Hollmann gibt persönliche Einblicke: “Valverde und van der Poel ähneln sich sehr”

Hollmann gibt persönliche Einblicke: “Valverde und van der Poel ähneln sich sehr”

Der deutsche Radprofi Juri Hollmann, der seit dem Januar für das World-Tour-Team Alpecin-Deceuninck in die Pedale tritt, gibt dem kicker persönliche Einblicke in seine Saison wie auch in den Spitzenradsport an sich.

Bisher ist Juri Hollmann mit seiner Saison sehr zufrieden.

Bisher ist Juri Hollmann mit seiner Saison sehr zufrieden.

IMAGO/Photo News

Eigentlich ist ja fast noch ein wenig früh, um die Saison zu bewerten – und groß Zeit zum Zurückblicken ist nun auch nicht. Allerdings ist fast die erste Saisonhälfte vorbei, und ich kann dann doch ein Zwischenfazit ziehen, nachdem ich zu Jahresbeginn das Team wechselte. Nach drei Jahren bei dem spanischen Team Movistar bin ich seit Januar im Trikot von Alpecin-Deceuninck unterwegs. Obwohl ich mich in der familiären Atmosphäre bei Movistar sehr wohlfühlte, kommt mir die zielorientiertere Vorgehensweise bei meinem neuen Team deutlich mehr entgegen. So etwas ist ja immer ein Stück weit eine Typfrage, aber für mich persönlich ist das der bessere Weg, er gibt mir Ruhe und Konstanz. Nach einem guten halben Jahr kann ich deswegen schon festhalten, dass der Wechsel gut für mich war.

Etwas überrascht war ich über die Veränderung auf dem Rad. Ich hatte damit gerechnet, dass ich die Position einfach übernehmen konnte, da sowohl Movistar als auch Alpecin-Deceuninck auf den Rädern der Koblenzer Firma Canyon unterwegs sind. Allerdings musste ich aufgrund der verschiedenen Komponenten dann trotzdem mein Setup verändern, was aber letztlich schnell getan war. Wenn man darüber nachdenkt, war dies letztlich nachvollziehbar, denn jede Komponente, die einen mit dem Rad verbindet, war vom Sattel, der Schaltgruppe bis hin zu den Pedalen anders.

Holpriger Beginn und das erste Wertungstrikot

Doch nun zu meiner bisherigen Saison. Der Beginn verlief ein wenig holprig, das Team teilte mich im Januar gleich für die Australien-Rundfahrt ein. Ich bin gut durch den Winter gekommen, war sehr motiviert, und an sich ist Australien auch ein echt cooles Rennen – und doch war ich dann dort noch nicht mit meiner Performance zufrieden. Danach ging es mit dem Team ins Höhentrainingslager in Spanien. Ich konnte da supergut trainieren, was sich in den darauffolgenden Rennen auch in  meiner Formkurve bemerkbar machte. Dabei profitierte ich auch davon, zum Glück von Stürzen und größeren Infekten verschont geblieben zu sein. Wenn du dein Programm nahezu wie geplant durchziehen kannst, und das Rad nur an drei, vier Tagen stehen lassen musst, bringt dies dich nun mal voran.

Juri Hollmann im Bergtrikot

Juri Hollmann freute sich bei der Tour de Romandie über das Bergtrikot.
IMAGO/frontalvision.com

Zu meinen persönlichen Highlights der ersten Saisonhälfte gehören die Klassiker Brügge – De Panne, E3 Saxo Classic, die Tour de Romandie und Port Epic. Bei De Panne siegte mein Mannschaftskamerad Jasper Philipsen, bei E3 dann Mathieu van der Poel – und zu wissen, dass man seinen Teil dazu beigetragen hat, ist eine schöne Bestätigung. So etwas gibt einem noch mal eine Extra-Portion an Motivation und Selbstbewusstsein. Dies gilt natürlich genauso für die Tour de Romandie, bei der ich auf der ersten Etappe ins Bergtrikot gefahren bin und es bis zum Ende der Rundfahrt verteidigen konnte. Es war mein erstes Wertungstrikot bei einem Rennen dieser Kategorie.

Ersten Profisieg knapp verpasst

Mein letztes großes Highlight war dann Antwerp Port Epic. Ich attackierte 50 Kilometer vor dem Ziel, war die letzten 20 Kilometer allein an der Spitze unterwegs. Ich war meinem ersten Profisieg so nah wie noch nie, wurde dann aber 1,4 Kilometer vor dem Ziel von der ersten Verfolgergruppe gestellt. Auch die Siege bei der Baskenland Rundfahrt und der Tour of Norway mit meinen Teamkollegen Quinten Herrmans und Axel Laurance waren echt ein super Erfolg.

Mathieu van der Poel (li.) und Alejandro Valverde

Ein Bild aus dem Jahr 2019: Mathieu van der Poel (li.) und Alejandro Valverde.
imago images / Panoramic International

Ich werde übrigens häufig gefragt, wie es ist, mit einem Superstar wie Mathieu van der Poel in einer Mannschaft zu fahren. Es ist definitiv ein Riesen-Privileg und eine besondere Erfahrung. Auch wenn ich bereits mit einem Weltmeister im Team war, damals Alejandro Valverde bei Movistar, ist es trotzdem immer etwas Besonderes. Dass beide Ausnahmetalente sind und absolute Stars, weiß, glaube ich, jeder. Die beiden sind sich übrigens sehr ähnlich, auch wenn sie unterschiedliche Fahrertypen sind: Alejandros Welt war eher die der Hochgebirge, Mathieu liebt die kurzen, giftigen Anstiege der Klassiker. Beide sind auf jeden Fall beeindruckende Persönlichkeiten, absolut tiefenentspannt abseits vom Rad, was sich jedoch ändert, sobald sie im Sattel sitzen. Rennen zu fahren, sich zu messen, ist einfach ihr Ding – und dass sie dies über alles lieben, spürt man sofort. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit greifen sie an und wollen ganz vorne sein, egal ob im Wettkampf, Training oder in irgendeinem Spiel.

Erste Grand-Tour-Teilnahme winkt

Noch mal zurück zu meiner Saison: Nachdem ich zuletzt bei der einwöchigen Norwegen Rundfahrt im Einsatz war, sind die unmittelbaren nächsten markanten Punkte meines Programms die Dauphine-Rundfahrt und die Deutschen Meisterschaften. Und im September bin ich für die Vuelta vorgesehen – es wäre mein erste Teilnahme bei einer Grand Tour. Die Vorfreude darauf drossele ich ganz bewusst, denn bis dahin kann noch viel passieren. Zudem habe ich nicht vergessen, dass ich bei Movistar schon mal für den Giro d’Italia eingeteilt war und dann trotz guter Form im letzten Moment aus dem Aufgebot gestrichen wurde. Außerdem bringt es nichts, so weit vorauszuschauen. Dass man gerade im Hochleistungssport gut beraten ist, sich nur auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren, mag nach einer Binse klingen, ist nun aber die sich ständig bestätigende Realität. Es ist wichtiger, sich auf seine nächste Aufgabe zu konzentrieren, hart daraufhin zu arbeiten, aber dabei auch Spaß zu haben.

Seinen ersten Profivertrag erhielt der in Berlin geborene und nun in Köln lebende Juri Hollmann beim spanischen World-Tour-Team Movistar 2020, nachdem er die Monate zuvor bei Katusha Alpecin als Stagiaire unterwegs war und dabei unter anderem die Deutschland Tour 2019 bestritt. Im Juniorenbereich feierte er auch auf der Bahn den einen oder anderen Erfolg, war unter anderem mit dem RSC Cottbus Deutscher Meister in der Mannschaftsverfolgung. Seit Januar steht der tempofeste Allrounder beim belgischen World-Tour-Team Alpecin-Deceuninck unter Vertrag.