Tempolimit auf der Autobahn: Die Mehrheit ist dafür

Tempolimit auf der Autobahn: Die Mehrheit ist dafür

Umfragen legen nahe, dass der überwiegende Teil der Deutschen inzwischen ein Tempolimit befürwortet. Als Argumente werden Klimaschutz und Sicherheit angeführt. Doch Statistiken lassen unterschiedliche Meinungen zu.

Tempo 130: Das ist derzeit die empfohlene Richtgeschwindigkeit. Immer wieder wird diskutiert, sie verpflichtend einzuführen.

Tempo 130: Das ist derzeit die empfohlene Richtgeschwindigkeit. Immer wieder wird diskutiert, sie verpflichtend einzuführen.

Hans Linde/pixabay/Montage: ule

Bundesverkehrsminister Volker Wissing glaubte, seine Landsleute gut zu kennen. “Das wollen die Leute nicht”, sagte der FDP-Politiker voller Überzeugung und meinte damit ein Tempolimit auf Autobahnen.

Seit Jahrzehnten ist eine Geschwindigkeitsbegrenzung das Reizthema des Straßenverkehrs schlechthin. Kaum eine andere Streitfrage führt zu solch erbitterten Diskussionen und scheidet derart die Geister. Jüngste Umfrageergebnisse lassen nun vermuten, dass Wissing mit seiner Einschätzung nicht wirklich die aktuelle Stimmungslage getroffen hat. Bei einer Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts YouGov haben 57 Prozent der Befragten angegeben, dass sie ein Tempolimit von 130 km/h befürworten. Dem gegenüber stehen 35 Prozent, die eine eingebremste Fahrt über die Autobahnen ablehnen.

Grünen-Anhänger dafür, das AfD-Lager dagegen

Die Meinungsforscher haben bei ihrer Analyse auch genauer hingesehen und die parteipolitischen Präferenzen ihrer Interviewpartner ausgelotet. Am höchsten fällt die Zustimmung unter den Anhängern von Bündnis 90/Die Grünen (79 Prozent), der Linken (71 Prozent) und der SPD (70 Prozent) aus. Doch selbst im Lager von CDU/CSU wurde überwiegend Zustimmung geäußert (58 Prozent). Ablehnend zeigten sich hingegen diejenigen, die der FDP nahestehen (48 Prozent), vor allem aber die Anhänger der AfD (58 Prozent).

Umfrage Tempolimit

Umfrage zum Tempolimit: Die Mehrheit der Deutschen spricht sich inzwischen dafür aus.
Statista

Der ADAC hatte im Jahr 1974 noch mit dem berühmt gewordenen Slogan “Freie Fahrt für freie Bürger” gegen einen viermonatigen und von der Ölkrise ausgelösten Tempo-100-Großversuch auf Bundesautobahnen protestiert. Heute versteht sich der Allgemeine Deutsche Automobil-Club sanfter als “Mobilitätsclub”, und seine Mitglieder haben im Frühsommer 2023 mit einer knappen Mehrheit von 54 Prozent für ein Tempolimit plädiert.

ADAC nicht mehr abgeneigt

Wie die ADAC-Mitglieder das polarisierende Thema bewerten, hat sich im Lauf der Jahre immer wieder geändert. Anfang der 1990er Jahre gab es ein klares Stimmungs-Hoch für eine Geschwindigkeitsbeschränkung, das sich dann wieder ins Gegenteil verkehrte. Um die Jahrtausendwende und später ums Jahr 2014 herum war die Zustimmungsrate am niedrigsten und die Ablehnungsquote am höchsten. Seither geht die Zahl derjenigen, die für temporeglementiertes Fahren auf der Autobahn plädieren, wieder kontinuierlich nach oben. Schon 2020 hatte ADAC-Verkehrspräsident Gerhard Hillebrand der Deutschen Presse-Agentur gesagt, dass sein Club “nicht mehr grundsätzlich gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung” sei. Auf eine dezidierte Empfehlung möchte sich der Club aber auch nicht festlegen, zu komplex sei die Sachlage.

Langsamer fahren, weniger CO2

Dass sich immer mehr Bundesbürger für Tempo 130 aussprechen, dürfte vor allem mit der Klimakrise zu tun haben. Der Klimaschutz ist eines der zentralen Argumente, die Tempolimit-Befürworter ins Feld führen. Denn nach der Energiewirtschaft und der Industrie gilt der Verkehr als drittgrößter Verursacher von Treibhausgas-Emissionen in Deutschland. Gleichzeitig macht er die geringsten Fortschritte bei deren Reduktion. Und innerhalb des Verkehrssektors liegt der Straßenverkehr als CO2-Emittent mit weitem Abstand vorne. Das Umweltbundesamt (UBA) hat deshalb erneut ein Tempolimit von 120 km/h (!) empfohlen, würde es 2024 eingeführt, sagt die Behörde, könnte es bis zum Jahr 2030 eine Verringerung der CO2-Äquivalente um rund 38 Millionen Tonnen bewirken.

Deutschland ist eines der ganz wenigen Länder auf der Welt und europaweit – sieht man einmal von der Isle of Man ab – das einzige, das kein Tempolimit auf den Autobahnen kennt. In den meisten EU-Staaten sind höchstens 120 bis 130 km/h erlaubt. Doch auch bei uns darf das Gaspedal nicht überall bis aufs Bodenblech durchgedrückt werden. Die letzten Zahlen datieren allerdings schon einige Jahre zurück und stammen aus 2019: Laut Statistik-Portal Statista waren damals nur rund 57 Prozent des Autobahnnetzes völlig “frei”. Auf 30 Prozent galt eine generelle Geschwindigkeitsbegrenzung, auf weiteren 13 Prozent zumindest eine vorübergehende, weil dort Bauarbeiten stattfinden.

Unfallzahlen rückläufig?

Das zweite “Pro”, das Tempolimit-Befürworter neben dem Klimaschutz anführen, ist die Sicherheit: Eine Verlangsamung des Verkehrs, so sagen sie, würde auch zu einer Verringerung der Unfallzahlen führen. Kritiker halten dagegen, dass die Autobahnen die sichersten Straßen sind. Das stimmt, prinzipiell. Doch letztlich kommt es auch hier wieder darauf an, welche Statistik man fragt: Tatsächlich sind im Jahr 2021 pro Milliarde gefahrener Kfz-Kilometer “nur” 1,5 Personen auf Autobahnen getötet worden, auf Außerorts-Bundesstraßen waren es hingegen 5,1.

Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man nicht die Fahrleistung, sondern den Anteil der Autobahnen am deutschen Straßennetz betrachtet. Von dessen rund 830.000 Kilometern entfallen etwas mehr als 13.000 auf Autobahnen. Das entspricht 1,6 Prozent, auf denen 2022 jedoch im Schnitt 11,3 Prozent der Verkehrstoten zu beklagen waren. Ähnlich bedenklich sieht das Bild aber bei den Bundesstraßen aus, auf denen sich bei einem Straßennetz-Anteil von 4,6 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich viele, nämlich 23,4 Prozent der Todesfälle ereigneten. Bei schweren Unfällen spielen hier oft riskante Überholmanöver eine Rolle.

Tempo 80

Tempo 80: Es gibt Stimmen, die für ein solches Limit auf Landstraßen plädieren.
ampnet/ÖAMTC

“Die meisten bei Verkehrsunfällen Getöteten werden auf Landstraßen registriert”, heißt es auch in einer Studie, welche die Unfallforschung der Versicherer (UDV) im Jahr 2022 vorgelegt hat. Autobahnen würden die “wenigsten Konfliktpotenziale” aufweisen, auch wenn durch die hohen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeitsunterschiede ein hohes Risiko bestehe, im Falle eines Unfalls schwer verletzt zu werden. In seinem Fazit kommt der UDV zu dem Schluss, dass Tempo 130 auf der Autobahn “insgesamt nur einen geringen Einfluss auf die Reduzierung schwerer Verkehrsunfälle erwarten lässt”. Ein “deutlich größeres Potenzial” schreiben die Unfallforscher aber einem verschärften Tempolimit auf Landstraßen zu, konkret ist von 80 km/h die Rede.

Länder ohne Limit: Nicht überall läuft es besser

Und wie steht Deutschland im Vergleich zum tempobeschränkten europäischen Ausland da? Nicht besonders ungünstig. Bezogen auf die Todesfälle, die im Jahr 2022 auf europäischen Autobahnen zu betrauern waren, sehen die Statista-Zahlen Deutschland “im Mittelfeld”. Je 1000 Kilometer Autobahnnetz kam es zu rund 24 Todesfällen. Beim traurigen Spitzenreiter Belgien waren es hingegen durchschnittlich 48,8 Todesopfer, in Italien 42,3 und in Slowenien 40,6. Aber es gibt auch Länder, die ein offensichtlich höheres Sicherheitsniveau aufweisen, darunter Österreich (17,2), die Schweiz (13,6), Dänemark (8,9) und vor allem Schweden (2,7). Grundsätzlich “dürften weitere Faktoren wie zum Beispiel der Zustand der Straßen, die Verkehrsdichte, der Konsum von Alkohol und die geographischen Besonderheiten der einzelnen Länder eine Rolle spielen”, vermuten die Statistiker.

Tom Hanks und die German Autobahn

Das Thema Tempolimit bleibt schwierig und dürfte auch weiterhin für Kontroversen sorgen. US-Schauspieler Tom Hanks hatte sich noch 2015 beeindruckt über die Gegebenheiten auf der “German Autobahn” gezeigt. “Die Regierung hast du nicht am Hals, Baby, du kannst so schnell fahren, wie du willst”, berichtete er seinem Talkshow-Gastgeber David Letterman aufgeregt und mit gewisser Fassungslosigkeit. Geht es nach der aktuellen Mehrheit in Deutschland, könnte es mit solchen Speed-Erlebnissen aber vielleicht doch irgendwann vorbei sein.

Ulla Ellmer