Christian Laettner und “The Shot”: Das perfekte Spiel

Christian Laettner und “The Shot”: Das perfekte Spiel

Müsste man den ganzen Wahnsinn der March Madness in einem einzigen Moment einfangen, wäre es einer, der sich nun zum 32. Mal jährt. Manege frei für Christian Laettner.

2,1 Sekunden noch. So leuchtet es grell auf den Uhr-Würfeln im Endspiel der Eastern Regionals, im heißesten Duell der Elite Eight der US-Collegemeisterschaft am 28. März 1992. Viertelfinale quasi. Das letzte Spiel vor den prestigeträchtigen Final Four.

Die Kentucky Wildcats führen mit 103:102 gegen den Titelverteidiger, die Duke Blue Devils, die soeben einen schmerzhaften Zwei-Punkte-Treffer kassiert haben und den Ball nun ganz hinten einwerfen müssen, grob 28 Meter von Kentuckys Korb entfernt. Jetzt muss der Champion kreativ werden. Aber sonnenklar ist: Der Ball landet bei Christian Laettner.

Das perfekte Feindbild

Argentiniens Fußballfans verspürten einst und verspüren noch eine so große Zuneigung zu Diego Maradona, weil er genau dem entsprach, was der legendäre Journalist Borocoto einst als den typischen argentinischen Fußballer beschrieb: einem “armen Jungen mit dreckigem Gesicht, funkelnden Augen und einem schelmischen Lachen. Auf dem Kopf trägt er eine Mähne, die gegen jeden Kamm rebelliert; seine Haltung charakteristisch, als würde er mit einem Ball aus Lumpen dribbeln.”

Ähnlich perfekt wie Maradona auf diese Beschreibung passte, repräsentierte Laettner das, was die meisten College-Basketball-Fans seit Jahrzehnten an der Duke University hassen. Der Starspieler des elitären Basketballprogramms war sehr selbstbewusst – andere sagen arrogant -, sah gut aus, spielte nicht immer ganz fair, er war weiß, er spielte eben für Duke – und er hatte Erfolg. Vor allem hatte er Erfolg. Der 2,11 Meter lange Center war der beste Spieler einer Mannschaft, die fast das ganze Land verlieren sehen wollte.

Der spielintelligente Big Man mit dem feinen Touch gilt bis heute als meist gehasster Spieler der College-Basketball-Geschichte – dicht gefolgt aber, das meinte er auch selbst mal, von anderen Duke-Aushängeschildern. Kurz vor Laettner hatte sich der Hass auf Danny Ferry konzentriert, später verkamen J. J. Redick oder Grayson Allen national zu überlebensgroßen Feindbildern.

Keines jedoch war so groß wie Laettner, der Duke von unbeliebten Schnöseln, die zwar oft um den Titel mitmischten, ihn aber nie errangen, auch noch zu Gewinnern machte. Angeführt von ihrem Center holten die Blue Devils unter Trainer Mike “Coach K” Krzyzewski 1991 als großer Außenseiter im Endspiel gegen Titelverteidiger UNLV ihren ersten Titel. Das ließ die Abneigung überkochen.

Shaquille O'Neal, Christian Laettner

“Mano a mano” mit Shaq: Im College gehörte Christian Laettner zu den besten Spielern überhaupt.
IMAGO/USA TODAY Network

Besonders im Showdown gegen Kentucky zwölf Monate später, das nach zwei Jahren Sperre wegen Verstößen gegen NCAA-Statuten wieder Teil der March Madness sein darf: Als während des Spiels Wildcats-Forward Aminu Timberlake zu Boden fällt, tritt ihm Laettner unsportlich auf die Brust, was den Ausschluss des Duke-Stars zur Folge hätte haben können. Andere sagen müssen. Doch Laettner bekommt lediglich ein technisches Foul gegen sich gepfiffen und darf ein Spiel fortsetzen, das ansonsten perfekt ist.

Als nur noch 2,1 Sekunden auf der Uhr sind, hat der junge Mann mit der Trikotnummer 32 insgesamt neun Würfe aus dem Feld genommen und alle versenkt. Er hatte zudem zehn Freiwürfe ausgeführt und auch die alle versenkt. Der Ball wäre ohnehin in seinen Händen gelandet, aber Coach K fragt, in der letzten Auszeit, sicherheitshalber noch mal nach.

Erst fragt er Grant Hill, ob dieser sich zutrauen würde, einen Pass über den ganzen Court zu werfen. Hill, dessen Vater einst in der NFL gespielt hat, sagt ja. Dann fragt Krzyzewski Laettner, ob er sich zutrauen würde, so einen Ball zu fangen. Auch er bejaht. Und damit ist die Auszeit beendet.

Kentucky druckt “I hate Christian Laettner”-Shirts

Dukes Cheerleader lassen sich die Anspannung dieses damit aufgeladenen Momentes nicht anmerken, sie tanzen ihre Zuversicht tapfer in Richtung Publikum, während sich Hill an die eigene Baseline bewegt und sich seine vier Kollegen nahe des gegnerischen Korbs aufstellen. Mittig an der Freiwurflinie steht Laettner, in freudiger Erwartung.

Alles oder nichts. Hill wirft, Laettner fängt. Aber Laettner, der von Gegenspieler Deron Feldhaus nicht gefoult wird und mit dem Rücken zum Korb steht, wirft noch nicht. Er hat noch 2,1 Sekunden Zeit und augenscheinlich keine Nerven. Er dreht sich nach rechts, dribbelt noch mal, dreht sich in aller Seelenruhe nach links und hebt ab. Und wirft. Während die Zeit vermeintlich stillsteht, ertönt die Schlusssirene. Dann fällt der Ball, ohne auch nur die Kante des Rings zu berühren, butterweich durch die Reuse. Zehn von zehn, 20 von 20. Ekstase.

Und Frust beim Verlierer, der in diesen Jahren mit “I hate Christian Laettner”-Shirts gute Umsätze macht, aus denen viele Jahre später “I still hate Laettner”-Schriftzüge (“Ich hasse ihn immer noch”) geworden sind. Es dürfte im Frühjahr 1992 auch außerhalb von Kentucky nur wenigen gefallen haben, dass Duke als erste Mannschaft seit UCLA in den 1960er und 1970er Jahren anschließend auch im Final Four nicht zu stoppen ist und den Titel souverän verteidigt. Ausgerechnet gegen die populären “Fab Five” aus Michigan.

Team USA, Olympia 1992

Johnson, Jordan, Barkley, Ewing – und Laettner (re.): Das “Dream Team” in Barcelona 1992.
imago images/Horstmüller

Und ausgerechnet Laettner durfte sich ein paar Monate später als Teil des legendären “Dream Teams” um Michael Jordan auch noch Olympiasieger nennen, weil nicht der kommende First Pick und Superstar Shaquille O’Neal den College-Spieler-Platz bekommen hatte, sondern eben er: das Feindbild der Nation.

Drei Jahre später wiederholt Laettner seinen Moment

Was aus heutiger Sicht wie die falsche Entscheidung wirkt, weil einer der besten Basketballspieler der College-Geschichte anschließend “nur” eine solide NBA-Karriere hinlegte (13 Jahre in der Liga, einmal All-Star), war 1992 wahrscheinlich die richtige. Denn in diesen Jahren, und deshalb hassten ihn die Menschen ja so, war Christian Laettner einfach nicht zu stoppen.

Selbst als Coach K, Grant Hill und er drei Jahre nach “The Shot” vor prallgefüllter, aufgeheizter Duke-Halle den vielleicht berühmtesten Spielzug, den die March Madness bisher erlebt hat, originalgetreu nachstellen wollten, nahm er sich die Zeit. Wohlgemerkt mit 2,1 Sekunden auf der Uhr. Er drehte sich nach rechts, dribbelte noch mal, dann drehte er sich nach links – und hob ab. Und traf schon wieder, ohne das kleinste bisschen Ring. 21 von 21. Dieser verdammte Laettner.

Niklas Baumgart