Michael Wimmer im Interview: “Wahrscheinlich sind wir wieder in einer Delle”

Fast drei Jahre lang ist es der Wiener Austria gelungen, ihre Fans zufriedenzustellen, obwohl aufgrund der angespannten finanziellen Lage keine großen Sprünge möglich waren. Jetzt treten die Violetten auf der Stelle. Nach dem 1:1 gegen Lustenau gab es erstmals Unmutsäußerungen von den Rängen. Der kicker sprach mit Michael Wimmer über den Status quo der Austria.

Herr Wimmer, es ist gerade viel von Stillstand in der Qualifikationsgruppe die Rede. Gilt das ganz besonders auch für die Austria?

Es fühlt sich gerade vielleicht ein bisschen so an, dass die Entwicklung ausbleibt, weil wir es nicht in die Top sechs geschafft haben. Aber wenn man schaut, es ist das erste Mal, dass 33 Punkte nicht für die Meistergruppe gereicht haben. 33 Punkte hat die Austria davor aber überhaupt erst zweimal im Grunddurchgang erreicht, nur im Vorjahr wären es ohne den Punktabzug mehr, nämlich 35, gewesen. Es hat also eine gewisse Entwicklung stattgefunden. Aber wäre mit einem Punkt mehr alles super?

Qualifikationsgruppe – 26. Spieltag

Sie haben nach dem 1:1 gegen Lustenau Verständnis für die Pfiffe der Fans gezeigt, aber halten gleichzeitig den Anspruch für zu hoch?

Klar, der Anspruch der Austria ist, immer die Top sechs zu erreichen und die Mannschaften darunter zu dominieren. Aber aktuell ist es nicht so. Wir tun uns schwer, das war auch im Grunddurchgang schon so. Es wäre auch respektlos zu glauben, dass wir über diese Mannschaften einfach drüberfahren. Wir haben vom Marktwert her eine Mannschaft für die Plätze fünf bis acht. Wenn alles optimal läuft, können wir in die Nähe von Platz vier hinkommen. Das heißt aber nicht, dass es einfach ist, gegen Mannschaften zu gewinnen, die da unten ums Überleben kämpfen. Aber ich verstehe die Fans. Ich bin auch unzufrieden und hätte mir auch gewünscht, dass wir nach dem 1:0 gegen Lustenau auf das 2:0 gehen. Wobei, 80:20 Ballbesitz und 20 Torschüsse heißt ja, dass die Dominanz da war.

War es letztlich leichtsinnig, nach dem Abgang von Haris Tabakovic nur mit Huskovic, Vucic und Gruber in die Saison zu gehen?

Ich hätte mir gewünscht, dass wir gleich im Anschluss einen Stoßstürmer dazubekommen. Alex Schmidt, der im August gekommen ist, wollten wir sowieso dazunehmen und wussten, dass er Trainingsrückstand hatte und lange nicht gespielt hat. Fisnik Asllani war dann schon relativ spät. Aber ich war ja dabei, als wir mit anderen Stürmern gesprochen haben, es war nicht zu realisieren. Dass Fisnik jetzt schon so lange ausfällt, macht es nicht einfacher. Was viele nicht wissen, er ist, was die Werte im Angriffspressing betrifft, in den Top drei. Marvin Potzmann ist wiederum in den Top fünf im Gegenpressing. Das spielt in die jetzige Phase natürlich rein, wenn dir die wegbrechen.

Bevor wir zu den Sechsern kommen, noch ein Wort zu den Stürmern: Andreas Gruber war im Herbst der Torjäger, haben Sie ihn nicht verunsichert, dass Sie ihn in den ersten Frühjahrsrunden auf die Bank gesetzt haben?

Zuerst einmal muss ich sagen, dass der Andi vor dem Tor eine Waffe ist, er hat uns nicht umsonst neun Tore geschossen. Mit seiner Arbeit im Trainingslager war ich nicht hundertprozentig zufrieden, da hat Romeo Vucic besser gearbeitet. Deshalb hat er dann auch gegen Hartberg den Vorzug bekommen. Aber das war keine Entscheidung gegen Andi, sondern in diesem Fall für Romeo.

Vucic und Huskovic haben Sie zuletzt auch ins Gebet genommen, weil Sie den nächsten Schritt von ihnen erwarten.

Romeo und “Muki” sind jetzt 21. So jung ist das auch nicht mehr. Romeo hat es gut gemacht, wie er reingekommen ist. Dann ist der dumme Ausschluss gegen Altach gekommen, jetzt das ungeschickte Elferfoul gegen Lustenau. Ich erwarte mir einfach, dass sie sich stabilisieren, Konstanz in ihre Leistungen bringen und den nächsten Schritt zum Bundesligaspieler machen.

Haben Sie mit Huskovic darüber gesprochen, dass er den höchsten xG-Wert mit den wenigsten Toren hat?

Nee, das habe ich nicht thematisiert, aber ich habe ihm gesagt, dass er ein Rezept für sich finden muss, mit der Kugel vor dem Tor ruhig zu bleiben. Er hat sich im Spiel deutlich verbessert, er weiß, wie er sich zu positionieren hat, um zu Chancen zu kommen. Jetzt muss er einen Weg finden, diese auch zu verwerten.

Zur Sechser-Frage. Bis vor wenigen Monaten hatten Sie den Luxus, aus Braunöder, Jukic, Fischer, Holland und Potzmann ein Sechser-Pärchen auswählen zu können. Davon ist gegen den WAC gerade einmal Holland übrig. Was werden Sie machen?

Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht. Wir sind nach den Abgängen von Jukic und Braunöder auf der Sechser-Position dünn besetzt. Aber auch da: Es ist nicht so, dass wir nichts versucht hätten. Es gab zwei Kandidaten, aber es hat nicht geklappt, weil es mit unseren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht so einfach ist, Spieler zu verpflichten, die uns sofort verstärken und alle anderen Kandidaten haben zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn gemacht. Es war ohnehin schon ein Glücksgriff, dass “Potzi” es aus der Not heraus gegen Rapid in doppelter Unterzahl so gut gemacht hat, dass er sich als echter Sechser herauskristallisiert hat und der Mannschaft jetzt auf dieser Position die nötige Stabilität verleiht.

Den Braunöder-Abgang haben Sie nicht auch selbst herausgefordert?

Die Frage höre ich bei jedem Fanclubtreffen. Und sie ist auch legitim und verständlich. Aber zum einen wollte “Motz” schon länger den nächsten Schritt machen, zum anderen sehen Trainer Spieler eben unterschiedlich oder haben andere Philosophien. So wie Haris in meine Spielidee gepasst und performt hat, während er es vor meiner Zeit schwer hatte. Meine Idealvorstellung vom Sechser-Pärchen wäre eine sogenannte “Holding Six” und eine dynamischere Variante, wie es zum Beispiel ein Jukic war. Die Holding Six war aber auch nicht unbedingt die Position für “Motz”, weil er einer ist, der 13 Kilometer im Spiel zurücklegt und gerne von Box zu Box unterwegs ist.

Kommt Manfred Fischer derzeit bei den Fans zum Handkuss, weil er eigentlich eine Station weiter vorne besser aufgehoben wäre?

Der “Mandi” hat gezeigt, dass er als Achter sehr gut ist, aber ich weiß, dass er es auch auf der Sechs gut kann. Er ist mit so viel Herzblut dabei, dass er’s vielleicht übers Knie brechen will. Der Rucksack, den er sich dabei umhängt, ist schwer, die Kapitänsbinde bei so einem Traditionsverein zu tragen, ist nicht leicht. Er will diese Rolle mit allem leben, was er hat. In der Kabine und auf dem Platz. Er lebt diesen Verein. Natürlich hört er auch das Murren von den Tribünen, wenn ihm etwas misslingt. Deshalb sagen wir vom Trainerteam ihm, dass er sich auf sich fokussieren soll, um wieder die Lockerheit zurückzubekommen.

Gestiegen in der Gunst der Fans ist hingegen Johannes Handl.

Joe hat sicher den größten Schritt in der Entwicklung gemacht, seit ich hier bin. Er hat mit dem Ball immer Lösungen, er wird nicht hektisch, er ist einer, der überragend nach vorne denkt und verteidigt. Früher hat man nur gemerkt wie gut er ist, wenn er nicht gespielt hat. Erst wenn man sich die verlorenen Spiele angeschaut hat, ist man draufgekommen, dass Joe gefehlt hat.

Sie haben zuletzt bei “Sky” in “Talk und Tore” mit der Aussage aufhorchen lassen, dass Sie ungern in ein letztes Vertragsjahr gehen. War das die Aufforderung zu Vertragsgesprächen?

Nein, es heißt nicht mehr und nicht weniger als das, was ich gesagt habe und war eigentlich nur meine Position zu einem Interview von Jürgen Werner. Ich sehe es so wie Jürgen auch, es gibt im Moment keine Veranlassung für eine Vertragsverlängerung. Wenn es soweit ist, wird jeder seinen Anspruch haben. Der Verein will dorthin, wo die Austria hingehört, ich habe den Anspruch als Trainer, meinen Weg zu gehen. Am liebsten hier, deshalb ist die Austria auch mein erster Ansprechpartner. Aber Anspruch und Realität müssen zusammenpassen. Wenn wir finanziell wenig Spielraum haben und wir vielleicht nur mit Eigengewächsen spielen können, bin ich auch an Bord. Nur kann man dann meiner Meinung nach nicht über die Top drei sprechen. Es ist dann auch schwer, sich als Trainer daran messen zu lassen. Dann wäre zum Beispiel die Entwicklung der Spieler ein Maßstab. Aber ich bin für jedes Projekt offen, das klar kommuniziert wird. Es geht aber immer um den Verein, der ist das Wichtigste.

Fürchten Sie durch die aktuell wenig zufriedenstellende Situation einen Karriereknick?

Daran verschwende ich gar keinen Gedanken. Es gibt auch Punkte, die ich dagegenhalten könnte. Wir hatten in den letzten 17 Spielen zwei Niederlagen, haben dabei 31 Punkte geholt. Wir waren in der Rückrunde mit 21 Punkten Zweiter hinter Salzburg. Für die aktuelle Breite des Kaders ist das eine beachtliche Leistung von den Spielern. Ich denke, ich habe in den 16 Monaten ein Bild geliefert, das zeigt, welchen Fußball ich spielen will, was meine Werte sind, wie ich auftreten will. Wenn das anderen Vereinen nicht verborgen bleibt, freut mich das natürlich, aber das ist kein Ding, womit ich mich aktuell beschäftige. Ich will aber auch nichts schönreden. Wir hatten nach dem Warschau-Spiel auch eine Delle, weswegen wir im August und September nur fünf Punkte angeschrieben haben, was definitiv zu wenig ist. Aber wir sind Profis, wir haben das Ziel Europacup, das wir noch erreichen können und wollen.

War das Verpassen der Top sechs auch so eine Delle? Und was machen Sie, um da herauszukommen?

Wahrscheinlich haben wir wieder eine Delle. Das müssen wir schaffen, aus solchen Situationen schneller rauszukommen, mental wieder in den Winner-Modus zu kommen. Da muss jeder auch für sich einen Ansporn finden. Nur ein Beispiel. Ich hab’ dem Andi Gruber gesagt: Andi, du hast neun Tore, die Chance, Torschützenkönig zu werden, ist doch unten höher als oben. Das ist keine Kritik an Andi, was ich damit sagen will, ist, dass jeder selbst die Gier und den Anspruch entwickeln muss, jedes Spiel gewinnen zu wollen, egal, ob ich oben oder unten spiele, ob ich sieben Punkte Vorsprung oder Rückstand habe. Wobei man Gier natürlich schlecht messen kann.

Aber was ich sagen will, alles für einen Sieg zu geben sehe ich als Pflicht für jeden, der im Profibereich arbeitet. Das haben unsere Fans verdient, die uns ja auch weiterhin sensationell unterstützen, obwohl wir unten spielen. Und nochmal, Europa ist noch zu erreichen – also gibt es ein klares Ziel.

Europa wäre ein messbarer Erfolg, aber hat die Austria überhaupt die Mannschaft dafür?

Anspruch muss es sein, uns zu qualifizieren. Wenn wir es schaffen, wollen wir dementsprechend vorbereitet sein und eine Mannschaft haben, die mit der Dreifach-Belastung umgehen kann. Das wissen “Orti” (Sportdirektor Manuel Ortlechner; Anm.) und Jürgen (Sport-Vorstand Jürgen Werner; Anm.). Wir wissen auch, dass es so, wie es gerade ist, zu wenig ist. Ich weiß, dass es ein schmaler Grat ist, auf dem wir uns bewegen und hoffe, dass wir uns im Sommer etwas mehr bewegen können. Man darf nicht vergessen, dass wir seit ich da bin, keinen Euro für Transfers ausgegeben haben.

Wenn Sie Zwischenbilanz ziehen, war die Austria der richtige Schritt für Sie?

Natürlich, ich bin Cheftrainer eines Traditionsvereins, darf hier meinen Traum leben und lebe meinen Traum. Klar habe ich auch Fehler gemacht, die fliegen dir hier vielleicht schneller als bei kleineren Vereinen auch gleich um die Ohren. Aber wenn man mich wie vor 16 Monaten heute noch einmal fragen würde, ob ich die Austria übernehmen will, ich würde wieder ja sagen.

Interview: Horst Hötsch