhrmann im Interview: “Da müssen wir einen Zahn zulegen”

Die EM-Qualifikation beginnt für die deutsche Elf am Freitag mit dem Nachbarschaftsduell in Linz gegen Österreich. 2022 spielten beide Teams im EM-Viertelfinale gegeneinander. Österreichs Trainerin Irene Fuhrmann (43) blickt aber nicht nur zurück.

Frau Fuhrmann, wie groß ist Ihre Vorfreude auf das Spiel gegen Deutschland?

Es ist für uns eine tolle Challenge. Viele unserer Spielerinnen sind oder waren Legionärinnen in Deutschland, kennen sich also untereinander gut. Insofern ist es ein sehr spezielles Spiel. Und weil es ja auch ein bisschen das Wiederaufleben des EM-Viertelfinales 2022 in London ist.

Damals gewann Deutschland 2:0, obwohl Österreich gute Chancen hatte und dreimal das Aluminium traf. Welche Erinnerungen haben Sie an die Partie?

Richtig gute, weil ich denke, dass wir Deutschland schon vor Probleme gestellt haben. Wir haben damals unser Pressing umgestellt und auf Ihre Spielweise reagiert, das hat gut funktioniert. Ich glaube, es war noch nie so ein offenes Spiel – nicht dass wir schon so oft gegen Deutschland gespielt hätten, aber doch in zwei Testspielen davor. Es wäre mal interessant gewesen, wenn wir dort in Führung gegangen wären.

Mut mit dem Ball und hohe Intensität

Das Spiel hat auch gezeigt, dass Sie sich gegen Top-Gegner einfach gar keinen Fehler erlauben dürfen.

Ja, aber auch unsere anderen beiden kommenden Gegner Island und Polen sind sehr gut in Umschalt-Situationen. Wir haben im Februar (beim 2:7 gegen England, Anm. d. Red.) klar aufgezeigt bekommen, dass wir, wenn nicht jede einzelne unserer Spielerinnen am Limit performt, gegen die sehr starken Nationen, aber auch gegen andere nicht mithalten können. 2022 waren wir einfach auch nicht clever genug. Als das mit Alexandra Popp am Ende passiert (Tor zum 2:0 nach einem Fehlpass von Torhüterin Manuela Zinsberger, d. Red.), waren davor schon zwei, drei solche brenzligen Situationen. Dann kann ich einfach nicht den Spielplan auf Biegen und Brechen bis zum Ende durchziehen, sondern muss auch mal die vertikalere Variante wählen. Das ist aber ein Reifungsprozess einer Mannschaft.

Wie mutig muss Ihr Team dann am Freitag auftreten?

Extrem mutig. Nicht nur mit dem Ball, sondern auch mit hoher Intensität gegen den Ball. Da müssen wir aber schauen, wie voll die Akkus unserer Spielerinnen sind. Wir müssen gute Entscheidungen treffen und sehr sauber im Passspiel sein. Da müssen wir auf jeden Fall einen Zahn zulegen, gerade im Februar waren wir sehr anfällig, wenngleich das Testspiele waren.

Wie sehen Sie denn die Kräfteverhältnisse in der Gruppe?

Deutschland ist nicht nur Favorit gegen uns, sondern absoluter Favorit in der Gruppe. Ich glaube, dass Deutschland aus einer etwas durchwachsenen Phase um die WM herum sehr gestärkt hervorgegangen ist und einfach viel individuelle Klasse hat. Die für uns entscheidenden Spiele sind ganz sicher die gegen Island und Polen, da wird es auf die Tagesverfassung ankommen. Ich denke, eine direkte Qualifikation liegt im Bereich des Möglichen. Island ist ein sehr robustes, athletisches Team, da heißt es, nicht allzu viele Defensivstandards zuzulassen. Polen hat sich richtig gut entwickelt und stellt ja auch einige Spielerinnen in der Bundesliga, Ewa Pajor vom VfL Wolfsburg zum Beispiel. Sie treten sehr geschlossen auf und haben sehr schnelle Spielerinnen. Polen ist auf keinen Fall zu unterschätzen und auf die leichte Schulter zu nehmen.

EM-Qualifikation in Linz

ÖFB-Team besticht durch das Kollektiv

Bei der EM 2022 haben Sie nach der verlorenen Auftaktpartie gegen England die Qualität im Kader infrage gestellt. Sie haben gesagt, dass sie viel weniger Fußballerinnen als die Top-Nationen haben. Würden Sie die Aussage heute immer noch tätigen?

Es ist einfach so, dass die anderen Teams eine höhere individuelle Qualität haben und wir eigentlich über die letzten Jahre durchs Kollektiv bestochen haben, wenngleich sich unsere Spielerinnen auch individuell weiterentwickeln. Dass wir überhaupt diese Möglichkeit haben, in der Liga A die EM-Qualifikation zu spielen, ist schon ein Riesen-Erfolg. In der Nations League haben wir in einer Gruppe mit Frankreich, Norwegen und Portugal, alles drei WM-Teilnehmer, den zweiten Platz erreicht. Das ist alles nicht selbstverständlich. Wir haben noch sehr, sehr wenige Fußballerinnen im gesamten Land, auch eine geringe Kaderbreite in der Spitze. Da haben wir als gesamtes Team schon fast das Maximum rausgeholt. Wir kämpfen um Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit und Wertschätzung.

Vor den Verletzungen der Bayern-Profis Sarah Zadrazil und Katharina Naschenweng hatten Sie 14 Bundesligaspielerinnen nominiert, jetzt sind es mit der nachgerückten Leipzigerin Michela Croatto noch 13. Einige Spielerinnen haben sich in den letzten Monaten und Jahren enorm weiterentwickelt. Spüren Sie, dass es mit dem österreichischen Fußball in die richtige Richtung geht? Oder geht es Ihnen nicht schnell genug?

Wenn sie mich so fragen, geht es mir nicht schnell genug (lacht). Die Gegebenheiten in Österreich sind noch nicht so professionell. Es kommt irgendwann zu dem Punkt kommt, wo sie entscheiden müssen, ob sie ins Ausland gehen. Der Wechsel von Sarah Zadrazil als Kapitänin von Turbine Potsdam zu Bayern München 2020 war genau etwas, das wir brauchen, nämlich dass die Spielerinnen aus ihrer Komfortzone gehen, sich weiter fordern. Auch andere wie Katharina Naschenweng von Hoffenheim zum FC Bayern, Annabel Schasching und Eileen Campbell zum SC Freiburg: Das brauchen wir als Nationalteam ganz dringend. Ich war auch überrascht, wie schnell sich Lilli Purtscheller bei der SGS Essen etabliert hat.

Das Thema Toreschießen

Außer Nicole Billa, die in dieser Saison etwas im Tief steckt, bringen es Ihre übrigen Stürmerinnen zusammen auf gerade einmal sieben Länderspieltore.

Das Thema Toreschießen ist genau das, was uns zu den Top-Nationen fehlt. Wir haben uns gesteigert, was Ballbesitzphasen und das Herausspielen von Torchancen betrifft. Aber es mangelt an der Effektivität, diese Chancen eiskalt zu nutzen. Nicole Billa arbeitet hart an sich und gibt alles. Aber es ist schon über Monate für sie schwierig, ihre Rolle in Hoffenheim hat sich komplett verändert. Wir haben aber mit der neuen Freiburgerin Eileen Campbell eine komplett konträre Spielerin, die schneller, dynamischer ist, ihre Qualitäten auch schon in der Nations League aufblitzen lassen hat. Aber sie trainiert noch nicht sehr lange auf hohem Niveau, wir müssen da geduldig sein. Barbara Dunst hat eine enorme Entwicklung genommen. Die, die wir haben, müssen wir versuchen bestmöglich zu unterstützen und in die Situationen zu bringen, aber am Ende ist es eine Qualitätssache. Aufgrund der Umstrukturierung im internationalen Frauenfußball haben wir wenige Gegner, gegen die wir Favorit sind und sehr viel Ballbesitz haben. Zudem ist es schwieriger zu trainieren als Defensivspiel, wo ganz klare Abläufe da sein müssen.

Sie sind seit 2020 Teamchefin beim ÖFB, haben Aufs und Abs miterlebt. Welche weiteren Pläne haben Sie für Ihre Trainerinnen-Karriere im Kopf? Ist die deutsche Bundesliga vielleicht auch für Sie in Zukunft interessant?

Ich kenne die Spielerinnen alle im Prinzip von klein auf. Es ist so eine tolle Mannschaft mit so tollen Charakteren. Es gibt für mich derzeit keinen Grund, mich umzuschauen oder Überlegungen anzustellen in irgendeine andere Richtung. Es ist für mich kein 08/15-Job, weil ich hier großgeworden bin als Spielerin, als Trainerin mich entwickeln konnte, und eine ganz besondere Verbindung zu dem Gesamten habe. Ich habe noch viel vor, es steht jetzt die EM-Qualifikation an, wir waren aber auch noch nie bei einer Weltmeisterschaft. Das ist der dunkle Punkt meiner Trainerkarriere. Also es gibt noch genügend Ziele mit Österreich.

Gibt es eine deutsche Spielerin, die Ihnen besonders gut gefällt?

Da gibt es sehr viele, aber jetzt momentan bin ich extrem begeistert von Sjoeke Nüsken. Wie schnell sie sich bei Chelsea durchgesetzt hat, was sie alles spielen kann, das ist wirklich top.

Interview: Paul Bartmuß, Annika Fröhlich und Gunnar Meggers