“Der Ball ist immer noch rund”: Ingo Kahlisch sitzt seit 35 Jahren auf der Trainerbank

“Der Ball ist immer noch rund”: Ingo Kahlisch sitzt seit 35 Jahren auf der Trainerbank

Ingo Kahlisch ist Trainer der NOFV-Oberligisten FSV Optik Rathenow – und länger im Amt, als die Bundesrepublik in den heutigen Grenzen existiert.

Seit 35 Jahre im Amt: Ingo Kahlisch

Seit 35 Jahre im Amt: Ingo Kahlisch

IMAGO/Picture Point

Oberliga NOFV-Nord

Ob es auf der Welt noch einen Menschen gibt, der Ingo Kahlisch in dieser Kategorie das Wasser reichen kann? Mag sein, dass es in Russlands Weiten in Ligastufe acht noch einen gibt wie ihn, es fehlt die Datentiefe, das zu prüfen. Ingo Kahlisch ist jedenfalls länger Trainer beim FSV Optik Rathenow, als es Mobilfunk, das Internet oder Thomas Müller gibt. Er ist länger im Amt, als die Bundesrepublik in den heutigen Grenzen existiert. Am 1. Juli 1989 übernahm er als damals 32-Jähriger die Betriebssportgemeinschaft. Und blieb bis heute.

35 Jahre Trainer bei einem Verein – am vergangenen Montag konnte der heute 67-Jährige sein Jubiläum feiern. Ein Mann klarer Worte ist der gebürtige Potsdamer, doch auf die Eingangsfrage, ob ihm eigentlich das Ganze noch Spaß mache, lässt er zunächst ein kurzes “jo” im Raum stehen. “Fußball ist mein Leben”, schiebt er dann nach, “und natürlich meine Familie”. Die ihn sich natürlich auch nicht ohne vorstellen kann: Optik ist Kahlisch, Kahlisch ist Optik – und Trainerwechsel-Floskeln wie ‘die Mannschaft braucht einen neuen Impuls’ sind, wie er findet, “der größte Quatsch im Amateurbereich, den es überhaupt gibt. Was sich alles von der Bundesliga abwärts verbreitet … Ich kann das alles nicht mehr hören.”

“Man lebt mit jungen Leuten mit”

Man könnte über vieles reden mit ihm, nur fehlt der Platz, auch alles aufzuschreiben. Also versucht man es, allgemein zu halten: Alles rosiger früher? “Nein, der Sport entwickelt sich immer weiter. Und der Fußball von heute gefällt mir persönlich besser”, erklärt Kahlisch. “Die Spieler sind beweglicher, technischer, sehen besser aus”, erklärt er mit einem Augenzwinkern. Auch selbst ist er nicht stehengeblieben: “Man lebt mit jungen Leuten mit. Ich bleibe ja auch jung durch sie.” Trends und Moden, das wird klar, sind dennoch nicht so seins: “Ich habe ein Trainerbuch von 77/78, von einem Tschechen übersetzt. Wenn Sie sich das heute anschauen, steht da nicht viel Anderes drin.”

Er selbst hält es auf dem Platz mit einer einfachen Regel: “Jeder Trainer kann nur mit den Spielern spielen, die er hat. Auch wenn die alle spielen wollen wie Ronaldo und Kroos.” Den ein oder anderen erfolgreichen Akteur hat er schon auch in seinen Reihen gehabt – den Ex-Borussen Jörg Heinrich und den ehemaligen National-Keeper der Sowjetunion Vyacheslav Chanov nennt er da exemplarisch – Statistiken über die generelle Anzahl an Spielern unter ihm oder auch nur seine Spiele an der Seitenlinie führt er nicht: “Das ist nichts für mich.”

Das Stadion Vogelgesang wird immer bleiben.

Ingo Kahlisch

Dass sich die Sitten ändern, hat ihn zuletzt selbst mal beinahe ins Wanken gebracht. Auf die Frage, ob er auch mal kurz vor dem Hinschmeißen war, bringt er die Saison 2021/22 ins Spiel, als Rathenow nach einem denkwürdigen 5:7 am letzten Spieltag aus der Regionalliga Nordost absteigen musste: “Obwohl noch alles möglich war, haben 18 Spieler bereits ihren Spind bei uns im Stadion ausgeräumt.” Schmerzhaft war das, der Zusammenhalt sei es schließlich gewesen, der den Erfolg zuvor jahrelang ausgemacht habe, “und wenn man sieht, wo viele der Spieler gelandet sind, merkt man die Selbstüberschätzung”.

Und der größte Erfolg? “Dass wir nach hartem Kampf unser Stadion Regionalliga-tauglich gemacht haben. Hier haben wir im DFB-Pokal gegen den FSV Frankfurt und St. Pauli gespielt. Das Stadion Vogelgesang wird immer bleiben.” Sportlich herausragend sei die Bilanz der letzten Jahre, “dass wir regelmäßig in der Regional- und Oberliga gespielt haben”.

Oberliga als höchstes der Gefühle

“Die Regionalliga Nordost ist wie eine Profi-Liga”, erklärt der 67-Jährige – und dennoch mochte es der Liebhaber des ehrlichen Amateurfußballs, zuletzt immer wieder mitzumischen im Ringen der Großen. Wenn die Experten kamen und mit ihnen die Kameras – und sich die Spieler, wie er mit Augenzwinkern anmerkt, dann besonders um ihre Frisuren kümmerten: “Wir haben viele Jahre gegen große Traditionsvereine gespielt. Und das mit Jungs, die keiner kannte.” Sein Fazit: Die fünfte Liga sei das höchste der Gefühle für ein Team aus einer 25.000-Einwohner-Stadt wie Rathenow, westlich von Berlin gelegen; alles andere nur Zugabe.

Bleibt die Frage, wie lange es der Fußball-Lehrer (“heute heißt das ja Pro-Lizenz”) noch durchziehen will: “Ich mache es, so lange ich gesund bin”, verrät Kahlisch, “oder bis ich merke, dass ich mit den Jungs nicht mehr klarkomme”. Man wisse ja auch nicht, was im Leben noch so kommt, schiebt er nach. Bis auf das hier: “Der Ball ist immer noch rund, das Tor ist immer noch eckig.”