St. Pauli: Der Absturz. Die Gründe. Die Folgen.

Der Herbstmeister FC St. Pauli hat durch eine enttäuschende Rückrunde die Chance auf den Aufstieg vergeben. Der unbefriedigende Saisonausklang wird Veränderungen nötig machen.

St. Paulis Coach Timo Schultz kündigte eine eingehende Analyse an, beim Kiez-Klub stehen die Zeichen auf Veränderung.

St. Paulis Coach Timo Schultz kündigte eine eingehende Analyse an, beim Kiez-Klub stehen die Zeichen auf Veränderung.

Als der Aufstiegskampf noch nicht verloren war, hat Andreas Bornemann vor zwei Wochen diese These aufgestellt: Eine schlechte Saison, sagte der Sportchef des FC St. Pauli, könne es nicht mehr werden. Das liegt jetzt, da der souveräne Herbstmeister in einer auf allen Ebenen enttäuschenden Rückrunde krachend gescheitert ist, im Auge des Betrachters – fraglos aber wird die Spielzeit 2021/22 als eine enttäuschende in die Vereinshistorie eingehen. Und als eine der verpassten Möglichkeiten.

Vortrag auf Schalke komprimierte Zusammenfassung einer gesamten Saison

Der Vortrag auf Schalke am Wochenende war dabei so etwas wie die komprimierte Zusammenfassung. 90 Minuten als Spiegelbild einer gesamten Saison: Zur Halbzeit vorn mit der Aussicht, alles in der Hand zu haben, und am Ende in der Rolle des bitteren und verdienten Verlierers. So wie sich St. Paulis Profis nach einer 2:0-Halbzeitführung am Samstag mit tölpelhaften Fehlern und zwei Platzverweisen selbst ein Bein stellten, stand sich auch die Mannschaft nach 36 Punkten in der ersten Halbserie selbst im Weg. Einzelne, wie Torwart Nikola Vasilj, Aufsteiger Jakov Medic oder Torjäger Guido Burgstaller, verloren ihre grandiose Vorjahres-Form, wieder andere mit auslaufenden Verträgen, rückten die eigene Zukunft in den Vordergrund und erzeugten ein Störfeuer, das spätestens seit Anfang März, also in der entscheidenden Saisonphase, loderte und letztlich auch von den Verantwortlichen nicht mehr zu löschen war.

Timo Schultz hat eine eingehende Analyse angekündigt. “Wir werden genau hinschauen, warum wir in der Hinrunde so gut waren und warum es in der Rückrunde nicht mehr so geklappt hat. Da werden wir unsere Erkenntnisse rausziehen.” Zur Ursachenforschung gehört auch, an welcher Stelle der Trainer korrigierend hätte eingreifen können. Vor dem Aufbruch ins Wintertrainingslager hatte der 44-Jährige angekündigt, das Hauptaugenmerk darauf zu legen, wieder defensiv kompakter zu werden. Herausgekommen sind 26 Gegentreffer in bislang 16 Partien – nur drei Teams kassierten mehr. Hinzu kommt: Als sich die Gegner auf St. Paulis Offensivstil eingestellt hatten, fehlten Lösungsansätze. “Die Rückserie gibt Anlass, kritisch zu sein”, verhehlt Schultz nicht.

Schultz: “Müssen uns ein Stück weit neu erfinden”

Der Coach ahnt, “dass wir uns ein Stück weit neu erfinden werden müssen.” Weil der unbefriedigende Saisonausklang Veränderungen nötig macht, die durch Abschiede langjähriger Gesichter wie Philipp Ziereis, Christopher Buchtmann, Rico Benatelli oder James Lawrence auch vollzogen werden. Aber weil auch jene, die St. Pauli gern halten würde, nach Neuem streben. Daniel-Kofi Kyereh etwa, der einzige Profi, der in dieser Saison in beiden Halbserien Bundesligaformat nachgewiesen hat, will ins Oberhaus. Und weil der Vertrag des 26-jährigen Spielmachers nur noch bis 2023 läuft, wird Bornemann diesem Wunsch stattgeben müssen, um finanziell nicht leer auszugehen wie zum Beispiel bei Eigengewächs Finn Ole Becker, den es nach Hoffenheim zieht.

“Wir werden einen neuen Anlauf nehmen”, sagt Schultz. Dieser könnte beschwerlich werden, wenn die anstehenden Veränderungen die zu erwartende Zeit in Anspruch nehmen. Womöglich wird den verbleibenden Protagonisten dann nochmals so richtig klar, wie sehr 2021/22 eine Saison der verpassten Möglichkeiten war.

Sebastian Wolff