Julian Nagelsmann gab am Donnerstag seinen Kader bekannt, zu dem nur ein BVB-Spieler zählt. Der Bundestrainer ging aber auch auf Taktik, Hierarchie oder seine eigene Zukunft ein – und auf das neue Auswärtstrikot.
Der deutsche Kader für die anstehenden Länderspiele in Frankreich und gegen die Niederlande bietet reichlich Gesprächsstoff. Bundestrainer Julian Nagelsmann über …
… die Umbauten im Kader:
Wir hatten relativ viel Zeit nach den beiden Länderspielen gegen die Türkei und in Österreich und es war schnell klar, dass wir definitiv Dinge ändern werden und auch müssen. Die Krux als Nationaltrainer ist, dass du nur einen begrenzten Einfluss durch Trainings hast. Dafür ist der Einfluss über die Kaderzusammenstellung und den Mix der Spieler größer als im Verein. Mir war klar, dass wir aufgrund der Ergebnisse und der Art und Weise, mit der wir nicht zufrieden waren, etwas verändern wollten. Wir haben viel diskutiert darüber im Trainerteam. Das Feedback bekommen wir dann ab Montag von der Mannschaft.”
“Haben nicht die 20 talentiertesten Einzelspieler”
… die Zusammensetzung der Mannschaft:
“Wir haben einen Stamm, der schon länger dabei ist. Alle Spieler sind sich bekannt. Da sitzt kein Unbekannter am Tisch, von dem die anderen im Speisesaal denken: Wer ist das denn? Wir haben von den Einzelspielern nicht die 20 Talentiertesten, auch nicht die mit dem größten Namen oder von den größten Klubs. Wir haben ein paar mehr nominiert, weil wir ein, zwei Spieler zusätzlich sehen wollten. Sie haben ein anderes Profil. Wir hoffen, dass die Entscheidungen so gut sind, dass wir nach den beiden Spielen sagen können, dass die Spieler so zusammenpassen. Dass jeder ein Verständnis hat für die Rolle, die er spielen soll. Wir wollen bessere Resultate erzielen und bessere Leistungen zeigen.”
… die neue Hierarchie:
“Es ist immer schwer, von außen Hierarchie in eine Gruppe hereinzubringen. Am Ende muss sie sich entwickeln. In den Einheiten, in den Spielen. Das Wort Rolle beschreibt ganz gut, worum es geht. Es gibt selten Mannschaften, die mit 20 Topstars erfolgreicher sind als eine Mannschaft mit 13, 14 Stammspielern und drei, vier Herausforderern, die Stimmungsträger sind und ihre Rolle akzeptieren. Die dankbar und glücklich sind, dabei zu sein. Bei denen der Reiz des Neuen in den Augen funkelt. Wir mussten einen Mittelweg finden. Ich glaube, das haben wir geschafft.”
… die Aussagekraft des Kaders mit Blick auf die EM:
“Ganz drehen wird es sich nicht mehr. Aber die Tür ist für keinen zu. Das habe ich so auch allen am Telefon gesagt. Ich habe mit allen gesprochen und war da nicht nur der Überbringer von guten Nachrichten. Das Momentum ist entscheidend. Gerade auf den Offensivpositionen. Wenn jemand in den nächsten acht Wochen viele Tore schießt und Impact hat, dann kann auch eine Position noch getauscht werden. In der Defensive ist das grundsätzlich auch der Fall, aber da ist es einen Tick schwieriger, sich reinzuspielen. Da geht es mehr um Konstanz.”
… die zahlreichen nicht berücksichtigen BVB-Spieler:
“Ich habe mit Edin Terzic und Sebastian Kehl telefoniert. Mir hat keiner von ihnen gesagt, dass es katastrophal ist, was ich mache. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass sie nicht happy sind. Das ist normal als Klubtrainer, denn dann musst du viele Gespräche führen und die Spieler auffangen. Im Moment haben andere das bessere Momentum, deshalb haben wir uns für sie entschieden. Es ist keine Entscheidung gegen den BVB. Wir entscheiden nicht nach Klubzugehörigkeit. Alle wissen, was es bedarf, um wieder dazuzukommen. Wenn sie das umsetzen, ist die Tür nicht zu. Der eine oder andere Dortmunder würde vom Profil reinpassen. Ich bin nur das ausführende Organ. Am Ende müssen die Spieler die Antworten liefern.”
… seine Erwartungen an die kommenden Länderspiele:
“Ich habe kein Training. Es ist nicht möglich, den Spielern eine Philosophie mitzugeben. Das “Was” ist weniger entscheidend als das “Wie”. Ich will, dass die wenigen Dinge, die wir den Spielern an die Hand geben, bestmöglich umgesetzt werden. Dass jeder versteht, dass wir, wenn wir den Ball verlieren, alles dafür tun, ihn schnell wiederzukriegen, und das möglichst hoch und nah am gegnerischen Tor. Dass wir mit dem Ball versuchen, den Gegner zu locken, auch zu kicken. Das werden keine taktischen Meisterwerke. Damit kommt man auch in kein Taktikbuch. Wir müssen das mit Leben füllen, was Lust, was Gier, was Investitionsbereitschaft angeht. Da müssen wir ans Maximale kommen und dadurch den Mangel an Zeit für taktische Einheiten wettmachen. Wenn wir das hinkriegen, werden wir gute Spiele machen.”
Führich und Undav als “Herausforderer”
… sein Stammpersonal:
“Wir haben ein paar Gesetzte, wir haben ein paar Herausforderer. Das ist gesund und wichtig für die Gesamtsituation. Antonio Rüdiger und Jonathan Tah sind gesetzt, verdientermaßen. Die haben die Fähigkeit, das Gesetztsein durch gute Leistungen zu bestätigen. Wenn sie schlecht spielen, kann das auch wieder anders sein. Ilkay wird weiter vorne spielen auf einer der drei Zehnerpositionen. Leroy Sané ist jetzt aufgrund seiner Sperre nicht dabei. Er ist Richtung EM einer der Kandidaten. Jamal Musiala und Florian Wirtz auch. Herausforderer sind Spieler wie Chris Führich oder Deniz Undav. Auch Maxi Beier ist jetzt dabei. Er kann auch ganz vorne spielen.”
… den geringen Erfahrungsschatz etlicher Neulinge:
“Wir haben sehr viele Spieler, die sehr erprobt sind. Wir spielen nicht nur mit 18-Jährigen in der Startelf. Die Spieler sind nominiert, weil sie auf Topniveau performen. Sie performen in der Liga sehr, sehr gut, spielen in ihren Klubs eine tragende Rolle, einige spielen auch international. Am Ende glaube ich, dass wir bei der EM dasselbe Spiel spielen wie in der Liga – nämlich Fußball.”
Neuer Job für Nagelsmann? “Wahrscheinlichkeit vor der EM ist gegeben”
… seinen nur bis nach der EM laufenden Vertrag als Bundestrainer:
“Es ist normal für jeden Menschen, sich um seine berufliche Zukunft zu kümmern. Wenn sie einen auslaufenden Vertrag hätten, würde ich Ihnen auch raten, sich umzuschauen. Es ist gesund, sich zu überlegen, wie das Leben in beruflicher Sicht weitergehen soll. Ich empfinde da aktuell keinen Stress und keine Notwendigkeit. Ich versichere Ihnen, dass mich das nicht vom Tagesgeschäft ablenkt. Ich habe ein maximales Interesse daran, auch in Zukunft einen guten Job zu haben, deshalb will ich jetzt maximal erfolgreich arbeiten. Wenn ich vor der EM ein Vertragsangebot vorliegen habe, mit dem ich mich wohlfühle, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ich es unterschreibe. Aktuell liegt aber kein Zettel da, deshalb sprechen wir über eine Utopie. Die Wahrscheinlichkeit, dass vor der EM etwas passiert, ist gegeben. Es ist aber auch nicht gesagt, dass etwas passiert.”
… die neuen Trikots:
“Ich finde es gut, dass es nicht immer das Gleiche ist. Das Heimtrikot ist klassischer mit modernen Elementen. Das Auswärtstrikot finde ich gut. Ich mag es, wenn es farbenfroh ist. Das hat auch einen psychologischen Aspekt beim Gegner. Bei Torhütern ist nachgewiesen, dass das eine auffällige Farbe das Tor kleiner wirken lässt. Vielleicht wird im Feld auch die Passlücke kleiner. Ich finde, es war eine mutige Entscheidung, mal ein bisschen Farbe reinzubringen. Dass wir darüber diskutieren, zeigt doch, dass es die richtige Entscheidung war. Ich würde es anziehen, aber ich darf es an den Spieltagen nicht.”