Serdar: “Ich habe mich komplett in Italien verliebt”

Es ist seine erste Station im Ausland. Im kicker-Interview spricht Suat Serdar (26) über seinen Wechsel zu Hellas Verona, den Fußball in der Serie A, Anpassungen in seiner Spielweise und seine deutschen Ex-Klubs.

Das Training ist beendet, die Nachbereitung auch. Suat Serdar meldet sich pünktlich zur verabredeten Zeit. Der Mittelfeldspieler – ausgebildet bei Mainz 05, bei Schalke 04 zum Nationalspieler geworden und im Sommer 2021 Herthas Königstransfer – wollte nach dem Berliner Abstieg im Vorjahr den Schritt ins Ausland wagen. Hertha, wo Serdar einen Vertrag bis 2026 besitzt, lieh ihn an Hellas Verona aus, Kaufoption inklusive. Die ersten Monate in Verona waren sportlich schwierig, inzwischen blüht Serdar auf und ist Stammspieler. Am Sonntag empfängt er mit Hellas den Tabellenzweiten AC Mailand.

Nach Hellas Veronas 1:0-Sieg am Sonntag in Lecce brannten Lecces Coach Roberto D’Aversa die Sicherungen durch. Er verpasste Ihrem Teamkollegen Thomas Henry einen Kopfstoß und wurde am Montag entlassen. Ist Abstiegskampf in Italien noch hitziger als in Deutschland, Herr Serdar? 

Man merkt, wieviel auf dem Spiel steht und dass hier mehr Temperament herrscht. Auch von der Seitenlinie wird viel mehr reingerufen als in Deutschland. Was Lecces Trainer gemacht hat, war ein No-Go. Ich habe die Szene auf dem Platz nicht gesehen, erst in der Kabine auf Video. Es war die richtige Entscheidung, ihn nach so einem Ausraster zu entlassen.

Hellas hat sich zuletzt mit zwei 1:0-Siegen in Lecce und gegen Sassuolo im Abstiegskampf Luft verschafft. War das ein Befreiungsschlag?

Ja. Die Gegner hatten viel Druck, wir auch. Dass wir aus den beiden Spielen sechs Punkte holen konnten, war sehr wichtig. Gerade der Auswärtssieg hat unseren Köpfen gutgetan.

Podcast

Sportwetten – wie kann aus dem Spaß eine Sucht werden? (mit Alex Jacob)


16:12 Minuten

alle Folgen

Im Winter war bei Hellas Verona auch wegen der Finanzlage viel Bewegung im Kader. Rechtsaußen Cyril Ngonge, der beste Torschütze, ging für 18 Millionen Euro nach Neapel, Stürmer Milan Djuric, der zweitbeste Torschütze, nach Monza. Innenverteidiger Isak Hien wechselte für 8,5 Millionen zu Atalanta Bergamo, Linksverteidiger Josh Doig für 6 Millionen zu Sassuolo, Rechtsverteidiger Filippo Terracciano zu Milan, Innenverteidiger Bruno Amione zu Santos Laguna. Hatten Sie zwischendurch die Sorge, dass da ein Ausverkauf stattfindet?

Ich hatte das vorher noch nie erlebt, dass in einem Klub so viele Winter-Transfers über die Bühne gehen. Das Trainer-Team hat uns aber darauf richtig gut vorbereitet und entsprechend unterstützt. Dass so viele Spieler gingen, hat mich grundsätzlich überrascht, weil es eine neue Erfahrung war, aber ich bin nicht überrumpelt worden. Ein paar neue Spieler sind auch gekommen, die hatten nicht viel Zeit zur Eingewöhnung. Aber wir haben das als Mannschaft gut gemeistert.

Wir haben gefühlt jeden Tag Taktik-Training. Das ist anders als in Deutschland.

Suat Serdar

Gefühlt läuft es trotz der vielen Winter-Abgänge seitdem besser. Können Sie das erklären?

Das hat uns zusammengeschweißt. Einige Spieler wollten den nächsten Schritt gehen, andere wurden aus finanziellen Gründen verkauft. Das war schon eine besondere Transferperiode. Aber der Zusammenhalt hat darunter nicht gelitten, im Gegenteil.

Hellas hat erst 36 Gegentore bekommen, weniger kassierte in der unteren Tabellenhälfte nur der FC Turin. Ist die Kompaktheit die größte Stärke Ihrer Mannschaft?

Ja. Unser Trainer Marco Baroni und sein Staff legen großen Wert auf die Defensive, wir haben gefühlt jeden Tag Taktik-Training. Das ist anders als in Deutschland. Davon profitieren wir. Wenn wir wie zuletzt in Lecce in Führung gehen, ist es schwer, gegen uns den Ausgleich zu schaffen.

Verona liegt zwei Punkte vor dem ersten Abstiegsplatz, es ist sehr eng. Warum bleibt Hellas drin?

Es wird bis zum Ende spannend. Salernitana ist etwas abgeschlagen, davor liegen sieben Klubs nur vier Punkte auseinander. Für uns sprechen die defensive Struktur, unsere Mentalität und unser Aufwärtstrend. Ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen.

Er wurde Mitter der 80er mit Verona Meister: Hans-Peter Briegel.

Er wurde Mitter der 80er mit Verona Meister: Hans-Peter Briegel.
imago sportfotodienst

Hellas war 1985 mit Hans-Peter Briegel italienischer Meister, hat danach turbulente Zeiten erlebt und war zeitweise nur noch in der Serie C. Auf welchem Weg ist der Klub aktuell?

Hellas ist ein Traditionsklub. Das merkt man bei jedem Heimspiel und wenn man durch Verona läuft. Überall hängen Hellas-Flaggen, man wird auf der Straße oft angesprochen. Diese Stadt liebt ihren Klub. Hellas ist seit fünf Jahren wieder in der Serie A. Auch wenn zuletzt im Umfeld des Klubs öfter über Finanzprobleme gesprochen wurde, glaube ich, dass sich Hellas die nächsten Jahre in der Serie A halten kann.

Den Aufwärtstrend zeigt nicht nur das Team, sondern auch Sie. Sie sind seit Mitte Januar Stammspieler. Was war in der Hinrunde das Problem?

Die Frage habe ich mir selbst auch öfter gestellt. Am Anfang hat die Umstellung auf den Fußball hier sicher eine Rolle gespielt: die Mann-gegen-Mann-Orientierung, die defensive Ausprägung. Ich habe ein paar Chancen bekommen und konnte nicht hundertprozentig überzeugen. Im Januar gegen Empoli ist mir das dann gelungen. Da hat der Trainer gesehen: Okay, der Junge kann fighten und beißen, auf den ist Verlass. Seitdem läuft es für mich.

Haben Sie im Herbst den Schritt nach Verona bereut?

Nein, aber ich habe natürlich darüber nachgedacht, warum ich nicht spiele. In der Bundesliga war ich in meinen Klubs meistens Stammspieler. Es war eine neue Situation für mich, damit musste ich klarkommen. Ich habe den Trainer öfter gefragt, was ich ändern muss, um zu spielen. Aber ich habe im Winter nie daran gedacht, die Leihe zu beenden und etwas anderes zu machen. Ich wusste, dass meine Chance kommt. Sie kam, und ich war da. Jetzt sind beide Seiten glücklich.

In Deutschland habe ich einen Tick offensiver gedacht.

Suat Serdar

Haben Sie Ihre Spielweise verändert?

Etwas schon. Ich fokussiere mich hier mehr auf die Defensive, darauf legt der Trainer großen Wert. In Deutschland habe ich einen Tick offensiver gedacht.

Hand aufs Herz: Fehlt Ihnen die Freiheit nach vorn etwas?

Ein bisschen vielleicht. Ein Tor wäre schonmal was Schönes (schmunzelt). Ich hoffe, das kommt bald.

Zweikampffreude: Suat Serdar (#25) sucht das Duell mit Bolognas Joshua Zirkzee.

Zweikampffreude: Suat Serdar (#25) sucht das Duell mit Bolognas Joshua Zirkzee.
IMAGO/AFLOSPORT

Sie bilden aktuell mit Ex-Bundesliga-Profi Ondrej Duda die Doppel-Sechs. Wie ist die Aufgabenverteilung?

Ich sage ihm, dass er sich öfter nach vorn einschalten kann. Ondrej mag das Verteidigen nicht so, also übernehme ich eher den defensiven Part (lacht). Wir matchen uns gut, wir verstehen uns gut. Und ich bin froh, dass ich jemanden habe, mit dem ich in der Kabine Deutsch sprechen kann.

Was war neben den vielen Taktik-Einheiten und der defensiven Orientierung die größte Umstellung von der Bundesliga auf die Serie A?

Der Fußball hier hat nicht ganz so viel Speed und Intensität wie in der Bundesliga. Hier geht es viel um taktische Disziplin und darum, in erster Linie gut zu stehen. Man folgt seinem Gegenspieler über den ganzen Platz, das kannte ich so nicht.

Ist die Bundesliga in der Breite stärker als die Serie A?

Nein. Ich finde, beide Ligen sind auf Augenhöhe. Hinter den Top 3 mit Inter, Milan und Juve spielt Bologna eine Top-Saison. Dass Neapel als Vorjahresmeister aktuell nur Siebter ist, zeigt die Ausgeglichenheit.

Inter dominiert die Serie A und führt mit 16 Punkten Vorsprung. Was macht dieses Team so viel besser als die anderen Großen?

Inter hat eine überragende Mannschaft und ist extrem abgezockt vorm Tor. Und Hakan Calhanoglu ist für mich aktuell der stärkste Spieler der Serie A. Bei Inter passt alles.

Manuel Locatelli

Musste sich mit Juve in Verona mit einem Punkt zufriedengeben: Manuel Locatelli.
IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Hellas empfängt am Sonntag den Tabellenzweiten Milan. Ihr Klub hat in dieser Saison zu Hause Roma geschlagen und gegen Juve im Februar 2:2 gespielt. Stolpert am Sonntag der nächste Favorit in Verona?

Es ist alles machbar.  Wir waren in kaum einem Spiel chancenlos. Wenn wir diese Intensität am Sonntag wieder auf den Platz bekommen, können wir auch Milan Probleme machen.

Ihre Leihe endet im Sommer, Hellas hat eine Kaufoption zwischen 4 und 5 Millionen Euro. Wollen Sie bleiben? Und falls ja – kann Hellas Sie überhaupt bezahlen?

Für die Frage ist es noch zu früh. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich konzentriere mich jetzt erstmal auf die Aufgabe Klassenerhalt.

Haben Sie in sich ein Gefühl, was Ihnen im Sommer am liebsten wäre: gehen oder bleiben?

Ganz ehrlich, das sind gemischte Gefühle. Einerseits muss ich zugeben, dass ich die Bundesliga vermisse.  Andererseits: Ich habe mich komplett in Italien verliebt. Ich kann mir auch vorstellen, weiter in Italien Fußball zu spielen.

Sie hatten vor dem Wechsel nach Italien schwierige Jahre und sind mit Schalke und Hertha aus der Bundesliga abgestiegen. Haben Sie an sich selbst gezweifelt?

So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Man grübelt zwischendurch auch mal, aber ich bereue keine Entscheidung, die ich getroffen habe: nicht die für Schalke und auch nicht die für Hertha. Es waren turbulente Jahre. Aus denen lernt man viel.

Podcast

KMD #202 (mit Timothy Chandler)


01:36:17 Stunden

alle Folgen

Nach Ihrer ersten Hertha-Saison sagten Sie im Sommer 2022 in einem kicker-Interview: “Berlin hat den richtigen Serdar noch nicht gesehen.” Im zweiten Jahr, dem Jahr des Abstiegs, bekam Berlin den dann auch nicht zu sehen. Warum sind Sie bei Hertha nie richtig ins Rollen gekommen?

Ohne dass ich nach Ausreden suchen will: Aber es waren für den gesamten Klub schwierige Jahre mit vielen Schlagzeilen und Trainerwechseln. Das machte es für jeden einzelnen Spieler schwieriger, seine Top-Leistung zu bringen.

Hätten Sie sich mehr wehren müssen, als Tayfun Korkut Sie auf den linken Flügel abgeschoben hat?

Vielleicht hätte ich es damals konkreter bei ihm ansprechen müssen. Aber er sah mich damals auf der Position. Am Ende entscheidet der Trainer.

Ich bin stolz darauf, für Deutschland gespielt zu haben.

Suat Serdar

Ihre Ex-Klubs Mainz und Schalke stecken im Abstiegskampf, Hertha steht im Niemandsland der 2. Liga. Um wen machen Sie sich am meisten Sorgen?

Schalke wird sich auf jeden Fall retten, das sagt mir mein Bauchgefühl. Hertha hat einige Punkte liegengelassen, aber immer noch die Chance auf Platz 3 und den Aufstieg. Für Mainz wird es eng. Aktuell scheint es nur noch um den Relegationsplatz zu gehen, ich drücke Mainz die Daumen.

Im Sommer steht die Europameisterschaft an. Das letzte Ihrer vier Länderspiele für Deutschland bestritten Sie im September 2020. Dem türkischen Verband, der intensiv um Sie warb, hatten Sie zuvor abgesagt. War das die falsche Entscheidung?

Ich habe damals reiflich überlegt. Es war in dem Moment die richtige Entscheidung. Ich stehe auch heute noch dazu. Ich bin stolz darauf, für Deutschland gespielt zu haben, auch wenn es nicht so viele A-Länderspiele waren.

Vincenzo Montella hat in der Türkei seit seinem Amtsantritt im September eine Aufbruchstimmung entfacht, die deutsche Mannschaft hat in den letzten Testspielen nicht überzeugt. Was trauen Sie beiden Teams bei der EM zu?

Viel. Beide Trainer, Vincenzo Montella und Julian Nagelsmann, können eine Mannschaft begeistern und mitnehmen. Die Deutschen haben viel Qualität, die Türken auch – mit vielen jungen, spannenden Spielern.

Wer ist Ihr Top-Favorit für das Turnier?

Frankreich.

Interview: Steffen Rohr

Serdar: “Ich habe mich komplett in Italien verliebt”

Es ist seine erste Station im Ausland. Im kicker-Interview spricht Suat Serdar (26) über seinen Wechsel zu Hellas Verona, den Fußball in der Serie A, Anpassungen in seiner Spielweise und seine deutschen Ex-Klubs.

Das Training ist beendet, die Nachbereitung auch. Suat Serdar meldet sich pünktlich zur verabredeten Zeit. Der Mittelfeldspieler – ausgebildet bei Mainz 05, bei Schalke 04 zum Nationalspieler geworden und im Sommer 2021 Herthas Königstransfer – wollte nach dem Berliner Abstieg im Vorjahr den Schritt ins Ausland wagen. Hertha, wo Serdar einen Vertrag bis 2026 besitzt, lieh ihn an Hellas Verona aus, Kaufoption inklusive. Die ersten Monate in Verona waren sportlich schwierig, inzwischen blüht Serdar auf und ist Stammspieler. Am Sonntag empfängt er mit Hellas den Tabellenzweiten AC Mailand.

Nach Hellas Veronas 1:0-Sieg am Sonntag in Lecce brannten Lecces Coach Roberto D’Aversa die Sicherungen durch. Er verpasste Ihrem Teamkollegen Thomas Henry einen Kopfstoß und wurde am Montag entlassen. Ist Abstiegskampf in Italien noch hitziger als in Deutschland, Herr Serdar? 

Man merkt, wieviel auf dem Spiel steht und dass hier mehr Temperament herrscht. Auch von der Seitenlinie wird viel mehr reingerufen als in Deutschland. Was Lecces Trainer gemacht hat, war ein No-Go. Ich habe die Szene auf dem Platz nicht gesehen, erst in der Kabine auf Video. Es war die richtige Entscheidung, ihn nach so einem Ausraster zu entlassen.

Hellas hat sich zuletzt mit zwei 1:0-Siegen in Lecce und gegen Sassuolo im Abstiegskampf Luft verschafft. War das ein Befreiungsschlag?

Ja. Die Gegner hatten viel Druck, wir auch. Dass wir aus den beiden Spielen sechs Punkte holen konnten, war sehr wichtig. Gerade der Auswärtssieg hat unseren Köpfen gutgetan.

Podcast

Sportwetten – wie kann aus dem Spaß eine Sucht werden? (mit Alex Jacob)


16:12 Minuten

alle Folgen

Im Winter war bei Hellas Verona auch wegen der Finanzlage viel Bewegung im Kader. Rechtsaußen Cyril Ngonge, der beste Torschütze, ging für 18 Millionen Euro nach Neapel, Stürmer Milan Djuric, der zweitbeste Torschütze, nach Monza. Innenverteidiger Isak Hien wechselte für 8,5 Millionen zu Atalanta Bergamo, Linksverteidiger Josh Doig für 6 Millionen zu Sassuolo, Rechtsverteidiger Filippo Terracciano zu Milan, Innenverteidiger Bruno Amione zu Santos Laguna. Hatten Sie zwischendurch die Sorge, dass da ein Ausverkauf stattfindet?

Ich hatte das vorher noch nie erlebt, dass in einem Klub so viele Winter-Transfers über die Bühne gehen. Das Trainer-Team hat uns aber darauf richtig gut vorbereitet und entsprechend unterstützt. Dass so viele Spieler gingen, hat mich grundsätzlich überrascht, weil es eine neue Erfahrung war, aber ich bin nicht überrumpelt worden. Ein paar neue Spieler sind auch gekommen, die hatten nicht viel Zeit zur Eingewöhnung. Aber wir haben das als Mannschaft gut gemeistert.

Wir haben gefühlt jeden Tag Taktik-Training. Das ist anders als in Deutschland.

Suat Serdar

Gefühlt läuft es trotz der vielen Winter-Abgänge seitdem besser. Können Sie das erklären?

Das hat uns zusammengeschweißt. Einige Spieler wollten den nächsten Schritt gehen, andere wurden aus finanziellen Gründen verkauft. Das war schon eine besondere Transferperiode. Aber der Zusammenhalt hat darunter nicht gelitten, im Gegenteil.

Hellas hat erst 36 Gegentore bekommen, weniger kassierte in der unteren Tabellenhälfte nur der FC Turin. Ist die Kompaktheit die größte Stärke Ihrer Mannschaft?

Ja. Unser Trainer Marco Baroni und sein Staff legen großen Wert auf die Defensive, wir haben gefühlt jeden Tag Taktik-Training. Das ist anders als in Deutschland. Davon profitieren wir. Wenn wir wie zuletzt in Lecce in Führung gehen, ist es schwer, gegen uns den Ausgleich zu schaffen.

Verona liegt zwei Punkte vor dem ersten Abstiegsplatz, es ist sehr eng. Warum bleibt Hellas drin?

Es wird bis zum Ende spannend. Salernitana ist etwas abgeschlagen, davor liegen sieben Klubs nur vier Punkte auseinander. Für uns sprechen die defensive Struktur, unsere Mentalität und unser Aufwärtstrend. Ich bin überzeugt davon, dass wir es schaffen.

Er wurde Mitter der 80er mit Verona Meister: Hans-Peter Briegel.

Er wurde Mitter der 80er mit Verona Meister: Hans-Peter Briegel.
imago sportfotodienst

Hellas war 1985 mit Hans-Peter Briegel italienischer Meister, hat danach turbulente Zeiten erlebt und war zeitweise nur noch in der Serie C. Auf welchem Weg ist der Klub aktuell?

Hellas ist ein Traditionsklub. Das merkt man bei jedem Heimspiel und wenn man durch Verona läuft. Überall hängen Hellas-Flaggen, man wird auf der Straße oft angesprochen. Diese Stadt liebt ihren Klub. Hellas ist seit fünf Jahren wieder in der Serie A. Auch wenn zuletzt im Umfeld des Klubs öfter über Finanzprobleme gesprochen wurde, glaube ich, dass sich Hellas die nächsten Jahre in der Serie A halten kann.

Den Aufwärtstrend zeigt nicht nur das Team, sondern auch Sie. Sie sind seit Mitte Januar Stammspieler. Was war in der Hinrunde das Problem?

Die Frage habe ich mir selbst auch öfter gestellt. Am Anfang hat die Umstellung auf den Fußball hier sicher eine Rolle gespielt: die Mann-gegen-Mann-Orientierung, die defensive Ausprägung. Ich habe ein paar Chancen bekommen und konnte nicht hundertprozentig überzeugen. Im Januar gegen Empoli ist mir das dann gelungen. Da hat der Trainer gesehen: Okay, der Junge kann fighten und beißen, auf den ist Verlass. Seitdem läuft es für mich.

Haben Sie im Herbst den Schritt nach Verona bereut?

Nein, aber ich habe natürlich darüber nachgedacht, warum ich nicht spiele. In der Bundesliga war ich in meinen Klubs meistens Stammspieler. Es war eine neue Situation für mich, damit musste ich klarkommen. Ich habe den Trainer öfter gefragt, was ich ändern muss, um zu spielen. Aber ich habe im Winter nie daran gedacht, die Leihe zu beenden und etwas anderes zu machen. Ich wusste, dass meine Chance kommt. Sie kam, und ich war da. Jetzt sind beide Seiten glücklich.

In Deutschland habe ich einen Tick offensiver gedacht.

Suat Serdar

Haben Sie Ihre Spielweise verändert?

Etwas schon. Ich fokussiere mich hier mehr auf die Defensive, darauf legt der Trainer großen Wert. In Deutschland habe ich einen Tick offensiver gedacht.

Hand aufs Herz: Fehlt Ihnen die Freiheit nach vorn etwas?

Ein bisschen vielleicht. Ein Tor wäre schonmal was Schönes (schmunzelt). Ich hoffe, das kommt bald.

Zweikampffreude: Suat Serdar (#25) sucht das Duell mit Bolognas Joshua Zirkzee.

Zweikampffreude: Suat Serdar (#25) sucht das Duell mit Bolognas Joshua Zirkzee.
IMAGO/AFLOSPORT

Sie bilden aktuell mit Ex-Bundesliga-Profi Ondrej Duda die Doppel-Sechs. Wie ist die Aufgabenverteilung?

Ich sage ihm, dass er sich öfter nach vorn einschalten kann. Ondrej mag das Verteidigen nicht so, also übernehme ich eher den defensiven Part (lacht). Wir matchen uns gut, wir verstehen uns gut. Und ich bin froh, dass ich jemanden habe, mit dem ich in der Kabine Deutsch sprechen kann.

Was war neben den vielen Taktik-Einheiten und der defensiven Orientierung die größte Umstellung von der Bundesliga auf die Serie A?

Der Fußball hier hat nicht ganz so viel Speed und Intensität wie in der Bundesliga. Hier geht es viel um taktische Disziplin und darum, in erster Linie gut zu stehen. Man folgt seinem Gegenspieler über den ganzen Platz, das kannte ich so nicht.

Ist die Bundesliga in der Breite stärker als die Serie A?

Nein. Ich finde, beide Ligen sind auf Augenhöhe. Hinter den Top 3 mit Inter, Milan und Juve spielt Bologna eine Top-Saison. Dass Neapel als Vorjahresmeister aktuell nur Siebter ist, zeigt die Ausgeglichenheit.

Inter dominiert die Serie A und führt mit 16 Punkten Vorsprung. Was macht dieses Team so viel besser als die anderen Großen?

Inter hat eine überragende Mannschaft und ist extrem abgezockt vorm Tor. Und Hakan Calhanoglu ist für mich aktuell der stärkste Spieler der Serie A. Bei Inter passt alles.

Manuel Locatelli

Musste sich mit Juve in Verona mit einem Punkt zufriedengeben: Manuel Locatelli.
IMAGO/Gribaudi/ImagePhoto

Hellas empfängt am Sonntag den Tabellenzweiten Milan. Ihr Klub hat in dieser Saison zu Hause Roma geschlagen und gegen Juve im Februar 2:2 gespielt. Stolpert am Sonntag der nächste Favorit in Verona?

Es ist alles machbar.  Wir waren in kaum einem Spiel chancenlos. Wenn wir diese Intensität am Sonntag wieder auf den Platz bekommen, können wir auch Milan Probleme machen.

Ihre Leihe endet im Sommer, Hellas hat eine Kaufoption zwischen 4 und 5 Millionen Euro. Wollen Sie bleiben? Und falls ja – kann Hellas Sie überhaupt bezahlen?

Für die Frage ist es noch zu früh. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ich konzentriere mich jetzt erstmal auf die Aufgabe Klassenerhalt.

Haben Sie in sich ein Gefühl, was Ihnen im Sommer am liebsten wäre: gehen oder bleiben?

Ganz ehrlich, das sind gemischte Gefühle. Einerseits muss ich zugeben, dass ich die Bundesliga vermisse.  Andererseits: Ich habe mich komplett in Italien verliebt. Ich kann mir auch vorstellen, weiter in Italien Fußball zu spielen.

Sie hatten vor dem Wechsel nach Italien schwierige Jahre und sind mit Schalke und Hertha aus der Bundesliga abgestiegen. Haben Sie an sich selbst gezweifelt?

So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Man grübelt zwischendurch auch mal, aber ich bereue keine Entscheidung, die ich getroffen habe: nicht die für Schalke und auch nicht die für Hertha. Es waren turbulente Jahre. Aus denen lernt man viel.

Podcast

KMD #202 (mit Timothy Chandler)


01:36:17 Stunden

alle Folgen

Nach Ihrer ersten Hertha-Saison sagten Sie im Sommer 2022 in einem kicker-Interview: “Berlin hat den richtigen Serdar noch nicht gesehen.” Im zweiten Jahr, dem Jahr des Abstiegs, bekam Berlin den dann auch nicht zu sehen. Warum sind Sie bei Hertha nie richtig ins Rollen gekommen?

Ohne dass ich nach Ausreden suchen will: Aber es waren für den gesamten Klub schwierige Jahre mit vielen Schlagzeilen und Trainerwechseln. Das machte es für jeden einzelnen Spieler schwieriger, seine Top-Leistung zu bringen.

Hätten Sie sich mehr wehren müssen, als Tayfun Korkut Sie auf den linken Flügel abgeschoben hat?

Vielleicht hätte ich es damals konkreter bei ihm ansprechen müssen. Aber er sah mich damals auf der Position. Am Ende entscheidet der Trainer.

Ich bin stolz darauf, für Deutschland gespielt zu haben.

Suat Serdar

Ihre Ex-Klubs Mainz und Schalke stecken im Abstiegskampf, Hertha steht im Niemandsland der 2. Liga. Um wen machen Sie sich am meisten Sorgen?

Schalke wird sich auf jeden Fall retten, das sagt mir mein Bauchgefühl. Hertha hat einige Punkte liegengelassen, aber immer noch die Chance auf Platz 3 und den Aufstieg. Für Mainz wird es eng. Aktuell scheint es nur noch um den Relegationsplatz zu gehen, ich drücke Mainz die Daumen.

Im Sommer steht die Europameisterschaft an. Das letzte Ihrer vier Länderspiele für Deutschland bestritten Sie im September 2020. Dem türkischen Verband, der intensiv um Sie warb, hatten Sie zuvor abgesagt. War das die falsche Entscheidung?

Ich habe damals reiflich überlegt. Es war in dem Moment die richtige Entscheidung. Ich stehe auch heute noch dazu. Ich bin stolz darauf, für Deutschland gespielt zu haben, auch wenn es nicht so viele A-Länderspiele waren.

Vincenzo Montella hat in der Türkei seit seinem Amtsantritt im September eine Aufbruchstimmung entfacht, die deutsche Mannschaft hat in den letzten Testspielen nicht überzeugt. Was trauen Sie beiden Teams bei der EM zu?

Viel. Beide Trainer, Vincenzo Montella und Julian Nagelsmann, können eine Mannschaft begeistern und mitnehmen. Die Deutschen haben viel Qualität, die Türken auch – mit vielen jungen, spannenden Spielern.

Wer ist Ihr Top-Favorit für das Turnier?

Frankreich.

Interview: Steffen Rohr