Aufstellung und Matchplan hat Julian Nagelsmann schon seit Tagen im Kopf. Die große Frage vor dem Härtetest am Samstag in Lyon gegen EM-Topfavorit Frankreich: Geht sein Plan diesmal auch auf?
Hat sich auf seine Nummer 1 bei der EM schon festgelegt: Bundestrainer Julian Nagelsmann.
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Geradezu frühlingshaftes Wetter mit strahlend blauem Himmel und Temperaturen um 20 Grad empfingen den Bundestrainer und seine Belegschaft bei der Landung in Lyon. Dort will Nagelsmann mit seiner umgekrempelten Mannschaft die frostige Stimmung, die seit den desaströsen November-Auftritten in Fußball-Deutschland herrscht, auftauen und Hoffnung schüren auf einen erfolgreichen Sommer bei der Heim-EM in drei Monaten.
“Es geht darum, dass wir an den eingeschlagenen Weg glauben und Überzeugung ausstrahlen”, forderte Nagelsmann vor dem Abschlusstraining im rund 56.000 Zuschauer fassenden Groupama-Stadion. Für den Coach ging es in dieser Woche vorrangig darum, seine in der aktuell prekären Situation verunsicherten Spieler daran zu erinnern, mit Leichtigkeit und Freude am Spiel ans Werk zu gehen. Entsprechend lautete der Slogan, den Nagelsmann für die beiden Spiele gegen Frankreich und die Niederlande wählte: “Wir kicken.”
Abkehr vom Harakiri-Fußball
Nagelsmann wird vom Harakiri-Fußball gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) abkehren, seine neue Personalauswahl und Herangehensweise birgt aber trotzdem viele Risiken. Wie kommt Joshua Kimmich nach der Versetzung vom Mittelfeld auf die Rechtsverteidiger-Position gegen Superstar Kylian Mbappé zurecht? Geht der Schachzug mit Neuling Maximilian Mittelstädt als Linksverteidiger auf? Sorgt Rückkehrer Toni Kroos für die erhoffte Ordnung und Stabilität im Mittelfeld-Zentrum? Kann der auf die Zehnerposition versetzte Ilkay Gündogan die Top-Talente Florian Wirtz und Jamal Musiala in Szene setzen. Trumpft der im November als verkappter Linksverteidiger aufgebotene Kai Havertz nun als Sturmspitze ähnlich auf wie zuletzt beim FC Arsenal?
Und zu guter Letzt: Wie schlägt sich der erst zum Reservisten degradierte und nach Manuel Neuers Verletzungspech doch wieder im Tor stehende Marc-André ter Stegen bei diesem Einsatz, der doch keine EM-Bewährungschance sein wird? Nagelsmann machte jedenfalls unmissverständlich klar, dass der wegen eines Muskelfaserrisses im Adduktorenbereich abgereiste Neuer unabhängig von ter Stegens Leistungen im EM-Tor stehen wird “Die Entscheidung steht. Die werde ich nicht wegen eines Muskelfaserrisses dauert, revidieren. Er hat davor lange Zeit auf Top-Niveau gehalten”, begründete er seinen Entschluss: “Es würde keinem Spieler Sicherheit geben, wenn ich bei jeder kleinen Verletzung sagen würde: Jetzt bist du wieder raus.”
Fokus auf “simple Abläufe”
Auf die vielen Fragen braucht Nagelsmann angesichts der nur noch drei Monate entfernten Heim-EM schnelle Antworten. Zurück zur Einfachheit, lautet sein Motto. Damit kehrt er zum Leitmotiv zurück, das er bei seiner vielversprechenden ersten Bundestrainer-Dienstreise gegen die USA (3:1) und Mexiko (2:2) ausgegeben, danach aber nicht weiterverfolgt hatte. Er will seine Spieler nicht wie im November mit komplizierten Aufgaben überfrachten, sondern setzt auf “simple Abläufe, die Spieler seit vielen Jahren gemacht haben”. Mit einer Viererkette und einer Doppelsechs soll zudem mehr defensive Stabilität als im November erreicht werden: “Wir brauchen genügend Spieler, die verteidigen lieben. Da hatten wir zuletzt einen Tick zu viel offensiv denkende Spieler.”
Den öffentlichen Druck lässt Nagelsmann gar nicht erst an sich und die Mannschaft ran. “Dieses Druck-Thema sind Dinge, die von außen reingetragen werden. Wir tun gut daran, das Ding zu genießen”, sagte er und fügte hinzu: “Es geht darum, dass es Fußball ist. Nicht mehr und nicht weniger. Es soll begeistern und Emotionen wecken.” Exakt dies erhoffen sich auch die Fans.